2.207.4 (wir1p): 4. Richtlinien aus Anlaß des Streiks.

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4. Richtlinien aus Anlaß des Streiks.

Die von dem Verkehrsminister vorgelegte Skizzierung der Richtlinien wurde eingehend besprochen2. Das Ergebnis ergibt sich einschließlich der Erläuterungen aus der Anlage3. Auf eine Mitteilung des Staatssekretärs Stieler,[561] daß ihm von Vertretern der Reichsgewerkschaft mitgeteilt sei, der Herr Reichskanzler habe ihren Vertretern zugesagt, jeder einzelnen Disziplinarfallsache sich anzunehmen und sie zu prüfen, erwiderte der Herr Reichskanzler, daß er den Leuten gesagt habe, er könne ihnen keine Möglichkeit eröffnen, in die Disziplinarrechte wie sie für den Ressortchef niedergelegt seien, einzugreifen. Sie hätten dann ihrer Befürchtung Ausdruck gegeben, daß im Einzelfall Racheakte verübt werden würden. Darüber habe er sich mit ihnen unterhalten und ihnen gesagt, daß er, wenn man an ihn mit besonderen Beschwerden im Einzelfalle herantrete, bereit sei, diesen Einzelfall alsbald dem zuständigen Ressort zur Äußerung zuzuleiten. Dies geschehe im übrigen ja auch tagtäglich in anderen Sachen4. Der Gedanke der Ziffer 6 der Anlage wurde vom Herrn Reichskanzler angeregt. Die Richtlinien in der anliegenden Form wurden einstimmig angenommen.

2

Siehe Dok. Nr. 203 Anm. 5.

3

„Die Anlage lautet: „Richtlinien des Reichskabinetts aus Anlaß des Eisenbahnerstreiks. I. Das förmliche Disziplinarverfahren soll eingeleitet werden gegen Beamte, die a) Urheber des Streiks waren, b) Sabotage oder gewaltsame Eingriffe in Verwaltung, Betrieb oder Verkehr verübt oder andere Beamte in der Erfüllung ihrer Dienstpflichten durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt gehindert haben. – II. Soweit im übrigen einzelne Beamte wegen des Streiks zur Verantwortung gezogen werden, soll nur auf Ordnungsstrafen erkannt werden, sofern sie alsbald zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten zurückkehren. Geldstrafen sollen nur in besonderen Fällen verhängt werden. – III. Bezüglich des Diensteinkommens während der Streiktage gilt § 14 Abs. 3 des Reichsbeamtengesetzes. – IV. Soweit Disziplinarverfahren bereits eingeleitet sind, sollen sie im Rahmen der Grundsätze zu I nach den gesetzlichen Bestimmungen weitergeführt werden. – V. Die kündbaren Beamten sollen nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden. – VI. Den Beamten, die treu ihre Pflicht erfüllt haben, wird der besondere Schutz der Reichsregierung zugesichert. Gegen diejenigen, die solche Beamte wegen ihrer Pflichterfüllung angreifen sollten, würde mit aller Strenge vorgegangen werden.

Erläuterungen: Zu I a) Als Urheber gelten nicht nur diejenigen, die an den zentralen Stellen, sondern auch diejenigen, die draußen in den Verwaltungsbezirken zum Ausbruch oder zur Fortsetzung des Streiks hervorragend mitgewirkt haben. – Zu V. Kündbare Beamte, die unter I a) und I b) fallen, sind zu entlassen; soweit sie schon entlassen sind, werden sie nicht wieder eingestellt. Das persönliche Beschwerderecht wird hierdurch nicht berührt. – Die nicht unter I a) oder I b) fallenden kündbaren Beamten werden zur Beschäftigung wieder zugelassen, auch wenn sie schon entlassen worden sind.“ (R 43 I /2124 , Bl. 249b-250).

4

Zu den angeblichen Zugeständnissen vgl. auch die Ausführungen des Abgeordneten Bartz im RT am 11.2.1922 (RT Bd. 352, S. 5818  f.). Stresemann nahm diese Ausführungen zum Anlaß, am 13.2.22 eine Frage nach dem Sachverhalt an die RReg. zu richten, die StS Hemmer noch am gleichen Tage beantwortet. Ein stenographisches Protokoll existiere entgegen den Behauptungen der Roten Fahne nicht, die behaupteten Zugeständnisse habe der RK nicht gemacht (R 43 I /2124 , Bl. 262, 266). Über die Besprechung, in der der RK die Zugeständnisse gemacht haben sollte, konnte in den Akten nur das in Dok. Nr. 202 Anm. 7 und Dok. Nr. 203 Anm. 2 und 4 zitierte Protokoll ermittelt werden.

Im Anschluß hieran wurde die Vorbereitung für die morgige Debatte im Reichstag besprochen5. Der Herr Reichskanzler gab eine kurze Inhaltsangabe, nach der wohl verfahren werden könne und beauftragte eine kleine Kommission, bestehend aus den Herren Ministerialdirektoren Müller, Dr. Brecht, von Schlieben, Geheimräten Wolff, Roser und Wever die förmliche Regierungserklärung vorzubereiten, die in einer Chefbesprechung morgen 12 Uhr6 und gegebenenfalls auch in einer sich anschließenden Kabinettssitzung um ½ 1 Uhr erörtert werden solle. In dieser Chefbesprechung soll auch die Frage der Aufhebung der Verordnung des Reichspräsidenten nach Rücksprache mit diesem und nach Mitteilungen des Reichsverkehrsministers über die Wiederaufnahme der Arbeit und die sonstige Lage besprochen werden7.

5

Siehe RT Bd. 352, S. 5738  ff.

6

Das Protokoll der Chefbesprechung vom 9.2.22, 12 Uhr enthält, abgesehen von dem in Anm. 6 wiedergegebenen 1. Teil nur den folgenden 2. Teil: „Ministerialdirektor Müller trägt den auf das Streikrecht der Beamten bezüglichen Teil der Regierungserklärung vor. Im Einverständnis der anwesenden Herren Minister wurde von einer besonderen Kabinettssitzung zur Beschlußfassung über diese Regierungserklärung abgesehen. Die zuständigen Herren Minister werden sich mit Herrn Ministerialdirektor Müller wegen der endgültigen Fassung der Erklärung noch in Verbindung setzen.“ (R 43 I /2124 , Bl. 239).

7

Zu diesem Thema lautet das in Anm. 6 gekennzeichnete Protokoll: „Der Herr Reichsverkehrsminister schlägt vor, im Einverständnis mit dem Herrn Reichspräsidenten den Erlaß, betreffend den Streik, mit Wirkung von heute Mittag 12 Uhr aufzuheben. Der Herr Reichskanzler führt aus, daß in dieser Beziehung das Kabinett abhängig sei von dem Urteil des Herrn Reichsverkehrsministers. Falls daher kein Widerspruch erfolge und da nach Schilderung des Herrn Reichsverkehrsministers die Streiklage sich bedeutend gebessert habe, könne die Verordnung wohl aufgehoben werden. Widerspruch wird nicht erhoben.“ (R 43 I /2124 , Bl. 239). VO vom 1.2.22 siehe RGBl. 1922 I, S. 187 , Aufhebung dieser VO am 9.2.22 siehe RGBl. 1922 I, S. 205 .

Reichsminister des Innern Dr. Köster berichtete sodann noch über die Lage im städtischen Streik.

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