2.17 (wir1p): Nr. 17 Die Reichsregierung an die Bayerische Staatsregierung. 29. Mai 1921, 11.15 Uhr

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[35] Nr. 17
Die Reichsregierung an die Bayerische Staatsregierung. 29. Mai 1921, 11.15 Uhr1

1

Der hier abgedruckte Wortlaut wurde telefonisch durch MinR Brecht an MinR Schmelzle übermittelt.

R 43 I /413 , Bl. 76

[Betrifft: Auflösung der Einwohnerwehren]

Die Reichsregierung beehrt sich, die telefonisch übermittelte Anfrage des Herrn Ministerpräsidenten von Kahr2 wie folgt zu beantworten:

2

MinPräs. v. Kahr hatte durch telefonische Übermittlung am 28.5.21, 19 Uhr erklärt: „Ich bin bereit, dem Gesamtministerium möglichst weitgehende Entwaffnung vorzuschlagen. Es wäre danach abzuliefern bis zum 10. Juni: sämtliche 44 leichte Geschütze und sämtliche 34 Minenwerfer; an Maschinengewehren und Karabinern 100–120 000, davon bis zum 10. Juni soviel, als bis dahin erfaßt werden können, und der Rest von dieser Gesamtsumme bis zum 30. Juni. Die Auflösung der Einwohnerwehr dagegen vermöchte ich nicht verfügen, da sie nach meinem Dafürhalten nicht unter das Gesetz vom 22. März 1921 fällt.“ Brecht fügt in einem Vermerk hinzu: „Der Ministerpräsident bittet, daß ihm nun der Reichskanzler klipp und klar erklärt, ob damit den Forderungen, die zu stellen sind, endgültig Genüge getan ist. Wenn die Frage befriedigend beantwortet ist, wird die Entwaffnung sofort eingeleitet, und es wird um sofortige Überweisung des Entwaffnungskredits von 4 Mio an die Bayerische Regierung gebeten.“ (R 43 I /413 , Bl. 75).

Der Vorschlag erschöpft nicht die Zahl der angemeldeten Waffen, deren fristgerechte Auslieferung uns unzweifelhaft obliegt, und genügt insofern den zu stellenden Forderungen nicht. Wegen etwaiger Ablieferungsreste wird auf die inzwischen abgegangene Depesche an Botschafter Mayer3 Bezug genommen.

3

Der Bayer. Reg. war folgender Auszug aus dem Telegramm an Botschafter Mayer vom 28.5.21 telefonisch mitgeteilt worden: „Reichskanzler hat persönlich mit dem Führer bayerischer Einwohnerwehrbewegung unterhandelt. Nach einer Mitteilung, die er von diesem erhalten hat, sind bayerische Einwohnerwehren bereit, wesentlichsten Teil ihrer Ausrüstung sofort abzugeben, nämlich vor allem Artillerie, Minenwerfer, Maschinengewehre sowie auch die größeren Lager an Gewehren. Sie haben indessen Befürchtung ausgedrückt, daß, selbst wenn sie diese Waffen abgegeben hätten, die Tatsache, daß noch ein kleinerer Teil der Waffen zurückgeblieben sei, zum Vorwand genommen werden würde, um die Sanktionen in Kraft zu setzen. Es würde Aufgabe des Reichskanzlers sehr erleichtern, wenn er eine Zusicherung irgendeiner Art von dortiger Regierung erhielte, daß diese Befürchtung unbegründet sei. Reichskanzler ist der Ansicht, daß man durch ein derartiges Vorgehen zu einem praktischen Ergebnis gelangen und tatsächlich mehr Waffen aus Bayern herausziehen würde, als durch gewaltsame Maßnahmen möglich. Ich bitte im Sinne vorstehender Ausführungen vertraulich mit Briand zu sprechen.“ (R 43 I /413 , Bl. 77).

Die Reichsregierung steht einstimmig auf dem Standpunkt, daß Deutschland nach dem Ultimatum vom 5. Mai verpflichtet ist, die Einwohnerwehren in Anwendung des Gesetzes vom 22. März aufzulösen. Es wird hierzu noch auf folgendes hingewiesen. Am 11. Dezember 1920 hat General Nollet namens der Interalliierten Militärkontrollkommission folgendes mitgeteilt:

„In Wirklichkeit also stellen die Selbstschutzorganisationen (und hierunter versteht der Interalliierte Heeresüberwachungsausschuß Grenzwehren, Grenzschutz, Stadtwehren, Einwohnerwehren, Orgesch und andere ähnliche Vereine)[36] Formationen dar, die geeignet sind eine Mobilisation zu erleichtern. Sie fallen also unter die Bestimmung des Art. 178 des Friedensvertrags und müssen aufgelöst werden.“

Unser grundsätzlicher Einspruch gegen diese Interpretation ist zurückgewiesen worden durch die im Ultimatum angeführte Pariser Note vom 29. Januar 1921. Die Reichsregierung ist jedoch bereit, die abweichende Auffassung des Herrn Ministerpräsidenten mit den noch nicht eingegangenen Unterlagen der Entente mitzuteilen. Die Liste muß aber bereits morgen, am 30. Mai, überreicht werden4.

4

Wortlaut der Antwortnote an Nollet s. Dok. Nr. 18, Anm. 4. Die Orgesch und die Einwohnerwehren in Bayern wurden am 28.6.1921 offiziell aufgelöst (GStA München, MA 995/6 Ministerratssitzung vom 25.6.1921 und Salewski, Entwaffnung, S. 175 ff.).

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