2.99.1 (ma31p): 1. Finanzausgleich.

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1. Finanzausgleich.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß verschiedene Gründe sachlicher und auch taktischer Art für eine Hinausschiebung des endgültigen Finanzausgleichs sprächen. Er halte deshalb zunächst einen provisorischen Finanzausgleich für erforderlich1. Um den Ländern und Gemeinden entgegenzukommen, sei er bereit, die Reichsgarantie von 2,1 Milliarden auf 2,3 oder notfalls auf 2,4 Milliarden zu erhöhen2. Ferner müsse nach seiner Auffassung[273] die Aufhebung der Gemeinde-Getränkesteuer noch bis zum endgültigen Finanzausgleich suspendiert werden3. Eine Entlastung der Länder und Gemeinden werde auch durch das Versicherungsgesetz erfolgen4. Auf der anderen Seite beabsichtige er, die besondere Garantie für die Umsatzsteuer5 zu streichen und den § 35 des Finanzausgleichs fallen zu lassen6. Durch diesen Paragraphen werde kleinen Ländern der Fortbestand der Selbständigkeit gewährleistet, ein politisch kaum erwünschter Zustand.

1

Vgl. Dok. Nr. 95, Anm. 5.

2

Nach dem „Gesetz über Änderungen des Finanzausgleichs“ vom 10.8.25 (RGBl. I, S. 254 ) war die Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Reichssteuern folgendermaßen geregelt: Von dem Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftssteuern erhielten die Länder für sich und ihre Gemeinden einen Anteil von 75%, von dem Aufkommen an Umsatzsteuer (ab 1.4.26) einen Anteil von 30%. Das Reich garantierte dafür, daß die Gesamtsumme der Überweisungen aus der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer im Rechnungsjahr mindestens 2,1 Mrd. RM betrug; falls die Steuerüberweisungen diese Mindestsumme nicht erreichten, mußte das Reich den Ländern den fehlenden Betrag aus Haushaltsmitteln zur Verfügung stellen. Neben dieser „Gesamtgarantie“ bestand eine Sondergarantie des Reichs hinsichtlich der Umsatzsteuer: Bei der Berechnung des 30%igen Länderanteils an dieser Steuer sollte ein Mindestaufkommen von 1,5 Mrd. RM zugrunde gelegt werden, so daß die Länder aus der Umsatzsteuerüberweisung im Rechnungsjahr wenigstens 450 Mio RM erhielten.

3

Nach § 15 und 16 des Finanzausgleichsgesetzes (in der Neufassung vom 27.4.26, RGBl. I, S. 203 ) durften die Gemeinden Steuern auf den örtlichen Verbrauch von Wein, Schaumwein, Bier und Trinkbranntwein erheben. Diese Gemeindegetränkesteuern sollten jedoch nach dem 31.1.27 ganz fortfallen.

4

Der dem RR vorliegende GesEntw. über Arbeitslosenversicherung (vgl. Dok. Nr. 87, Anm. 5) sah im Unterschied zur bisherigen Regelung eine laufende Beteiligung der Länder und Gemeinden an den Kosten der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge nicht mehr vor. Lediglich das Reich war zur Gewährung von Darlehn verpflichtet, wenn die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Bedarf nicht deckten und die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung erschöpft waren.

5

Zur Umsatzsteuergarantie des Reichs siehe Anm. 2.

6

§ 35 des Finanzausgleichsgesetzes (Neufassung vom 27.4.26, RGBl. I, S. 203 ) verpflichtete das Reich, den steuerschwachen Ländern Zuschüsse zu ihren Einkommensteueranteilen zu gewähren. Er lautete: „Wenn der Anteil eines Landes, auf den Kopf seiner Bevölkerung berechnet, in einem Steuerjahr um mehr als zwanzig vom Hundert hinter dem Durchschnittssatze zurückbleibt, der von der Summe der Anteile der Länder auf den Kopf der Gesamtbevölkerung entfällt, so ist der Anteil des Landes für dieses Jahr bis zur Erreichung der Grenze von zwanzig vom Hundert nachträglich aus den dem Reiche verbliebenen Einnahmen an Einkommensteuer zu ergänzen.“ – Gegen die Absicht des RFM, § 35 des Finanzausgleichsgesetzes zu streichen, hatte das Lippische Landespräsidium in einem Schreiben an den RK vom 17.9.26 Einspruch erhoben. In dem Schreiben wurde betont, „daß die praktische Folge dieser Streichung des § 35 die Gefährdung der schwächeren Länder ist und daß es sich empfehlen möchte, ein anderes als dies eigentümliche und sachlich nicht einwandfreie Verfahren zu wählen, wenn in der Tat die Reichsregierung daran denkt, die Selbständigkeit einiger Länder zu beseitigen“ (R 43 I /2388 , S. 39–44). Auch der bayer. Gesandte v. Preger hatte in einem Gespräch mit StS Pünder am 9. 10. erklärt, daß die Aufhebung des § 35 vor der endgültigen Regelung des Finanzausgleichs „völlig untragbar sei“ (Vermerk Pünders vom 11. 10., R 43 I /2388 , S. 59–60).

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß er grundsätzlich mit den Vorschlägen des Reichsministers der Finanzen einverstanden sei. Er würde es begrüßen, wenn die kleineren Länder allmählich verschwänden. Ob der Weg einer finanziellen Abdrosselung richtig sei, könne allerdings zweifelhaft erscheinen.

Der Reichspostminister führte aus, daß er sich nicht zustimmend äußern könne. Er warne rechtzeitig vor der Stimmung, die in Bayern herrsche7. Nach[274] seiner Auffassung würden mit dem Finanzausgleich in erster Linie politische Ziele verfolgt. Er befürchte das Schlimmste, wenn nicht eine Verständigung zustandekomme, die den Ländern eine bessere Existenz gewährleiste. Er halte folgendes für unbedingt erforderlich: Eine Erhöhung des Länderanteils an der Einkommen- und Körperschaftssteuer von 75 auf 90%, eine besondere Garantie des Reichs für die Umsatzsteuer, eine Beibehaltung des § 35 des Finanzausgleichs und eine angemessene Lösung der bezüglich der Eisenbahn und Post bestehenden Entschädigungsforderungen einiger Länder an das Reich8.

7

Am 25.10.26 berichtete der Vertreter der RReg. in München, v. Haniel: Der bayer. FM Krausneck habe ihm gegenüber erklärt, daß er den kommenden Verhandlungen über den Finanzausgleich „mit der größten Besorgnis entgegensehe. Falls sich der Reichsfinanzminister nicht zu einem Entgegenkommen in finanzieller Beziehung bereitfinden sollte, so befürchte er, daß eine ernstliche Krisis zwischen Bayern und Reich entstehen würde. Die kommende Aussprache im Landtag über den Finanzausgleich würde den Ernst der Lage unterstreichen.“ (R 43 I /2243 , Bl. 135). Und in einem Bericht Haniels vom 27. 10. heißt es: „Der Widerstand gegen die Finanzausgleichsvorschläge des Reichs ist hier in Bayern in ständigem Wachsen. Da die bayerischen Koalitionsparteien in dieser Frage geschlossen zusammenstehen, werden beinahe täglich mehr oder minder scharfe Angriffe von seiten dieser drei Parteien gegen die Berliner Reichsfinanzpolitik gerichtet.“ (R 43 I /2243 , Bl. 154–155; im selben Aktenband weitere Berichte der Reichsvertretung in München über bayer. Stellungnahmen zum Finanzausgleich).

8

Zur Eisenbahn- und Postabfindung vgl. diese Edition, Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 336, Anm. 20.

Der Reichswehrminister führte folgendes aus: Die Länder müßten wesentlich zum Abbau ihres Defizits beitragen. Das Reich habe große Lasten zu tragen infolge des verloren gegangenen Krieges. Er habe den Eindruck, daß die Verwaltungsreform in den Ländern keine rechten Fortschritte mache.

Der Reichsminister der Finanzen betonte, daß man auch nach seiner Auffassung mit den süddeutschen Ländern über die Postabfindung ins reine kommen müsse.

Der Reichsminister der Justiz stimmte grundsätzlich den Vorschlägen des Reichsministers der Finanzen zu, äußerte sich jedoch gegen eine sofortige Aufhebung des § 35. Diese könne nach seiner Ansicht erst bei der Schaffung des endgültigen Finanzausgleichs in Betracht kommen.

Der Reichspostminister betonte, daß durch eine Verwaltungsreform nicht viel gespart werden könne.

Der Reichskanzler stellte Übereinstimmung über folgende Punkte fest:

a) Auf eine möglichst beschleunigte Verabschiedung des Versicherungsgesetzes solle hingearbeitet werden.

b) Die Reichsgarantie könne notfalls auf 2,3 oder 2,4 Milliarden erhöht werden unter Fortfall einer besonderen Garantie für die Umsatzsteuer.

c) Die Aufhebung der Gemeinde-Getränkesteuer werde bis zum endgültigen Finanzausgleich suspendiert.

d) Die Aufhebung des § 35 werde gleichfalls bis zum endgültigen Finanzausgleich suspendiert9.

9

Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 115, P. 3.

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