2.174.1 (ma11p): Sachverständigen-Gutachten.

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Sachverständigen-Gutachten.

Geheimrat Wolf berichtete über die Behandlung der Eisenbahnfrage in dem Sachverständigen-Gutachten1.

1

Vgl. das Sachverständigen-Gutachten vom 9.4.24 (Dok. Nr. 172, Anm. 1), S. 26 ff., 125 ff.

Der Reichsverkehrsminister wies ergänzend auf die Hauptnachteile der Regelung hin. Die gesamte Tendenz gehe dahin, die vorgesehene Aktiengesellschaft möglichst vollständig als solche auszubauen. Auf einen notwendig werdenden Verkauf von Aktien aus dem Reichsbesitz sei vielfach die Regelung abgestellt. Die Stellung der Reichsregierung sei gegenüber dieser Aktiengesellschaft sehr niederdrückend. Sogar das Aufsichtsrecht über die Tarife und den Betrieb sei eingeschränkt. Bei den Tarifen gehe die Tendenz dahin, diese möglichst hoch zu halten.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß der Entwurf grundsätzlich von richtiger wirtschaftlicher Einsicht getragen sei. Bedenklich sei das starke Hineintragen politischer Gedanken ohne genaue Regelung, z. B. sei nirgends ausgesprochen, daß die Regiebahn zurückgegeben werden müsse. Ferner bedeuteten gewisse Prestige-Fragen eine erhebliche Belastung für die Regierung, insbesondere hinsichtlich der Reichsbahn und der Reichsbank sowie der Häufung von Kontrollorganen. Allerdings seien letztere die Folge des Generalpfandgedankens, und letzteres sei Voraussetzung für die Beseitigung des gegenwärtigen Spezialpfandzustandes.

Bei der Goldbank2 sei bedenklich, daß das Reich seine Liquidationsrechte gegenüber der Reichsbank abgeben solle. Ferner sei die Art der Ernennung der Direktoren nicht befriedigend.

2

Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 7 ff., 83 ff.

Hinsichtlich der vorgesehenen Lasten sei zu sagen, daß im gegenwärtigen Augenblick unmöglich sich beurteilen lasse, ob und inwieweit sie tragbar seien oder nicht.

Eine besondere Gefahr sehe er in den Bestimmungen, die auf eine systematische Schwächung der Reichsgewalt ausliefen. Diese Zerreißung der Reichshoheit[553] sei eine große Gefahr für den Zusammenhang des Reichs. Gleichwohl aber erscheine ihm eine Ablehnung des Gutachtens von vornherein unmöglich.

Der Reichsminister des Auswärtigen schloß sich dieser Auffassung an. Er gab zu erwägen, ob eine Diskussion über Einzelheiten zwischen den Regierungen die Gesamtfrage fördere. Nach Mitteilungen, die er erhalten habe, werde die englische Regierung voraussichtlich das Gutachten in toto annehmen. Für Deutschland werde es vor allen Dingen darauf ankommen, sobald der Bericht offiziell übermittelt sei, durch Gegenfragen all die Punkte zu klären, die in dem Gutachten offengelassen seien. Dazu gehöre besonders die Frage, ob zu den in dem Gutachten gemachten Voraussetzungen auch die Sicherung der deutschen Verwaltungseinheit gehöre3. Falls die deutsche Souveränität nicht in allen Teilen wieder hergestellt werde, dann erschienen ihm allerdings die Lasten, die Deutschland auferlegt würden, zu hoch. Über das Zustandekommen der Anleihe4 brauche sich Deutschland keine Gedanken zu machen; die Verantwortung dafür trügen die anderen Mächte. Wünschenswert erscheine ihm, daß die Entscheidung sehr bald falle, insbesondere mit Rücksicht auf die Lasten aus der Fortsetzung der Micum-Verträge.

3

Vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 4 („Deutschlands Wirtschaftseinheit“).

4

Vgl. Dok. Nr. 172, Anm. 6.

Der Vizekanzler hielt die Grundlagen des Gutachtens für annehmbar. Ob die Lasten tragbar seien, sei eine zweite Frage. Nicht tragbar seien sicherlich die Lasten dann, wenn eine Bereinigung auf den politischen Gebieten nicht stattfände. Ob dies vorgesehen sei, könne dem Gutachten nicht entnommen werden. Fraglich sei, ob man auf die Festlegung einer Endsumme drängen solle. Er sei der Auffassung, daß dies nicht notwendig und nicht zweckmäßig sei.

Der Reichsverkehrsminister schloß sich in dem letzten Punkte, besonders mit Rücksicht auf die Regelung der Zahlungsübertragung5, der Auffassung des Vizekanzlers an. Wenn durch die Annahme des Gutachtens die Möglichkeit gegeben sei, das Ruhrgebiet zu befreien, so werde die Ablehnung des Gutachtens für eine Regierung schwer tragbar sein. Von der Eisenbahn, glaube er, werden die Lasten getragen werden können.

5

Zum Transfer der Reparationszahlungen vgl. Sachverständigen-Gutachten, S. 37 f., 137 ff.

Der Reichsarbeitsminister warf die Frage auf, wie weit die Reichsregierung jetzt überhaupt ohne den Reichstag gehen könne.

Der Reichsminister des Auswärtigen war der Auffassung, daß zwar dem künftigen Reichstag die endgültige Entscheidung zukommen werde, daß aber die Reichsregierung sich, falls eine Stellungnahme notwendig werden sollte, einer Entscheidung nicht entziehen dürfe. Der Reichstag könne ja eventuell die Reichsregierung desavouieren.

Der Reichswirtschaftsminister gab die Frage der endgültigen formellen Lösung zu erwägen. Werde ein Vertrag notwendig sein oder genüge eine Erklärung oder dergleichen? Der Abschluß eines neuen Vertrages werde dann erleichtert werden, wenn die Garantien für die Freistellung von Rhein und Ruhr darin aufgenommen würden. Ausdruck geben müsse er seinem Befremden[554] darüber, daß in dem Gutachten kein Wort von den bisherigen Leistungen Deutschlands zu finden sei.

Der Reichsbankpräsident schloß sich hinsichtlich der Festlegung einer Endsumme der Auffassung des Vizekanzlers an. Das ganze in dem Sachverständigen-Gutachten vorgeschlagene System sei so schwierig, daß sich sicherlich sehr bald Änderungen notwendig machen würden. Die Unmöglichkeit der Übertragung großer Summen werde außerdem einer späteren Festlegung der Gesamtsumme günstig sein.

Der Reichsminister der Finanzen glaubte ebenfalls, daß es notwendig wäre, vor einer endgültigen Stellungnahme die offen gelassene politische Seite zu klären. Es sei weiter notwendig, daß auf diese Klärung bereits jetzt in der Presse hingewiesen werde, wobei zum Ausdruck gebracht werden könne, daß diese Klärung ja in dem Gutachten vorgesehen sei. Zu der Frage, ob Vertrag oder eine andere Form, sei zu prüfen, ob der Moratoriumsgedanke nicht aufzunehmen sei und das Gutachten gleichsam als modifiziertes Moratorium angesehen werden könne. Der Vorteil dieser Auffassung sei der, daß dann der Reichstag nur bei den Gesetzen, die sich auf Grund dieses Moratoriums notwendig machten, zu beteiligen wäre. Die Frage der Tragbarkeit oder Untragbarkeit der auferlegten Leistungen scheine ihm eng zusammenzuhängen mit der Frage der Übertragung der Zahlungen. Diese beiden Fragen bildeten ein einheitliches Ganzes, und er glaube, daß, falls die Frage der Übertragung zufriedenstellend gelöst werden könne, auch die Frage der Tragbarkeit der fälligen Leistungen dann mit ja beantwortet werden müsse.

Der Reichswirtschaftsminister bat, in den Erklärungen über das Sachverständigen-Gutachten möglichst das Wort „unterschreiben“ zu vermeiden.

Der Reichsverkehrsminister hielt es für notwendig, daß möglichst früh die Verbindung mit den Ländern aufgenommen werde, um so zeitig wie möglich eine Verständigung mit diesen, insbesondere über die Eisenbahnfrage, herbeizuführen.

Der Reichsminister der Finanzen hielt diese Frage ebenfalls für außerordentlich dringend.

Der Vizekanzler stellte fest, daß es notwendig wäre, Beschluß zu fassen 1. über die Mitteilung, die der Presse über die Sitzung zugehen müsse und 2. über den Termin, zu dem die Staats- und Ministerpräsidenten der Länder zu berufen seien.

Es wurde beschlossen, der Presse mitzuteilen, daß die Regierung die Staats- und Ministerpräsidenten der Länder nach Berlin berufen werde; als Termin wurde Montag, der 14. April vorgesehen6

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S. Dok. Nr. 175.

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