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Falls die sogenannten Sanktionen von der Entente in Wirksamkeit gesetzt werden, sind meines Erachtens zunächst direkte Eingriffe der Verbündeten in die staatliche Organisation der Rheinlande nicht zu befürchten. Ebensowenig glaube ich, daß sie etwaige Putsche, gleichgültig von welcher Seite sie kommen würden, unterstützen würden. Trotzdem halte ich die Lage der Rheinlande für ganz außerordentlich gefährlich, falls die angedrohte Zollgrenze am Rhein errichtet wird. 75–80% der in den Rheinlanden verarbeiteten Rohstoffe kommen aus dem unbesetzten Deutschland, der gleiche Prozentsatz der in den Rheinlanden hergestellten Fertigprodukte geht in das unbesetzte Gebiet hinüber. Aus diesen Ziffern folgt schon ohne weiteres, daß, wenn diese Einfuhr und Ausfuhr durch Zölle und Ausfuhrabgaben unmöglich gemacht werden, das Rheinland wirtschaftlich ruiniert ist. Wie mir eine hochgestellte englische amtliche Persönlichkeit am 2. März, wenn auch mit dem Ausdruck des Bedauerns, zugab, ist [es] die Absicht der Verbündeten, durch den wirtschaftlichen Ruin des Rheinlandes den Widerstand Deutschlands zu brechen. Die große Not und Arbeitslosigkeit, die zweifellos als Folge der Maßregel eintreten wird, wird in einiger Zeit den besten Nährboden für politische Treibereien auch bei einer bis dahin absolut zuverlässigen Bevölkerung bilden. Das Reich muß daher durch schleunigste und weitgehende Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet diesem Ruin der Rheinprovinz vorbeugen. Das ist das einzige Mittel, um auch außerordentlich schweren politischen Schäden entgegenzutreten. Als Gegenwirkung gegen die von der Entente geplante Errichtung einer Zollgrenze kommen wohl folgende Maßnahmen in Betracht:

Es müßte versucht werden, aus Reichsmitteln den Beziehern von Rohstoffen im besetzten Gebiet die von ihnen gezahlten Zölle zu ersetzen. Das wird vielleicht möglich sein mit Hilfe der großen Verbände oder dadurch, daß die im unbesetzten Gebiete wohnenden Verkäufer der Rohstoffe gegen entsprechende Vergütung aus der Reichskasse den Beziehern des besetzten Gebietes die Rohstoffe um den Betrag des Einfuhrzolles niedriger verkaufen. Falls Ausfuhrabgaben auf die Fertigprodukte der Rheinlande erhoben werden, müßte[520] ihr Absatz im unbesetzten Deutschland dadurch ermöglicht werden, daß den Beziehern im unbesetzten Gebiet der Betrag der Ausfuhrabgabe, um den sich der Preis ja gegenüber den im unbesetzten Gebiet hergestellten Waren erhöhen wird, gezahlt wird. Es müßten ferner Aufträge des Reichs und der Staaten, auch solche größerer sonstiger Körperschaften, im großen Maßstabe an Unternehmungen des besetzten Gebietes übertragen werden, auch hier evtl. unter Gewährung von Reichszuschüssen. Endlich müßten von Reich, Staat und Kommunen Notstandsarbeiten in größerem Umfange bereitgestellt und auch hierfür bei der schweren wirtschaftlichen Lage, in die die Gemeinden des besetzten Gebietes unter allen Umständen geraten werden, die nötigen Mittel vom Reiche zur Verfügung gestellt werden3.

3

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 203.

Das alles sollen nur Anhaltspunkte für Maßnahmen der Reichsregierung sein, um das Rheinland vor dem wirtschaftlichen Ruin zu schützen. Dem Reich werden ja sicher große Ausgaben dadurch erwachsen, aber um den vollständigen wirtschaftlichen Ruin von den Rheinlanden fernzuhalten und um das Reich vor schwersten politischen Schäden zu schützen, werden diese Ausgaben gemacht werden müssen.

Es dürfte ferner nötig sein, daß die Reichsregierung, falls es zum Abbruch der Verhandlungen und zur Ausführung der Sanktionen kommt, einer größeren Zahl von maßgebenden Persönlichkeiten aus den Rheinlanden eingehende und überzeugende Auskunft darüber gibt, warum das Reich eine andere Stellung nicht einnehmen konnte4. Wenn auch jetzt die ganze Bevölkerung hinter der Reichsregierung steht, so ist doch zu befürchten, daß, wenn erst einmal die Not in den Rheinlanden eingekehrt ist, weitere Kreise sich die Frage vorlegen, ob es denn nötig gewesen wäre, daß die Rheinlande in solcher Weise zugrunde gingen und daß sie diese Frage, falls nicht für die nötige Aufklärung von vornherein gesorgt wird, verneinend beantworten.

4

Die gleiche Forderung wurde – ebenfalls am 4. 3. – auch in einer Entschließung der Handelskammern des besetzten Gebiets an den RK erhoben. In der Entschließung hieß es u. a.: „An Hand der Beratungen mit den Sachverständigen ist nun in London ein deutsches Gegenangebot vorgelegt worden, das die Entente auf das schroffste abgelehnt hat. Damit ist eine Sachlage von ungeheurem Ernst geschaffen, die Deutschland mit den größten Gefahren und insbesondere das besetzte Gebiet mit Maßregeln wie der einer besonderen Zollinie am Rhein bedroht, Maßregeln, die geradezu katastrophale Folgen für unser rheinisches Wirtschaftsleben haben müssen. Wir lassen es dahingestellt, ob nicht eine andere Aufmachung und Formulierung des deutschen Gegenangebots die Verhandlungen erleichtert hätte, aber müssen unter den gegenwärtigen Umständen fordern, daß das besetzte Gebiet, das auch unter den schwersten Bedrückungen der Entente treu zum Reich stehen wird, baldigst Aufklärung erhält, wie aus den Beratungen der Sachverständigen das Angebot der deutschen Regierung entstanden ist und welche Maßnahmen die Regierung zum Schutze unserer bedrohten Existenz zu ergreifen gedenkt.“

Abschließend baten die Handelskammern den RK, einen Kreis von 30–40 Vertretern des besetzten Gebiets zu einer Aussprache zu empfangen (R 43 I /181 , Bl. 97–98).

Am 17. 3. wurde dann der Präs. der Handelskammer Köln, Louis Hagen, und einige andere Kammerpräs. vom RK empfangen; ein Protokoll dieser Besprechung wurde nicht angefertigt (R 43 I /181 , Bl. 105–107).

Am 13. März tritt in Düsseldorf der Provinziallandtag zusammen. Ob die etwaige Besetzung Düsseldorfs den Zusammentritt hindert, läßt sich noch nicht sagen. Der Provinziallandtag führt aus allen Teilen der Preußischen[521] Rheinprovinz einflußreiche Leute nach Düsseldorf. Ich hielte es für richtig, wenn ein maßgebendes Mitglied der Reichsregierung ebenfalls dorthin käme, damit mit ihm besprochen werden könnte, ob und welche Aktionen (Proteste und dergl.) der Provinziallandtag vornehmen soll5.

5

Dazu findet sich auf dem Anschreiben Adenauers die handschriftliche Notiz MinR v. Bornstedts: „Min. Brauns ist nach Köln gefahren.“ (R 43 I /181 , Bl. 51). Einzelheiten über eine Versammlung in Köln, bei der es sich jedoch offensichtlich nicht um eine Sitzung des Provinziallandtages handelte, teilte RArbM Brauns dem Kabinett in der Ministerratssitzung vom 10.3.1921 mit. Siehe dazu Dok. Nr. 201.

Eine Antwort des RK auf dieses Schreiben Adenauers war in R 43 I nicht zu ermitteln.

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