2.83.1 (lut1p): Aufwertungsfrage.

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Aufwertungsfrage.

Vor Fortsetzung der Erörterungen1 regte der Reichsminister für Ernäh- rung und Landwirtschaft an, es möchten sämtliche Beschlüsse, die den Parteien mitgeteilt werden sollen, formuliert werden.

1

Fortsetzung der am 9. 5. begonnenen Beratung über die Abänderungsvorschläge der Koalitionsparteien zu den Aufwertungsvorlagen der RReg. (s. Dok. Nr. 82, dort bes. Anm. 1).

Der Reichskanzler bat, die Debatte darüber bis zum Schluß der Aussprache über die Abänderungsvorschläge der Parteien auszusetzen und alsbald in die Weiterberatung der Ziffer 62 der Vorschläge einzutreten.

2

S. dazu Anm. 10 zu Dok. Nr. 82.

Der Reichswirtschaftsminister entwickelte erneut seinen Plan, für die Industrieobligationen Genußscheine zu schaffen, die nach Ausschüttung einer Dividende für die Aktionäre von etwa 6% in Höhe von 5% des aufgewerteten Betrages nach Maßgabe der ursprünglich vorgesehenen Verzinsung3 aus dem Reingewinn verzinst werden sollten.

3

Der dem RT seit 25. 4. vorliegende „Entwurf eines Gesetzes über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen“ (RT-Drucks. Nr. 804, Bd. 400 ) sieht bei den Industrieobligationen (Schuldverschreibungen) folgende Verzinsung der 15% betragenden Aufwertungsansprüche vor: 2% ab 1.1.25, 4% ab 1.4.25 und 5% ab 1.1.26.

Der Reichsjustizminister wies nachdrücklich darauf hin, daß nach seiner Meinung unbedingt alles das gewährt werden müsse, was wirtschaftlich tragbar sei. Es dürfe auch nicht unbewußt das Bestreben obwalten, etwa billiger abzukommen als der Leistungsfähigkeit entspräche.

[278] Nach näheren Ausführungen des Staatssekretärs Joel darüber, daß juristische Bedenken gegen den Vorschlag des Reichswirtschaftsministers nicht beständen, stellt der Reichskanzler fest, daß die einmütige Meinung des Kabinetts dahin gehe, daß Genußscheine gewährt werden sollten, darüber hinaus aber von der Regierungsvorlage nicht abgewichen werden solle.

Nach sehr eingehender Debatte, an der sich der Reichswirtschaftsminister der Reichsminister der Finanzen der Reichsarbeitsminister der Vizepräsident der Reichsbank und Staatssekretär Joel beteiligten, wurde gemäß einer Anregung des Vizepräsidenten der Reichsbank beschlossen, die Genußscheine nach Ausschüttung einer 8%igen Dividende auf die Aktien pro rata ihres Wertes im Verhältnis zu dem der Aktien an dem übrigen Reingewinn teilnehmen zu lassen.

Nachdem in eingehender Aussprache erörtert worden war, ob gegen die Beschränkung der Zuteilung von Genußscheinen an die Altbesitzer banktechnische Bedenken beständen, wurde beschlossen, auch hier den spekulativen Besitz auszuschalten und nur den Altbesitzern die Genußscheine zu gewähren unter Überlassung der Beweislast an die Altbesitzer. Für den Zeitpunkt der Entscheidung, ob Altbesitz vorliegt, soll, wie bei den Kriegsanleihen, der 1. Juli 1920 maßgebend sein4.

4

S. dazu jedoch die Kompromißregelung, die zwischen Reg. und Koalitionsparteien zur Obligationenaufwertung durch Genußscheine am 14. 5. vereinbart wird (Dok. Nr. 86).

Zu Ziffer 75 gibt Ministerialrat Norden den Plan des Reichsfinanzministeriums über die Aufwertung der Reichsanleihen bekannt. Es sei vorgesehen, an einer 5%igen Konvertierung und einer Prämienauslosung dergestalt festzuhalten, daß Zinsen nicht gezahlt werden sollten, wohl aber ein 100%iger Zuschlag zu der ursprünglichen Aufwertungsquote von 5% gewährt werden solle, daß also im Ergebnis anstatt auf 5% auf 10% aufgewertet werden und daß dann Jahr für Jahr der Auslosungsbetrag sich um 5%, also um 2½% des eigentlichen Aufwertungssatzes, erhöhen solle. Nach dem ersten Jahre würden dann 105 Mark, nach dem 2. 110 M und so fort auf je 50 M konvertierte Anleihe ausgezahlt, so daß nach 20 Jahren für ein Stück über nominal 50 RMark bei der Auslosung 200 und nach 40 Jahren 300 RMark gezahlt werden würden6.

5

In Ziffer 7 der „Abänderungsvorschläge zu den Aufwertungsgesetzentwürfen“ heißt es: „Bei Reichsanleihen ist für die Altbesitzer die in den §§ 13 ff. [des dem RT seit 25. 4. vorliegenden „Entwurfs eines Gesetzes über die Aufwertung öffentlicher Anleihen“ (RT-Drucks. Nr. 805, Bd. 400 )] vorgesehene Aufwertung [5% der Anleiheablösungsschuld] auf den doppelten Wert zu erhöhen. Anstelle der Verzinsung (Anleiherente) sowie der Prämienauslosung (§ 17) wird eine Auslosung empfohlen, bei der ohne jede Verzinsung mit 10% des ursprünglichen Nennwertes als Auslosungskapital angefangen und fortschreitend der Auslosungsbetrag bis zur letzten Serie nach versicherungstechnischen Grundsätzen so erhöht wird, daß die Gesamtleistung des Reiches der Gewährung eines 10%igen, mit 5% zu verzinsenden Aufwertungskapitals gleichkommt.“

6

Vgl. dazu das Übereinkommen zwischen RReg. und Koalitionsparteien vom 14. 5. (Dok. Nr. 86).

Der Vizepräsident der Reichsbank unterstützte den Vorschlag.

Nachdem der Reichsminister der Finanzen darauf hingewiesen hatte, daß aus anleihetechnischen Gründen an dem Konvertierungssatz von 5% festgehalten[279] werden müsse, wurde beschlossen, entsprechend dem Vorschlage des Reichsfinanzministeriums zu verfahren.

Zu Ziffer 87 trug Ministerialrat Norden die Stellungnahme des Reichsfinanzministeriums zu den Parteianregungen dahin vor:

7

Ziffer 8 der „Abänderungsvorschläge“ lautet: „Für Kommunalanleihen kann auf eine Individuallösung nicht verzichtet werden. Zulässig erscheint ein degressives System, bei dem z. B. 30% als Normalaufwertung festgesetzt, der Aufsichtsbehörde aber auf Antrag des Schuldners unter bestimmten Voraussetzungen die Ermächtigung zur Ermäßigung dieses Satzes, jedoch nicht unter die für Reichsanleihen vorgesehene Aufwertung gegeben wird.“

Für die Kommunalobligationen solle ein Aufwertungssatz von 10% des alten Sparmarkkapitals und die Ablösung der Anleihen nach frühestens 20, spätestens 40 Jahren vorgesehen werden. Innerhalb dieser Grenzspanne sollen die Landesregierungen nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen nähere Anordnungen treffen können. Es solle eine jährlich um 5% steigende Tilgungssumme wie bei der Reichsanleihe vorgesehen werden, so daß also beispielsweise nach 20 Jahren ein Stück über 100 Reichsmark (1000 Papiermark) mit 200 Reichsmark getilgt werden würde.

Nach eingehender Aussprache, in der der Reichswehrminister sich für stärkere gemeindliche Selbstverwaltung bei der Tilgung der Anleihen einsetzte, der Reichsminister der Finanzen aber demgegenüber auf die Notwendigkeiten des Finanzausgleichs hinwies, wurde der Vorschlag des Reichsfinanzministeriums gebilligt; die Unterscheidung zwischen Alt- und Neubesitz soll nicht obligatorisch sein, sondern fakultativ zugelassen werden8.

8

Vgl. jedoch die Kompromißregelung zwischen Reg. und Parteien vom 14. 5. (Dok. Nr. 86).

Der Reichskanzler erklärte damit die Erörterung über die einzelnen Punkte der Parteivorschläge für abgeschlossen und stellte die grundsätzliche Frage zur Erörterung, wie die taktische Behandlung gegenüber den Parteien gehandhabt werden solle.

Der Reichsminister des Innern führte aus, es würde für die Parteien eine gewisse Erlösung bedeuten, wenn die heutigen Beschlüsse als das letzte Wort der Regierung erklärt werden würden. Es sei zwar nicht nötig, Wort für Wort an ihnen festzuhalten, in den grundsätzlichen Fragen müsse aber die heutige Stellung der Regierung unabänderlich bleiben. Es brauche nicht mit der Demission der Reichsregierung gedroht zu werden, wohl aber müsse die eventuelle Zurückziehung der Vorlage angekündigt werden.

Der Reichswehrminister trat dem bei und befürchtete eine Einbuße des Ansehens der Reichsregierung, wenn sie sich jetzt nicht endgültig entschließen könnte.

Auf Vorschlag des Reichsministers der Finanzen wurde beschlossen, daß der Reichskanzler den Parteien die Stellungnahme der Regierung klarlegen und dabei darauf hinweisen solle, in welchen Punkten die Regierung nicht in der Lage sei, weiter entgegenzukommen9.

9

Geschieht in einer im Anschluß an diese Kabinettssitzung stattfindenden Parteiführerbesprechung, an der unter Vorsitz des RK die RM v. Schlieben, Schiele, Graf v. Kanitz, Neuhaus, Frenken und Brauns sowie Vertreter von DNVP, Zentrum, DVP, BVP und WV teilnehmen. Der RK gibt zunächst einen Überblick über die Beschlüsse der RReg. in den Kabinettssitzungen vom 9. und 11. 5. und erklärt sodann, daß, falls eine Einigung mit den Regierungsparteien nicht erzielt werden sollte, die RReg. sich genötigt sehen würde, die Aufwertungsvorlagen zurückzuziehen. In anschließender kurzer Debatte über einige wenige Punkte der Regierungsbeschlüsse werden seitens der Parteien endgültige Stellungnahmen nicht abgegeben, doch wird vereinbart, in einer erneuten Parteiführerbesprechung am 13. 5. die Angelegenheit zum Abschluß zu bringen (Protokoll Wachsmanns vom 12. 5. in R 43 I /2456 , Bl. 120 f.). – Über die Parteiführerbesprechung am 13. 5. fand sich in den Akten lediglich ein kurzer Vermerk Wachsmanns vom 14. 5.: Die Parteiführer hätten sich nach über fünfstündiger Debatte zur Einhaltung von „Grundzügen für die Veränderung der Aufwertungsgesetzentwürfe“ (eine vorläufige Fassung der „Grundzüge“ in der Anlage zu diesem Vermerk Wachsmanns in R 43 I /2456 , Bl. 130) verpflichtet und beschlossen, diese „Grundzüge“ in einer Parteiführerbesprechung am 14. 5. nochmals zu beraten und alsdann eine diesbez. Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen (R 43 I /2456 , Bl. 129). Zur Parteiführerbesprechung vom 14. 5., zur endgültigen Fassung der „Grundzüge“ und zur Verpflichtungserklärung der Koalitionsparteien s. Dok. Nr. 86.

Darauf wurde die Sitzung geschlossen.

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