2.20.6 (ma11p): 6. Auflösung der Flüchtlingslager.

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6. Auflösung der Flüchtlingslager.

Ministerialdirektor Falck trug den Inhalt der Vorlage8 vor und teilte mit, daß es sich bei der Flüchtlingsfürsorge um 24 000 Flüchtlinge handle, die dem Reiche täglich 50 000 Goldmark kosteten.

8

Der vom RIM vorgelegte Entwurf einer VO über die Auflösung der Flüchtlingslager (6.12.23, R 43 I /1390 , Bl. 182-184) verpflichtet die Länder, die in Lagern untergebrachten Flüchtlinge bis zum 1.3.24 nach einem vom RR aufzustellenden Verteilungsplan zu übernehmen (§ 1). In der Begründung des Entwurfs wird u. a. ausgeführt: Angesichts der Finanznot des Reichs seien die mit der Unterhaltung der Lager verbundenen Kosten nicht länger tragbar. Auch mache sich bei den Lagerinsassen eine ständig wachsende Unzufriedenheit und Erregung bemerkbar, die in letzter Zeit wiederholt zu polizeilichem Einschreiten Anlaß gegeben habe. Schließlich könne es den Flüchtlingen, die um ihres Deutschtums willen von Haus und Hof vertrieben worden seien, nicht länger zugemutet werden, ein untätiges Barackenleben zu führen und die damit verbundenen Nachteile auf sich zu nehmen. Aus diesen Gründen sei die Auflösung der Flüchtlingslager dringend erforderlich. Bei den Vorverhandlungen habe sich die überwiegende Mehrzahl der Länderregierungen auf den Boden des Entwurfs gestellt; nur über die Zahl der von den einzelnen Ländern zu übernehmenden Flüchtlinge habe ein Einvernehmen nicht erzielt werden können.

[99] Ministerialdirektor Ritter erhob Bedenken dagegen, daß nach der Vorlage zur Unterbringung der Flüchtlinge Wohnungen auch dann in Anspruch genommen werden könnten, wenn vorher noch nicht alle Möglichkeiten zur anderweitigen Unterbringung, z. B. in Anstalten, Gasthöfen usw., erschöpft worden seien.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt die Bestimmungen über die Möglichkeiten zur Beschlagnahme von Räumen und Überlassung von Hausrat als zu weitgehend9. Dieses Verfahren grenze nahezu an Bolschewisierung. Es sei empfehlenswert, die Möglichkeit der Ansiedlung durch Kreditgewährung der Roggenrentenbank zu verfolgen.

9

Der § 5 der VO gibt den Gemeinden das Recht, zur vorläufigen Unterbringung der Flüchtlinge Räume jeder Art in Anspruch zu nehmen. Nach § 6 kann dies auch mit Hilfe polizeilichen Zwanges geschehen.

Ministerialdirektor Nobis glaubte, daß trotz der vorhergegangenen Verhandlungen mit den Ländern doch nicht alle Bedenken gegen die Vorlage ausgeräumt seien. Seitens der Länder sei gegen die Durchführung mit einem starken Widerstand zu rechnen.

Ministerialdirektor Falck teilte mit, daß sämtliche Länder sich auf den Standpunkt gestellt hätten, daß nur dieser Weg beschritten werden könne und müsse. Die Fürsorge für die Flüchtlinge den Ländern zu überlassen sei vor allem deshalb notwendig, weil die dazu zu treffenden Maßnahmen zur Zuständigkeit der Länder gehörten.

Der Reichsminister der Finanzen bat, es bei der Vorlage zu belassen. Der Vorschlag des Vertreters des Reichsarbeitsministers führe zu nichts und bedeute keine finanzielle Entlastung. Gegen eine unzweckmäßige Anwendung der Bestimmungen seien gewisse Vorsichtsmaßnahmen vorgesehen.

Der Reichskanzler schlug vor, in den Ausführungsbestimmungen den erwünscht erscheinenden Erfordernissen nach Milderung der Anwendungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen.

Der Reichsverkehrsminister schloß sich den Ausführungen des Reichsministers der Finanzen an.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett mit Ausnahme des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft mit der Vorlage einverstanden war10.

10

Die VO wird am 17.12.23 unverändert auf Grund des Ermächtigungsgesetzes erlassen (RGBl. I, S. 1202 ).

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