2.164.3 (ma11p): 3. Außerhalb der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes über Aufhebung des Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik.

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3. Außerhalb der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes über Aufhebung des Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik.

Staatssekretär Joel trug den Inhalt des in der Sitzung verteilten Entwurfs vor1 und betonte, daß die Aufhebung eine rein politische Maßnahme sei.

1

Am 3. 4. übersandte das RJMin. zugleich für das RIMin. den Entwurf eines „Gesetzes über Aufhebung des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik“. In Abänderung des Republikschutzgesetzes vom 21.7.22 (RGBl. I, S. 585 ) sieht der Entwurf die Aufhebung des Staatsgerichtshofes zum Schutz der Republik vor. Seine Aufgaben auf dem Gebiet der Strafgerichtsbarkeit werden den ordentlichen Gerichten überwiesen; zuständig werden je nach Tatbestand das Reichsgericht, das Schwurgericht oder die Amtsgerichte. Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs in Verwaltungssachen soll auf die obersten Verwaltungsgerichte der Länder übergehen. An den materiellen Vorschriften des Republikschutzgesetzes wird nichts geändert. In der Begründung heißt es u. a.: „Inzwischen haben sich die Verhältnisse derart gestaltet, daß die Einrichtung eines besonderen, nach politischen Gesichtspunkten zusammengesetzten Gerichtshofs für die Folge entbehrt werden kann.“ (R 43 I /1867 , Bl. 286-290).

Der Vizekanzler führte aus, daß die politische Frage in einer früheren Besprechung bereits bejaht worden sei2. Hierauf fußend habe das Reichsministerium des Innern eine entsprechende Pressenotiz herausgegeben. Der Zweck der Vorlage sei, eine Verhandlung im Reichsrat herbeizuführen. Er beantrage daher, dem Entwurf zuzustimmen.

2

Vgl. die Ministerbesprechung vom 13. 2. (Dok. Nr. 102, P. 5).

Der Reichswirtschaftsminister bemängelte, daß hier das Reich Bayern gegenüber vorleiste3. Man wisse nicht, wie die bayerischen Wahlen sich gestalten würden4. Er glaube, daß man sehr gut die Abstimmung über den Entwurf um etwa 14 Tage vertagen könne. Man müsse sich darüber klar sein, daß der Entwurf nach rechts keine Wirkung ausüben würde, während er geeignet sei, bei den Linksparteien Mißstimmung hervorzurufen.

3

Die bayer. Reg. wünschte die Aufhebung des Republikschutzgesetzes oder wenigstens des Staatsgerichtshofes zum Schutz der Republik; vgl. das Schreiben des bayer. MinPräs. an den RK vom 12. 2. (Dok. Nr. 101 gegen Ende) sowie den Vermerk Kempners vom 21. 1. (Dok. Nr. 65). In Bayern war der Vollzug des Republikschutzgesetzes durch einen Erlaß Kahrs vom 29.9.23 eingestellt worden (vgl. Dok. Nr. 65, Anm. 1).

4

Die bayer. Landtagswahlen finden am 6. 4. statt; vgl. Schultheß 1924, S. 28.

[522] Staatssekretär Joel machte darauf aufmerksam, daß die Art, wie seinerzeit das Gesetz entstanden sei, politisch großen Schaden angerichtet habe. Im übrigen sei Bayern mit der Aufhebung der Volksgerichte vorangegangen5, so daß man von einer Vorleistung des Reichs nicht ohne weiteres sprechen könne. Eine Ablehnung des Entwurfs würde für die betreffenden Ressortminister eine schwierige Situation schaffen, da die Aufhebungsabsicht in der Öffentlichkeit bereits bekannt geworden sei.

5

Die bayer. Volksgerichte wurden durch VO vom 27.3.24 mit Wirkung vom 1.4.24 aufgehoben, das Volksgericht München I, vor dem der Hitlerprozeß verhandelt wurde, erst mit Wirkung vom 15.5.24.

Der Reichsarbeitsminister glaubt, daß die letztere Auffassung nicht zutreffe, da schon öfters das Kabinett aus irgendwelchen Gründen den Entwurf eines Gesetzes zurückgestellt habe. Der Zweck des Entwurfs sei doch wohl, ein besseres Verhältnis zu Bayern zu schaffen. Er glaube aber, daß dieser Zweck durch den Entwurf nicht erreicht werde, sondern eine solche Maßnahme könne nur im Rahmen der Gesamtregelung mit Bayern getroffen werden. Er sehe keinen Nutzen in der Annahme des Entwurfs; insbesondere habe er dabei die Reichstagswahl im Auge.

Der Reichskanzler stellte fest, daß in der früheren Besprechung das Kabinett grundsätzlich mit der Aufhebung einverstanden gewesen sei6.

6

S. Anm. 2.

Der Reichswehrminister glaubt, daß das jetzige Kabinett als „geschäftsführendes“ davon absehen müsse, einen solchen Entwurf anzunehmen. Das sei eine Arbeit für das neue Kabinett und den neuen Reichstag. Im übrigen wolle er nicht verfehlen zu betonen, daß er sachlich für Aufhebung des Gesetzes sei.

Der Reichskanzler erklärte, daß nach seinen Erfahrungen bei den Verhandlungen mit Bayern dieses Land den größten Wert auf Aufhebung lege. Er sei an die Fraktionen herangetreten mit der Bitte, sich zu der Frage zu äußern. Eine Antwort habe er bisher nicht erhalten, nur die Deutschnationale Volkspartei hätte Anträge auf Aufhebung gestellt7.

7

S. den Antrag Hergt und Gen. vom 30.1.24 (RT-Drucks. Nr. 6436, Bd. 380 ).

Der Reichskanzler regte eine Änderung der Überschrift des Gesetzes an, und zwar hält er es für richtig, wenn das Wort „Aufhebung“ durch „Abänderung“ ersetzt werde8.

8

Also „Gesetz zur Abänderung des Gesetzes zum Schutze der Republik“.

Der Vizekanzler stellte fest, daß in der Öffentlichkeit durch die Pressenotiz kein Staub aufgewirbelt worden sei.

Der Reichswirtschaftsminister glaubt, daß man mit der Vorlage noch einige Zeit warten müsse, wenigstens so lange, bis die bayerischen Landtagswahlen erledigt seien. Was den beim Reichsgericht vorgesehenen Verwaltungsgerichtssenat9 betreffe, so glaube er, daß man diesen gleichzeitig mit der Aufhebung des Staatsgerichtshofs einführen müsse, sonst käme man in die Lage, später den Ländern von dem, was man ihnen jetzt bewillige, wieder einen Teil wegzunehmen.

9

Am 2. 2. hatte der RIM der RReg. den Entwurf eines „Gesetzes über Verwaltungssenate beim Reichsgericht“ zugeleitet (R 43 I /1211 , Bl. 30-47). Die Beratung des Entwurfs im Kabinett war wiederholt verschoben worden.

[523] Der Vizekanzler machte darauf aufmerksam, daß die Vorlage betreffend den Verwaltungsgerichtssenat bereits das Kabinett beschäftigt habe. Es fänden jetzt Ressortbesprechungen darüber statt, die sich noch wochenlang hinziehen könnten.

Der Reichsminister des Auswärtigen ist der Auffassung, daß das jetzige Kabinett die Abänderung des Gesetzes vornehmen könne und müsse.

Staatssekretär Joel betonte, daß die Bildung des Verwaltungsgerichtssenats noch lange auf sich warten lassen werde. Das Reichsfinanzministerium hätte große Bedenken geltend gemacht, und ebenso habe sich das Reichsgericht ablehnend geäußert. Er halte diese Vorlage überhaupt für gefährdet.

Der Reichskanzler faßte die Auffassung des Kabinetts dahin zusammen, daß man die Vorlage betreffend Verwaltungsgerichtssenat vorantreiben müsse. Falls die Ressortbesprechungen hierüber zu lange dauerten, müsse das Reichsministerium des Innern mit einer neuen Vorlage an das Kabinett herantreten10.

10

Der GesEntw. über Verwaltungssenate beim Reichsgericht wird zusammen mit dem GesEntw. zur Abänderung des Republikschutzgesetzes in der Kabinettssitzung vom 23. 5. behandelt (Dok. Nr. 205, P. 2 und 3).

Der Vizekanzler erklärte sich damit einverstanden und sprach den Wunsch aus, daß vorerst in der Presse nichts darüber veröffentlicht würde.

Das Kabinett stimmte dem zu.

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