2.189.1 (wir1p): 1. Dato-Angelegenheit.

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1. Dato-Angelegenheit.

Ministerialdirektor Köpke berichtete über die Sach- und Rechtslage1 und bat die Frage zu entscheiden, ob ein politisches Delikt vorliege und ferner ob die Zuständigkeit des Reichs oder Preußens begründet sei.

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Dazu in R 43 I nichts ermittelt; Vorgeschichte und Sachverhalt werdem am 23.2.22 in der DAZ wie folgt dargestellt: „Ministerpräsident Dato ist am 8.3.1921, als er im Kraftwagen vom Senat nach seiner Wohnung zurückkehrte, von vier Personen erschossen worden, die 27 Schüsse auf ihn abgaben. Eine Person, der Syndikalist Mateo, ist bald darauf in Madrid festgenommen worden. Am 29.10.1921 ist es der politischen Abteilung des Berliner Polizeipräsidiums, die von den spanischen Behörden darauf aufmerksam gemacht worden war, daß drei von den vier Tätern sich ins Ausland begeben hätten, gelungen, die des Mordes an dem Ministerpräsidenten beschuldigten Spanier Louis Niculau Fort und Lucia Joaquina Concepcion in der Wohnung eines Kommunisten in Neukölln zu verhaften. Die Verhafteten, die spanischen Syndikalistenkreisen angehören, hatten sich nach der Mordtat zunächst in Barcelona, später in Paris aufgehalten und sich dann nach Berlin begeben, wo sie am 25. 10. eintrafen. Die spanische Regierung hat, nachdem sie von der Verhaftung Kenntnis erhalten hatte, am 7. November an die deutsche Regierung das formelle Auslieferungsersuchen gestellt. Über die Auslieferung hatte nicht die Reichsregierung, sondern die preußische Regierung zu entscheiden, da nach Artikel 103 der RV die Justizhoheit den Ländern verblieben ist. Das Auswärtige Amt hat daher den Auslieferungsantrag der spanischen Regierung an die preußische Regierung weitergeleitet, die vor einigen Tagen sich für die Auslieferung entschieden hat.“ (DAZ Nr. 91 vom 23.2.22). Vgl. dazu die Darstellung Radbruchs in seinen Memoiren (Radbruch, Innerer Weg, S. 151 f.).

Oberregierungsrat Metgenberg nahm Bezug auf das Rechtsgutachten, das das Auswärtige Amt und das Reichsjustizministerium erstattet hätten2, in dem man zu dem Ergebnis gekommen sei, daß ein politisches Delikt nicht vorliege und daß daher gemäß Artikel 6 des Auslieferungsvertrages die Auslieferung zu[510] erfolgen hätte3. Reichsminister der Justiz Dr. Radbruch schloß sich dieser Auffassung an und war der Meinung, daß dem Auslieferungsersuchen stattgegeben werden müsse4.

2

In R 43 I nicht ermittelt.

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Artikel 6 des Auslieferungsvertrages lautet in seinen für diese Angelegenheit wesentlichen Passagen: „Die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages finden auf solche Personen, die sich irgend eines politischen Verbrechens oder Vergehens schuldig gemacht haben, keine Anwendung. Die Person, die wegen eines […] gemeinen Verbrechens oder Vergehens ausgeliefert worden ist, darf demgemäß in demjenigen Staate, an welchen die Auslieferung erfolgt ist, in keinem Falle wegen eines von ihr vor der Auslieferung verübten politischen Verbrechens oder Vergehens, noch wegen einer Handlung, welche mit einem solchen politischen Verbrechen oder Vergehen im Zusammenhang steht, […] zur Untersuchung gezogen und bestraft werden.“ (RGBl. 1878, S. 220 ).

4

Am 23.2.22 nimmt Radbruch für die RReg. vor dem RT in ähnlicher Weise Stellung. Die Notwendigkeit der Auslieferung begründet er mit dem Fehlen eines erkennbaren Zusammenhanges des Mordes an Dato mit einer politischen Zielsetzung. Er beruft sich dabei auf das von Prof. Schücking abgegebene Rechtsgutachten und verwirft gleichzeitig das von Hans Wehberg abgegebene Gutachten, das dieser daraufhin in einem Artikel „Die Heiligkeit des Asylrechtes“ in der Vossischen Zeitung (Nr. 98 vom 27.2.22; Ausschnitt in R 43 I /1249 , Bl. 13-16) verteidigt (RT Bd. 353, S. 6044 ).

Staatssekretär Dr. Freund wies darauf hin, daß sein Herr Chef die Angelegenheit dilatorisch behandelt hätte, um sich im Parlament nicht dem Vorwurf auszusetzen, daß er die Pause benutzt hätte, um dem Auslieferungsersuchen zu entsprechen. Er wolle daher den Zusammentritt der Kammer abwarten. Das Gutachten des Preußischen Ministeriums des Innern steht im übrigen dem des Reichsjustizministeriums und des Auswärtigen Amts entgegen, es sehe ein politisches Verbrechen als vorliegend an, weil in Dato der Bestand des Staates getroffen sei. Im übrigen sei das Preußische Ministerium des Innern der Auffassung, daß die Durchführung Landesangelegenheit sei, es daher Sache der Preußischen Regierung sei zu entscheiden, ob der Auslieferungsvertrag angewendet werden dürfe und in welchem Sinne. Das Preußische Ministerium des Innern habe daher an das Preußische Staatsministerium den Antrag gerichtet, dafür zu entscheiden, daß die Preußische Regierung sich formell für die Entscheidung der Angelegenheit für zuständig erkläre und daß der vorliegende Fall ein politisches Verbrechen darstelle.

Staatssekretär von Haniel wies darauf hin, daß man, wenn man über den Inhalt des Vertrages im Zweifel sei, eher für die Auslieferung stimmen solle, zumal man auch die Auslieferung der Mörder Erzbergers von Spanien verlangt habe.

Ministerialdirektor Fritze sah davon ab, die Zuständigkeitsfrage zu erörtern. In der Sache selbst führte er aus, daß das Preußische Justizministerium die rechtliche Auffassung des Reichsjustizministeriums und des Auswärtigen Amts teile. Der Auffassung des Preußischen Ministeriums des Innern vermöge er nicht zu folgen.

Reichsminister Dr. Radbruch führte aus, daß ihm gesagt sei, die Auslieferung würde in weiten Kreisen in Spanien nicht verstanden werden, ebenso läge es bei uns. Trotzdem sei er der Auffassung, daß die Frage nur nach Rechtsgrundsätzen entschieden werden dürfe. Den Ausführungen des Staatssekretärs Freund müsse er widersprechen. Die Straftat gegen Dato sei nach den mitgeteilten Unterlagen nicht als gegen den spanischen Staat gerichtet anzusehen.

[511] Was die innerstaatliche Frage anlange, so stehe die Auslieferung grundsätzlich als auswärtige Angelegenheit dem Reiche zu. Vollzogen könne sie aber nur durch die einzelstaatlichen, in diesem Falle preußischen Polizeibehörden werden. Die Länder seien nicht verpflichtet, den Rechtsstandpunkt des Reichs zu Grunde zu legen; sie hätten auch ihrerseits den Rechtsstandpunkt nachzuprüfen. Die Auslieferung könne daher nur stattfinden, wenn die Organe des Reichs und des betreffenden Landes einer Ansicht seien. Im Falle der Abweichung müsse der Staatsgerichtshof entscheiden.

Vizekanzler Bauer war der Auffassung, daß die Sachentscheidung zunächst Preußen überlassen werden solle, wobei er annehme, daß Preußen seine Entscheidung in Fühlungnahme mit dem Reiche treffen würde. Im übrigen sei er der Auffassung, daß man solche Mörder nicht in Schutz nehmen könne, wenn nicht zwingende Gründe entgegenstünden. Auch die Nichtauslieferung würde unangenehm berühren. Man könne unmöglich irregeführten Menschen das Recht zugestehen, andere umzubringen. Wenn die juristischen Ressorts der Auffassung wären, daß die Mörder nach dem Auslieferungsvertrag ausgeliefert werden müßten, so dürfe man nicht vor einer Auslieferung zurückschrecken.

ReichswirtschaftsministerSchmidt teilte das sittliche Empfinden des Vizekanzlers Bauer, betonte aber, daß man auch die politischen Gesichtspunkte nicht außer Acht lassen dürfe.

Reichsminister des Innern Dr. Köster glaubte, dem Reichsjustizminister nicht beipflichten zu können. Er glaube die Dinge politisch ansehen und sich in strikten Gegensatz zu den Ausführungen des Vizekanzlers Bauer und des Staatssekretärs von Haniel stellen zu müssen. Man müsse die Frage so stellen, ob es mit dem Wortlaut des Auslieferungsvertrages vereinbar sei, daß wir das politische Asylrecht aufrecht erhalten könnten. Er könne sich nur den Ausführungen des Staatssekretärs Freund anschließen. Seiner Auffassung nach liege ein politisches Attentat vor.

Die Erörterung wurde abgebrochen, da zunächst das Preußische Staatsministerium sich mit der Sache befassen solle.

Staatssekretär Göhre sagte zu, die Entscheidung des Staatsministeriums alsbald herbeizuführen und sie dem Reichskanzler mitzuteilen.

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