1.134 (lut2p): Nr. 303 Denkschrift des Reichswehrministers über Aufstellung und Einsatz von halbmilitärischen Arbeitseinheiten in den Jahren 1922/23. 2. März 1926

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Nr. 303
Denkschrift des Reichswehrministers über Aufstellung und Einsatz von halbmilitärischen Arbeitseinheiten in den Jahren 1922/23. 2. März 19261

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Zur Veranlassung dieser Denkschrift, die von Geßler unter diesem Datum an den Vorsitzenden des 27. Ausschusses des RT (Untersuchungsausschuß Femeorganisationen und Fememorde), Schetter, übermittelt wurde, fanden sich Unterlagen nicht bei den Akten der Rkei. Im Begleitschreiben heißt es lediglich: „Auf das Schreiben vom 3.2.26 [in R 43 I nicht ermittelt] beehre ich mich, in der Anlage die Denkschrift des Reichswehrministeriums zu übersenden.“ – Lt. Verteiler gingen Abschriften an RIM, RJM, RAM, StSRkei, StS Meissner und PrIM.

R 43 I /686 , Bl. 8-14 Abschrift

Im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Fememorde2 hat sich die Öffentlichkeit in den letzten Monaten immer wieder mit der sogenannten „schwarzen Reichswehr“ befaßt. Mit dieser angeblichen Organisation sind auf dem Wege über die in den Jahren 22/23 gebildeten Arbeitstrupps des Wehrkreiskommandos III wiederholt auch Dienststellen des Reichsheeres in Beziehung gebracht worden3. Die Trupps – aus der Not von Ausnahmeverhältnissen entstanden – sind seit Oktober 23, also seit nahezu drei Jahren, aufgelöst. Dieser Gedanke ist vielfach verlorengegangen. Überhaupt haben die bisherigen Erörterungen eher zu einer Verwischung als zu einer Klärung des wahren Tatbestandes[1173] geführt. Hier restlose Klarheit zu schaffen, ist Zweck dieser Ausführungen.

2

Vgl. dazu Dok. Nr. 270, dort bes. Anm. 1 und Dok. Nr. 276, dort auch Anm. 2 und 3.

3

Vgl. Anm. 2 zu Dok. Nr. 270.

Der an sich reichlich unklar und geheimnisvoll anmutende Begriff „schwarze Reichswehr“ stammt, wie ich bereits verschiedentlich ausgeführt habe, ursprünglich von deutschvölkischer Seite. Mit diesem Schlagwort hat sich in der Folge in weiten Kreisen die Vorstellung militärischer Formationen außerhalb der Reichswehr verbunden. In Übereinstimmung mit dem Herrn Chef der Heeresleitung habe ich derartige Aufstellungen, die außen- wie innenpoli- tisch die größten Gefahren in sich bergen mußten, stets entschieden abgelehnt. Als unter den besonderen Verhältnissen des Jahres 23 an den Herrn Chef der Heeresleitung von rechtsradikaler Seite der Gedanke der Bildung einer solchen „schwarzen Reichswehr“ herangetragen wurde, hat Generaloberst v. Seeckt – wie u. a. im Prozeß gegen Thormann und Grandel festgestellt worden ist – diese Anregung sofort in scharfer Form zurückgewiesen; desgleichen das aus Kreisen der Linken kommende Verlangen, „schwarz-rot-goldene“ Bataillone aufzustellen. Für die Reichswehrleitung konnte eine etwa durch die Verhältnisse erzwungene Verstärkung nur im Rahmen der Reichswehr selbst in Frage kommen.

Dieser grundsätzlichen Auffassung entsprechend hatten die Zwecke und Absichten, die in den Jahren 22/23 in einzelnen Standorten des Wehrkreises III [Berlin, Brandenburg, Schlesien] zur Einrichtung von Arbeitstrupps führten, nichts mit „schwarzer Reichswehr“ zu tun. Es ergibt sich dies vor allem ganz klar aus der Tatsache, daß die Reichswehr sofort und mit aller Schärfe durchgegriffen hat, als sich Versuche Angestellter bemerkbar machten, unter Mißbrauch ihrer Stellung die Arbeitstrupps zu Kampf-Formationen auszubauen oder in Angliederung an die Trupps solche zu schaffen. Die Reichswehr ist es gewesen, die damals den Urheber und seine Helfer verhaftet und der gerichtlichen Aburteilung zugeführt, die Trupps selbst aber rücksichtslos aufgelöst hat.

Es waren ausgesprochene Ausnahme-Verhältnisse, unter denen die Arbeitstrupps damals entstanden. Seit Herbst 1922 drohte im Westen Poincaré, die unerfüllbaren Reparations-Forderungen durch die Besetzung weiteren deutschen Landes – also mit den Mitteln des Krieges – einzutreiben. Die Drohung wurde im Januar 23 zur Tat. Auch im Osten war mit der Gefahr eines Einmarsches zu rechnen. Gleichzeitig wuchs im Innern mit dem furchtbaren Elend der Inflation, der zunehmenden radikalen Agitation und dem Schwinden jeglicher staatlichen Autorität die Gefahr ernster innerer Unruhen, wie sie das Jahr 23 auch tatsächlich brachte. Die junge Reichswehr, selbst noch im Stadium der ersten Entwicklung, mußte jeden Augenblick auf das Herantreten außerordentlicher Aufgaben zum Schutze des Staates gefaßt sein. Ihre ganze Kraft mußte der Vorbereitung hierauf und ihrer eigenen inneren Festigung gelten. Daneben konnte die Truppe die ungeheuere Arbeit der Aufräumung, Aussonderung und Zerstörung des besonders in der Gegend von Berlin, in der Ostmark und in Schlesien zahllos verstreuten und verborgenen Kriegsgeräts einfach nicht leisten. Großenteils herrenlos, jedem Zugriff und jedem Geldgeber mehr oder minder offen, eine Quelle des illegalen Waffenhandels in seiner korrumpierendsten Form, bildete es unter den damaligen innerpolitischen Verhältnissen[1174] eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Zu ihrer Behebung und gleichzeitig im Interesse des Reichsvermögens wurden die Arbeitstrupps gebildet. Sie gaben zugleich eine Art von Auffangbecken für die durch Auflösung der Freikorps und des Selbstschutzes Oberschlesien wurzellos gewordene Kräfte ab. Auf ihrem besonderen Arbeitsgebiete haben die Trupps – das muß auch an dieser Stelle hervorgehoben werden – Ausgezeichnetes für den Staat geleistet.

Der erste Arbeitstrupp ist im Jahre 22 in Küstrin entstanden; die übrigen folgten im Frühjahr und Sommer 23. Die Angehörigen standen zur Militärbehörde im Angestellten- bzw. Arbeitsverhältnis. Der Etat wurde für jeden Trupp nach dem Umfang der zu leistenden Arbeiten vom Wehrkreiskommando festgesetzt, das auch im allgemeinen die Ergänzung in der Hand behielt. Im übrigen sollten die Trupps in der Regel nach Weisung des zuständigen Standort-Kommandos arbeiten.

Verzeichnis und Etat der Arbeitstrupps:

Standort

Etat

Berlin

21

Schwedt

6

Spandau

47

Frankfurt a. O.

13

Hahneberg

41

Fürstenwalde

25

Potsdam

38 (+ 155)4

Küstrin

89

Jüterbog

16

Züllichau

5

Rathenow

6

Lübben

22

Perleberg

3

Döberitz

71

Summe:

403 (+ 155)

4

In der Vorlage ist hierzu durch Fußnote angemerkt: „Vom W[ehr]K[reis]K[ommando] infolge Arbeitsüberlastung vorübergehend genehmigte Etats-Überschreitung.“

Verzeichnis und Etat der Arbeitstrupps:

Von dem Bestehen der Arbeitstrupps war die zuständige Zivilverwaltung unterrichtet. Die preußische Regierung hatte Kenntnis. Ein beauftragter Vertreter des Preußischen Ministeriums des Innern hat etwa Anfang August 23 in Begleitung von zwei Gewerkschaftssekretären aus Spandau den dortigen Arbeitstrupp besucht und dabei Einblick in dessen Tätigkeit genommen. Dem Leiter der Abteilung I A des Polizeipräsidiums Berlin war vom Wehrkreiskommando ausdrücklich und wiederholt die Besichtigung jeder militärischen Örtlichkeit anheimgestellt. Von dem Anerbieten wurde im Mai 23 durch Besuch der Zitadelle Spandau Gebrauch gemacht. Vom Beginn des militärischen Ausnahmezustandes5 an hat das Wehrkreiskommando außerdem dem als Regierungskommissar[1175] bestellten Polizeipräsidenten von Berlin und seinem Bevollmächtigten in weitgehendstem Maße Aufschluß erteilt.

5

Der militärische Ausnahmezustand wurde verhängt am 26.9.23 durch VO des RPräs. über Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit (RGBl. I, S. 905 ). Gemäß § 2 dieser VO ging die vollziehende Gewalt auf den RWeM über, der sie auf die Militärbefehlshaber übertragen konnte. Der RWeM wurde außerdem ermächtigt, zur Ausübung der vollziehenden Gewalt auf dem Gebiet der Zivilverwaltung im Einvernehmen mit dem RJM Regierungskommissare einzusetzen. Näheres s. in: Schultheß 1923, S. 178 f.

Im übrigen wurden die Arbeitstrupps allerdings zur Vermeidung eines etwaigen unrichtigen Verdachtes der Entente geheimgehalten, um nicht einen billigen Vorwand zu Maßnahmen gegen uns zu geben und um nicht zur Spionage förmlich einzuladen.

Die Angehörigen der Trupps hatten dauernd mit Waffen und Munition umzugehen. Schon aus Sicherheitsgründen war es daher notwendig, die Leute über die hauptsächlichsten Grundsätze der Einrichtung und Handhabung in Übung zu halten. Außerdem mußten sie für die notwendigen Aussonderungsarbeiten wenigstens ganz grob lernen, die Stücke auf ihre militärische Brauchbarkeit zu erproben. Endlich machten auch gelegentlich auftretende Bewachungsaufgaben die Unterrichtung für einen etwaigen Waffengebrauch notwendig. Lediglich in Küstrin ging die Ausbildung zeitweise darüber hinaus. Durch Befehl des Wehrkreiskommandos wurde sie aber auch hier Ende Juli sofort wieder auf das unerläßliche Mindestmaß zurückgeführt.

Die Angehörigen der Arbeitstrupps waren als Angestellte und Arbeiter selbstverständlich weder dem Disziplinar- noch dem Militär-Strafrecht unterworfen. Bei irgendwelchen Vergehen von Belang konnte nur Entlassung in Frage kommen. Auch sie barg Gefahren mit Rücksicht auf die gebotene Geheimhaltung und das Interesse, das vor allem in den Kreisen, die den Aufruhr im Innern vorbereiteten, für die Tätigkeit der Trupps bestand. Es kam daher alles darauf an, von vornherein möglichst zuverlässige Leute einzustellen. Andererseits waren die Geldmittel so knapp, daß den Leuten außer freier Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung nur ein ganz geringes Taschengeld bezahlt werden konnte. Schon aus diesem Grunde war der Kreis, der für Einstellung in Frage kam, im allgemeinen nur klein. Im Sommer setzten sich die Trupps während der Ferien vielfach nur aus Studenten, im Winter aus Landwirten und Arbeitern zusammen. Da die eintretenden jungen Leute sich meist nur vorübergehend zur Verfügung stellen konnten, herrschte ein ständiger Wechsel, der die Arbeiten wie auch den inneren Betrieb außerordentlich erschwerte.

Als Leiter waren ehemalige Offiziere tätig, die ebenso wie die Leute vorwiegend aus Hingabe an die Sache fast ohne Bezahlung ihren Dienst taten.

Zur Bearbeitung aller die Arbeitstrupps betreffenden Angelegenheiten war vom Wehrkreiskommando III der Major a. D. Buchrucker6 auf Zivildienstvertrag angestellt. Er verpflichtete sich darin ausdrücklich, den Weisungen des Wehrkreiskommandos Folge zu leisten, ihre Durchführung nach Kräften zu betreiben und sich jeder parteipolitischen Tätigkeit zu enthalten. Als Hilfsorgan war ihm Oberleutnant a. D. Schulz7 beigegeben, der ebenso wie Buchrucker Zivil-Angestellter des Wehrkreiskommandos war. Er war gewissermaßen Buchruckers rechte Hand. Nach organisatorischem Geschick und nach der Kenntnis, die sie von verborgenen Waffenlagern hatten, ferner durch das Vertrauen, das[1176] sie in weiten Kreisen der ländlichen Waffenhalter genossen, erschienen sie gerade für diese Art von Aufgaben besonders geeignet.

6

S. unten Anm. 8.

7

Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 276.

Buchrucker und Schulz hatten an sich kein unmittelbares Verfügungsrecht über die Arbeitstrupps. Ihr Verkehr mit diesen sollte grundsätzlich über das Wehrkreiskommando und die Standortkommandos gehen. Dieser Weg ist wohl von ihnen auch im allgemeinen eingehalten worden. Es war aber nicht zu vermeiden, daß viele Führer und Leute der Trupps sich in erster Linie von Buchrucker und Schulz abhängig fühlten, die bei ihrer Einstellung mitgewirkt hatten.

Seit dem Sommer 23 drängte Major Buchrucker unter dauerndem Hinweis auf die zu bewältigenden Arbeiten auf eine Verstärkung der Trupps. Seine Vorschläge wurden indessen vom Wehrkreiskommando stets mit Rücksicht auf die möglichen außen- wie innenpolitischen Schwierigkeiten abgelehnt. Eine einzige Ausnahme machte hier Küstrin, für das nach einer schweren Explosion auf einem der Forts zur Aufräumung eine vorübergehende Verstärkung zugebilligt wurde.

In der ersten Septemberhälfte 23 gewann das Wehrkreiskommando Anhaltspunkte dafür, daß die Arbeitstrupps sich stellenweise ohne Erlaubnis über ihren Etat hinaus verstärkten. Es hat darauf sofort durch scharfe Befehle an die Standortältesten, durch Entsendung von Generalstabsoffizieren zu den einzelnen Arbeitstrupps, durch Sperrung der Verpflegung usw. die Wiederherabminderung angeordnet. In Küstrin sollte z. B. die festgesetzte Zahl nach Meldung des Kommandanten am 30.9.23 wieder erreicht sein. Zu berücksichtigen blieb hierbei freilich, daß es ungetreuen Führern der Arbeitstrupps dort, wo die Trupps in unübersichtlichen Örtlichkeiten, z. B. in alten Festungswerken wie in Küstrin untergebracht waren, möglich war, zuviel vorhandene Leute den militärischen Dienststellen zu verheimlichen.

Die unerlaubte Verstärkung der Trupps ist allem Anschein nach dadurch erfolgt, daß die Führer ehemalige Angehörige, die mit ihren Trupps noch in gewisser Verbindung standen, einberufen haben unter der falschen Vorgabe, das Wehrkreiskommando brauche sie zur Verstärkung der Reichswehr gegen die Kommunisten oder gegen äußere Feinde.

In den letzten Septembertagen regte sich beim Wehrkreiskommando der Verdacht, daß die Verstärkung der Trupps und die allgemeine Beunruhigung von seinem eigenen Angestellten, dem Major a. D. Buchrucker, ausgehe. Er wurde darauf sofort am 28. 9. vorm. vom Chef des Stabes, Oberstleutnant von Bock, im Beisein des Oberstleutnants Held zur Rede gestellt. Er gab zu, daß er von sich aus Einstellungen über den Etat bei den Trupps vorgenommen hätte aus dem Gedanken heraus, der Reichswehr Hilfe für einen Kommunistenaufstand zu schaffen, den er unmittelbar erwarte. Auf den Vorhalt, daß er damit auf das gröbste gegen seine Verpflichtungen gegenüber dem Wehrkreiskommando verstoßen habe, erwiderte er, daß er lediglich Vorbereitungen getroffen habe. Im Anschluß gab er dem Chef des Stabes erneut die Versicherung, daß er nichts unternehmen werde und vor allem keinen Putsch plane. Die zu Unrecht eingezogenen Verstärkungen versprach er sofort abzubauen. Der Glaube an die Zuverlässigkeit des Majors a. D. Buchrucker war aber erschüttert. Auf Meldung[1177] des Vorfalls habe ich in meiner Eigenschaft als Inhaber der vollziehenden Gewalt seine Verhaftung befohlen, die allerdings erst am 1. 10. in Küstrin vollzogen werden konnte. Auch gegen seinen ersten Gehilfen, den Oberleutnant Schulz, erging an diesem Tage Schutzhaftbefehl. Der Durchführung hat sich Schulz durch die Flucht entzogen.

Die Feststellungen am 28., 29. und 30. September ergaben zunächst überall bei den Arbeitstrupps das Bestreben, sich wieder zu vermindern. Die in diesen Tagen noch eintreffenden wenigen Verstärkungsmannschaften bestanden aus Leuten, deren Heranziehung durch Buchrucker bereits vor der Besprechung mit dem Chef des Stabes veranlaßt war. Beim Wehrkreiskommando bestand denn auch tatsächlich der Eindruck, daß Buchrucker entsprechend dem erhaltenen Befehl die Rückverminderung eingeleitet und etwa mit Hilfe der Arbeitstrupps geplante Gewalttätigkeiten endgültig aufgegeben habe.

Seine Tat in Küstrin vom 1.10.238 ist militärisch unverständlich. Sie ist an der Haltung der Reichswehr, vor allem aber an der Festigkeit des Kommandanten Oberst Gudowius im Entstehen gescheitert. Unübersehbare Auswirkungen sind dadurch dem deutschen Volke erspart geblieben.

8

Unter Führung Buchruckers hatten am 1.10.23 etwa 400 Mann der Arbeitstrupps versucht, sich der Festung Küstrin zu bemächtigen. Die Aufständischen wurden nach kurzen Feuergefechten von Garnisonstruppen und schnell herangeführten Verstärkungen festgenommen. Buchrucker wurde am 27.10.23 durch ein vom RJM auf Grund der Ausnahmeverordnung des RPräs. (vgl. Anm. 5) gebildetes außerordentliches Gericht zu 10 Jahren Festungshaft verurteilt (Schultheß 1923, S. 184). Zur Behandlung der Angelegenheit durch die RReg. s. diese Edition: Die Kabinette Stresemann I/II (Kabinettsitzung vom 1.10.23, P. c). Kurze Darstellungen dieser Vorgänge finden sich bei Carsten, Reichswehr und Politik 1918–1933, S. 184 ff.; Vogelsang, Reichswehr, Staat und NSDAP, S. 34 ff.; Scheringer, Das große Los unter Soldaten, Bauern und Rebellen, S. 134 ff.

Anscheinend im Zusammenhang mit diesem Putsch hatte ab 30. 9. bei einzelnen Arbeitstrupps (Spandau, Hahneberg, Küstrin) erneut ein starker Zustrom von Leuten eingesetzt. Die Trupps Spandau und Hahneberg haben den Abbau sofort tatkräftig in Angriff genommen, während das Wehrkreiskommando der sich aussprechenden [!] Bewegung mit allem Nachdruck durch wiederholte Entsendung von Generalstabsoffizieren an die gemeldeten Sammelpunkte, durch Entwaffnung und Bewachung der zuströmenden Leute und durch Überwachung der Zugangsstraßen entgegenwirkte. Am 3. 10. waren sämtliche Trupps auf die genehmigte Stärke zurückgeführt.

Die Vorgänge stellen den offenen Versuch des Major Buchrucker zu einer völlig eigenmächtigen Aktion dar, den er unter schwerstem Mißbrauch seines Angestellten-Verhältnisses unternommen hat.

Sämtliche Arbeitstrupps wurden noch im Oktober 23 aufgelöst. Soweit die Leute nicht in ihrem früheren Beruf unterkommen konnten, wurden sie nach Möglichkeit als Landarbeiter in der Mark untergebracht. Listen hierüber sind damals dem Polizeipräsidenten Berlin übergeben worden. Teile haben sich anscheinend später in Mecklenburg wieder zusammengefunden und hier auf dem Lande Arbeitsgemeinschaften gebildet, die im Dienstverhältnis zu privaten Besitzern standen. Beziehungen, die hier während des Krisenwinters 23/24 zu einzelnen[1178] Reichswehrangehörigen bestanden, haben, als die Reichswehrleitung nachträglich Kenntnis erhielt, schärfste Mißbilligung gefunden.

Zusammenfassend kann noch einmal gesagt werden, daß die Einrichtung der Arbeitstrupps mit der Bildung einer sogenannten „schwarzen Reichswehr“ nichts zu tun hatte. Der von unverantwortlicher Seite unternommene Versuch, sie zu einer solchen zu machen, ist von der Reichswehr, sobald sie diese Absicht erkannt hatte, auf das energischste bekämpft und schließlich mit der Waffe in der Hand niedergeschlagen worden. In der Öffentlichkeit da und dort aufgetauchte Bezeichnungen der Trupps als „Regimenter“ und „Bataillone“ kennzeichnen sich als lächerliche Übertreibungen, und zwar auch dann, wenn sie von den betreffenden „Kommandeuren“, die ja nur Leutnants oder Oberleutnants waren, selbst oder von anderen Angehörigen der Trupps gelegentlich angewendet worden sind.

Die Reichswehr hat hier wie auch bei späteren Gelegenheiten ihre Pflicht, den Staat in entscheidenden Stunden zu schützen, in vollstem Maße erfüllt. Ich muß diese geschichtliche Tatsache hier erneut feststellen angesichts einer Bewegung, die sich im Zusammenhang mit diesen Ereignissen seit einigen Monaten in der Öffentlichkeit geltend macht und die ich vom Standpunkt des Reiches wie der Reichswehrleitung aus nur mit der allerschwersten Sorge verfolgen kann. Es ist das offensichtliche Bestreben, einzelne an sich unrichtige, aber schließlich doch rein örtliche Entgleisungen wie ein mehr oder minder glückliches Wort eines ehemaligen Offiziers des alten Heeres in Gegenwart der Reichswehr oder die vielleicht ungenügende Beherrschung einer politischen Situation durch den Leiter einer Reichswehrkapelle zu geradezu ungeheuerlichen und die Tatsachen geradezu auf den Kopf stellenden Rückschlüssen auf Haltung und Einstellung der Reichswehr zu Staat und Verfassung auszuschlachten.

Von den Morden selbst, die an Angehörigen der ehemaligen Arbeitstrupps begangen worden sind, haben die militärischen Dienststellen erst lange nach Auflösung der Trupps zu einer Zeit Kenntnis erhalten, als sich bereits die zuständigen Gerichte mit den Fällen befaßten. Es sind Verbrechen, die durch vermeintlich vaterländische Motive nicht entschuldigt werden können; denn jeder Verstoß gegen die Idee des Rechts – gleichviel, aus welchen Beweggründen begangen – richtet sich letzten Ende gegen das Staatswohl in seinem tiefsten und äußersten Sinne. Die hier in Frage kommenden Mordtaten sind aber zugleich – und das darf nicht übersehen werden – Symptome einer unter dem Druck äußerer Gewalten schwer erschütterten, bis in das innerste Mark kranken Epoche, die das deutsche Volk heute nicht zuletzt dank der Pflichttreue und Hingabe der Reichswehr an den Staat überwunden hat.

Nähere Einzelheiten über die Morde sind hier nicht bekanntgeworden, da es das Reichswehrministerium auf das peinlichste vermieden hat, irgendwie in das Tätigkeitsgebiet der zuständigen Gerichts- und Polizeibehörden einzugreifen.

Dr. Geßler

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