2.18 (bau1p): Nr. 18 Der Reichswirtschaftsminister an den Reichsarbeitsminister. Weimar, 6. Juli 1919

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Nr. 18
Der Reichswirtschaftsminister an den Reichsarbeitsminister. Weimar, 6. Juli 1919

Nachlaß Wissell, IV/3372–3376 Durchschrift1

1

Eine weitere Durchschrift – mit Kopfvermerk „Herrn Unterstaatssekretär“ – im Nachl. Moellendorff , vorl. Nr. 157.

[Betrifft: Wirtschaftsprogramm des Reichswirtschaftsministeriums.]

Lieber Freund Schlicke!

[…] Was ich auf dem Herzen habe, will ich Dir […] ganz kurz mitteilen. Ich wurde darauf geführt durch eine Bemerkung, die Herr von Moellendorff mir vorgestern machte. Du weißt, er war hier in Weimar. Er hat mich gefragt, ob ich schon, wie ich es gleich nach Deinem Amtseintritt ihm gegenüber gesagt hatte, mit Dir über das Zusammenarbeiten des Wirtschaftsministeriums mit dem Arbeitsministerium gesprochen habe. Die Verhandlungen über den Frieden und Deine Abwesenheit an einigen Tagen hat mir die Sache aus dem Kopf gebracht. Es handelt sich um folgendes: Ende April fand eine vertrauliche Besprechung zwischen uns sozialdemokratischen Mitgliedern des Kabinetts statt, um Stellung zu der immer wieder aufflackernden Streikbewegung[79] zu nehmen. Die Anregung dazu ging von Stampfer aus. Stampfer sprach sich zugunsten eines Streikverbots aus. Es war aber wenig Neigung für diesen Plan vorhanden. In weiterer Verfolgung dieser von Stampfer ausgegangenen Anregung habe ich mir dann die Sache durch den Kopf gehen lassen und habe den Gesamtkomplex der wirtschaftlichen und sozialen Fragen in eingehender Weise einmal formulieren lassen. Daraus entsprangen dann in einer Beratung im Wirtschaftsministerium die Vorschläge, wie sie weiterhin in der Denkschrift des Wirtschaftsministeriums niedergelegt worden sind2. Ich habe Anfang Mai Bauer schriftlich gebeten, sich doch darüber zu äußern, ob wir die Vorschläge nicht gemeinsam dem Kabinett unterbreiten wollten, da es sich um Fragen handele, die nur in engster Zusammenarbeit zwischen Arbeitsministerium und Wirtschaftsministerium gelöst werden könnten. Der Brief wird im Arbeitsministerium sein. Bauer hat mich dann telephonisch angerufen und hat Bedenken gegen einzelne Teile der Begründung erhoben. Um seine Bedenken aus dem Wege zu räumen, sind dann in der Denkschrift die Seiten 3 und 4 vollständig geändert worden3. Du siehst schon aus der Schrift und den eingeklebten Bogen, daß hier Änderungen vorgenommen worden sind. Das ist, wie gesagt, mit Rücksicht auf die Wünsche Bauers geschehen. Eine klare Antwort konnte ich aber nicht von Bauer bekommen und so blieb mir bei der ganzen Entwicklung, die die Dinge dann im Weiteren nahmen, nichts übrig, als die Denkschrift als eigene an das Kabinett zu leiten. Ich habe das bedauert, weil ich der Meinung bin, daß die auf dem Gebiete unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens beruhenden Ministerien in diesen Fragen durchaus konform gehen müssen. Wie sehr ich von der Notwendigkeit durchdrungen bin, ein solches Zusammenarbeiten stattfinden zu lassen, ergibt sich aus S. 9 des der Denkschrift beigefügten Wirtschaftsprogramms in Punkt 8, wo ich ausdrücklich sage, daß die Führung der Wirtschaftspolitik in den Händen des Wirtschaftsministeriums, des Arbeitsministeriums und des Finanzministeriums liegen müsse. Ich habe das letztere auch miterwähnt, weil es sich ja um die Bewilligung größerer Mittel handelt und um deswillen dieses Amt nicht zu umgehen war.

2

Vgl. dazu das Schreiben Wissells an Scheidemann, die Denkschrift des RWiMin. zur wirtschaftlichen Lage und das Wirtschaftsprogramm des RWiMin. vom 7.5.19 (abgedruckt in dieser Edition: Das Kabinett Scheidemann, Dok. Nr. 62, 63 a und b). Dem Wirtschaftsprogramm waren Richtlinien für ein Ges. über den Arbeitsfrieden beigefügt, die von dem Grundgedanken ausgingen, daß in bestimmten, für eine befristete Zeit unter ein besonderes Friedensgebot zu stellenden Betrieben die Ausübung des Streikrechts an gewisse Voraussetzungen (Anzeige der Streikabsicht, Schlichtungsverfahren, geheime Abstimmung der Arbeitnehmer) geknüpft sein solle (nicht abgedruckt; R 43 I /1146 , Bl. 76–79).

3

Vgl. diese Edition: Das Kabinett Scheidemann, Dok. Nr. 63 a, S. 274 2. Abs. bis S. 275 3. Abs.

Daß Bauer die Sache so verzögert hat, führe ich natürlich nicht auf einen bösen Willen zurück, sondern ausschließlich darauf, weil mir bei Bauer wenig Verständnis für die Produktionsseite unserer Wirtschaft zu sein scheint. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß er aus Angestelltenkreisen hervorgegangen ist, wo naturgemäß die produktionstechnische Seite nicht in die Erscheinung tritt. Ich glaube, daß Du für diese Fragen größeres Verständnis hast, weil Du durch Deine so langjährige Erfahrung im Metallarbeiterverband diesen[80] Fragen Deine Aufmerksamkeit hast naturgemäß zuwenden müssen und im württembergischen Arbeitsministerium diese Fragen mit den wesentlichen Gegenstand Deiner Aufgaben gebildet haben. Ich halte eine Abgrenzung unserer beiderseitigen Kompetenzen für durchaus nötig und ebenso auch für möglich. Mein Arbeitsgebiet ist auch ein viel zu großes, als daß ich mich den sozialen Fragen besonders widmen könnte, obwohl sie ja meinen ganzen bisherigen Bildungsgang und meiner Arbeitstätigkeit nach in den Arbeitersekretariaten mir so überaus vertraut sind. Aber sie hängen eben so eng mit unserem Wirtschaftsleben zusammen, und darum müssen wir auf diesem Gebiete eng zusammenarbeiten.

Meiner tieferen Einblicke in die produktionstechnische Seite unserer Wirtschaft wegen habe ich mich auch bemüht, das aufgrund der Bedürfnisse unseres Wirtschaftslebens sich freiwillig Gebildete zu stützen und es für den Aufbau unserer Wirtschaft zu benützen. Nach den Bedürfnissen des Lebens haben sich die Berufsorganisationen der Arbeiter und die der Unternehmer auf fachlicher Grundlage gebildet. Sie müssen benutzt werden für den Aufbau unserer Wirtschaft, und nur wenn wir sie benützen, können wir den Gewerkschaften die Bedeutung erhalten, die sie in unserem Wirtschaftsleben sich errungen haben. Ich glaube daher, daß ein rein territorialer Aufbau unseres Wirtschaftslebens undenkbar ist. Es hat sich fachlich gegliedert. Wir müssen daher neben einer Vertretung der Arbeiter und der Unternehmer auf territorialer Grundlage auch eine fachliche Vertretung im Wirtschaftsleben suchen. Diesen Aufbau habe ich versucht. Es ist darüber eingehend mit der Arbeitsgemeinschaft verhandelt worden. In den Verhandlungen habe ich volles Verständnis dafür gefunden.

Wie die soziale Interessenvertretung der Arbeiter sich zu gestalten hat, kümmert mich als Wirtschaftsminister erst in zweiter Linie. Sie zu regeln, ist Deine Aufgabe4. Ich denke nicht daran, diese Arbeit auf mich nehmen zu wollen und ebensowenig denke ich daran, den Gedanken eines Gesetzes über den Arbeitsfrieden selbst einer gesetzgeberischen Lösung entgegenzuführen5.

4

Zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens s. Dok. Nr. 27.

5

Nachdem RMinPräs. Bauer in seiner Regierungserklärung vom 23. 7. gesetzliche Maßnahmen zur Einschränkung von Arbeitskämpfen durch die Einführung obligatorischer Schiedsgerichte ankündigt (NatVers.-Bd. 328, S. 1850 ), legt der RArbM am 8. 8. dem UStSRkei den Entw. einer VO über Aussperrung und Arbeitseinstellungen vor, der vom RMinPräs. jedoch als „unzureichend“ bezeichnet wird (R 43 I /2698 , Bl. 134 f.). Über einen weiteren GesEntw. des RArbMin. „zum Schutze des Wirtschaftslebens“ finden Beratungen zwischen dem RK, dem RArbM und dem RJM statt (Aktennotiz Wevers vom 23.11.19, R 43 I /2698 , Bl. 166), doch konnte der Entw. in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden. Die Vorlage eines entsprechenden GesEntw. wird vom RK am 7. 10. vor der NatVers. und vom RArbM am 26. 11. vor dem sozialpolitischen Ausschuß der NatVers. angekündigt, da die DDP-Fraktion der NatVers. ihre Zustimmung zum Betriebsrätegesetz von der gesetzlichen Regelung des Schlichtungswesens durch obligatorische Schiedsgerichte abhängig macht. Ein solcher GesEntw. wird vom Kabinett Bauer nicht mehr eingebracht. Zum Fortgang s. diese Edition: Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 187, P. 2. – Neben diesen Gesetzesvorhaben wird im Herbst 1919 vom RArbMin. auch der Plan der Reichszentrale für Heimatdienst geprüft, „langjährige, gesinnungstreue und sichere Mitglieder der sozialdemokratischen Mehrheitspartei“ zur Aufklärung in bestimmten Wirtschaftsbetrieben einzusetzen und materiell zu unterstützen, um auf diese Weise „radikalen und wirtschaftsfeindlichen Elementen“ die Möglichkeit zu nehmen, politische Streiks mit wirtschaftlichen Scheingründen zu provozieren (Der Leiter der Reichszentrale für Heimatdienst, Strahl, an den UStSRkei, 10.10.19; nebst einer Denkschrift u. d. T. „Die ständige Unterrichtung der Betriebsfunktionäre durch die Parteien“; R 43 I /2064 , Bl. 289–294). Der RArbM lehnt den Plan ab und führt zur Begründung an, daß – ungeachtet der schwierigen Unterscheidung zwischen politischen und wirtschaftlichen Streiks – die Neigung des überwiegenden Teils der Arbeiterschaft zu politischen Streiks geschwunden sei und der Einsatz öffentlicher Gelder für Propagandazwecke in Arbeiterkreisen mißdeutet und der Erfolg der Aufklärungsarbeit dadurch in Frage gestellt werden könnte (Der RArbM an den UStSRkei, 18.12.19; R 43 I /2064 , Bl. 347).

[81] Wenn nicht bald, recht bald, Klarheit über die Art des Wiederaufbaues geschaffen wird, geht kostbare Zeit verloren, die nicht wieder einzuholen ist. Läßt man die Sache laufen, so geschieht aber nichts. Ich sehe nur einen Aufbau auf fachlicher Grundlage unter paritätischer Beteiligung der Arbeiterschaft. Dieser Aufbau schafft die Träger der Wirtschaft, in denen auch die sozialen Aufgaben eine größere Beachtung finden werden als bisher. Wo ich konnte, habe ich in den schon gebildeten Selbstverwaltungskörpern unserer Wirtschaft auf den Abschluß von Tarifverträgen hingewirkt, mit dem Erfolg, daß sie auf den Gebieten der Treibriemenindustrie, der Ölmüllerei, der Margarinefabrikation usw. geschaffen wurden. Der Abschluß selbst war die Aufgabe Deines Amtes. Eure Akten werden es ergeben.

Ich habe nur in den gröbsten Umrissen die mir richtig erscheinenden Gedanken formuliert, und das erklärt sich aus der Tatsache des Ursprungs dieses ganzen Planes, wie er sich aus der eingangs erwähnten Besprechung ergibt. Meine Bitte an Dich geht nun dahin, Dir doch in den nächsten Tagen die Zeit nehmen zu wollen, die Denkschrift noch einmal eingehend durchzusehen, und dann, da wir ja persönlich über die Sache Deiner Anwesenheit in Berlin wegen nicht sprechen können, mit Moellendorff darüber Rücksprache zu nehmen. Er sagte mir, daß er sich mit Dir über eine solche Besprechung schon verständigt hätte6.

6

Darüber nichts ermittelt. – Am 23. 7. legt das RArbMin. der Rkei eine Denkschrift u. d. T. „Die Stellung des Reichsarbeitsministeriums zur Wirtschaftspolitik“ vor, in der (nach Wissells Rücktritt) nicht mehr auf das Gemeinwirtschaftsprogramm im einzelnen eingegangen wird, sondern Anregungen für ein Reichsgesetz über die Verfassung der Wirtschaft gegeben werden: „Für die Wiederherstellung des Arbeitswillens ist […] eine gerechte Ordnung der Mitwirkung unerläßlich, die der Arbeiterschaft in den Vertretungskörperschaften der Wirtschaft angewiesen werden soll. Eine rein sozialpolitische Behandlung dieser wirtschaftlichen Verfassungsfrage wäre ungenügend, sie muß daneben mit voller Gleichberechtigung auch nach ihrer produktionstechnischen Bedeutung gewürdigt werden.“ Die Konstituierung des in Art. 165 der zukünftigen RV vorgesehenen RWiRats müsse baldmöglichst in die Wege geleitet werden; er hätte „der Reichsregierung Vorschläge für ein Reichsgesetz über die Verfassung der Wirtschaft zu unterbreiten. Bis zur Verabschiedung dieses Reichsgesetzes müßte grundsätzlich die bisherige Wirtschaftsweise fortgesetzt werden. Das Angebot volkswirtschaftlich wichtiger Einfuhrgüter wird die Zulassung weitgehender Erleichterungen möglich machen“ (R 43 I /1127 , Bl. 84–87).

Ich überreiche Dir beiliegend als erstem der Kabinettsmitglieder den Entwurf der Beantwortung der Interpellation Arnstadt7, über die wir uns im Kabinett ja aussprechen müssen8. Ich bitte diesen Entwurf nun wirklich ganz vertraulich zu behandeln. […]

7

Abgedruckt als Dok. Nr. 19 b.

8

Siehe dazu Dok. Nr. 20, P. 4.

Mit bestem Gruß Dein

gez. Rud. Wissell

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