2.182.1 (ma11p): 1. Die außenpolitische Lage.

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1. Die außenpolitische Lage.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete, daß in den letzten Tagen der englische Ministerpräsident1 eine außerordentliche Tätigkeit in der Frage des Sachverständigengutachtens entfaltet habe. Sein Ziel sei, auf die deutsche Regierung dahin einzuwirken, daß eine allgemeine Diskussion über das Gutachten vermieden werde, da bei einer solchen Diskussion die französische Regierung mit allen Mitteln versuchen werde, die für Deutschland günstigen Bedingungen des Sachverständigengutachtens zu beseitigen. Der englische Ministerpräsident habe daher vorgeschlagen, daß sofort ein Mantelvertrag zwischen Deutschland und den beteiligten Mächten abgeschlossen werde. In ähnlichem Sinne habe der amerikanische Botschafter2 sich geäußert.

1

MacDonald.

2

Houghton.

Demgegenüber habe er, der Reichsminister des Auswärtigen, darauf hingewiesen, daß eine endgültige Annahme des Gutachtens deutscherseits erst erfolgen könne, wenn hinsichtlich der politischen Seite die nötigen Zusicherungen gegeben seien.

Der Botschafter v. Hoesch habe von Poincaré in der Sache der Gefangenen die Zusicherung erhalten, daß deren Los bei der Bereinigung der Reparationsfrage geklärt würde.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß zwischen zwei Fragen unterschieden werden müsse: zwischen denjenigen, die im Gutachten behandelt seien und denjenigen, die nicht im Gutachten geregelt seien. Hinsichtlich der im Gutachten behandelten Fragen könne nach seiner Auffassung das Risiko übernommen werden, das Gutachten en bloc anzunehmen; es müsse nur eine schiedsrichterliche Instanz geschaffen werden, die bei Zweifelsfragen der Interpretation angerufen werden könne. Die nicht im Gutachten geregelten Fragen seien finanzieller und rein politischer Natur. Von den beiden finanziellen Fragen sei die eine, die Nichtfestsetzung einer Gesamtsumme, nicht so erheblich, wenngleich es richtig sei, das Fehlen dieser Festsetzung nach außen hin zu bemängeln. Was dagegen die zweite finanzielle Frage anbelange, nämlich das Fehlen einer Bestimmung über Gutschrift der deutschen Leistungen auf Reparationskonto, so müsse hier unbedingt auf eine Regelung gedrungen werden. Das gleiche gelte hinsichtlich der rein politischen Fragen (Wiederherstellung[575] der deutschen Hoheit, Rückkehr der Gefangenen usw.). Diese letzteren Fragen müßten im Mantelvertrag geregelt werden.

Der Reichsverkehrsminister berichtete über die Regelung der Eisenbahnfrage und äußerte die Auffassung, daß hier eine Verständigung sich voraussichtlich erzielen lassen würde. Hinsichtlich der politischen Fragen müsse nach seiner Auffassung ein Meinungsaustausch mit der französischen und englischen Regierung aufgenommen werden, um die erforderlichen Garantien zu erlangen.

Der Vizekanzler verlas die soeben eingetroffenen Meldungen aus Paris über die Entscheidung der Reparationskommission3.

3

Mit Note vom 17. 4. gibt die Repko bekannt, sie habe einstimmig beschlossen: 1. die dt. Antwort vom 16. 4. (Dok. Nr. 177, Anm. 6) zur Kenntnis zu nehmen; 2. das Sachverständigen-Gutachten im Rahmen ihrer Zuständigkeit anzunehmen; 3. das Gutachten den beteiligten Regierungen offiziell zu übermitteln und zur Annahme zu empfehlen, soweit es in die Zuständigkeit der Regierungen fällt; 4. die dt. Regierung aufzufordern, a) möglichst bald die zur vollständigen Durchführung des Gutachtens erforderlichen Gesetze vorzulegen, b) die Mitglieder zu benennen, die die dt. Regierung bzw. die Industrie in den Organisationskomitees für die Eisenbahn und die Industrieobligationen vertreten werden; 5. diejenigen Mitglieder der Organisationskomitees zu ernennen, die seitens der Repko zu stellen sind; 6. die Maßnahmen vorzubereiten, deren Durchführung das Gutachten der Repko übertragen hat (Telegramm des MinDir. Ruppel aus Paris vom 17. 4. in R 38 /225 , neu in R 3301 /2225 , Bl. 81-83; Abschrift des RFMin. in R 43 I /41 , Bl. 224; s. auch Schultheß 1924, S. 407).

Der Reichsminister des Auswärtigen stimmte den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen zu und meinte, man könne die Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten4 als Anlaß nehmen, die politischen Fragen anzuschneiden.

4

In einer Rede am 15. 4. hatte Poincaré u. a. ausgeführt: Der Plan der Sachverständigen sehe die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und fiskalischen Einheit Deutschlands vor; Frankreich werde sich aus dem Ruhrgebiet aber nur dann zurückziehen und seine Pfänder aufgeben, wenn Deutschland den Sachverständigenplan tatsächlich ausführe und wenn Frankreich die ihm zustehenden Zahlungen erhalte (Schultheß 1924, S. 221 f.).

Der Reichsarbeitsminister stimmte zu; jedenfalls sei es unmöglich, ohne die politischen Zusicherungen das Gutachten endgültig anzunehmen.

Der Reichswirtschaftsminister wies auf die Bedeutung, die das Gutachten im Wahlkampfe haben werde. Es sei beachtlich, daß die Reparationskommission streng zwischen den politischen und wirtschaftlichen Fragen unterscheide und sich nur für die letzteren als zuständig betrachte.

Der Reichsminister des Auswärtigen äußerte die Auffassung, daß eine sachliche Entscheidung im Augenblick nicht nötig sei, es handele sich lediglich um die Festlegung des weiteren modus procedendi.

Staatssekretär Joel meinte, es bestehe keine Veranlassung, im Anschluß an die Entscheidungen der Reparationskommission eine programmatische Erklärung der Reichsregierung ergehen zu lassen.

Nach einer weiteren ausführlichen Erörterung stellte der Vizekanzler fest, daß eine Pressekundgebung über die Haltung der Reichsregierung heute nicht erforderlich sei. In materieller Beziehung sei zu der ersten Aufforderung der Reparationskommission5 eine Antwort nicht nötig; zur zweiten6 könne[576] geantwortet werden, daß die deutschen Vertreter bei gegebener Zeit ernannt würden. Im übrigen solle der Kampf gegen die Interpretationsversuche Poincarés der deutschen Presse überlassen werden. Es sei erwünscht, daß die Minister sich über die Feiertage in Berlin aufhielten, damit sie jederzeit zu einer Besprechung zusammentreten könnten.

5

S. Punkt 4 a) der Note der Repko (Anm. 3).

6

S. Punkt 4 b) der Note der Repko (Anm. 3).

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