2.36 (ma31p): Nr. 36 Aufzeichnung des Oberregierungsrats Grävell über den Kleinen Besserungsschein. 25. Juni 1926

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Nr. 36
Aufzeichnung des Oberregierungsrats Grävell über den Kleinen Besserungsschein. 25. Juni 19261

1

Die Aufzeichnung wurde dem RK durch StS Kempner vorgelegt. Wie aus einem Bürovermerk hervorgeht, diente die Aufzeichnung als Material für die Ministerbesprechung vom 25. 6. (Dok. Nr. 37, P. 1).

R 43 I /275 , Bl. 207–208

Betrifft: Kleiner Besserungsschein.

1) Auszugehen ist von folgendem:

Führt der sogen. Kleine Besserungsschein auf Grund der Erträge der gesamten kontrollierten Einnahmequellen im 3. und 4. Reparationsjahr zu Zahlungsverpflichtungen in voller Höhe2, so sind zu zahlen:

2

Vgl. Dok. Nr. 35, bes. Anm. 8.

Im 2. Repar.Jahr 1220 Millionen Mk.

(=

1095

Eisenbahn incl. Vorzugsaktienverkauf

+

125

Industrie)

im 3. Repar.Jahr 1200 Millionen Mk.

(=

110

Haushalt

+

840

Eisenbahn

+

250

Industrie)

im 4. Repar.Jahr 2000 Millionen Mk.

(=

500

Haushalt

+

950

Eisenbahn

+

300

Industrie

+

250

Besserungsschein)

im 5. Repar.Jahr 2750 Millionen Mk.

(=

1250

Haushalt

+

950

Eisenbahn

+

300

Industrie

+

250

Besserungsschein)

Wesentlich ist dabei der Sprung vom 3. zum 4. Reparationsjahr von 1200 auf 2000 Millionen Mk. Man kann annehmen, daß im 3. Reparationsjahr Schwierigkeiten wegen der Bezahlung und Transferierung sich noch nicht ergeben, dagegen wohl im 4. Reparationsjahr. Diese Schwierigkeiten werden den äußeren Anstoß zur Revision des Dawesplanes geben.

2) Sicher ist wohl, daß die 2750 Millionen Mk. im 5. Reparationsjahr nicht gezahlt werden können. Das bedeutet, daß die 250 Millionen Mk. auf Grund des Kleinen Besserungsscheins im 5. Reparationsjahr auch nicht gezahlt werden können.

Zweifelhaft ist, ob die 2000 Millionen Mk. im 4. Reparationsjahr bezahlt werden können. Sicher ist daher nicht, daß die 250 Millionen Mk. auf Grund des Kleinen Besserungsscheins im 4. Reparationsjahr bezahlt werden.

3) Anzunehmen ist, daß die 1200 Millionen Mk. im 3. Reparationsjahr ohne Schwierigkeit bezahlt werden. Anzunehmen ist weiter, daß im 3. Reparationsjahr auch 1500 Millionen Mk. bezahlt werden könnten3; eine Bar-Transferierung im 3. Reparationsjahr von einigen Hundert Millionen Mark würde wohl keine Schwierigkeiten bereiten. Dies ergibt sich aus unserer Devisenlage und im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Hereinnahme ausländischer Kredite.

3

1500 Mio RM = 1200 Mio Normalannuität plus 300 Mio RM für die Ablösung der Zusatzzahlungen auf Grund des Kleinen Besserungsscheins, die sonst erst am 4. und 5. Reparationsjahr (1927/28 und 1928/29) in Höhe von jeweils 250 Mio RM fällig würden.

4) Aus diesen Erwägungen ergibt sich: Der Reparationsagent fürchtet, daß die Verpflichtungen auf Grund des Kleinen Besserungsscheins niemals eingelöst werden können; er wünscht sie daher vorzuverlegen, und zwar in eine Zeit, wo Deutschland auf Grund seiner Devisenlage und seiner ausländischen Anleihen in der Lage ist, Zahlungen auch noch über die eigentlichen Verpflichtungen des Dawesplanes hinaus zu leisten. Diese Voraussetzung trifft für das 3. Reparationsjahr sicherlich zu. Der Reparationsagent glaubt mit Recht, daß im 3. Reparationsjahr 1500 Millionen Mk. von Deutschland gezahlt und daß diese Zahlungen (in bar oder in Sachleistungen) transferiert werden können.

[87] Der Effekt der in Aussicht genommenen Regelung einer Ablösung des Kleinen Besserungsscheines durch Zahlung von 300 Millionen Mk. im 3. Reparationsjahr wäre also, daß im 3. Reparationsjahr 300 Millionen Mk. mit Sicherheit bezahlt werden, während bei Belassung des gegenwärtigen Zustandes von den auf Grund des Kl. Besserungsscheins fälligen Zahlungen 250 Millionen Mark (5. Repar.Jahr) wohl sicher nicht und die restlichen 250 Millionen Mk. (4. Repar. Jahr) vielleicht auch nicht bezahlt werden.

5) Weiter ist zu beachten:

Der Reparationsagent hat ein Interesse daran zu beweisen, daß Deutschland eine hohe Summe tatsächlich zu zahlen und zu transferieren in der Lage ist. Wenn diese Summe in einem Jahr einmal 1500 Millionen Mk. betragen hat, wird es schwer sein, die Gegenseite davon zu überzeugen, daß nun künftig die gleiche Summe jährlich nicht mehr gezahlt werden könne. Die einmalige Zahlung von 1500 Millionen Mk. stellt damit wahrscheinlich ein Präjudiz für die endgültige Regelung des Dawesplanes dar. Angesichts der Notwendigkeit, bei der endgültigen Festsetzung der künftigen Jahreszahlungen unter 1500 Millionen Mark zu bleiben, bedeutet die Zahlung von 1500 Millionen Mk. in einem Jahr eine große Gefahr.

6) Die Festlegung einer Summe von 1500 Mk. ist deshalb noch von besonderem Wert für die Gegenseite, weil nach dem Stand der interalliierten Schuldenregelung die gegenwärtigen Verpflichtungen der Schuldnerstaaten Amerikas sich auf jährlich 350 Millionen Dollar belaufen, das sind rund 1500 Millionen Mark. Die Gegenseite hat natürlich ein Interesse daran, von Deutschland nicht weniger zu erhalten, als sie selbst an Amerika zu zahlen hat.

7) Durch die Beseitigung des Sprunges vom 3. zum 4. Reparationsjahr von 1200 auf 2000 Millionen Mk. wird eine Gleichmäßigkeit in das Ansteigen der Zahlungen gebracht, die das Aufbringen der Schuld erleichtert, damit aber die Revisionsnotwendigkeit verringert. Wenn der Reparationsagent meint, er müsse gerade mit Rücksicht auf die Revisionsnotwendigkeit bereits im 3. Reparationsjahr ein Experiment einer Bar-Transferierung machen, um den Nachweis zu führen, daß so große Summen von Deutschland nicht transferiert werden können, so ist diesem Argument wenig Wert beizulegen. Es war schon ausgeführt worden, daß die Zahlung und Transferierung von 1500 Millionen Mk. im 3. Reparationsjahr wahrscheinlich gar nicht auf Schwierigkeiten stößt, also dadurch gar kein Anlaß für eine Revision gegeben wird; außerdem aber hat Deutschland gar keinen besonderen Anlaß, schon im 3. Reparationsjahr auf eine Revision des Dawesplanes zu drängen. Diese kommt noch im 4. Reparationsjahr zurecht, zumal im Hinblick auf den Zusammenhang mit den alliierten Schulden jede Revision des Dawesplanes eine Revision der interalliierten Schuldenabkommen nach sich ziehen wird. Diese letztere Revision wird aber im 3. Reparationsjahr noch gar nicht Platz greifen können, da bis dahin noch zu wenig Zeit seit Abschluß dieser Abkommen4 verflossen ist. Das 4. Reparationsjahr ist entscheidend und darauf müssen alle Erwägungen abgestellt werden.

4

Zu den interall. Kriegsschuldenabkommen siehe Schultheß 1926, S. 449 ff.

[88] 8) Wenn somit aus zwingenden reparationspolitischen Gründen eine Änderung der bestehenden Regelung abgelehnt werden muß, so darf auf der anderen Seite aber nicht verkannt werden, daß eine sehr exakte Begründung dieser Ablehnung erforderlich ist, um Mißstimmungen auf der Gegenseite zu vermeiden. Die Ablehnung ist nach 4 Richtungen hin zu begründen:

a)

wirtschaftlich – unsere wirtschaftliche Lage gestattet es nicht, eventuell noch aufzutreibende Staatsmittel für Reparationszwecke auszugeben;

b)

staatsfinanziell – wir stehen vor einem Defizit im Reichshaushalt;

c)

juristisch – zur Änderung des Londoner Paktes ist ein Gesetz notwendig. Auch das Ausland könnte wohl nur im Gesetzeswege Änderungen vornehmen. Derartige Gesetze sind kaum durch die Parlamente zu bringen;

d)

innenpolitisch – eine Mehrung der Zahlungsverpflichtungen bereits im 3. Reparationsjahr ist wohl angesichts der Notlage unserer Wirtschaft als auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Revision des Dawesplanes nicht tragbar.

Gr[ävell] 25. 6.

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