2.138 (mu11p): Nr. 138 Bericht über eine geheime Organisation im Reich. 12. Juni 1920

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[333] Nr. 138
Bericht über eine geheime Organisation im Reich. 12. Juni 19201

1

Der StKom. übersandte am 13. 6. diesen Bericht eines Angestellten seiner Dienststelle, den er „mit der Untersuchung der Vorgänge in der Gegend von Kottbus beauftragt hatte, wo angeblich eine systematische Bewaffnung der Bauernschaft stattfindet.“ Den üblichen Lageberichten waren diese Angaben aus der Sorge heraus nicht beigefügt worden, „daß ein Bekanntwerden der Angelegenheit innen- und außenpolitisch bedenkliche Folgen haben könnte. – Den Folgerungen, die der Berichterstatter seiner Meldung anfügt, schließe ich mich im allgemeinen an“ (R 43 I /2729 , Bl. 161).

R 43 I /2729 , Bl. 162-164

Mit der Untersuchung der Vorgänge in Kottbus beauftragt, bin ich auf eine Organisation gestoßen, die, von Bayern ausgehend, sich über das ganze Reich erstreckt und bisher streng geheim gehalten wurde. Nunmehr scheinen die Führer dieser Organisation allerdings an die Regierung herantreten zu wollen, um sich ihr für den Fall eines Linksputsches zur Verfügung zu stellen. Die Organisation bezweckt den Selbstschutz der Bauern und Gutsbesitzer gegen kommunistische Überfälle. Sie ist anscheinend vollkommen durchgeführt und verfügt über achtungsgebietende Machtmittel. Einer der Führer, Herr von Natzmer auf Gahry, hat mir in vertraulicher Rücksprache die Richtigkeit meiner Informationen bestätigt. Er betonte dabei ausdrücklich, daß die Organisation jede irgendwie verfassungswidrige Aktion ablehne und keinerlei offensiven Charakter trage. Es handelt sich in der Tat anscheinend nur um eine Umbildung der früheren Einwohnerwehr nach dem Muster der jetzt in Bayern bestehenden Bürger- und Bauernwehr.

Im einzelnen ist folgendes zu berichten: Die Seele der ganzen Aktion ist der Chef der bayerischen Einwohnerwehr, Forstrat Escherich, Adresse Herzog Maxburg, München. Nach dem Muster in Bayern sind das flache Land im Reich und teilweise auch die Städte systematisch organisiert worden. Jede Provinz etc. hat ihren Führer, der für die Beschaffung von Waffen und deren planmäßige Verteilung an Kleinbauern und Bürger gesorgt hat. Dort, wo die Einwohnerwehr von früher unangetastet stehen geblieben war wie in der West- und Ostpriegnitz, wo die Bauern ungefähr über 5000 Gewehre verfügen, ist nichts geändert, sondern nur enge Fühlung aufgenommen worden. Die ganze Organisation ist unter dem Namen „Notwehr“ zusammengeschlossen.

Durch diese Entdeckung wird für mich der Schlußstein in das Bild eingefügt, dessen Mosaik ich an anderen Provinzen, wie z. B. Pommern, nur einstweilen noch undeutlich gefunden hatte. Bei den dortigen Untersuchungen war in den Aussagen und Angaben der beteiligten Kreise ein Rest von Unklarheit geblieben, der sich jetzt aufklärt. Herr von Natzmer will, nachdem er weiß, daß ich von der ganzen Aktion Kenntnis erhalten habe, mit dem Führer der Provinz Brandenburg am 14. ds. Mts. nach Berlin kommen, um zunächst inoffiziell Fühlung mit der Regierung anzustreben und sich über ihre Haltung zu der ganzen Angelegenheit zu unterrichten2. In einer demnächst stattfindenden Beratung[334] in Bayern soll beschlossen werden, inoffiziell an die Regierung heranzutreten. Man hegt dabei die Befürchtung, daß die Regierung auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten vom 30. Mai mit Gewalt gegen einen der Führer einschreiten könnte3. Das würde allerdings nicht unbedenklich sein, weil ein solches Eingreifen die Erhebung der gesamten gutgläubigen Bauernschaft zur Folge haben könnte, die durch Handschlag gebunden und geschlossen hinter den Führern zu stehen scheint. Auf der anderen Seite kann die Organisation eine nicht zu unterschätzende Machtzuwachs der Regierung bei der Verteidigung der Verfassung gegen linksradikale Umsturzversuche bilden.

2

Am Rand von der Hand Wevers: „Ist das geschehen?“

3

S. RGBl. 1920 S. 1147 . Durch diese VO wurde der Widerstand gegen die Auflösung militärischer und paramilitärischer Verbände ebenso unter Strafe gestellt wie die Neubildung militärischer und polizeilicher Organisationen.

Es scheint für den Fall kommunistischer Gewaltakte ein ganz bestimmter Plan zu bestehen. So soll z. B. angeblich Hamburg aufgegeben werden, während Berlin zum Kampf gut vorbereitet sei. Bei einem Generalstreik scheint die Parole ausgegeben werden zu sollen, sofort mit einem Generalstreik der Landwirtschaft zu antworten. Wenn dann die Arbeiterschaft in den Städten sich zu gewaltsamer Einholung von Lebensmitteln vom Lande entschließen sollte, würde sie auf energischen bewaffneten Widerstand der Bauern stoßen.

Allem Anschein nach ist der Versicherung, daß die Organisation rein defensiven Charakter trägt und keinerlei gegen Verfassung und Regierung gerichtete Pläne hegt, Glauben zu schenken. Trotzdem ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß irgend ein Hitzkopf mit dem Alarmruf einer kommunistischen Bedrohung den Stein ins Rollen bringt und damit eine Lawine entfesselt, die in einer Richtung abrollen könnte, welche ursprünglich nicht beabsichtigt war. Dieser Gefahr wäre zu begegnen, wenn man sofort mit der Organisation inoffiziell Fühlung aufnehmen und sie dadurch unter eine gewisse Kontrolle stellen würde. Die Regierung könnte wohl nur inoffiziös und stillschweigend von der Organisation Kenntnis nehmen und sie dann überwachen lassen, um nicht etwa der Entente gegenüber in eine schiefe Stellung zu geraten, falls etwas an die Öffentlichkeit dringen und damit der Eindruck erweckt werden sollte, daß es sich um eine Umgehung der Auflösung der Einwohnerwehren handele4.

4

Der RK bemerkte hierzu handschriftlich: „Auf Grund des Friedensvertrages und der verlangten Auflösung solcher Wehren kann die Regierung solchen Organisationen gegenüber keine wohlwollende Haltung einnehmen.“ – Weitere Berichte über die Orgesch aus der gleichen Quelle befinden sich in P 135/5626.

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