1.98.1 (str2p): 1. Ruhrindustrie.

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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 2Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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1. Ruhrindustrie2.

2

Der TOP ist abgedruckt bei H. Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 380 f.

Der Reichskanzler eröffnet die Sitzung.

Der Reichsminister der Finanzen erstattete Bericht über die bisherigen Verhandlungen mit Herrn Stinnes3 und legte eine Formulierung des Antrages sowie der von ihm vorgeschlagenen Beantwortung vor4. Er wies insbesondere auf die Unterschiede hin, die zwischen den jetzigen Forderungen und denen im ersten Bericht der Sechserkommission erwähnten bestünden5. Der Grund für die Erweiterung der französischen Ansprüche sei nach Auffassung der Kommission in den verschiedenen Sonderabmachungen einzelner Industriegruppen zu suchen, bei denen weitgehende Zugeständnisse an die Besatzungsmächte gemacht worden seien6.

3

S. Dok. Nr. 208.

4

S. Dok. Nr. 213 mit Anmerkungen.

5

S. Dok. Nr. 182.

6

S. hierzu Anm. 2 zu Dok. Nr. 208.

Es erscheine erforderlich, falls man der Vereinbarung zustimme, zwei weitere Momente darin zu berücksichtigen, einmal die Kohlenlieferungen an Italien, die aus außenpolitischen Gründen nicht in dem Augenblick eingestellt werden könnte, wo Lieferungen an Frankreich und Belgien aufgenommen würden7, und sodann die Frage des Abtransports der Reparationskohle. Er schlage eine Formulierung der Antwort vor, welche die Entschließung der italienischen Lieferungen und die vorschußweise Übernahme der Transporte[934] durch die deutsche Binnenschiffahrt in ähnlichem Sinne, wie die Lieferung der Kohle durch den „Bergbaulichen Verein“, vorsehe.

7

S. Anm. 6 zu Dok. Nr. 173.

Hinsichtlich der italienischen Lieferungen halte er nach Rücksprache mit Herrn Stinnes eine Übernahme derselben im Rahmen der jetzigen vorliegenden Vereinbarung für möglich; was die Transportfrage anbelange, so hätten die davon betroffenen rheinischen Reedereien bereits einen Vorschlag unterbreitet, der eine Verpfändung der betroffenen Fahrzeuge an holländische Finanzgruppen vorsehe, den er jedoch nicht für politisch empfehlenswert halte. Er schlage daher die in dem Entwurf vorgesehene Regelung vor8.

8

S. dazu die dritte Bedingung in Dok. Nr. 213.

Was die Stellungnahme zu dem Antrage des „Bergbaulichen Vereins“ anbelange, so sei allerdings die Finanzlage des Reichs derart, daß die Übernahme irgendwelcher Verpflichtungen, wie hier in Frage kommend, grundsätzlich vollkommen ausgeschlossen sei. Andererseits sei zu erwägen, daß bei einem Scheitern der jetzigen Verhandlungen die dadurch bedingte Erwerbslosigkeit solche Anforderungen an die Reichskasse stellen würde, daß eine noch erheblichere unmittelbare Belastung entstehen würde9. Aus dieser Erwägung sowie unter dem Vorbehalt, daß der grundsätzlichen Einstellung der Reichspolitik zur Reparationsfrage in keiner Weise vorgegriffen werde, glaube er der Vereinbarung zustimmen zu sollen.

9

Zur Situation der Erwerbslosen s. Dok. Nr. 227, P. 79.

Der Reichsverkehrsminister teilte mit, daß die Franzosen neuerdings sämtliche in Essen für die Reichsbahn hergestellten Lokomotiven und Eisenbahnwagen beschlagnahmt hätten. Unter diesen Umständen habe er wenig Vertrauen zum guten Willen der Besatzungsmächte. Immerhin halte er es im Interesse der notleidenden Bevölkerung für notwendig, zumindest eine Verständigung zu suchen. Er werde daher der Anregung der Sechserkommission entsprechen und Verhandlungen mit der Regieverwaltung über den Abtransport der Eisenbahnkohle einleiten10.

10

Zum frz. Waggonbedarf im besetzten Gebiet s. Anm. 21 zu Dok. Nr. 183.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er nach wie vor der Vereinbarung aus den bereits bei den bisherigen Besprechungen ausführlich dargelegten Gründen seine Zustimmung versagen müsse11.

11

Der RArbM bezieht sich auf seine Ausführungen in Dok. Nr. 208.

Der Reichskanzler bat, dem Antrage zuzustimmen: aus innerpolitischen Gründen, da die Reichsregierung durch die Aufforderung zum passiven Widerstand12 das besetzte Gebiet in die jetzige Lage gebracht habe und mithin moralisch verantwortlich sei, nach Möglichkeit zu einer Rückkehr zur normalen Wirtschaft Hilfe zu leisten. Ferner erfordere die gegenwärtige außenpolitische Lage auf das dringendste die Vermeidung jeglichen Bruches mit der Bevölkerung der besetzten Gebiete. Die aus London und Washington eingetroffenen Nachrichten gäben zu erkennen, daß eine starke Aktion zur Herbeiführung einer Lösung der Reparationsfrage im Gange sei13. Hierbei sei insbesondere von englischer Seite zum Ausdruck gekommen, daß die Reichsregierung für[935] die bevorstehenden Verhandlungen möglichst gefestigt dastehen müsse und die ganze Bevölkerung, in erster Linie die Bevölkerung des besetzten Gebietes, hinter sich haben muß. Der Kampf um das besetzte Gebiet habe jetzt seinen Höhepunkt erreicht, und jeder Schritt, welcher einer Derelinquiring des Gebiets und der Bevölkerung durch das Reich gleichkomme, würde einen verhängnisvollen politischen Fehler darstellen.

12

S. dazu Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 37.

13

S. Anm. 14 zu Dok. Nr. 189.

Allerdings müsse man bei einer Zustimmung zu dem Vertrage mit aller Klarheit betonen, daß diese Entschließung lediglich aus Rücksicht für die notleidende Bevölkerung erfolge, daß die Zustimmung zu der Vereinbarung keinerlei Anerkennung der Rechtmäßigkeit der französischen Forderung bedeute, und daß insbesondere, wie bereits vom Reichsfinanzminister vorgeschlagen, der Reparationsfrage in keiner Weise vorgegriffen werde.

Der Reichsminister für Wiederaufbau bemängelte, daß er an den bisherigen Erörterungen der Angelegenheit nicht beteiligt gewesen und infolgedessen nicht genügend sachlich unterrichtet sei14.

14

An der Besprechung mit Stinnes hatte kein sozialdemokratisches Kabinettsmitglied teilgenommen.

Der Reichsminister des Innern bat, die Stellungnahme der sozialdemokratischen Mitglieder des Kabinetts zu dem Antrage als Stimmenthaltung zu betrachten.

Der Reichspostminister erklärte, daß er dem Antrage zustimme.

Der Reichsminister der Finanzen schlug vor, die Redaktion des Antwortschreibens an Herrn Stinnes einem Ausschuß zu übertragen, in dem die Reichskanzlei, das Reichsfinanzministerium, das Reichswirtschaftsministerium und das Reichsministerium für Wiederaufbau vertreten seien.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Reichsministerium dem Antrage der Sechserkommission zustimme und die Formulierung des Antwortschreibens dem vom Reichsfinanzminister vorgeschlagenen Ausschuß übertrage15.

15

S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 213.

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