2.178.1 (wir1p): I. Reparationsfrage.

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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I. Reparationsfrage.

In Fortsetzung der Kabinettssitzung vom 26. d. Mts.1 legten die in Betracht kommenden einzelnen Ressorts ihre Stellungnahme zu dem Bericht von Dr. Rathenau näher dar.

1

Siehe Dok. Nr. 173; zu dem dort von Rathenau referierten Plan wird im folgenden Stellung genommen.

1. Auswärtiges Amt.

A) Seitens des Auswärtigen Amtes warf Staatssekretär von Simson zunächst die Frage auf, in welchem Umfange durch die in Aussicht genommene Zahlung von 500 Millionen Goldmark für 1922 die Verpflichtungen des Reichs der Entente gegenüber gedeckt seien. Neben den eigentlichen Reparationen seien folgende 4 Posten hervorzuheben:

a) die Besatzungskosten,

b) die Ausgleichssalden,

c) das Elsaß-Lothringische Finanzabkommen – 132 Millionen Franken –,

d) Erlös aus der Heeresgutverwertung.

Es besteht die Gefahr, daß nach Bezahlung der 500 Millionen, also etwa am 1. Mai 1922, diese Verpflichtungen wieder aufleben würden.

Dr. Rathenau erwiderte, daß nach seiner Auffassung durch die Festsetzung einer Summe von 500 Millionen Goldmark alle Reparationskosten limitiert seien, daß die privaten Verbindlichkeiten des Reichs jedoch hiervon nicht berührt[487] würden. Besonders hervorgehoben sei allerdings von englischer Seite, daß in dem Betrage von 500 Millionen Goldmark die Besatzungskosten enthalten seien. Eine Limitierung dieser Besatzungskosten sei übrigens ebenfalls von der Gegenseite in Aussicht genommen.

B) Eine zweite von Staatssekretär v. Simson aufgeworfene Frage betraf die von Dr. Rathenau erwähnte Einführung des Kohlenpreises von St. Quentin2. Hier kamen das Auswärtige Amt, das Reichswirtschaftsministerium und Dr. Rathenau übereinstimmend zu der Auffassung, daß ein genügend klares Bild aus dem vorliegenden Material nicht zu erlangen sei. Beide Ressorts betonten die eventuellen nachteiligen Folgen einer solchen Bestimmung, die für die Inlandskohle einen höheren Preis nach sich ziehen könne, als für die Reparationskohle.

2

Siehe Dok. Nr. 173 bei Anm. 3.

Von Staatssekretär Hirsch wurde ausgeführt, daß die Fracht England– St. Quentin heute etwa der Fracht Ruhrgebiet–St. Quentin entspreche.

Dr. Rathenau wurde gebeten, den Versuch zu machen, über die Kohlenpreisfrage Klarheit zu schaffen.

C) An dritter Stelle wies Staatssekretär v. Simson auf die Tatsache hin, daß bei Nichterfüllung der Verpflichtungen seitens Deutschlands vorgesehen sei, daß der alte Zahlungsplan wieder aufleben und evtl. Repressalien angewandt werden sollten. Es würde sich empfehlen, darauf hinzuwirken, daß diese Strafandrohung in Wegfall käme, da eine solche ja nur eine Wiederholung der schon im Vertrage von Versailles enthaltenen allgemeinen Androhung darstelle und eine unnötige Erschwerung der Annahme seitens Deutschlands dadurch herbeigeführt werden würde.

Dr. Rathenau betonte demgegenüber, daß bezüglich des Kohlenpreises eine Änderung des Versailler Vertrages erforderlich werden würde, daß dann auch auf diese Änderung sich die Strafandrohung erstrecken müsse. Diese Änderung des Versailler Vertrages werde dann aber auch dem Reichstage vorgelegt werden müssen.

2. Reichsfinanzministerium.

Seitens des Reichsfinanzministeriums wurden folgende Fragen zur Verhandlung gebracht:

1. Autonomie der Reichsbank,

2. Kontrolle der Reichsbank,

3. Innere Anleihen,

4. Künstliche Inflation.

ReichsbankpräsidentHavenstein sagte Übersendung einer Denkschrift3 über diese 4 Fragen zu. Im einzelnen bemerkte er:

3

Mit Schreiben vom 29.12.21 übersendet das Rbk-Direktorium unter Bezug auf die obige Sitzung 5 Ausarbeitungen: – 1. einen Gesetzentwurf, betr. die Abänderung des Bankgesetzes vom 14.3.1875 (Autonomie der Rbk), – 2. Maßnahmen zur Vorbereitung einer Reform des deutschen Geldwesens einschließlich einer tunlichst baldigen Beseitigung der Vermehrung des Papiergeldes, – 3. Möglichkeit innerer Anleihen, – 4. Widerlegung der Behauptung, Deutschland schaffe künstliche Inflation, um gegenüber den Reparationsleistungen einen Staatsbankrott begründen zu können, – 5. Die Bestellung eines technical adviser (R 43 I /24 , Bl. 157-171).

[488] zu 1. Aus Entgegenkommen schlage er vor, durch ein Gesetz die bisher bestehende Praxis – Selbständigkeit der Reichsbank – festzulegen4.

4

In der in Anm. 3 gekennzeichneten Ausarbeitung vom 29. 12. führt auch die Rbk aus, daß die Autonomie der Rbk dem Sinne des Reichsbankgesetzes von 1875 und der bisherigen Praxis entspricht; sie könne also unbedenklich konzediert werden. Allerdings müßten die Anstellungs- und Disziplinarbefugnisse (§ 28 des Rbk-Gesetzes) des Reichskanzlers ungeschmälert bleiben (R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 159).

zu 2. Eine Kontrolle der Reichsbank sei unbedingt abzulehnen5.

5

In der in Anm. 3 gekennzeichneten Ausarbeitung vom 29. 12. führt die Rbk aus, daß auch ein adviser die Rediskontierung von Schatzwechseln nicht verhindern könne, seine Einsetzung aber das Vertrauen, das die Rbk vor dem Volke und der Welt erworben habe, zerstören müsse (R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 166f).

zu 3. Für die Aufnahme innerer Anleihen sei Voraussetzung, daß Vertrauen in Deutschlands Finanzwesen bestände6.

6

Dazu heißt es in der in Anm. 3 gekennzeichneten Ausarbeitung der Rbk: „Eine innere Anleihe, die ausreichte, die Fehlbeträge des deutschen Reichshaushalts zu decken, wo dies durch eigene Einnahmen geschehen kann, müßte eine ganz außerordentlich hohe Zahl von Milliarden beschaffen, da allein das ungedeckte Defizit des Haushalts und der Betriebsverwaltungen für 1921, auch wenn man von dem Reparationsetat von 112,5 Milliarden zunächst völlig absieht, noch ca 49 Milliarden (davon 17 einmalig) beträgt und nur allmählich in den folgenden Jahren beseitigt werden kann. Hierzu tritt aber noch eine weitere sehr beträchtliche Zahl von Milliarden für diejenigen Sach- und Geldleistungen, die unter allen Umständen nicht nur für 1921, sondern auch für 1922 und die folgenden Jahre für den Reparationsetat beschafft werden sollen (Barzahlungen, sämtliche Sachleistungen, Besatzungskosten, Clearing pp). Derartige Summen durch innere Anleihen zu beschaffen, erscheint von vornherein unmöglich. […] Der Versuch, eine innere Anleihe aufzulegen, könnte zur Zeit nur gemacht werden, wenn sie finanziell noch reicher ausgestattet würde als die Sparprämienanleihe [5% der dem Nennwert zuwachsenden Zinsen und erheblichen Steuervergünstigungen], würde aber auch dann nur einen schwachen und für den gedachten Zweck nicht ins Gewicht fallenden Erfolg haben und das Reich weit mehr belasten als zur Zeit die Begebung von Reichsschatzanweisungen.“ (R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 164f).

zu 4. Eine künstliche Inflation gäbe es nicht7.

7

Die in Anm. 3 gekennzeichnete Ausarbeitung vom 29. 12. beginnt: „Von der Schaffung einer künstlichen Inflation kann in Deutschland keine Rede sein. Dies wäre auch Wahnsinn, weil sie Deutschland zu österreichischen Verhältnissen führen […] müßte. […] Die Inflation, die in Deutschland besteht, ist nicht künstlich geschaffen, sondern hat leider sehr natürliche und zwingende Ursachen. Sie beruht einerseits auf der überaus ungünstigen Gestaltung der Zahlungsbilanz mit dem Auslande, andererseits auf der schwierigen Lage des inneren Haushalts, d. h. des Reichsetats.“ Beiden Ursachen ist in der Ausarbeitung dann ein Abschnitt gewidmet (R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 168-171).

Der Reichsfinanzminister sagte zu, Herrn Dr. Rathenau die nötigen schriftlichen Unterlagen bezüglich der Steuerfragen zu übergeben8.

8

Das RFMin. überreicht am 3.1.22 der Rkei das Rathenau und Fischer bereits übergebene Konferenzmaterial: 1. Gegenüberstellung der voraussichtlichen Einnahmen an Reichssteuern im Rechnungsjahr 1922 (1.4.22–31.3.23) gegenüber dem wirklichen Aufkommen im Rechnungsjahr 1919 (1.4.19–31.3.20). 2. Übersicht über die Steuerbelastung in Deutschland unter Berücksichtigung der neuen Steuergesetzentwürfe nebst Anlage. 3. Gegenüberstellung der Belastung durch einzelne Steuern in Deutschland und im Auslande. 4. Tabelle über die Belastung des Einkommens in einem Rechnungsjahr (1921). 5. Tabelle über die Wirkung der Vermögenssteuer auf das Einkommen, 6. Tabelle über die Belastung des Reichsnotopfers und Vermögenssteuer. 7. Übersicht über die geltende und künftige Belastung des Vermögens und des Einkommens in den Rechnungsjahren 1921, 1922, 1923. 8. Darstellung der Belastung einzelner Gegenstände durch Verbrauchs- und Umsatzsteuer im Verhältnis zum Kleinverkaufspreis. 9. Vergleichende Darstellung über die Einkommensteuer in Deutschland, Frankreich, England und den Vereinigten Staaten von Amerika nebst 12 dazugehörigen Tabellen. 10. Ausführungen über die Grundsätze der Verteilung des Steueraufkommens zwischen Reich, Ländern und Gemeinden. 11. Niederschrift über den französischen Etat 1921, an der Hand der hierher gelangten Berichte, Zeitungsnachrichten u. a., 12. Übersetzung der Rede de Lasteyrie über den französischen Haushalt und seine Bemerkungen über die Unzulänglichkeit der deutschen Finanzverwaltung (Geringe Steuerbelastung, Überspannung der Ausgaben u. a.). 13. Überblick über den Haushalt 1922 und die Finanzlage des Reiches. 14. Schätzung der Steuereingänge 1922. 15. Niederschrift der Abt. II des RFMin. über die Zahlung der Zölle in Gold (Übersicht in R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 25-61, 65f, 72-87, 116-128, 130-135).

[489] Nachdem noch das Reichswirtschaftsministerium und das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft sich vom Standpunkt ihrer Ressorts ausführlich über die Folgen der von Dr. Rathenau vorgetragenen Bedingungen der Gegenseite ausgesprochen hatten9, kam das Kabinett zu dem Ergebnis, daß Dr. Rathenau in Frankreich versuchen müsse, im Sinne der vorgetragenen Anregungen weiter tätig zu sein.

9

Diese Ministerien übersenden als Material für die Verhandlungen in Cannes: 1. Ausführungen des Reichswirtschaftsministeriums über die deutsche Verkehrsstatistik, 2. Ausführungen über die Lebenshaltungskosten, 3. Stellungnahme des Reichswirtschaftsministeriums zur Denkschrift Tannery, 4. Denkschrift über die Unmöglichkeit der Einführung einer Devisenkontrolle, 5. Stand der Kohlensteuer- und Kohlenpreisfrage, 6. Niederschrift des RPMin. über den Haushalt 1922, 7. Denkschrift des RVMin. über die Finanzlage der deutschen Eisenbahn (R 43 I /24 , Bl. 157-171, hier: Bl. 62-64, 67-70, 88-101, 106-115, 129, 151-155).

3. Die Beantwortung der Note der Reparationskommission.

Was die Frage der Beantwortung der Note der Reparationskommission, die bekannten 3 Fragen enthaltend, betraf10, so beschloß das Kabinett nach längerer Beratung, Staatssekretär Fischer zu beauftragen, in Paris mit der Reparationskommission eine mündliche Verhandlung zu erstreben, in der dann der Standpunkt der deutschen Regierung, wie er bereits im Kabinett festgestellt worden sei11, zum Vortrag kommen solle.

10

Gemeint ist die Note der Repko vom 16.12.21; zu ihrer Beantwortung siehe Dok. Nr. 170 Anm. 8.

11

Dok. Nr. 174.

Das Kabinett stimmte dem von Staatssekretär Fischer vorgetragenen Entwurfe zu, dessen Inhalt in Paris zur mündlichen Erörterung zu bringen sei12.

12

Siehe Dok. Nr. 170 Anm. 8.

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