2.190.1 (wir1p): [Finanzpolitik des Reiches]

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[Finanzpolitik des Reiches1]

1

Zum folgenden siehe auch die in dem Schreiben vom 21.11.21 vorgelegten Forderungen der Gewerkschaften (Dok. Nr. 150); der ADGB hatte mit einem Schreiben vom 9.1.1922 zugleich für den Afa-Bund daran erinnert, daß eine Stellungnahme der RReg. zu den in dem genannten Schreiben formulierten Forderungen noch ausstehe (R 43 I /2356 , Bl. 150 f.).

Der Reichskanzler gibt Auskunft über die politische Situation, wie sie sich seit der Reise des Ministers Rathenau nach London und neuerdings in Cannes zu gestalten scheint2. Er weist insbesondere darauf hin, daß die endgültige Gestaltung des Steuerprogramms der Regierung erst dann vorgenommen werden könnte, wenn die Ergebnisse der Cannes-Konferenz abschließend beurteilt werden könnten. Aus diesem Grunde könne die Reichsregierung auch zu den[514] Forderungen der Gewerkschaften erst nach dem Abschluß von Cannes eine endgültige Stellung einnehmen3.

2

Zur Lage in Cannes hatte Rathenau am 12.1.22 (Ankunft 14.20 Uhr) an den RK telegrafiert: „Zu Beunruhigung kein Anlaß. Heutige Besprechung mit Reparationskommission dürfte bei ihrer bisher vorhanden gewesenen Mißstimmung über Behandlung der drei Fragen in der Note vom 16. 12. behoben haben. Habe in jeder Weise versucht, Reparationskommission Positives zu sagen und sie von den Grenzen der Ergebnisse ihrer Fragen zu überzeugen. Habe insbesondere darauf verwiesen, daß Beurteilung unserer Zahlungsfähgikeit für 1922 von der Entscheidung der Reparationskommission über Wiesbadener Abkommen und von dem Umfange der tatsächlichen Anforderungen Frankreichs für 1922 abhänge. Rechne mit Möglichkeit, Anhörung durch Obersten Rat schon morgen, wodurch Fortsetzung der Erörterungen mit Reparationskommission unnötig werden könnte. Bradbury voll Einverständnis für die Lage. Empfehle dringend von jedem mißverständlichen Hinweis auf die angeblich englischfranzösischen Meinungsverschiedenheiten abzusehen. Hatte heute gemeinschaftlich mit Bergmann Besprechung mit Governor. Morgen Besprechung mit Loucheur wahrscheinlich. Ende der Verhandlungen vor Sonnabend unwahrscheinlich. Falls auf schriftliche Berichterstattung Wert gelegt wird, empfehle baldigst Kurierverbindung ermöglichen. Rathenau.“ (R 43 I /24 , Bl. 255).

3

Vgl. dazu auch Dok. Nr. 184 und Dok. Nr. 185.

Leipart: Es seien fast 2 Monate vergangen, daß die Gewerkschaften ihr Schreiben an den Reichskanzler gerichtet hätten4. Die Arbeiter drängten auf endgültige Antwort und sprächen davon, daß die bisherigen Druckmittel nicht genügten. Man hätte in Arbeiterkreisen sogar schon ernstlich an Streik gedacht. Er halte es deshalb für erforderlich, die Forderungen der Gewerkschaften heute im einzelnen zu erörtern, insbesondere auch über die Erfassung der Sachwerte zu sprechen.

4

Siehe Anm. 1.

Der Reichskanzler warnt dringend davor, Steuern zu machen, die eine neue Veranlagung erforderten und so die jetzt in gutem Gange befindliche Veranlagung zur Einkommenssteuer aufs neue verzögern würde. Zur Zeit schwebten Besprechungen mit den politischen Parteien über die Einziehung eines weiteren Teils des Reichsnotopfers. In den anderen Vermögenssteuergesetzen erhoffe die Reichsregierung ein Kompromiß der Parteien.

Zur Erfassung der Sachwerte5 möchte er folgendes bemerken: Zur Zeit sei eine parlamentarische Mehrheit für diesen Plan nicht zu finden. Entscheidend bei der ganzen Frage sei das Ziel, das man mit der Sachwerterfassung erreichen wolle. Wolle man damit lediglich das Budget balancieren oder wolle man sie durchführen, um die Sozialisierung zu verwirklichen, so würde hierfür, wie gesagt, eine Mehrheit nicht zu finden sein. Wenn die Gewerkschaften die Sachwerterfassung zum Dogma erhöben, so würde nach Cannes eine äußerst schwierige politische Situation entstehen, es drohe dann der geistige Bürgerkrieg. Schon im Zentrum bestehe keine Mehrheit für die Sachwerterfassung im Sinne der Gewerkschaften. Diese sollten seines Erachtens mit der sozialdemokratischen Partei Fühlung nehmen, um festzustellen, was zur Zeit nötig und möglich ist. Er vertrete die Ansicht, daß die Sachwerterfassung einen klaren Sinn und ein bestimmtes Ziel haben müßte. Wenn es sich einmal darum handeln werde, durch eine solche Sachwerterfassung von den erdrückenden Lasten des Versailler Vertrages auf die Dauer oder wenigstens für lange Jahre freizukommen, so würde er dafür zu haben sein.

5

Siehe Dok. Nr. 150 Anm. 4.

Schweitzer: Die Gewerkschaften seien keine Dogmatiker in der Frage der Sachwerterfassung. Sie müßten aber darauf bestehen, daß die bisherigen Steuern mit der größten Beschleunigung faktisch eingezogen werden würden. Weiter halte er es innenpolitisch für undenkbar, jetzt die Zuschüsse für die Ernährung aufzuheben, dazu noch die Verbrauchssteuern zu erhöhen, ohne daß auf der anderen Seite ein sichtbares Opfer des Besitzes erfolge.

Reichskanzler Eine feste Führung seitens der Regierung in diesen Fragen sei erst nach Cannes möglich. Er sei bereit, am Montag, den 16. Januar 1922 um 11 Uhr vormittags in der Reichskanzlei mit den Gewerkschaftsführern über diese Frage weiter zu sprechen6.

6

Siehe Protokoll vom 17.1.1922 (Dok. Nr. 191).

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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