1.5.1 (ma32p): Postgebührenerhöhung.

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Postgebührenerhöhung.

Der Reichspostminister teilte mit, daß er durch den Ausfall der gestrigen Abstimmung des Reichstags über den sozialdemokratischen Antrag auf Aussetzung der Portogebührenerhöhung in eine unangenehme Situation gegenüber[786] dem Verwaltungsrat der Reichspost geraten sei1. Der Verwaltungsrat habe ohnehin keine große Neigung gehabt, der Erhöhung zuzustimmen. Nach dem gestrigen Ausfall der Abstimmung habe sich daher die Lage weiter verschärft, so daß er annehme, bei der morgen stattfindenden Sitzung des Verwaltungsrats eine neue Niederlage zu erleiden. Er habe bereits Fühlung mit dem preußischen Vertreter, Herrn Ministerialdirektor Nobis, aufgenommen, der ihm mitgeteilt habe, daß er seitens des preußischen Ministerpräsidenten den Auftrag erhalten hätte, für die Zurückziehung der Vorlage einzutreten. Würde der Zurückziehung stattgegeben, dann könnte er – der Reichspostminister – die Vorlage später, etwa nach 3 Monaten, erneut einbringen, und dann würde Preußen voraussichtlich keine Schwierigkeiten machen. Er beabsichtige so vorzugehen, erbitte aber zuvor die Entscheidung des Kabinetts. Rechtlich bestehe kein Zweifel, daß man den Beschluß des Reichstags negieren könne. Er möchte jedoch wegen der politischen Seite die Angelegenheit nicht auf die Spitze treiben. Er werde deshalb, falls das Kabinett zustimme, dem sozialdemokratischen Wunsche entsprechen und sich vorbehalten, später – vielleicht September/Oktober – erneut die Vorlage wieder einzubringen.

1

Am 15.6.27 hatte der RT über die geplante Erhöhung der Postgebühren debattiert, obwohl diese nach dem Reichspostfinanzgesetz in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats der RP fiel. Am Schluß der Debatte hatte der RT mit 175 gegen 173 Stimmen einen SPD-Antrag (RT-Bd. 416 , Drucks. Nr. 3423 ) angenommen, der den RPM ersuchte, seine Vorlage betr. Gebührenerhöhung im Verwaltungsrat der RP zurückzuziehen (RT-Bd. 393, S. 10860  ff.).

Der Reichskanzler erwiderte, daß es ihm sehr schwerfallen würde, einem derartigen Beschluß zuzustimmen, da das Kabinett doch seinerzeit die Portoerhöhung für durchaus notwendig gehalten habe2. Die Zurückziehung würde gleichbedeutend mit einem Rückzug der Regierung sein. Er neige deshalb der Meinung zu, daß es nicht Sache des Reichstags, sondern des Verwaltungsrat sei, über die Zurückziehung oder Inkraftsetzung der Vorlage zu beschließen. Sollte dagegen der Verwaltungsrat seine Zustimmung zur Zurückziehung der Vorlage geben, dann würde das Kabinett sich anschließen müssen.

2

Siehe Dok. Nr. 220, P. 3.

Der Reichswirtschaftsminister legte dar, daß er es als Wirtschaftsminister begrüßen würde, wenn es bei der beabsichtigten Vertagung bliebe, da die Portoerhöhung für die Wirtschaft eine gewisse Belastung darstelle. Er führte weiter aus, daß die Reichspostverwaltung vielleicht der Frage der Aufnahme einer Auslandsanleihe nähertreten könne, eventuell durch Ausgabe von Schatzscheinen, die im In- und Auslande untergebracht werden könnten. Auch der Reichsbankpräsident, mit dem er gestern abend gesprochen habe, hielt die Unterbringung von 150–200 Millionen für möglich. Vielleicht käme man über die Schwierigkeiten dadurch hinweg, daß man die Vorlage unter gleichzeitiger Einsetzung eines Ausschusses, der beraten solle, ob der Bedarf durch eine Auslandsanleihe gedeckt werden könne, vorläufig zurückziehe.

Der Reichsarbeitsminister erhob hiergegen Bedenken. Man könne doch eine Auslandsanleihe für ein Institut, das an sich gut sei, nicht aufnehmen, um damit laufende Ausgaben zu decken.

[787] Der Reichspostminister hielt diese Frage für eine rein haushaltsmäßige. Er könne jeden Tag eine Anleihe haben, aber es würde in der Öffentlichkeit nicht verstanden werden, wenn die Anleihe für die Beamtenbesoldung Verwendung finden würde.

Seines Erachtens könne eine Anleihe nur für Anlagewerte, aber nicht für fortlaufende Ausgaben, die durch laufende Einnahmen ersetzt werden müßten, in Frage kommen. Er möchte bei dieser Gelegenheit nochmals betonen, daß die Portoerhöhung kein Signal einer bevorstehenden Inflation sei3.

3

In einer Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien am 15. 6. hatte RPM Schätzel die Notwendigkeit einer Gebührenerhöhung folgendermaßen begründet: „Bei einem Betriebskapital [der RP] von etwa 2 Milliarden und einer Bruttojahreseinnahme von ungefähr der gleichen Höhe betrage die Schuld rund 300 Millionen Mark. Das Defizit sei in den Jahren 1925/26 im wesentlichen durch den 10-Pfennig-Brieftarif entstanden. Die Erhöhung der Gebühren sei lediglich die Anpassung an den allgemeinen Preisindex. Die Post habe eine Anleihe zur Deckung des Defizits geplant; diese sei aber auf dem Inlandsmarkt jetzt nicht zu erlangen. Gegen eine Auslandsanleihe habe er, ebenso wie das Kabinett, die schwersten Bedenken. Die Amerikaner böten ihm zwar dringend Geld zu günstigen Bedingungen an; es scheine ihm aber, als wenn Morgan dadurch die Hand auf die Post legen wolle. Bei der Erhöhung der Beamtengehälter würde die Post jährlich eine Mehraufwendung von 160 Millionen Mark machen müssen.“ (Vermerk Feßlers in R 43 I /2002 , Bl. 187–188).

Der Reichsarbeitsminister hatte gegen die Aufnahme einer Auslandsanleihe für die Post aus dem weiteren Grunde Bedenken, weil wir in nächster Zeit dazu übergehen müßten, an den Auslandsmarkt wegen Anleihen für Wohnungsbau, für Siedlungszwecke usw. heranzutreten. Er stellte die Frage zur Erörterung, ob man nicht nochmals in eine Revision der Vorlage eintreten könne, dergestalt, daß man eine Verminderung des Beamtenstandes vornehme, da ihm bekannt sei, daß bereits jetzt bei der Post wiederum Neueinstellungen erfolgen, obwohl die Post viele Wartegeldempfänger hätte, mit anderen Worten, ob die Post nicht wirtschaftlicher arbeiten könne und ob Reformen möglich seien. Er habe aus dem weiteren Grunde Bedenken, die Vorlage zurückzuziehen, weil man in der Öffentlichkeit dies als ein Geschenk an die Wirtschaft ansehen würde. Wir müßten deshalb an dem Plan festhalten, die Vorlage zu einem späteren Termin (etwa den 1. Oktober) wieder einzubringen.

Der Reichsverkehrsminister äußerte, daß innerhalb der Verkehrsgesellschaften der Post vorgeworfen werde, daß sie beispielsweise beim Kraftverkehr zu viel zusetze und daß sie ferner mit Beamten übersetzt sei.

Der Reichsminister der Finanzen trug ebenfalls seine Bedenken vor, die Vorlage auf Grund der Zufallsabstimmung im Reichstag beiseite zu legen.

Er halte es für weit schlimmer, die Vorlage nach 3 Monaten wieder einzubringen. Dann würde sie mit der Besoldungsreform in Verbindung gebracht werden. Wenn wir Ruhe haben wollten, dann müßte die Vorlage mit Abänderungen in einigen Nebensächlichkeiten durchgebracht werden.

Der Reichspostminister wendete hiergegen ein, daß er unbedingt bei den Maximaländerungen bestehen bleiben müsse [sic], um die erforderlichen 200 Millionen hereinzubringen. Die Post habe 25% des Beamtenkörpers abgebaut und sehe das als eine Höchstleistung an. Das Kraftfahrwesen verursache keine besonderen Ausgaben, es rentiere sich gut, und man müsse berücksichtigen, daß die Post mit der Einrichtung von Kraftfahrlinien auch eine Kulturaufgabe[788] löse. Er habe nicht vor, die Vorlage gänzlich zurückzuziehen, aber er habe den bestimmten Eindruck, daß es im gegenwärtigen Augenblick nicht möglich sei, ohne politischen Schaden zu verursachen, die Vorlage im Verwaltungsrat durchzubringen.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers führte aus, daß keine Regierungspartei annehme, daß die Vorlage zurückgezogen werden würde, da die Abstimmung im Reichstag lediglich auf eine Zufallsmehrheit zurückzuführen sei. Man solle sich doch vergegenwärtigen, daß die Post durch die Nichtinkraftsetzung der Portoerhöhung am 1. Juli bis zum 1. Oktober einen Verlust von 60 bis 75 Millionen trage. Durch die Zurückziehung der Vorlage werde die Lage der Regierungsparteien überaus erschwert. Die Opposition werde den Regierungsparteien in der ohnehin hochgespannten Situation die Durchbringung anderer Gesetzesvorlagen erschweren. Er werfe die Frage auf, was ein größerer Vorzug sei, die Vorlage aufrechtzuerhalten oder sie abzuändern. Er neige zu der Annahme, daß die Vorlage mit einigen Änderungen im Verwaltungsrat zur Annahme gelangen würde, man müßte die Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei des Verwaltungsrats vor der Abstimmung festlegen.

Der Reichsarbeitsminister schloß sich dieser Auffassung an und brachte in Vorschlag, daß man nicht sagen solle, die Vorlage würde vertagt, sondern man müsse sagen, auf die Erhöhung könne nicht verzichtet werden, aber auf den Beschluß des Reichstags solle eine veränderte Vorlage in absehbarer Zeit eingebracht werden.

Der Reichskanzler schloß sich diesem Vorschlage an, und das Kabinett stimmte ihm zu4.

4

Zum Fortgang der Kabinettsberatung siehe Dok. Nr. 248, P. 5 und Dok. Nr. 253, P. 3.

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