2.134 (feh1p): Nr. 134 Die Preußische Gesandtschaft Dresden an das Auswärtige Amt. Dresden, 10. Dezember 1920

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Nr. 134
Die Preußische Gesandtschaft Dresden an das Auswärtige Amt. Dresden, 10. Dezember 1920

R 43 I /2307 , Bl. 111–112 Abschrift1

1

Eine Abschrift dieses Berichtes der Pr. Gesandtschaft übersandte das AA am 18.12.1920 der Rkei und dem RIMin. (R 43 I /2307 , Bl. 112).

[Betrifft: Regierungsbildung in Sachsen]

Die Bildung der reinsozialistischen [Regierung]2, die durch die Wahl des Ministerpräsidenten Buck gesichert ist3, wird nur als eine Übergangserscheinung[346] bewertet. Die parlamentarische Basis mit einer Stimmenmehrheit ist denn doch zu schwach, abgesehen davon, daß eine Mehrheit überhaupt nur möglich wird durch die Unterstützung einer Partei, die die bestehenden Verfassungsinstitutionen ablehnt4. Regierungsmitglieder beider sozialistischen Parteien machen kein Hehl daraus, daß sie mit der Gestaltung der Dinge nicht einverstanden sind und für die sozialistische Sache mehr Schaden aus einem schnellen Sturz der reinsozialistischen Regierung befürchten, als Nutzen von der Regierungsführung zu erwarten ist. Wie früher berichtet, waren die unverbindlichen Besprechungen zwischen Mehrheitssozialisten, Demokraten und Deutscher Volkspartei vor den Neuwahlen verhältnismäßig weit gediehen und hatten der Wahrscheinlichkeit Raum geschaffen, daß eine Regierung dieser drei Parteien zustande kommen würde. Wenn diese Regierungsbildung dann scheiterte, so ist das zurückzuführen auf den entschlossenen Widerstand der mehrheitssozialistischen Abgeordneten des Chemnitzer Wahlkreises, der beinahe 50% der gesamten mehrheitssozialistischen Fraktion stellt. Der vorübergehend unternommene Versuch, die Demokraten zu einem Anschluß an die Regierungsbildung zu gewinnen, scheiterte am Widerstand der Demokraten, die sich bereits ziemlich stark gegenüber der Deutschen Volkspartei festgelegt hatten. Es blieb somit den beiden sozialistischen Parteien kein anderer Weg als der, die Kommunisten für die Unterstützung einer Bildung der rein sozialistischen Regierung zu gewinnen. Daß die Kommunisten nicht daran denken, diese Unterstützung parlamentarisch durchzuführen und auch außerhalb des Parlaments zu betätigen, daß sie keines ihrer Ziele der sozialistischen Regierung wegen zurückstecken werden, haben sie bereits zugegeben. Es ist durchaus damit zu rechnen, daß sie der Regierung in absehbarer Zeit die Gefolgschaft aufkündigen und die sozialistische Regierung zu Fall bringen werden. Denn wenn sie sich auch bereit erklärt haben, die Regierung zu unterstützen, solange sie wahrhaft sozialistische Politik treibe5, so steht es einmal bei ihnen zu befinden, was sozialistische Politik nach dem Geschmack der Kommunisten ist; andererseits haben die Kommunisten gar kein Interesse daran, daß die beiden in der Regierung vertretenen sozialistischen Parteien durch ihre Geschäftsführung ihren Boden in der Arbeiterschaft festigen. Mit dem Versagen der kommunistischen Unterstützung würde eine völlig ungeklärte Situation eintreten, zumal die Demokraten, auch wenn sie, was sehr unwahrscheinlich ist, der Regierung beispringen würden, über die ausreichende Mandatsziffer, um eine Parlamentsmehrheit zu sichern, nicht verfügen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß man dann in Sachsen zu erneuten Wahlen schreiten würde,[347] was insofern gerechtfertigt erschiene, als sich bei den letzten Wahlen nur 66% der Wählerschaft beteiligte.

2

An dieser Stelle war das Dokument beschädigt.

3

In Sachsen hatten am 14.11.1920 Landtagswahlen stattgefunden. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 67% hatten die bürgerlichen Parteien 47 Sitze, die sozialistischen Parteien 49 Sitze errungen (Schultheß 1920, I, S. 296).

Am 9. 12. war dann die Wahl des MinPräs. vorgenommen worden. Dabei war der bisherige MinPräs. Buck mit einer Stimme Mehrheit wiedergewählt worden (Schultheß 1920, I, S. 313).

4

Unmittelbar vor der Wahl des MinPräs. hatte der kommunistische Abgeordnete Renner im Landtag eine Erklärung verlesen, daß seine Partei die Verfassung nicht anerkenne und sie bei der ersten Gelegenheit zu beseitigen versuchen werde (Schultheß 1920, I, S. 313).

5

Kurz nach der Erklärung der Kommunisten (s. o. Anm. 4) war die Sitzung unterbrochen worden. Nach dem Wiederzusammentritt hatte Buck erklärt, daß er sich streng an die Verfassung halten werde; die sozialistischen Fraktionen hatten ähnliche Erklärungen abgegeben. Dagegen hatten die Kommunisten mitgeteilt, daß sie die Regierung nur soweit unterstützen würden, „als sie sich um die Interessen der Arbeiterschaft besorgt zeige“. (Schultheß 1920, I, S. 313).

Wirkliche Genugtuung über die Situation empfinden nur die Deutschnationalen. Auch sie nehmen an, daß die rein sozialistische Regierung in Kürze zu Fall kommen wird, und sie wissen, daß sie dann für die Wahlen einen hervorragenden Agitationsstoff gewinnen. Andererseits hat die Separation der Mehrheitssozialisten von den Demokraten die Demokratische Partei dem Gedanken einer rein bürgerlichen Koalition zugänglicher gemacht, als das früher der Fall war. Sie fühlen sich hier in Sachsen aus der Regierung herausgedrängt und sind darum einem Anschluß an die Rechtsparteien geneigt. Daß die Demokraten ebenso wie die meisten Mitglieder der Deutschen Volkspartei eine solche Entwicklung bedauern, daß sie das Herannahen einer Regierung, in der die Sozialdemokraten ganz unvertreten sind, sehr ungern sehen und davon für die Zukunft schwere Verwicklungen und eine Erschwerung in der Herbeiführung einer Konsolidierung der innerpolitischen Verhältnisse erblicken, ist selbstverständlich. Im ganzen ist festzustellen, daß der zur Zeit unternommene Versuch der Bildung einer reinsozialistischen Regierung auf parlamentarischer Grundlage, gestützt auf den guten Willen der Kommunisten, keine guten Nachwirkungen für die innnerpolitische Entwicklung im gesamten Deutschland und in Preußen, zumal bei und nach den preußischen Neuwahlen, verspricht.

gez. von Berger.

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