1.51.1 (ma12p): 1. Außenpolitische Lage.

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1. Außenpolitische Lage.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß allem Anschein nach in London eine Einigung unter den Alliierten schwer zu erreichen sei. Die Gegner hätten offenbar die Absicht, bei Ankunft der Deutschen ein fertiges Protokoll zu haben. Zur Zeit scheine kein einziger Punkt dieses Protokolls festzustehen. Es bestehe die Gefahr, daß, je länger die Zusammenkunft in London dauere und je schwerer ein Kompromiß zustande komme, umso schwieriger die Stellung Deutschlands sein werde, wenn es sich darum handele, einen oder mehrere der festgelegten Punkte anzugreifen. In der Sanktionsfrage stehe es auch nicht günstig. Offenbar seien die Franzosen bemüht, dafür zu sorgen, daß das Recht der Sanktion prinzipiell bestehen bleibe. Von englischer Seite sei die Frage der militärischen Räumung angeschnitten. Die Engländer wollten die Kölner Zone am 10. Januar 1925 entsprechend dem Versailler Vertrage räumen. Damit sei Herriot prinzipiell einverstanden. Er verlange aber nach Zeitungsmeldungen Konzessionen auf wirtschaftlichem Gebiete, dabei werde vor allem an den Handelsvertrag gedacht. Vielleicht könne der Reichswirtschaftsminister sich über die Frage des Handelsvertrages näher äußern.

Auch das zweite Komitee, in dem die Wirtschaftsfragen behandelt würden, habe Beschlüsse gefaßt bzw. vorbereitet, die für Deutschland eine schwere Belastung darstellten1.

1

Vgl. hierzu Dok. Nr. 263, P. 1.

Er wisse nicht, ob die Alliierten bis Donnerstag [31. 7.] abend mit ihren Verhandlungen fertig werden würden. Es sei für Deutschland besser, vor einer Einigung mit den Alliierten nicht nach London zu fahren, da sonst die Schuld an einem evtl. Scheitern der ganzen Konferenz den Deutschen zugeschoben werden würde. Es entstehe die Frage, ob man die Zwischenzeit nicht dazu benutzen solle, in der Öffentlichkeit zur Frage der Konzessionen prinzipiell Stellung zu nehmen.

Der Reichsminister des Innern teilte mit, daß er gestern in Düsseldorf Gelegenheit gehabt habe, mit einem maßgebenden Journalisten zu sprechen. Dieser sei bestürzt darüber gewesen, daß die englische Arbeiterpartei erklärt habe, daß für sie die Frage der Kontrolle des Völkerbundes im Rheinlande diskutabel sei. Der betreffende Journalist werde demnächst in London den gegenteiligen Standpunkt vertreten.

[923] Der Reichswirtschaftsminister äußerte sich zu der Frage des Handelsvertrages folgendermaßen: im Vordergrund stände die Frage der Zollgrenze. Die Franzosen würden wohl keinen großen Wert darauf legen, sofort einen Handelsvertrag mit Deutschland zu erhalten, sondern ihnen sei es darum zu tun, Ersatz für die im Januar nächsten Jahres wegfallenden Bestimmungen des Versailler Vertrages zu erhalten2. Es handle sich da in der Hauptsache um die elsaß-lothringischen Kontingente, und zwar um Eisen, Textilien und Weine. Deutschland brauche eine Handelsverbindung mit Frankreich nicht zu fürchten. Je enger diese Verbindung sein werde, desto stärker würde sich die Übermacht Deutschlands fühlbar machen. Die Weinzölle seien von geringerer Bedeutung. Dagegen stellten die elsaß-lothringischen Textilfabriken eine starke Konkurrenz dar. Was den Eisenzoll anlange, so sei hier die eisenschaffende Industrie für eine Erhöhung des Zolls, die eisenverarbeitende naturgemäß für eine Abschaffung. Er schlage vor, gegebenenfalls zu erklären, daß wir bereit seien, über einen Handelsvertrag mit Frankreich ehrlich zu verhandeln. Im Reichsverband der deutschen Industrie beschäftige sich ein Ausschuß bereits längere Zeit mit der Frage des Handelsvertrages mit Frankreich. Er sei in der Lage, in zwei Tagen dem Kabinett das erforderliche Material zur Verfügung zu stellen.

2

Am 10.1.25 läuft die in Art. 268 des VV festgelegte Verpflichtung Deutschlands ab, Erzeugnisse aus Elsaß-Lothringen in bestimmtem Umfang zollfrei hereinzulassen; desgleichen erlischt die Verpflichtung Deutschlands zur einseitigen Gewährung des Meistbegünstigungsrechts an die all. und assoz. Mächte (Art. 264 ff. des VV).

Der Reichsverkehrsminister erklärte, daß die Erfahrung gezeigt habe, daß die in der Presse verbreiteten Nachrichten über Kompensationsforderungen der Gegner stets der Wahrheit entsprachen. Elsaß-Lothringen sei für seinen Handel auf Deutschland angewiesen. Wenn Frankreich bis 10. Januar kein Abkommen mit Deutschland zustande bringe, so sei Elsaß-Lothringen in einer sehr gefährlichen Lage.

Der Reichspostminister erklärte zunächst, daß er der Meldung der Presse über seine Beteiligung an der Londoner Konferenz fernstehe. Er habe in seinem Ministerium Auftrag gegeben, für London das erforderliche Material zusammenzustellen. Er werde dieses dem Kabinett vorlegen, und dann behalte er sich weitere Anträge vor.

Der Reichsarbeitsminister glaubte, daß Deutschland eine Verzögerung in der Londoner Konferenz wirtschaftlich nicht ertragen könnte; wir müßten daher alles tun, um die Entscheidung zu beschleunigen. Eine amtliche Erklärung in der Presse halte er zur Zeit für gefährlich, da eine solche Wasser auf die Mühlen der Opposition in den Ententeländern bedeuten würde. Man müsse versuchen, durch bestimmte Personen in London einzuwirken. Was die Frage des Handelsvertrages anlange, so solle man sich darauf beschränken, zu erklären, daß diese Frage in keiner Verbindung mit dem jetzigen Verhandlungsthema stehe.

Der Reichsminister des Auswärtigen betonte, daß eine Reihe von Herren, auch Staatssekretär Bergmann, in London seien und vom Auswärtigen Amt bzw. Reichsfinanzministerium ständig auf dem laufenden gehalten würden.

[924] Der Reichsarbeitsminister stellte die Frage, ob Deutschland in der Sicherungsfrage etwas Positives tun könnte.

Der Reichsminister des Auswärtigen erwiderte, daß das Angebot Cuno-Rosenberg3 in dieser Beziehung unverändert fortbestehe, daß Frankreich aber abgelehnt habe, hierauf einzugehen.

3

S. Dok. Nr. 153, Anm. 9.

Der Reichskanzler stellte Übereinstimmung dahin fest, daß versucht werden solle, durch die Presse dem Artikel Poincarés, der sich mit den Ruhrerträgnissen beschäftige, entgegenzutreten.

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