1.91.1 (lut2p): 1. Luftfahrtfragen.

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1. Luftfahrtfragen.

Ministerialrat Brandenburg berichtete über die Pariser Verhandlungen1. Es sei gelungen, nahezu alle Punkte befriedigend zu lösen. Ausstehe nur noch die Regelung der Ausbildung von Reichswehrangehörigen im Sportflug.

1

Über Verlauf und Ergebnis dieser Verhandlungen, die am 18. 12. wiederaufgenommen worden waren, hatte Nord in einer Aufzeichnung vom 24. 12. vermerkt: Die Besorgnisse der Gegenseite hätten sich insbesondere dagegen gerichtet, „daß nach dem Wegfall der Begriffsbestimmungen [vgl. Anm. 18 zu Dok. Nr. 170 und Anm. 1 zu Dok. Nr. 253] Deutschland in der Lage sei, seine zivile Luftfahrt so zu entwickeln, daß auch ohne Bestehen einer eigentlich militärischen Luftfahrt doch die Gefahr einer militärischen Verwendung der deutschen Flugzeuge und Piloten in hohem Maße vorliege“. Die dt. Delegation habe daher in Paris folgende Vorschläge unterbreitet: 1) Es könnte in die von der RReg. zu erlassende VO über das Verbot von Vereinen, die in Zusammenarbeit mit dem RWeMin. den Aufbau von Luftstreitkräften betreiben (vgl. Anm. 1 zu Dok. Nr. 253), eine Bestimmung aufgenommen werden, die Vereinen auch die luftmilitärische Ausbildung von Flugschülern untersagt. 2) Es könnte in einer besonderen Note an die Botschafterkonferenz erklärt werden, daß staatliche Beihilfen an Vereine zur Ausbildung von Sportfliegern nicht gewährt werden. – Diese Zugeständnisse seien von der Gegenseite als Fortschritt bezeichnet worden, doch habe diese darüber hinaus verlangt, daß die Ausbildung von Reichswehrangehörigen zu Piloten vollkommen unterbunden werden müsse (ADAP, Serie B, Bd. I, 1, Dok. Nr. 25).

Die Gegenseite verlange hier einerseits die Möglichkeit der Auflösung aller derjenigen Vereine, Verbände, Gesellschaften und dergleichen, die sich der Ausbildung von Heeresangehörigen widmeten, ferner ein Verbot, das den Angehörigen der Wehrmacht die Ausbildung im Sportflug untersage. Gegen beides beständen starke Bedenken. Die Forderung, daß auch Gesellschaften, also evtl. Aktien-Gesellschaften oder G.m.b.H. aufgelöst werden sollen, wenn sie sich der Ausbildung von Reichswehrangehörigen im Sportflug hingeben, sei undurchführbar. Bisher habe sich die Gegenseite auch stets mit dem Ausdruck „associations“ begnügt; die Ausdehnung dieses Begriffs auf Gesellschaften sei neu. Der Friedensvertrag biete dazu keine Rechtsgrundlage. Man müsse an dem alten Begriff festhalten, da die Erweiterung weder sachlich tragbar sei, noch auch ohne gesetzliche Grundlage vorgenommen werden könne. Gerade eine gesetzliche Maßnahme solle aber vermieden werden.

Das Verlangen, den Angehörigen der Wehrmacht die Ausbildung im Sportflug zu untersagen, bezeichnete der Reichswehrminister als ein Ausnahmerecht für die Angehörigen der Wehrmacht. Es sei überdies verfassungsändernd, da es eine Einschränkung der persönlichen Freiheit darstelle. Auf dem Wege eines Dienstbefehls sei ein derartiges Verbot nicht möglich, ein Rechtstitel im Friedensvertrage[1032] sei dafür nicht gegeben. Schon aus diesen Gründen halte er das Verbot für unmöglich. Dazu kämen die Bedürfnisse der Landesverteidigung.

General Hasse machte dazu nähere Ausführungen.

Der Reichsverkehrsminister wies darauf hin, daß es sich bei dem Verlangen der Gegenseite doch wohl nur um einen Ausfluß aus dem Friedensvertrage handele, der Deutschland die Unterhaltung von Flugzeugkräften verbiete2. Es handele sich jetzt um die Frage, ob an diesem einzigen Punkt die ganzen Verhandlungen scheitern sollen oder nicht.

2

S. die Art. 198–202 des VV.

Der Reichsminister des Auswärtigen neigte ebenfalls der Auffassung zu, daß das Verlangen der Gegenseite, Reichswehrangehörigen die Ausbildung im Sportflug zu untersagen, im Hinblick auf die Bestimmungen des Friedensvertrages nicht ganz unbegründet sei. Dazu komme, daß sowohl Frankreich als auch England hier in Berlin bei ihm sehr dringlich vorstellig geworden seien, auf der Ausbildungsmöglichkeit für Reichswehrangehörige nicht zu bestehen, da anderenfalls die Verhandlungen scheitern müßten3. Es handele sich darum, zu entscheiden, ob es wichtiger sei, die Freiheit im Verkehrsflugzeugbau und in dem ganzen Verkehrsflugwesen zu erhalten, oder darauf zu verzichten und die Möglichkeit der Ausbildung von Offizieren in der Flugtechnik zu haben. Er halte das erstere für wichtiger.

3

Über eine diesbez. Unterredung zwischen Stresemann und dem brit. Geschäftsträger in Berlin, Addison, s. die Aufzeichnung des RAM vom 3. 1. in: ADAP, Serie B, Bd. I, 1, Dok. Nr. 27.

Der Reichskanzler erkannte an sich die Bedenken des Reichswehrministers an und stellte zur Erwägung, ob es nicht zur Zerstreuung der Bedenken der Gegenseite genüge, eine Erklärung der Reichsregierung abzugeben, nach der weder Urlaub noch Unterstützung zur Ausbildung oder Fortbildung von Reichswehrangehörigen im Fliegen erteilt werde.

Nach längerer Aussprache wurden das Reichsverkehrsministerium und das Auswärtige Amt beauftragt, die Anregung des Reichskanzlers zu prüfen und nach Möglichkeit auf dieser Basis zu einer Verständigung zu gelangen. Die von Paris gewünschte Instruktion solle erst am Montagmittag herausgehen. Die Verständigung müsse eine solche sein, daß eine gesetzliche Maßnahme nicht erforderlich werde. Dies gelte auch bezüglich der „associations“4.

4

Der dt. Delegation in Paris wird mit Telegramm Köpkes vom 11. 1. folgende Instruktion übermittelt: „Die Deutsche Regierung ist an sich bereit zu erklären, daß eine dienstliche Ausbildung von Reichswehrangehörigen zu Flugzeugführern nicht erfolgen soll. Die Wehrmacht wird ferner auch eine private Ausbildung im Sportflug, der einzelne Reichswehrangehörige sich etwa unterziehen wollen, dienstlich nicht unterstützen.“ (ADAP, Serie B, Bd. I, 1, S. 119, Anm. 1). Über den weiteren Verlauf der Pariser Luftfahrtverhandlungen s. ebd. Dok. Nr. 44, 49, 53, 82 und 89. Zur Behandlung im Kabinett s. Dok. Nr. 284.

Was die Investigationsfrage5 anlangt, so teilte Ministerialrat Branden-[1033] burg den Text einer Erklärung mit, die die deutsche Regierung abgeben solle6.

5

Vgl. dazu Dok. Nr. 170, P. 4 b, dort auch Anm. 6–11 und Dok. Nr. 195 a/b. – Das Investigationsproblem war bei den Pariser Verhandlungen neuerdings auch im Zusammenhang mit der Luftfahrtfrage erörtert worden. Hierüber hatte die dt. Botschaft am 8. 1. berichtet: Massigli habe erklärt, die All. wollten verhindern, „daß zwischen Zeitpunkt der Beseitigung Luftfahrt-Garantiekomitees und Funktionierens des Investigationssystems Lücke entstehe“. Er schlage daher als Zwischenlösung vor, „daß Deutschland sich schon jetzt bereit erklärt, sich erforderlichenfalls Investigation entsprechend Artikel 213 [VV] zu unterwerfen, wobei es Deutschland freistände, jeden Vorbehalt hinsichtlich endgültiger Regelung der sich aus [Art.] 213 ergebenden Fragen mit Völkerbundsrat zu machen“ (ADAP, Serie B, Bd. I, 1, S. 94, Anm. 4).

6

Dieser Erklärungstext in den Akten nicht ermittelt.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte sich mit dem Text nicht einverstanden.

Der Reichskanzler hielt es für bedenklich vorzusehen, daß, wenn auch nur für eine Übergangszeit, dem Völkerbund Listen eingereicht werden sollten. Es müsse erwogen werden, ob nicht das nach Abreise des Luftfahrtkomitees entstehende Vacuum in anderer Weise ausgefüllt werde, vielleicht so, daß das Komitee, wenn auch nur vorübergehend, in Paris erhalten bleibe.

Der Reichswehrminister schlug vor, die Listen der Botschafterkonferenz einzureichen.

Ministerialdirektor Köpke teilte mit, daß das Auswärtige Amt prüfe, ob die Investigationsfrage für die Zeit des Vacuums nicht in Verbindung mit Artikel 8 des Völkerbundsstatuts7 geregelt werden könne.

7

Art. 8 gibt dem Völkerbundsrat im Interesse der internationalen Abrüstung die Befugnis, 1) Abrüstungspläne unter Berücksichtigung der geographischen Lage und besonderen Verhältnisse „eines jeden Staates“ zu entwerfen, 2) in Abständen von 10 Jahren diese Pläne nachzuprüfen und zu berichtigen, 3) Vorkehrungen gegen die private Herstellung von Kriegsmaterial ins Auge zu fassen. Im letzten Absatz heißt es wörtlich: „Die Bundesmitglieder übernehmen es, sich in der offensten und erschöpfendsten Weise gegenseitig jede Auskunft über den Stand ihrer Rüstung, über ihr Heeres- und Flottenprogramm und über die Lage ihrer auf Kriegszwecke einstellbaren Industrien zukommen zu lassen.“

Dem wurde zugestimmt.

Das Auswärtige Amt wird, in Verbindung mit dem Reichsverkehrsministerium, den Text einer entsprechenden Erklärung ausarbeiten8.

8

Die Pariser Botschaft wird mit Telegramm vom 15. 1. angewiesen, der Gegenseite folgende dt. Erklärung vorzuschlagen: „Es besteht Einverständnis, daß mit dem Zeitpunkt der Zurückziehung des Luftfahrtgarantiekomitees hinsichtlich der […] in Ausführung der Artikel 177, 178 und 198 des Versailler Vertrages übernommenen Verpflichtungen das System des Artikels 213 dieses Vertrages Platz greift, vorbehaltlich der Bereinigung (réglement) derjenigen Punkte, die Deutschland hinsichtlich der Beschlüsse des Völkerbundsrates über die Durchführung dieses Artikels dem Völkerbund gegenüber zur Sprache gebracht hat.“ (ADAP, Serie B, Bd. I, 1, S. 94, Anm. 4). – Der abschließend erwähnte Vorbehalt richtet sich offenbar gegen Art. V des vom Völkerbundsrat am 27.9.24 angenommenen „Organisationsplans für die Ausübung des Untersuchungsrechts“ (zum Text s. Anm. 7 zu Dok.Die Pariser Botschaft wird mit Telegramm vom 15. 1. angewiesen, der Gegenseite folgende dt. Erklärung vorzuschlagen: „Es besteht Einverständnis, daß mit dem Zeitpunkt der Zurückziehung des Luftfahrtgarantiekomitees hinsichtlich der […] in Ausführung der Artikel 177, 178 und 198 des Versailler Vertrages übernommenen Verpflichtungen das System des Artikels 213 dieses Vertrages Platz greift, vorbehaltlich der Bereinigung (réglement) derjenigen Punkte, die Deutschland hinsichtlich der Beschlüsse des Völkerbundsrates über die Durchführung dieses Artikels dem Völkerbund gegenüber zur Sprache gebracht hat.“ (ADAP, Serie B, Bd. I, 1, S. 94, Anm. 4). – Der abschließend erwähnte Vorbehalt richtet sich offenbar gegen Art. V des vom Völkerbundsrat am 27.9.24 angenommenen „Organisationsplans für die Ausübung des Untersuchungsrechts“ (zum Text s. Anm. 7 zu Dok. Nr. 170). Die Notifizierung dieses Vorbehalts war mit Schreiben Stresemanns an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 12.1.26 erfolgt. S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 264.

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