1.90.5 (ma32p): 5. Reparationspolitik.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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Text

RTF

[1041]5. Reparationspolitik.

Bei Beginn der Ministerbesprechung stellte sich heraus, daß die in der Ministerbesprechung am 2. November12 in Aussicht genommenen Vorarbeiten für die Fertigstellung eines einheitlichen Entwurfs für die Antwort auf das Memorandum des Reparationsagenten noch nicht abgeschlossen waren. Bei den Vorerörterungen der Ressorts waren noch mancherlei grundsätzliche Differenzpunkte offengeblieben. Das Kabinett hielt es im Einvernehmen mit den in erster Linie beteiligten Ressorts für richtiger, daß vor Beginn der Beratungen des Gesamtkabinetts die gesonderten Verhandlungen der mit der Fertigung des Entwurfs befaßten Ressorts fortgeführt werden sollten. Dementsprechend wurde diese Spezialarbeit unter Beteiligung der Reichsminister Köhler, Curtius und Schiele im kleinsten Kreise außerhalb der Ministerbesprechung sofort in Angriff genommen und während der Beratung der übrigen Punkte der Tagesordnung zu Ende geführt.

12

Siehe Dok. Nr. 331.

Zu dem daraufhin dem Gesamtkabinett vorgelegten fertigen Entwurf der Denkschrift berichtete der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister und dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, daß zwischen ihnen eine Einigung auf der ganzen Linie erfolgt sei und daß vom Kabinett zu erledigende Differenzpunkte nicht mehr vorhanden seien.

Der Reichskanzler schlug unter diesen Umständen vor, von einer Verlesung des Gesamtentwurfs Abstand zu nehmen, zumal da die Grundgedanken der einzelnen Teile aus deren Verlesung in der Ministerbesprechung vom 2. November 1927 den Mitgliedern des Kabinetts bekannt seien.

Der Reichsarbeitsminister der an der Ministerbesprechung vom 2. November 1927 nicht hatte teilnehmen können, äußerte hiergegen Bedenken, weil er ohne weiteres nicht übersehen könne, ob die Interessen seines Ressorts in der deutschen Denkschrift in dem ihm erforderlich erscheinenden Maße gewahrt seien. Er erklärte, daß er insbesondere Wert darauf lege, daß gegenüber den Ausführungen des Reparationsagenten der Gedanke zum Ausdruck gebracht werde, daß der Dawes-Plan der deutschen Bevölkerung die Erreichung eines normalen Lebensstandards zugestehe und daß zur Erreichung dieses Zieles nach deutscher Auffassung unbestreitbar die Wiederaufrichtung der deutschen Sozialpolitik erforderlich gewesen sei, so daß die Aufwendungen des Reichs für soziale Zwecke sich durchaus mit den Absichten des Dawes-Plans im Einklang befänden.

Um den Wünschen des Reichsarbeitsministers entgegenzukommen, wurde darauf der wirtschaftspolitische Teil der Denkschrift zur Verlesung gebracht.[1042] Dem Reichsarbeitsminister wurde auf seinen Wunsch auch zugestanden, daß ihm noch am Vormittag des 4. November ein Korrekturbogen des wirtschaftspolitischen Teiles der Denkschrift zugehen solle, damit er Gelegenheit habe, kurze Einfügungen über die Sozialpolitik zu machen.

Ministerialdirektor Ritter gab im Auftrage des inzwischen aus der Sitzung abberufenen Reichsministers Dr. Stresemann bekannt, daß der Reparationsagent dem Reichsaußenminister im Laufe des Tages noch besondere Anregungen für den Wortlaut der deutschen Gegenerklärung übermittelt habe.

Erstens habe er angeregt, an gegebener Stelle einfließen zu lassen, daß die deutsche Ausfuhr durch Hemmnisse im Ausland, z. B. durch Einfuhrverbote und Zölle allzusehr gehemmt sei;

zweitens habe er die Vorbereitung eines Auszuges für die Auslandspresse für erwünscht erklärt;

drittens habe er sich vorbehalten, auf die deutsche Denkschrift eine Replik zu veröffentlichen, falls die deutsche Denkschrift besonders polemisch ausfallen sollte.

Das Kabinett war damit einverstanden, daß diesen Anregungen in der Denkschrift, soweit es nicht bereits geschehen war, noch besonders Rechnung getragen werden solle, und erklärte sich im übrigen damit einverstanden, daß die weiteren Schritte zur rechtzeitigen Fertigstellung und Veröffentlichung der Denkschrift dem federführenden Reichsfinanzministerium zu überlassen seien13.

13

Mit Begleitschreiben vom 5.11.27 übermittelte der RFM dem Reparationsagenten die Antwort der RReg. auf das Memorandum des Reparationsagenten vom 20. 10. Am 6. 11. wurde das Memorandum des Reparationsagenten zusammen mit der Antwort der RReg. durch WTB (R 43 I /276 , Bl. 150–162) und in der Tagespresse (u. a. in DAZ Nr. 519/520 vom 6. 11.) veröffentlicht; Nachweis weiterer Druckorte in Anm. 2 zu Dok. Nr. 324. Siehe hierzu: ADAP, Serie B, Bd. VII, Dok. Nr. 78, 81, 82, 93 und 100.

[Anlage 1 zu Punkt 1 der Ministerbesprechung vom 3. November 192714]

14

Diese Anlage enthält den Text einer Erklärung, die von REM Schiele bei der Beratung über P. 1 der Ministerbesprechung („Handelsvertragsverhandlungen mit Polen“) abgegeben wurde.

R 43 I /1425 , Bl. 17–18

Die Einfuhr von Schweinefleisch aus Polen ist für Deutschland aus wirtschaftlichen sowie veterinärpolizeilichen Gründen schädlich und im Hinblick darauf, daß die deutsche Landwirtschaft den Bedarf an Schweinefleisch vollkommen deckt, auch für die Volksernährung nicht erforderlich.

Wenn trotzdem ein Zugeständnis auf dem Gebiet der Schweinefleischeinfuhr gemacht werden soll, damit ein Handelsvertrag mit Polen zustande kommt, so muß die mit dieser Einfuhr verbundene Gefahr durch Kontingentierung begrenzt und durch die Einfuhr in deutsche Fleischwarenfabriken gebunden werden. Als Maßstab für die Kontingentierung dient die im Jahre 1913 aus Rußland nach Deutschland eingeführte Schweinemenge. Ein besonderes Einfuhrkontingent nach Oberschlesien kommt deshalb nicht in Frage, weil die schlesische[1043] Landwirtschaft den Bedarf des westoberschlesischen Industriebezirks vielfach deckt.

Die Schweinefleischeinfuhr kann nach Wahl Polens dadurch erhöht werden, daß die Einfuhr im Veredelungsverkehr erfolgt, da in diesem Falle nur die bei der Bearbeitung zurückbleibenden Teile in Höhe von 30–40% in Deutschland verbleiben, der Rest mit 60–70% der Einfuhrmenge wieder ausgeführt wird. Falls ein definitiver Vertrag jetzt nicht in Frage kommt und Gegenstand der Verhandlungen ein Modus vivendi bildet, so würde das Ausmaß des Kontingents von dem Ausmaß der polnischen Zugeständnisse auf industriellem Gebiet bestimmt werden müssen.

Nur wenn die deutsche Industrie bei dem Modus vivendi sich als vollkommen befriedigt erklärt, ist das Höchstausmaß des Schweinefleischeinfuhr-Kontingents zugrunde zu legen.

Die aus dieser Regelung für die Landwirtschaft zu erwartenden Lasten werden insbesondere die Provinz Ostpreußen treffen. Infolgedessen müssen Maßnahmen vorgesehen werden, die einerseits die Absatzmöglichkeiten der deutschen Landwirtschaft nach dem Auslande, wie andererseits die besonders benachteiligten Absatzmöglichkeiten Ostpreußens nach dem Reich in ähnlicher Weise erleichtern, wie es hier für Polen vorgesehen wird.

Bei allen diesen Erwägungen wird von der selbstverständlichen Voraussetzung ausgegangen, daß die Reichsregierung dafür Sorge trägt, daß das Ergebnis der Verhandlungen über rein wirtschaftliche Fragen nicht eher unterzeichnet wird, bevor die zwischen geordneten Rechtsstaaten üblichen, bisher unzulänglich geregelten Bestimmungen des allgemeinen Teiles der Handelsverträge, insbesondere also die Fragen des Aufenthaltes, der Niederlassung, des Rechtes an Vermögen und Grundeigentum in einer für Deutschland zufriedenstellenden Weise geordnet sind.

[Anlage 2 zu Punkt 1 der Ministerbesprechung vom 3. November 192715]

15

Die folgende Niederschrift, die inhaltlich auf die in Anlage 1 wiedergegebene Erklärung des REM Bezug nimmt, trägt am Kopf den hschr. Vermerk MinDir. Ritters (AA) vom 5. 11.: „Ich bitte diesen Passus in das Protokoll aufzunehmen.“ Gemäß Verfügung MinR Feßlers vom 7. 11. wurde die Niederschrift als Anlage 2 zu P. 1 des Protokolls der Ministerbesprechung vom 3.11.27 genommen.

R 43 I /1425 , Bl. 19–20

Reichsminister Stresemann weist darauf hin, daß die Gewährung eines Mengenkontingents die notwendige Folge habe, daß wir den Ländern, mit denen wir im Meistbegünstigungsverhältnis stehen, automatisch entsprechende Kontingente geben müssen. Der Herr Reichsminister Schiele habe sich in einer Vorbesprechung mit dieser Auffassung einverstanden erklärt. Er bäte, daß diese Zustimmung im Protokoll festgehalten wird. Ministerialdirektor Ritter teilt im Anschluß daran mit, daß diese Frage in der Rechtsabteilung des AA geprüft worden sei und daß danach kein Zweifel daran bestehen könne, daß die Meistbegünstigung[1044] die von dem Herrn Reichsminister Stresemann bezeichnete Folge habe. Zwar werde international vereinzelt auch die Auffassung vertreten, daß die Meistbegünstigung nicht ohne weiteres einen Anspruch auf die gleiche Menge, sondern nur auf eine entsprechend abgestufte Menge gebe. Die weitaus überwiegende Meinung sei jedoch, daß jedes meistbegünstigte Land einen Anspruch auf das gleiche Kontingent habe, und insbesondere habe Deutschland diese Auffassung bisher vertreten. Wir würden uns also in Gegensatz zu unserer eigenen Auffassung setzen und dadurch sicher in schwierige Verhandlungen mit einer ganzen Anzahl von Ländern kommen. Ministerialdirektor Posse bestätigt, daß Deutschland bisher die weitergehende Auffassung vertreten hat.

Reichsminister Dr. Schiele erklärt darauf, daß das R[eichsministerium] f[ür] E[rnährung] u[nd] L[andwirtschaft] sich der notwendigen Konsequenzen aus der Meistbegünstigung bewußt und bereit sei, sie auf sich zu nehmen; allerdings mit der Einschränkung, daß die meistbegünstigten Länder keinen Anspruch auf das gleiche Mengenkontingent, sondern nur auf ein entsprechend abgestuftes Kontingent haben. Über einen entsprechenden Verhältnisschlüssel (eigene Produktion, eigener Bedarf, Überschuß) werde man sich mit den betreffenden Ländern zu verständigen haben.

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