2.6.1 (feh1p): Besprechung über Spa.

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Besprechung über Spa1.

1

Zur Vorgeschichte vgl. Dok. Nr. 1 und 4.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Simons: Es herrsche nunmehr Einigkeit, daß ein bestimmtes Angebot gemacht werden solle, und zwar in einer Höhe, die es nicht als Verhöhnung der Gegner erscheinen ließe. Als Mindestmaß müsse man eine Annuität von 1 Milliarde in Aussicht nehmen einschließlich der Sachleistungen, und zwar auf dreißig Jahre. Als Bedingung dabei müsse gestellt werden, daß Oberschlesien bei uns bleibe und daß die Kosten der Besatzungsheere dadurch gedeckt würden.

[19] Sachleistungen seien zum Weltmarktpreise anzurechnen. Empfehlenswert sei, die Gegner in irgendeiner Form an einer etwaigen Besserung unserer Wirtschaftslage teilnehmen zu lassen.

Gegen die weiter vorgeschlagene Anrechnung der Dinge, die nach dem Friedensvertrage nicht anzurechnen seien, habe er Bedenken2. Italien allerdings habe ein Interesse, daß der Wert der Kolonien angerechnet werde. Diese Karte müsse man jedoch zunächst in der Tasche behalten.

2

Zu diesen Leistungen s. Dok. Nr. 1, Anm. 6.

Die Sachverständigen seien so bereitzustellen, daß man sie jederzeit nach Spa beordern könne.

Finanzminister Wirth: Die Frage des „Besserungsscheines“ sei von außerordentlicher Bedeutung3. Nähme man als Gradmesser das Volksvermögen, so riskiere man eine umfassende Kontrollierung unseres gesamten Wirtschaftslebens. Man könne vielleicht die Alliierten in der Form an der Hebung unserer Valuta interessieren, daß man nach bestimmter Zeit die Umwandlung der Goldzahlung in Papierzahlung zulasse. Eine Formel hierfür werde sich finden lassen.

3

Zum „Besserungsschein“ vgl. Dok. Nr. 1, Anm. 16.

Reichsminister Dr. Simons hat Bedenken hiergegen, weil wir uns damit in die Hände der internationalen Spekulation gäben. Er stimme mit dem Reichsfinanzminister darin überein, einen bestimmten Vorschlag alsbald zu formulieren, möchte jedoch den „Besserungsschein“ nicht hier hineinnehmen. Es sei taktisch richtiger, sich diesen langsam abringen zu lassen.

In der Entwaffnungsfrage müsse man zunächst so tun, als ob wirklich in Spa darüber nicht verhandelt werden würde4.

4

Eine feste TO für die Konferenz von Spa war nicht vorgesehen. Lediglich in dem Einladungsschreiben zur Konferenz vom 26.4.1920 war zu verstehen gegeben worden, daß die militärischen Bestimmungen des Friedensvertrages, die Kohlenlieferungen, die Wiedergutmachungen und die Frage der Besatzungskosten Themen der Konferenz sein würden (RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363 , Anlage 1).

Staatssekretär Müller tritt den Ausführungen des Außenministers bei.

Reichswirtschaftsminister Dr. Scholz ist gleichfalls mit den Ausführungen des Außenministers einverstanden.

Der Minister macht dann noch Mitteilung über die von Herrn Stinnes geführten Verhandlungen mit französischen Wirtschaftsführern5. Der Minister regt schließlich an, den wirtschaftspolitischen Ausschuß und die politischen Parteien von den Absichten über Spa in Kenntnis zu setzen6.

5

Zu diesen Verhandlungen war in R 43 I nichts zu ermitteln.

6

Dazu war in R 43 I nichts zu ermitteln.

Reichsminister Dr. Simons: In der Verhandlung müsse man ausgehen von gleichmäßigen Annuitäten; über die Verhandlungen von Stinnes sei er orientiert. Wenn man Sachverständige nach Spa berufe, müsse Stinnes darunter sein; er empfiehlt ferner, Sachverständige aus der Arbeiterschaft bereitzustellen, etwa Hué, Silberschmidt und Sassenbach7.

7

Otto Hué, gewerkschaftlicher Sachverständiger für Bergarbeiterfragen; Herrmann Silberschmidt, Mitglied des Vorstandes des Dt. Bauarbeiterverbandes; Johannes Sassenbach, Mitglied des Vorstandes des ADGB.

[20] Die Finanzhoheit des Reichs müsse bis zum letzten verteidigt werden. Die endgültige Formulierung dürfe vor den Verhandlungen niemandem bekanntgegeben werden.

Staatssekretär Bergmann: Er und Herr Melchior seien privatim mit Belgiern und Engländern zusammengekommen8. Die Belgier seien unbedingt für ein festes Angebot mit steigenden Annuitäten eingetreten; die Engländer hätten sich einige Zeit darauf in dieser Frage nicht mehr so positiv geäußert. Er halte es nicht für richtig, gleich bei Beginn der Verhandlungen ein festes Angebot zu machen. Im übrigen sei auch er der Ansicht, daß man mindestens 1 Milliarde Annuität anbieten müsse und daß ein „Besserungsschein“ nötig sei.

8

Es waren dies die Besprechungen StS Bergmanns und C. Melchiors am 8./9.6.1920 mit dem belg. und brit. Delegierten bei der Repko, Theunis und Bradbury. Siehe dazu den Band „Das Kabinett Müller I“ dieser Edition, Dok. Nr. 133.

Seines Erachtens würde Spa nur den ersten Schritt zur Verständigung bilden. Der Gedanke, daß Deutschland allmählich gleichberechtigt in die Reparationskommission eintreten müsse9, gewinne langsam an Boden. Dieser Eintritt müsse angestrebt werden.

9

Nach § 2 der Anlage II zu Teil VIII VV war Deutschland nicht Mitglied der Repko. Nach § 10 der gleichen Anlage konnte die dt. Reg. allerdings zu allen Fragen gehört werden.

Die Finanzhoheit halte er deshalb nicht für gefährdet, weil es für Engländer und Franzosen viel zu beschwerlich sein werde, sich in der erforderlichen Weise in die deutschen Etatsverhältnisse einzuarbeiten.

Staatssekretär Hirsch weist auf die Gefahr hin, die in der wiederbeginnenden Öffnung des Loches im Westen liegt10. Als Maximum der Annuität sieht er zwei Milliarden an.

10

Als „Loch im Westen“ bezeichnete man in diesem Zusammenhang die besonderen zoll- und handelspolitischen Verhältnisse im besetzten Gebiet. Hier hatten die all. Behörden bis zum März 1920 die Durchführung der dt. Ein- und Ausfuhrverbote verweigert. Die Folge davon war gewesen, daß auf dem Wege über das besetzte Gebiet ständig große Markbeträge in das Ausland abgeflossen waren, während Deutschland seinerseits von Luxuswaren vor allem aus Frankreich überschwemmt worden war. Erst im März 1920 hatte die Irko die dt. Ein- und Ausfuhrvorschriften auch für das besetzte Gebiet anerkannt (Aufzeichnung des AA über das „Loch im Westen“ vom März 1920, R 43 I /1129 , Bl. 138 f., bes. 139–140).

Professor Bonn: In Boulogne sei, wie er gehört habe, ein Index für den „Besserungsschein“ ausgearbeitet worden11. Wir müßten darauf dringen, daß hierbei nur leicht erkennbare Dinge als Gradmesser genommen würden, wie z. B. die Urproduktion.

11

Auf der Konferenz von Boulogne vom 21. bis 22.6.1920 war ein von den all. Finanzsachverständigen ausgearbeiteter Plan zur Festlegung der dt. Reparationszahlungen grundsätzlich angenommen worden. Danach sollte die dt. Gesamtschuld aus den Besatzungskosten für die all. Truppen und den eigentlichen Reparationszahlungen einschließlich der belg. Kriegsschuld bestehen.

Zur Zahlung der Reparationen war vorgesehen, daß Deutschland vom 1.5.1921 an 42 Annuitäten von je 3 Mrd. GM zu zahlen habe. Vom 1.5.1925 sollte eine Zusatzannuität gezahlt werden, deren Dauer auf 37 Jahre berechnet war. Diese Zusatzannuität sollte zunächst für 5 Jahre je 3 Mrd. GM betragen und für die restlichen 32 Jahre je 4 Mrd. GM (DBFP, 1st Series, Vol. VIII, Appendix to Doc. No. 31; vgl. auch C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 54–55; Bergmann nennt als Zahlungsbeginn für die Zusatzannuität den 1.5.1926; nur unvollständig Schultheß 1920, II, S. 369).

Auf die Gefahr, die in der Höhe und im weiteren Anwachsen unserer schwebenden Schuld liege, müsse ständig hingewiesen werden. England würde[21] hierfür gerade Verständnis haben. Er warne vor dem Optimismus von Herrn Bergmann. England und Frankreich hätten glänzende Finanzkontrolleure, die sich mit Leichtigkeit in die deutschen Finanzangelegenheiten einarbeiten könnten.

Reichsminister der Finanzen Dr. Wirth: Ob man mit dem „Besserungsschein“ gleich hervortreten soll, sei eine Frage der Taktik.

Staatssekretär Schroeder betont, daß die Summe von 1 Milliarde Gold eine ganz ungeheure Belastung sei. Die Sachleistungen müßten unter allen Umständen zum Weltmarktpreise angerechnet werden.

Reichsminister Dr. Simons bittet, ihm in der Frage der Taktik freie Hand zu lassen.

Der Reichskanzler stellt fest, daß in den wesentlichen Punkten Einigung erzielt sei und eröffnet die Besprechung über die Ernährungslage.

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Hermes legt die Ernährungslage in kurzen Zügen nochmals dar und betont die Notwendigkeit, ihre Schwierigkeit in den Vordergrund der Verhandlungen in Spa zu stellen.

Nach längeren Erörterungen wird beschlossen, diesen Punkt im kleineren Kreise am 1. Juli, vormittags 9 Uhr, in der Reichskanzlei weiter zu beraten. Die Einladungen dazu ergehen von der Reichskanzlei12.

12

Am 1. und 2. 7. fanden daraufhin zwei Chefbesprechungen über Ernährungsfragen im Zusammenhang mit der Konferenz von Spa statt. Protokolle dieser Besprechungen wurden nach Angabe MinR Kempners nicht angefertigt (R 43 I /1345 , Bl. 89 u. 90).

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