2.205 (bau1p): Nr. 203 Tagebuchaufzeichnungen des Reichsinnenministers Koch über die Lage der Reichsregierung in Stuttgart am 18. März 1920

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Das Kabinett BauerKabinett Bauer Bild 183-R00549Spiegelsaal Versailles B 145 Bild-F051656-1395Gustav Noske mit General von Lüttwitz Bild 183-1989-0718-501Hermann EhrhardtBild 146-1971-037-42

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Nr. 203
Tagebuchaufzeichnungen des Reichsinnenministers Koch über die Lage der Reichsregierung in Stuttgart am 18. März 1920

Nachlaß Koch-Weser, Nr. 25, S. 95–1051

1

Der Abdruck folgt der mschr. Übertragung von hschr. Aufzeichnungen Kochs, die sich im Nachl. Koch-Weser , Nr. 24, S. 73–79, befinden.

Donnerstag, den 18. März 1920,

Morgens 7.30 Uhr.

Was Albert gestern spät sagte2, ist den Ministern sowie Ebert und Bauer schon bekannt. Ich war gestern abend bei der Fraktion und habe nicht mit ihnen gegessen. […]

2

Vgl. Dok. Nr. 202, Anm. 9.

Schwere Lage heute. Denn man kann in der Nationalversammlung3 doch Schiffers Punktationen nicht unerwähnt lassen. Heute also trüber denn je. Denn gehen die Truppen überhaupt heraus, wenn sie das erfahren? Und glauben uns die Arbeiter noch? Albert sagt, Bauer habe angeordnet, daß der Steckbrief4 unter diesen Umständen noch nicht heraus dürfe. Lauter Versteckenspiele in unzureichenden Verstecken.

3

Die NatVers. war von Präs. Fehrenbach nach Stuttgart einberufen worden (vgl. Dok. Nr. 191). Sie tritt am 18. 3. um 16 Uhr im Saal des Kunstgebäudes in Stuttgart zu einer Sitzung zusammen, an der etwa 200 Mitglieder teilnehmen.

4

Vgl. Dok. Nr. 202, Anm. 10.

9 Uhr.

Telefongespräch Albert–Schiffer. Die Meuterertruppen ziehen ab. Bis morgen sind sie draußen. Reichswehr und Sicherheitswehr übernimmt [!] die Wilhelmstraße.

Schiffer hat sich wiedergefunden. Der Reichskanzler soll nicht erklären, daß man in Berlin etwas weich geworden sei. Denn man ist nicht weich geworden. Die Regierung hat in Berlin nie verhandelt (vergl. das Gespräch gestern morgen 4 Uhr). Er hat nur den Parteien seine Räume zur Verfügung gestellt. Nur die Mehrheitsparteien haben etwas erklärt5.

5

Zum Gesamtzusammenhang vgl. Dok. Nr. 218, Abschnitt IV.

Von der Amnestie Lüttwitz bittet er dringend, jetzt noch nicht zu reden. Sonst gingen die Truppen nicht heraus.

Albert und ich warnen vor Erklärungen, aus denen jemand entnehmen könne, daß niemand aus der Regierung verhandelt habe, weil tatsächlich Schiffer ja noch gestern früh 4 Uhr als Vizekanzler Erklärungen abgegeben[709] hat. Statt „nicht verhandelt“ müsse es heißen „nicht abgeschlossen“ hat. Sonst wird man der Verlogenheit beschuldigt.

10.30 Uhr.

Seniorenkonvent. […]

11.15 Uhr.

Fraktionssitzung. […]

12.15 Uhr.

Kabinett. Von Vielem nur folgendes: Der Reichskanzler wollte in seiner Rede6 feststellen, daß die Hochverräter durch besonderes Gesetz mit rückwirkender Kraft ihres Vermögens beraubt werden sollten. Das entspricht einer Drohung, die ich am 15. März öffentlich erlassen habe, um von dem Anschluß an die Verschwörung abzuhalten. Aber viele meiner Partei wollten keine rückwirkende Kraft. Bauer und die Sozis wollen das durchaus. Er droht mit Austritt. Einfache Beilegung von mir in der Sitzung. Passus lautet etwa: „Schwere Strafen für die Verführer, Beschlagnahme des Vermögens gemäß den Gesetzen (daß das im Gesetz war7, wußte vorher kein Mensch). Dafür sorgen, daß es der Staat zum Ersatz für den ungeheuren Schaden behält.“

6

Gemeint ist die geplante Regierungserklärung RK Bauers in der Nachmittagssitzung der NatVers.

7

Vgl. § 93 StGB in der durch Ges. vom 15.5.1871 festgestellten Fassung (RGBl. S. 127 ).

4 Uhr.

Nationalversammlung8. […]

8

Protokolle der Reden, in denen zu den politischen Ereignissen der letzten Tage Stellung genommen wird, in: NatVers.-Bd. 332, S. 4899  ff.

Abends 12 Uhr.

Um 11 Uhr im Bett. Herausgerufen, weil britischer Geschäftsträger einen Minister warnen wollte wegen höchstbedrohlicher Lage im Kohlenbezirk9. Mitteilung an Noske. Hilfe unterwegs. Kognak, Gilsa. Ich Pyjama. Kognak getrunken. Vorm Aufbruch Ebert und Müller. Komplott, Noskes Absetzung zu hindern10. Sozis zweifelhaft. Philipp, der Meuchelmörder, Rachsucht. Quark vernünftig. Meine Fraktion soll helfen, wenn noch nötig. Erklären, daß sie sich sozialdemokratische Ministerstürmerei nicht gefallen läßt. Zugesagt.

9

Zur Entwicklung der Widerstandsbewegung gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch im rheinisch-westfälischen Industriegebiet vgl. Dok. Nr. 207, Anm. 2.

10

RWeM Noske hatte unter dem Eindruck der in der Rede seines Parteifreundes Scheidemann enthaltenen Angriffe auf die bisherige Reichswehrpolitik (vgl. NatVers.-Bd. 332, S. 4905  ff.) noch während der NatVers.-Sitzung ein Abschiedsgesuch entworfen und auf Kochs Bitte, mit dessen Einreichung zu warten, geantwortet: „Keine Stunde mehr“ (Nachl. Koch-Weser , Nr. 24, S. 84). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 206.

Ebert böse über Schiffer, Gothein, Nuschke. Verhandeln mit Organisationen, die Einfluß auf Kabinettsbildung haben wollen, auch sonst weitgehende Forderungen stellen (Sozialisierung etc.)11. Schiffer schwimmt mit, wie immer.

11

Nachdem von den an der Durchführung des am 13. 3. proklamierten Generalstreiks maßgeblich beteiligten Gewerkschaftsorganisationen am 17. 3. abends beschlossen worden war, den Abbruch des Streiks an die Erfüllung gewisser politischer Bedingungen zu knüpfen, traten am 18. 3. Regierungsmitglieder – darunter Vizekanzler Schiffer und MinPräs. Hirsch –, Abgg. der Mehrheitsparteien und Vertreter der Berliner Streikleitung unter Führung von Carl Legien zu Verhandlungen über den Streikabbruch und die Rückkehr der RReg. nach Berlin zusammen (Einzelheiten s. Dok. Nr. 204).

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