1.2.4 (ma31p): 4. Außenhandelspolitik

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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4. Außenhandelspolitik

Nachdem die im Versailler Vertrag verankerten handelspolitischen Diskriminierungen Deutschlands Anfang 1925 abgelaufen waren, sah sich die Reichsregierung in die Lage versetzt, die neugewonnene Bewegungsfreiheit zum Ausbau des handelspolitischen Systems nach Maßgabe der nationalen Interessen und politischen Notwendigkeiten zu nutzen131. Exportabhängigkeit, Reparationsverpflichtungen und Auslandskapitalbedarf wiesen die deutsche Außenwirtschaftspolitik auf den Weg der Intensivierung und Liberalisierung des Außenhandels mit dem Ziel der Erschließung neuer Absatzmärkte und der Steigerung des Warenexports. Wenn auch das klaffende Defizit der Handels- und Zahlungsbilanz vorerst durch reichliche Auslandskredite kompensiert wurde, so mußte es auf lange Sicht doch die Aufgabe der deutschen Außenhandelspolitik sein, durch den Abschluß günstiger Handelsverträge den Export so zu fördern, daß er einen wesentlichen Beitrag leistete zur Devisenbeschaffung im Dienst der Finanzierung des jährlich steigenden Reparationstransfers, des wachsenden Warenimports und des sich ausweitenden Schuldendienstes der Auslandsanleihen. Freilich waren einer forcierten Exportoffensive von vornherein Schranken gesetzt nicht nur durch die protektionistische Handelspolitik ausländischer Mächte – allen voran des Hauptgläubigers USA –, sondern auch durch die unvermeidliche Rücksichtnahme auf das Schutzbedürfnis konkurrenzschwacher einheimischer Gewerbezweige wie der Schwerindustrie und vor allem der Landwirtschaft. In dem hier dokumentierten Zeitraum waren es in erster Linie die Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich und Polen, die das Interesse der Reichsregierung auf sich zogen, einmal wegen ihrer herausragenden Bedeutung für die Ausgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen Deutschlands in West- und Osteuropa, zum anderen wegen des mit ihnen verknüpften, fast stereotypen Interessenkonflikts zwischen Exportindustrie und Landwirtschaft und ihren Vertretern im Kabinett.

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Vgl. diese Edition, Die Kabinette Marx I/II, S. XLII ff.; Krüger, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, S. 247 ff., 254 ff., 280 f.

Die Handelsvertragsverhandlungen mit Frankreich erwiesen sich seit ihrem Beginn im Herbst 1924 als außerordentlich schwierig und langwierig. Das lag einerseits an der Vielzahl kontroverser handels- und zollpolitischer Einzelforderungen, wie sie sich aus der unterschiedlichen Struktur der beiden Volkswirtschaften ergaben, andererseits an den verschiedenartigen handelspolitischen Systemen: Während Deutschland Handelsverträge auf der Grundlage der unbeschränkten Meistbegünstigung mit Bindung der Vertragszölle anstrebte, orientierte sich Frankreich[LVIII] am Prinzip der Reziprozität und dem System des Doppeltarifs, wobei es sich das Recht zur autonomen Abänderung der vereinbarten Tarife vorbehielt. Als ein Hindernis für eine rasche, umfassende und dauerhafte Vereinbarung erwies sich zudem der Umstand, daß der Verfall der französischen Währung bis 1926 andauerte und die Fertigstellung des neuen französischen Zolltarifs sich immer wieder verzögerte. Infolgedessen kam es 1926 nur zum Abschluß mehrerer kurzfristiger Teil- und Zwischenlösungen, so unter anderem zum vorläufigen Handelsabkommen vom 8. August 1926, das, auf französische Initiative zustande gekommen, im Kabinett wie in der Wirtschaft umstritten war. Die Industriezweige, die an dem Abkommen partizipierten, vermochten es wegen seiner Kurzfristigkeit nur in unzureichendem Maße auszunutzen, und die Landwirtschaft fühlte sich durch die Gewährung von Einfuhrerleichterungen für französische Konkurrenzprodukte benachteiligt. Dabei hatte das Kabinett den dringenden Wunsch der Pariser Regierung nach Zulassung eines meistbegünstigten Einfuhrkontingents für französischen Wein abgelehnt, obwohl die französische Seite zu erkennen gegeben hatte, daß sie ein Entgegenkommen in dieser für sie wichtigen Frage unter Umständen sogar mit Zugeständnissen auf politischem Gebiet, etwa mit einer Verminderung der Besatzungstruppen, honorieren würde132.

132

Dok. Nr. 23, P. 2; 26, P. 3; 42, P. 1.

Eine wesentliche Entlastung erfuhren die Verhandlungen dadurch, daß die Beratungen über die komplizierten schwerindustriellen Probleme, insbesondere über einen Interessenausgleich zwischen der an Überkapazitäten leidenden deutschen und französischen Eisenindustrie, aus den Verhandlungen der Regierungsdelegationen ausgeklammert und den Vertretern der Industrieverbände überlassen wurden. Diese privatwirtschaftlichen Sonderverhandlungen führten Ende September 1926 zur Unterzeichnung eines Abkommens über die „Internationale Rohstahlgemeinschaft“ zwischen der deutschen, französischen, belgischen und luxemburgischen Eisenindustrie, das im Interesse einer Wettbewerbsbeschränkung und Preisstabilisierung die Produktionsquoten der beteiligten Industrien fixierte133.

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Dok. Nr. 53, P. 1; 110, Anm. 7.

Bei den Beratungen des Kabinetts Marx IV im Februar und März 1927 über die fällige Verlängerung des Handelsprovisoriums vom August 1926 stand wiederum die Frage des französischen Weinimports im Mittelpunkt der Debatten. Angesichts des zunehmenden französischen Drucks und im Hinblick auf die Zusagen, die Frankreich für die Gestaltung des endgültigen Handelsvertrags inzwischen gegeben hatte, setzten sich Wirtschaftsminister Curtius und die deutsche Verhandlungsdelegation im Kabinett mit Erfolg für die Bewilligung eines französischen Weinkontingents bei entsprechenden Gegenleistungen zugunsten der deutschen Maschinen-, Elektro- und Textilindustrie ein. Ernährungsminister Schiele erhob bei dieser Gelegenheit grundsätzlich Einspruch dagegen, daß in der Regel Vergünstigungen für den deutschen Industrieexport mit Erleichterungen für ausländische Agrareinfuhren zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft „erkauft“ würden; Schiele plädierte für eine Politik der Stärkung des Binnenmarkts duch einen erhöhten Schutz der einheimischen Agrarproduktion, erreichte im Augenblick aber nicht mehr als eine Erhöhung des Mehlzolls. Als dann die französische Regierung nach[LIX] wenigen Monaten erneut auf eine kurzfristige Verlängerung des vorläufigen Handelsabkommens drängte, waren sich nunmehr alle Ressorts in der Ablehnung einig, da eine nochmalige Prolongierung innenpolitisch gegen die Landwirtschaft und die unzufriedenen Teile der Industrie nicht durchsetzbar schien. Zudem bot der inzwischen publizierte Entwurf der französischen Zolltarifnovelle mit ihrer hochprotektionistischen Tendenz keine geeignete Grundlage für erfolgversprechende Verhandlungen über einen definitiven Handelsvertrag. In diesem Zusammenhang erwiesen sich die Resolutionen der Genfer Weltwirtschaftskonferenz vom Mai 1927134 als eine wertvolle Unterstützung der deutschen, auf Meistbegünstigung gerichteten Außenwirtschaftspolitik. Nachdem infolge der Weigerung der Reichsregierung, die Kette der Handelsprovisorien zu verlängern, Anfang Juli ein vertragsloser Zustand zwischen Frankreich und Deutschland eingetreten war, einigten sich die Verhandlungsdelegationen innerhalb einer überraschend kurzen Frist auf für beide Seiten annehmbare Zolltarife. Schon am 17. August 1927 konnte ein umfassendes Handelsabkommen unterzeichnet werden, in dem sich die Vertragspartner nach einer gewissen Übergangszeit zur vollen Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips verpflichteten und Frankreich außerdem eine weitgehende Bindung seiner Zölle zusagte135. Der deutsche Botschafter in Paris, v. Hoesch, bewertete den Abschluß des Vertragswerks als „eines der wichtigsten Ereignisse in der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen seit Kriegsende“136, und in der Tat hat der Vertrag die deutsch-französische Zusammenarbeit zumindest im Bereich der Wirtschaft zu einem Zeitpunkt nachhaltig gefördert, als das politische Klima zwischen Berlin und Paris wegen des Streits um die Locarno-Rückwirkungen sich abkühlte.

134

Dok. Nr. 244; 245, P. 2.

135

Dok. Nr. 186, P. 4; 196, P. 1; 212; 213, P. 1; 216; 242 (S. 767); 259, P. 3; 263, P. 1; 271; 273, P. 1; 281; 282; 285, P. 1.

136

ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 120.

Weitaus schwieriger war die Herstellung normaler Wirtschaftsbeziehungen zu Polen. Nach dem Auslaufen der im Friedensvertrag und im Oberschlesienabkommen festgelegten handelspolitischen Vorzugsbehandlung Polens war es im Sommer 1925 zum Handelskrieg zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbarn gekommen, der von beiden Seiten mit Kampfzöllen, Einfuhrverboten und -beschränkungen geführt wurde137. Die seitdem sporadisch unternommenen Ausgleichsversuche waren in erster Linie an den scharfen ökonomischen Interessengegensätzen gescheitert; aber auch die fortdauernden politischen Spannungen, die Verknüpfung mit der Grenz- und Minderheitsproblematik, mit der Frage der Optantenausweisungen und der Liquidation deutschen Eigentums hatten sich negativ auf das Zustandekommen eines handelspolitischen Kompromisses ausgewirkt. Nach dem deutschen Völkerbundseintritt hielt das Auswärtige Amt eine neue Verhandlungsinitiative für geboten, auf die auch die Industrie in zunehmendem Maße drängte. Im Oktober 1926 einigte sich das Kabinett über das Ausmaß der Konzessionen, die Polen auf dem Gebiet des Schweinefleisch- und des Kohlenexports nach Deutschland[LX] äußerstenfalls angeboten werden sollten138. Diese nach Ansicht des Reichsernährungsministeriums bereits zu weit gehenden Maximalkonzessionen blieben jedoch erheblich hinter den polnischen Minimalforderungen zurück, so daß sich die Delegationsverhandlungen bald wieder festliefen.

137

Hierzu und zum Folgenden vgl. Oertel, Beiträge zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, S. 240 ff.

138

Dok. Nr. 87, P. 7; 90, P. 1.

Anfang Februar 1927, kurz nach dem Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung, nahm das Kabinett die Ausweisungspraxis polnischer Behörden zum Anlaß, um – trotz des Widerspruchs des Wirtschaftsministers – der Gegenseite die Unterbrechung der Wirtschaftsverhandlungen zu notifizieren. Nur die Erörterungen über die Ausweisungsfrage und die mit dem Handelsvertrag zusammenhängende Frage des Niederlassungsrechts von Gewerbetreibenden, an deren Regelung die Reichsregierung besonders interessiert war, sollten auf diplomatischem Wege weitergeführt werden139. Unterdessen legten die Minister Schiele und Curtius, die beiden Hauptkontrahenten in der kabinettsinternen Auseinandersetzung um Nutzen und Nachteil eines deutsch-polnischen Handelsvertrages, ihre gegensätzlichen Standpunkte in Denkschriften nieder140. Schiele suchte dabei nachzuweisen, daß ein Vertrag mit dem protektionistischen Polen der deutschen Exportindustrie nur geringe Vorteile verschaffen, die deutsche Landwirtschaft aber bei der vorgesehenen Liberalisierung polnischer Agrarimporte einem geradezu ruinösen und auch nationalpolitisch verhängnisvollen Wettbewerb aussetzen werde. Dagegen schätzte Curtius die Aufnahmefähigkeit des polnischen Marktes für deutsche Industrieerzeugnisse hoch ein und hielt daher den Abschluß eines Vertrages, die Ermäßigung polnischer Industriezölle vorausgesetzt, für unbedingt notwendig, auch wenn hierfür die deutsche Landwirtschaft gewisse Opfer bringen müsse. Dazu war jedoch die Landwirtschaft keinesfalls bereit. Die Verschlechterung ihrer ökonomischen Lage im Laufe des Jahres und der damit einhergehende Protest der Agrarverbände gegen eine Preisgabe landwirtschaftlicher Interessen in einem Abkommen mit Polen stärkten die Position Schieles und verliehen seinen Argumenten ein größeres Gewicht. Das führte unter anderem dazu, daß das Kabinett zum neuen Leiter der deutschen Handelsvertragsdelegation nicht den Kandidaten Curtius’ und Stresemanns, sondern den als Vertrauensmann der Landwirtschaft geltenden ehemaligen Ernährungs- und Finanzminister Hermes bestimmte. Vor allem aber setzte sich der Standpunkt Schieles in der Sache selbst insofern durch, als das Kabinett bei der – von Schiele immer wieder hinausgezögerten – Fixierung der neuen deutschen Verhandlungsposition von einer gegenüber 1926 reduzierten Offerte für polnische Agrareinfuhren ausging, und zwar mit der Begründung, daß der deutschen Landwirtschaft im Augenblick nicht mehr zugemutet werden könne. Entsprechend dieser verminderten Angebotsbasis sah das zwischen Stresemann und dem polnischen Sondergesandten Jackowski ausgehandelte „Berliner Protokoll“ vom 23. November 1927, das den Rahmen für die Wiederaufnahme der Verhandlungen absteckte, nicht einen umfassenden Handelsvertrag vor, sondern nur ein „Modus vivendi“-Abkommen zum Abbau der Kampfmaßnahmen und zur Regelung der vordringlichsten Ein- und Ausfuhrbedürfnisse. Eine Frucht des Berliner Protokolls war das[LXI] noch Ende November unterzeichnete Abkommen über die kontigentierte Lieferung polnischen Holzes gegen die Ausfuhr kleinerer Mengen deutscher Industrieartikel141. Mit diesem ersten Wirtschaftsabkommen seit dem Beginn des Zollkrieges schien die beiderseitige Konzessionsbereitschaft freilich schon erschöpft, denn die folgenden Verhandlungen verliefen erneut außerordentlich schleppend und spannungsreich. Retardierend wirkte die späte Bekanntgabe einer polnischen Valorisierungsverordnung mit den erhöhten, die Entwertung des Zloty berücksichtigenden Zolltarifen. Eine starke Verstimmung löste in Berlin insbesondere der Erlaß einer polnischen Grenzzonenverordnung aus, da sie nach deutscher Auffassung die Niederlassungsvereinbarung vom Juli 1927 weitgehend illusorisch machte und die Rechtsstellung der Deutschen im polnischen Grenzbereich erheblich schmälerte. Durch wiederholte Interventionen des deutschen Gesandten in Warschau, Rauscher, erreichte die Reichsregierung wohl eine Abänderung, aber keine entscheidende Verbesserung der Verordnung. Im wesentlichen kreisten die Beratungen im ersten Halbjahr 1928 um formale, prozedurale und Prinzipienfragen, von konkreten Resultaten war man dagegen beim Abgang des Marx-Kabinetts noch weit entfernt142.

139

Dok. Nr. 182, P. 4; 185; 201 (S. 630 f., 635); 215, P. 9.

140

Dok. Nr. 223; 228.

141

Dok. Nr. 231, Ministerbesprechung, P. 1; 277, P. 1; 288, P. 1; 328, P. 3; 332, P. 1; 340, P. 1; 344, P. 3; 347; 348, P. 1; 354, P. 2.

142

Dok. Nr. 447, P. 1; 454, P. 4; 456; 463, P. 1.

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