1.63 (str2p): Nr. 177 Bezirkssekretär Heinrich Meyer an den Vorstand des ADGB, Düsseldorf, 25. Oktober 1923

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[757] Nr. 177
Bezirkssekretär Heinrich Meyer an den Vorstand des ADGB, Düsseldorf, 25. Oktober 1923

R 43 I /453 , Bl. 144–146 Durchschrift1

1

Meyer übersandte die Durchschrift an den RK mit Bezugnahme auf die Unterredung in Hagen am 25.10.23. Weitere Exemplare erhielten der RIM, der RMbesGeb. und der PrIM (R 43 I /453 , Bl. 143).

[Betrifft: Gewerkschaftsverhandlungen mit der Micum.]

Werte Kollegen! Am Mittwoch den 24. Oktober 23 hat die schon angekündigte Konferenz der Führer der Bergarbeiterverbände mit dem General Degoutte in Düsseldorf stattgefunden2. Für diese Besprechung mußte ein Programm vorher schriftlich eingereicht werden. Dieses Programm habe ich Euch vor einigen Tagen schon übermittelt3. Bei Eröffnung der Konferenz erklärte der General sofort, daß über alle Fragen von politischer Bedeutung nicht gesprochen werden könne, weil dies Angelegenheiten seien, die zwischen Paris und Berlin erledigt werden müssen. Die meisten in den Dispositionen aufgestellten Fragen seien politischer Art und müssen deshalb aus der Besprechung ausscheiden. Wir haben dann darauf hingewiesen, daß jetzt schon Feierschichten im Bergbau eingelegt worden sind und das in der nächsten Zeit Arbeiterentlassungen in aller größtem Umfang im Bergbau erfolgen würden, weil die Zechen fast keine Möglichkeit haben, die Kohlen abzusetzen4. Die Eisenbahn sei nicht im Betrieb und bisher hat sich gezeigt, daß die Regie mit der Inbetriebnahme der Eisenbahn sehr langsam voran komme. Wir machten deshalb den Vorschlag, daß die deutschen Dienststellen den Betrieb der Eisenbahn in vollem Umfange übernehmen, die Besatzungsbehörde müßte alle Forderungen, Wünsche und Befehle diesen deutschen Dienststellen übermitteln auch die Ausführung dieser Befehle überwachen aber in den technischen Betrieb nicht eingreifen5. Der General entgegnete, daß die französische Regie wohl in der Lage sei, den Betrieb wieder in Gang zu bringen. Es seien bisher schon 8000 Eisenbahner eingestellt und er erklärte, daß innerhalb drei Wochen die große Mehrzahl der Eisenbahner, er sprach von 90 000 Mann, eingestellt sein würden. Mit der Steigerung der Produktion im Bergbau werde auch die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn sich steigern;[758] er müsse auch von den Arbeitern verlangen, ihren Einfluß dahingehend geltend zu machen, daß die im Ruhrgebiet fehlenden Waggons von der deutschen Reichsbahn in das Gebiet geliefert würden6, nach den Feststellungen der Regie fehlen im Ruhrgebiet 30 000 ungedeckte Waggons zum Transport von Kohlen, es liege also nicht an der Regie, wenn die geförderten Kohlen nicht abgefahren werden können. Jede einzelne Zeche, die die Bedingungen der Industriekommission anerkennen, können [!] Kohlen abfahren, und wenn wir praktische Vorschläge machen könnten, welche Strecken für den Transport für Kohlen am notwendigsten seien, dann würde mit der größten Beschleunigung diese Strecken in Betrieb gesetzt werden. Wir frugen nach den Bedingungen, die den Zechen gestellt worden seien, der General will angeblich diese Bedingungen nicht kennen7. Wir haben deshalb selbst die Bedingungen angeführt, die nach unserer Ansicht gestellt worden sein; Bezahlung der rückständigen und laufenden Kohlensteuer, Lieferung der Reparationskohlen. Obgleich der General das Bestreben hatte die Besprechung dieser Einzelheiten zu verhindern, sind wir doch immer wieder darauf zurückgekommen und haben gesagt, daß es unmöglich sei, die Förderung von Kohlen unter solchen Bedingungen aufzunehmen, weil der Preis der Kohlen durch diese französische Bedingungen um 50% verteuert wurde. Der General machte darauf aufmerksam, daß die Industriellen dieselbe Rechnung aufgemacht hätten und wir deshalb genau dasselbe anführen, was die Industriellen schon vorgebracht hätten, er müsse deshalb auch uns dieselbe Antwort geben und diese bestehe darin, daß die Industriellen nicht in allen Einzelheiten einen richtigen Bericht über die erfolgten Verhandlungen und über die Lage des Bergbaues gegeben hätten. Daraus haben wir dann die Folgerung gezogen, daß es notwendig sei, uns selbst Gelegenheit zu geben, uns über den Verlauf der Verhandlungen zu informieren, indem wir selbst bei diesen Verhandlungen zugegen sind. Der General lehnt jedoch gemeinsame Verhandlungen mit Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. Mit dem Arbeiter werde nur über Arbeiterfragen verhandelt und mit dem Unternehmer Unternehmerangelegenheiten, er und die französischen Behörden seien aus sich heraus schon mit Nachdruck bestrebt, auf die Interessen der Arbeiter alle möglichen Rücksichten zu nehmen8, denn er sei auch Demokrat. Wir haben darauf hingewiesen, daß die Wirtschaft des Industriegebietes sich nicht in enge Fesseln schlagen ließe, und sei es deshalb notwendig, die freie Entfaltung der Industrie zu ermöglichen. Der Vorschlag des Generals, daß jede einzelne Zeche mit der Besatzungsbehörde und mit der Regie einzeln verhandle über Produktion und Transportmöglichkeiten sei undurchführbar9 und würde Not und Elend, besonders für die Arbeiter zur Folge haben. Wir richteten an den General die Frage, was er tun würde, wenn durch den Hunger Verzweiflungsausbrüche erfolgen, darauf antwortete er, daß Anweisung gegeben sei, in allen Orten Wirtschaftsräte einzurichten und, diese Wirtschaftsräte haben die Aufgabe, die Bevölkerung[759] vor Hunger zu bewahren. Diese Wirtschaftsräte müßten praktische Vorschläge nach der Richtung ausarbeiten und an die Besatzungsbehörde weiterleiten. Es sei auch kaum zu befürchten, daß die Bevölkerung nicht mit genügend Lebensmittel versorgt werden könne, denn die Zahl der Waggons mit Lebensmitteln, die ins Ruhrgebiet eingeführt wurden, seien nach einer französischen Statistik um ein ganz Bedeutendes gestiegen. Die Besatzungsbehörde sei auch weiter bestrebt alle anrollenden Lebensmittelsendungen so schnell wie möglich ins Gebiet hereinzubringen, sie würden eventuell auch Kraftautos zum Transport der Lebensmittel zur Verfügung stellen. Über die Bezahlung der rückständigen Kohlensteuer und die Lieferungen der Reparationskohlen sprach sich der General in folgendem Sinne aus: Unsere Annahme, daß die gesamte rückständige Kohlensteuer erst bezahlt werden müsse, bevor Kohlen abgefahren werden können, sei unrichtig, die Industriekommission würde die Verhältnisse der einzelnen Zechen genau untersuchen und nach dem Resultat dieser Untersuchung würde die Industriekommission bestimmen, wieviel Kohlensteuer von den 70 einzelnen Zechen bezahlt werden soll und wann dieselbe bezahlt werden soll, ebenso würde auch die Lieferung der Reparationskohlen von der Industriekommission nach Untersuchung der einzelnen Betriebe festgesetzt werden10.

2

Eine Vorverhandlung zwischen den Franzosen und den Bergarbeiter-Verbänden über die Wiederaufnahme der Arbeit in den Zechen des besetzten Gebiets hatte schon am 29.9.23 stattgefunden. In ihr hatte der Vorsitzende des Bergarbeiterverbandes Husemann erklärt, „daß ohne Rücknahme der Ausweisungen aller betroffenen Bergbauangehörigen eine glatte Wiederaufnahme der Arbeit unter Mitwirkung der Bergarbeiter-Verbände unmöglich sei.“ Trotz Zurückhaltung der frz. Gesprächspartner bestand auf dt. Seite die Ansicht, daß eine Rückkehr aller ausgewiesenen Bergleute in Aussicht steht (Der Beauftragte des RArbM für ausgewiesene Bergleute, 2.10.23; R 43 I /222  b, Bl. 156). Für die bei H. Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 154 ff. wiedergegebene Unterredung des Bergarbeiter-Verbandes mit frz. Vertretern in Bochum am 27. 9. fanden sich in R 43 I keinerlei Hinweise; vgl. dazu auch die Anm. P. Wentzckes, Ruhrkampf II, S. 457 zu S. 193.

3

Das Programm konnte in R 43 I nicht ermittelt werden.

4

S. Anm. 9 zu Dok. Nr. 162.

5

Zur Lage des Eisenbahnverkehrs s. den Bericht des RVM in Dok. Nr. 156.

6

Zur Forderung der Franzosen auf Gestellung von Eisenbahnwaggons s. Dok. Nr. 183, P. 9; Dok. Nr. 212, P. 1.

7

S. Anm. 15 zu Dok. Nr. 111, Dok. Nr. 146 u. 162.

8

S. dazu die Äußerungen Degouttes zum Achtstundentag am 5.10.23 (Dok. Nr. 111).

9

Vgl. Anm. 5 zur Verhandlung in Düsseldorf 17.10.23.

10

Vgl. hierzu den Schriftwechsel Stinnes–Stresemann vom 20./21.10.23 (Dok. Nr. 155 u. 160 sowie Dok. Nr. 162).

Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, irgend ein praktisches Ergebnis zu erzielen, dieses war jedoch nicht möglich. Unser Eindruck von dieser Verhandlung ist der, daß der General Degoutte in den wirtschaftlichen Fragen vollständig unnachgiebig ist und nach bestimmten Weisungen aus Paris handelt. Wir haben jegliches Verständnis für die Schwierigkeiten der Wirtschaft im besetzten Gebiet vermißt. Der Eindruck war für uns alle gerade [!] niederschmetternd, keiner von den Verhandlungsteilnehmern erwartet nach dieser Verhandlung irgendwie das kleinste Zugeständnis.

Es wurde angeregt, eine weitere Verhandlung mit der Industriekommission stattfinden zu lassen. Die Vertreter der Bergarbeiterverbände waren damit einverstanden und werden mit der Industriekommission einen Termin hierfür vereinbaren11.

11

Darüber konnte in R 43 I nichts ermittelt werden.

Heute geht mir ein Bericht des Bezirksleiters des Metallarbeiterverbandes aus Essen zu, der ebenfalls für die Metallindustrie mit dem General Degoutte eine Verhandlung hatte12. Ich lege auch Abschrift dieses Schreibens einliegend bei und werde ich Abschrift dieses meines Schreibens und des Berichts von Kollege Wolf dem Reichskanzler und dem Minister für die besetzten Gebiete zugehen lassen.

12

S. das vorhergehende Dokument Nr. 176.

Mit bestem Gruß

H. Meyer

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