2.219.1 (bau1p): 1. Lage im Ruhrgebiet.

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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[768]1. Lage im Ruhrgebiet.

Oberstleutnant Hasse berichtet über die Lage im Ruhrgebiet. Das Bielefelder Abkommen sei von Seiten der roten Truppen durch Angriffe auf Wesel gebrochen worden3. Das Wehrkreiskommando 6 sei der Ansicht, daß das Bielefelder Abkommen noch nicht existiere, da ein entsprechender Befehl an die Truppen nicht ergangen sei. Diese Zweifel erschwerten die Truppenführung und müßten daher behoben werden. Der General von Watter hätte ferner verschiedene Bedenken gegen das Abkommen geäußert, so insbesondere gegen die Bestimmungen über die Aufhebung des verschärften Ausnahmezustandes, über die Waffenabgabe und die Amnestie sowie über die Bildung von Ortswehren4.

3

Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 215.

4

Vgl. dazu das Telegr. Watters an den RK vom 25. 3., in dem er als vordringlich anzustrebendes Ziel die Sicherung der Handlungsfreiheit seiner Truppen angibt. Es schließt mit den Worten: „Reichswehr kämpft bis zum letzten Mann für Regierung. Bitte stark bleiben“ (R 43 I /2715 , Bl. 50 f.).

Wenn ein friedliches Abkommen nicht in kurzer Zeit gelinge, so sei zu befürchten, daß die rote Partei hierdurch militärische Vorteile erlangen würde. Die rote Agitation wende sich bereits an die Truppen der Reichswehr.

Er empfehle, Truppen für alle Fälle bereitzustellen und dann ein Ultimatum an die rote Partei zu stellen.

General von Seeckt: Der Befehl zum Einmarsch in das aufständische Gebiet bleibe der Regierung vorbehalten, nicht etwa dem General von Watter. Vollziehe sich der Einmarsch schnell, so seien große Zerstörungen seitens der Aufständischen kaum zu befürchten.

Reichskanzler Bauer weist darauf hin, daß der Reichskommissar Severing energisch für das Bielefelder Abkommen eintrete. Er befürchte auch schwere Erschütterung bei voreiligem Einmarsch. Je stärker der Terror der roten Truppen sei, desto lauter würde bei der Bevölkerung der Ruf nach dem Einmarsch werden. Dieser Zeitpunkt müsse abgewartet werden. Er schlägt vor, vor Montag, dem 29. März, keine Entscheidung zu fällen, bis dahin würde die Lage weiter geklärt sein.

Geheimer Regierungsrat Brecht verliest einige Telegramme, die aus dem Ruhrgebiet gekommen sind5.

5

Die zu den Akten genommenen Meinungsäußerungen spiegeln zwei gegenläufige Trends wider: Am 26. 3. war in Hagen eine Delegiertenkonferenz der drei Linksparteien des Ruhrgebiets zusammengetreten, die einstimmig den Beschluß faßte, auf die Mülheimer Kampfleitung der Roten Armee einzuwirken und den Abbruch der Kampfhandlungen zu erzwingen. In einem Telegr., in dem der bisherige Führer der Hagener Zentrale, Ernst, dem RK noch am gleichen Tag diesen Beschluß mitteilte, wurde die Bitte ausgesprochen, auf die Reichswehr in gleichem Sinne einzuwirken und zu garantieren, daß die Bielefelder Vereinbarungen in die Tat umgesetzt würden (R 43 I /2715 , Bl. 74 f.). Aus Furcht vor vermeintlichen Terrorakten der aufständischen Arbeiterschaft im Gefolge der Annahme des Bielefelder Abkommens appellieren dagegen die Ortskartelle Münster des ADGB und des DBB in einem an den RIM gerichteten Telegr. vom 27. 3., daß die RReg. ihre verfassungsmäßigen Rechte nicht preisgebe, fest bleibe und auf linksradikale Versprechungen nicht höre (R 43 I /2717 , Bl. 4).

Reichspostminister Giesberts: Durch das Bielefelder Abkommen, bei dessen Abschluß alle bürgerlichen Parteien vertreten gewesen seien, habe man[769] Blutvergießen vermeiden wollen. Was Wesel anlange, so habe er schon früher betont, daß hier energisch durchgegriffen werden müsse.

Reichswehrminister Dr. Geßler: Die internationale Seite der Einmarschfrage sei noch nicht geregelt6. Die Bedenken gegen das Abkommen richteten sich hauptsächlich gegen die Bestimmungen über die Waffenabgabe. Die Festsetzung einer Amnestie für Geschehnisse bis zum 25. März sei durchaus vertretbar. Eine Verlängerung der Amnestie habe er abgelehnt.

6

Einzelheiten s. diese Edition: Das Kabinett Müller I, Dok. Nr. 2, Anm. 4.

Wenn die kommunistische Bewegung im Ruhrgebiet die Überhand gewinne, dann müsse schließlich die Ordnung mit militärischen Kräften wieder hergestellt werden.

General von Seeckt erklärt sich damit einverstanden, mit einer Entscheidung bis zum Montag zu warten.

Reichsverkehrsminister Dr. Bell erklärt sich mit den Ausführungen des Reichskanzlers einverstanden.

Reichsminister Dr. David hält das Bielefelder Abkommen für eine geeignete politische Waffe, um die Arbeiterentente zu sprengen. Das Ultimatum müßte sich an das Bielfelder Abkommen halten.

Reichskanzler Bauer stellt die Einmütigkeit des Kabinetts dahin fest, daß mit einer Entscheidung bis zum Montag, dem 29. März, gewartet werden solle7.

7

Der Vertagungsbeschluß wird vom neuen Kab. Müller in seiner nicht protokollierten konstituierenden Sitzung am 28. 3. aufgehoben. Unter dem Eindruck „zahlreicher Notschreie aus allen Teilen der Bevölkerung“ erläßt die RReg. ein Ultimatum, in dem sie mit dem „Angriff“ von Truppen unter Watters Führung droht, falls nicht bis zum 30. 3., 12 Uhr mittags, die verfassungsmäßige Staatsautorität anerkannt und ihre Organe wiedereingesetzt werden; ferner sollen die Rote Armee bis zu diesem Zeitpunkt aufgelöst, die gesamte Bevölkerung entwaffnet und die Gefangenen freigelassen werden. Gen. von Watter versieht dieses Regierungsultimatum mit einer Reihe von – praktisch unerfüllbaren – „Zusätzen“ (Flugblatt in: R 43 I /2728 , Bl. 64; Abdruck des Ultimatums u. a. in: DAZ Nr. 144 vom 29.3.20). – Zum Fortgang s. diese Edition: Das Kabinett Müller I, Dok. Nr. 2, P. 1.

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