1.4.1 (wir2p): [Beantwortung der Note der Reparationskommission.]

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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[Beantwortung der Note der Reparationskommission.1]

1

Es handelt sich um die Beantwortung der Noten vom 21.3.1922 (siehe Dok. Nr. 229 Anm. 2), zu der die RReg. im RT bereits eine Erklärung abgegeben hatte (siehe Dok. Nr. 231 Anm. 2).

Der Reichskanzler äußert sich zum vorliegenden Vorentwurf des Auswärtigen Amts zur Beantwortung der Note der Reparationskommission2. Der Entwurf[671] sei seines Erachtens zu schwach gegenüber seiner und des Außenministers Rede im Reichstag3. Er sehe die Situation so an, daß wir binnen kurzem nicht mehr in der Lage seien, auch nur eine Goldmark an Reparationsleistungen zu zahlen. In der Antwortnote müßten die neben der eigentlichen Reparationsleistung bestehenden Verpflichtungen des Reiches zu Auslandszahlungen stärker hervorgehoben werden, insbesondere auch die notwendigen Zahlungen, um die bedrohliche Ernährungslage des Volkes durch stärkere Einfuhr fremdländischen Getreides zu entspannen.

2

Zu den Vorentwürfen A und B siehe Dok. Nr. 237 Anm. 6; Vorentwurf A – Disposition – lautet: „Deutsche Regierung hat bereits in der Note vom 28. 1. hingewiesen, daß Festsetzungen deutscher Leistungen für 1922 auf 720 Millionen bar und 1450 Millionen Sachleistungen Reparationsfähigkeit Deutschlands weiter empfindlich schwächen würde. Befürchtung voll bestätigt. Marksturz seit Eintreffen der Note auf Grundlage Wirtschaftsschädigung durch Dekadenzahlungen. Wachsende Notlage breiter Volksmassen. Teuerungszahlen, schwindende Aussicht auf Überschuß im Staatshaushalt. Deutsche Regierung weiß, daß diese Einwirkung der Note mit Absicht der Reparationskommission nicht im Einklang, bittet daher Reparationskommission, mit Rücksicht auf sein Stundungsgesuch 14. 12. völlig veränderte Situation umfassendere Maßnahmen zu treffen. Nach Ansicht deutscher Regierung muß Dollarkurs zunächst wieder auf mindestens 200 zurückgebracht werden, ehe an weitere Barreparationsleistungen Deutschlands gedacht werden kann. – Entscheidung vom 21. 3. erwähnt Art. 234. Dieser zwar formalen Grundlage, Entscheidung entspricht aber seinem Geiste nicht, logischer Fehler in Entscheidung. – Jedenfalls muß Deutschland nunmehr unter veränderten Verhältnissen um umfassende gründliche Prüfung deutscher Leistungsfähigkeit auf Grund Art. 234 und Versuch einer Regelung bitten, welche auch für nachfolgende Zeit sicherstellt, daß erneute Wiederkehr deutscher Valutazerrüttung nicht eintritt. – Art der Nachprüfung ganz Ermessen der Reparationskommission überlassen, Hinweis auf umfassende Befugnisse der Kommission und bereits erfolgte Berufung internationaler Anleihekommission. Vorschlag auch zur Prüfung deutscher Leistungsfähigkeit Kommission unter Beteiligung hervorragender Volkswirtschafter aller beteiligten Staaten zu berufen. – Auflage der Kommission insbesondere Vergleichung deutschen Steuersystems mit alliierten Steuersystemen. Hinweis auf die Ausführungen über diese Frage in Anlage zu deutscher Note vom 28. 1., die bisher nicht widerlegt, und in Note 21. 3. nicht erwähnt. – Daneben Anleihe-Frage von entscheidender Bedeutung, wie auch von alliierter Seite kürzlich wiederholt anerkannt. Hinweis auf Note 28. 1. dieserhalb deutscherseits abgegebene Erklärung Ausdruck deutschen Wunsches, daß Arbeiten beabsichtigter Anleihe-Kommission von Regierungsvertretern und Experten zu praktischen Ergebnissen führen und Bereitwilligkeit zur Mitarbeit. – Voraussetzung für Gelingen der Anleihe, daß Betrag-Annuitäten für gewisse Jahre finanziert, außerdem Restzahlungen des Ausgleichsverfahrens. Ansprüche aus 297 e müßten für Atempause zurückgestellt werden. Sicherheiten nach Maßgabe übersehbaren und verfügbaren Devisenaufkommens. – Vom Ausgang Erörterung über Anleihe und der Prüfung der Leistungsfähigkeit wird Frage Vermehrung deutscher Steuerleistung und sonstiger Garantien abhängen. – Forderung Reparationskomission im Schreiben 21. 3. auf sofortige Schaffung weiterer 60 Milliarden Steuern auch technisch undurchführbar. Kontrollmaßnahmen nicht annehmbar, da mit Friedensvertrag und vor Unterzeichnung des Vertrages gegebenen Zusagen unvereinbar. Kontrollmaßnahmen würden deutsche Kreditfähigkeit und Steuerleistungen nur schädigen. Sonstige Bemerkungen zu einzelnen Forderungen Reparationskommission in besonderer Anlage.“ (R 43 I /26 , Bl. 210-215).

Disposition B siehe Anm. 5. In R 43 I /26 , Bl. 216-233 außerdem ein Entwurf des AA vom 4.4.22 auf der Grundlage der Disposition A. Endgültige Fassung siehe RT-Drucks. Nr. 4140 , S. 171 ff., Bd. 372.

3

Rede Wirths am 28.3.22 (RT Bd. 353, S. 6613  ff.), Rede Rathenaus am 29.3.22 (RT Bd. 354, S. 6651  ff.).

Reichsminister Dr. Rathenau: Die Situation sei die, daß sozusagen „ein neues Leben begonnen werden müsse.“ Wir könnten seines Erachtens bei der jetzigen Lage überhaupt keinerlei Goldzahlungen mehr machen. Der Dollar könne übermorgen auf 450 und bald auf 600 stehen. Weiter mache sich eine die Industrie gefährdende Geldknappheit bemerkbar. Es müßte also in der Antwortnote ausgesprochen werden, daß wir die 720 + 1450 Goldmillionen zur Zeit nicht leisten könnten.

Es müsse jetzt also auch die Kriegslastenkommission in Paris zu erkennen geben, daß eine Wendung in der Politik eingetreten sei. Ihm sei klar, daß der Staatssekretär Fischer bei dieser Situation Schwierigkeiten in Paris haben werde, diesen könne man aber nicht ausweichen. Er halte den jetzigen Zeitpunkt für günstig, diese Änderung in der Politik eintreten zu lassen, denn wie er schon früher ausgeführt habe, würde das allgemeine Interesse dahin gehen, während der Konferenz von Genua störende Schwierigkeiten zu vermeiden.

Wir müßten also in der Note unsere Antwort klar und deutlich aussprechen.

Der Reichskanzler weist auf das unerhörte Steigen aller Warenpreise hin. Wie er schon ausgeführt habe, müßte auf die bedrohliche Ernährungslage hingewiesen und in der Antwortnote präzise und weitausschauend gesprochen werden.

ReichswirtschaftsministerSchmidt wirft die Frage auf, ob die eigentliche Note und das Schreiben an den Reichskanzler getrennt zu beantworten seien.

In sachlicher Beziehung nähme er auf seine früheren Ausführungen Bezug4, man dürfe sich nicht allzu zurückhaltend ausdrücken, aber auch die Tür nicht zuschlagen.

4

Siehe die beiden Sitzungen vom 24.3.22 (Dok. Nr. 230 und Dok. Nr. 231).

Staatssekretär Fischer erläutert die vorliegenden Dispositionen A und B5.

5

Disposition A siehe Anmerkung 2; Vorentwurf B sieht folgende Disposition vor: „Anerkennung des Grundsatzes, daß Leistungen nach außen und Bedürfnisse im Innern der Aufbringbarkeit der Devisen entsprechen und durch staatliche Einnahmen unter Ausschluß der Vermehrung schwebender Schuld gedeckt werden müssen. – Undurchführbarkeit des Londoner Zahlungsplanes für lange Reihe von Jahren, Anerkennung möglichst große Barmittel für Reparation aufbringen, Wahl zwischen verhältnismäßig kleinem Teil der Reparationsschuld oder Mehrzahl von Annuitäten durch äußere Anleihe zu finanzieren; deutscherseits dem letzteren aus praktischen Rücksichten den Vorzug gegeben. – Untersuchung, welche Summe für Jahresdienst vorerst aufbringbar. Untersuchung der Sicherstellung der Annuitäten a) durch Ausfuhr Devisen, im Sinne bestehender Devisenerfassung, b) nebenher als Papiersicherung durch Zölle und Ausfuhrabgaben, eventuell sonstige bestimmte Einnahmeteile. Daraus folgen: 1. Ablehnung weiterer Barzahlungen, 2. neuer Einnahme-Kontroll-Einrichtungen. Erörterung eines Kontrolldienstes entwickelt sich aus Anleihe-Verhandlungen. – Voraussetzung des Gelingens, Berücksichtigung der Lasten des Ausgleichsverfahrens und Sicherung vor Barlasten aus 297 e. – Innere Finanzierung: Darstellung der gegenwärtigen Budgetlage soweit übersehbar. Notwendigkeit der Erschließung weiterer Einnahmen für 1922 und nach voller Auswirkung des Steuerkompromisses für 1923 folgende … Für 1922 weitere Steuern nicht flüssig zu machen, daher Zwangsanleihe eventuell in Verbindung mit äußerer Anleihe. Für 1923 folgende … Endgültiger Überblick und daher Programm noch nicht möglich, hängt ab von Entwicklung des Außenhandels und der Markbewertung. – Dabei zu erörtern Programm der Ausgabenreduzierung und der in dieser Hinsicht geforderten Kontroll-Einrichtungen. – Äußere Anleihe nur denkbar bei Vermeidung einer Zerstörung der deutschen Privatkredite im Außenverkehr, daher Ablehnung umfassender Devisenkontrolle, die außerdem technisch undurchführbar. – Innere Finanzierung nur durchführbar, bei Vermeidung von Überspannung des Steuerdrucks, da sonst Kapitalflucht. Dieses mit Polizeimaßregeln nicht zu bekämpfen und in ihren Folgen auch nur wirtschaftlich zu redressieren. Bekämpfung durch internationale Vereinbarungen anzustreben, Erfolg aber problematisch, da wichtige Geschäftsinteressen der Zufluchtländer Hindernis bilden. – Nicht erkennbar, aus welchen Gründen Reparationskommission Fähigkeit Deutschlands zu Devisenleistung höher eingeschätzt hat, da Gründe nicht angegeben. Bereitschaft hierüber, falls gewünscht, in sachliche Erörterung einzutreten. Desgleichen nicht erkennbar Gründe für die Auffassung wesentlich höherer Steuerleistungsfähigkeit, da auch hierfür Gründe nicht angegeben und auf deutsche Darstellung eines Vergleichs des Steuerdrucks nicht eingegangen. Bereitschaft auch hierüber, falls gewünscht, in Erörterung unter Zuziehung technischer Sachverständiger einzutreten, Wunsch hierbei eventuell neutrale Fachleute beteiligt zu sehen. – Schluß: erneute Betonung der Notwendigkeit neuen Weges und positiver Lösung im gesamt-europäischen Interesse.“ (R 43 I /26 , Bl. 216-233).

[672] Der Reichskanzler vertagt die Sitzung, damit die Herren Gelegenheit hätten, den vorliegenden Entwurf zu studieren.

–––––

Fortsetzung der Besprechung 6 Uhr, Staatssekretär Fischer: Soeben habe der Staatssekretär Bergmann aus Paris mitgeteilt, daß er ein wichtiges Telegramm über die von uns zu erteilende Antwort abgesandt habe, und wenn möglich heute noch um Antwort bitte6.

6

In R 43 I nicht ermittelt.

Reichsminister Dr. Hermes: Das Auswärtige Amt beabsichtige, in der Antwort zu erklären:

1)

60 Milliarden neue Steuern könnten wir nicht einführen,

2)

eine Finanzkontrolle würde abgelehnt,

3)

die 720 Millionen seien noch zu viel, es müsse also ein neuer Zahlungsplan aufgestellt werden.

Es werde allgemein von einer Wendung der Reparationspolitik gesprochen. Hierzu müsse er bemerken, daß eine Wendung grundsätzlicher Art nicht vorliege, denn die Regierung sei auch jetzt bereit, bis zur Grenze des Möglichen zu erfüllen. Er warne innen- und außenpolitisch davor, von einer Wendung in der Politik zu sprechen.

[673] Zur sachlichen Seite hege er Bedenken gegen den genannten Punkt 3, daß wir nämlich auch die 720 Millionen nicht zahlen könnten und ein neuer Zahlungsplan aufzustellen sei. Man könne diesen Gedanken aber vielleicht mit dem einer internationalen Anleihe verbinden, und dabei an eine Atempause von 4 bis 5 Jahren und an eine Rediskontierung denken. Auf diese Weise könne das Problem für 1922 ohne besondere Betonung zwangsläufig miterledigt werden. Diese Frage halte er für von so entscheidender Bedeutung, daß sie durch eine Abstimmung geklärt werden müßte. Er jedenfalls könne den Ausführungen des Vorentwurfs auf Seite 2 nicht zustimmen, wonach Goldzahlungen zu einem voraus festgesetzten Termin zunächst überhaupt unterbleiben müßten, und daß ferner der Kurs des Dollars auf mindestens 200 zurückzubringen sei, bevor an weitere Reparationsleistungen gedacht werden könne.

Die von englischer Seite ins Auge gefaßte Regelung des gesamten Reparationsproblems auf einmal sei zur Zeit nicht erreichbar, wir müßten daher auf die französische Auffassung Rücksicht nehmen. Deshalb halte er eine präzise ausgesprochene Beanstandung der 720 Millionen für gefährlich.

Der Reichskanzler hält eine Abstimmung heute noch nicht für erforderlich, da es nur eine Vorbesprechung sei.

Die Note müsse unbedingt sagen, daß fremde Geldhilfe schon für das Jahr 1922 nötig sei, um auch nur die beanspruchten 720 Millionen zahlen zu können.

Ob man eine Regelung für 5 Jahre schon jetzt anstreben solle, müsse geprüft werden. Dies hänge mit der vom Außenminister im ganzen zu befolgenden Taktik zusammen.

Reichsminister Dr. Rathenau: Er stimme mit Minister Hermes darin überein, daß eine grundlegende Änderung der Politik nicht eintrete, aber es müsse von jetzt ab eine andere Taktik eingeschlagen werden, und diese Änderung der Taktik würde seines Erachtens durch Genua erleichtert. Der Anleihegedanke sei für die Entente nicht neu und habe zur Zeit keine große praktische Bedeutung, er stelle also keinen Hoffnungsanker dar.

Wir müßten versuchen, jetzt zu einer grundsätzlich neuen Lösung zu kommen. Wie er schon früher ausgeführt habe, liege im Versuch dazu ein starkes Risiko, aber das Risiko sei seines Erachtens geringer, als wenn wir jetzt in der Antwortnote das Grundproblem zu temporisieren suchten, denn wir würden in vielleicht 6 Wochen vor der gleichen Situation stehen, günstigenfalls mit einem Rabatt von 10–25%, der unsere Lage nicht ändern könnte. Die Cäsur der Taktik müsse deutlich erkennbar gemacht werden.

Als wir die Note vom 28. Januar7 aufsetzten, stand der Dollar 180, jetzt 330. Dieser Umstand müsse benutzt werden.

7

Siehe Dok. Nr. 194 Anm. 1.

Der Unterschied der Auffassung zwischen Minister Hermes und ihm sei gar nicht sehr groß, es sei höchstens ein Unterschied in der Taktik. Minister Hermes ziehe es vor, mit den Mitgliedern der Reparationskommission über das Problem zu verhandeln, er dagegen sei für klares Aussprechen in der Note, daß eine neue Situation vorliege.

[674] Der Dollar könne in kurzer Zeit 450 oder 650 stehen, bei diesem labilen Zustand könne man unmöglich dasselbe sagen wie Ende Januar. An irgend einem Tage, der nicht fern sei, würden wir doch auf jeden Fall das erklären müssen, was er bereits heute vorschlage. Deshalb sei es besser, den jetzigen Dollarstand zu benutzen, um die Insuffizienz zu erklären.

(Reichsminister Dr. Rathenau verläßt die Sitzung).

Der Reichskanzler Es müßten sich jetzt einige Herren zusammensetzen, um zu prüfen, nach welcher Richtung der vorliegende Entwurf ergänzt werden müßte. Einige Ausführungen des Entwurfes seien zu verschärfen.

Reichsminister Hermes: Als er vorhin von einer Abstimmung sprach, habe er nicht an die heutige Chefbesprechung, sondern an das Kabinett gedacht. Grundsätzlich sei er mit Minister Rathenau einverstanden. Er habe nur Bedenken dagegen, ein prononciertes „Nein“ gerade mit Rücksicht auf Genua und den derzeitigen Dollarkurs auszusprechen. Das „Nein“ gegen neue Steuern und Finanzkontrolle könne deutlich sein; aber gegen die Vorschläge des Ministers Rathenau über die Erklärung wegen der 720 Millionen hege er schwerste Bedenken. Er halte sie für sehr gefährlich. Man müsse den Gedanken in anderer Form aussprechen.

In der Anleihefrage könne und müsse man konkret vorgehen und von einer Atempause für einen längeren Zeitraum sprechen.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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