2.26.5 (cun1p): 4) Rheinland.

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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RTF

4) Rheinland.

Staatssekretär Brugger trägt zunächst über die Frage der Behandlung der Beamten im besetzten Gebiet vor. Es seien gewisse Richtlinien aufgestellt worden, von denen den leitenden Beamten mündlich Mitteilung gemacht werden solle5. Eine Vereinbarung mit den Ländern müsse herbeigeführt werden, damit auch sie die in den Richtlinien aufgestellten Grundsätze anerkennen. Von Bedeutung sei die Frage, wie sich die Beamtenschaft im Falle eines besonderen Vorgehens der interalliierten Besatzungsbehörden – erhöhte Besetzung, Abschnürung der Rheinlande, separatistische Bewegungen – zu verhalten habe. Insbesondere, ob die Beamtenschaft in einen Proteststreik eintreten solle und ob die leitenden Beamten ihren Dienst fortführen sollten.

5

Die Richtlinien für das Verhalten der Beamten im bes. Geb. waren am 19. 12., 10 h, im RIMin. besprochen worden unter Beteiligung der Rkei, des RFMin., RArbMin., RVMin., RPMin., RSchMin., des PrStMin. und des PrIMin. Die dem Protokoll beigefügten Richtlinien sehen für verdrängte Reichsbeamte die volle Weiterzahlung der Dienstbezüge und die Zahlung von Tagegeldern, Umzugskosten und Reisekosten nach den üblichen Bestimmungen vor. Entstandene Sach- und Rechtsschäden werden nach dem Verdrängungsschädengesetz vom 28.7.1921 (RGBl. Bd. 2, S. 1021 ff.) und den Richtlinien über Zusatzentschädigungen (Zentralblatt für das Deutsche Reich 1922, Nr. 41) gewährt. Der RFM wird beauftragt, mit den beteiligten Ländern eine einheitliche Regelung zu vereinbaren unter Kostenbeteiligung des Reiches. Bis zur Regelung wird das Reich den Ländern 50% der entstehenden Kosten erstatten, sofern die Richtlinien der Länder im Einklang stehen mit den Richtlinien des Reiches und vorbehaltlich der endgültigen Vereinbarung zwischen Reich und Ländern (R 43 I /1381 , Bl. 163).

Reichsverkehrsminister Groener wendet sich gegen die Demonstration eines Proteststreiks. Auch aus Anlaß einer Demonstration dürfe der Streikgedanke nicht erneut in die Beamtenschaft hineingetragen werden6.

6

Zuletzt war es Anfang Februar 1922 zu einem ausgedehnten Eisenbahnerstreik gekommen. Das RVMin. hatte daraufhin eine Reihe von Disziplinarverfahren eingeleitet, die zum großen Teil noch liefen und zu wiederholten Eingaben und Vorstellungen der Eisenbahnergewerkschaften führten (vgl. Dok. Nr. 85, P. 3).

Reichsminister des Innern Oeser schlägt vor, die Beamtenschaft anzuweisen, daß sie sich in solchen Fällen dem Verhalten der Gesamtbevölkerung anpassen solle.

Der Reichskanzler bemerkt, er glaube, daß sich diese Frage grundsätzlich schwer entscheiden lasse.

Staatssekretär Brugger teilt diese Auffassung und glaubt, daß es sich in der Hauptsache um einen Anschluß an Maßnahmen der Bevölkerung handeln werde. Hinsichtlich der leitenden Beamten habe man sich allgemein auf den Grundsatz gestellt, daß diese auf ihrem Posten beharren müßten.

Reichswirtschaftsminister Dr. Becker tritt für die Beamten im besetzten Gebiet ein, für die noch mehr geschehen müsse, als bisher geschehen sei. Diese Beamten dürfe nicht das Gefühl der Verlassenheit beschleichen.

Reichsernährungsminister Dr. Luther hält es für sehr zweckmäßig, wenn ein Mitglied des Kabinetts persönlich Fühlung im Westen mit führenden Personen nehme, um das besondere Interesse der Reichsregierung für das besetzte Rheinland zu bekunden.

[82] Das Kabinett tritt dem Vorschlage des Reichsernährungsministers Dr. Luther bei. Bezüglich der Beamtenfrage ist es der Auffassung, daß die leitenden Beamten unter allen Umständen auf ihrem Posten beharren müßten7.

7

StS Brugger erklärt dem RK zu diesem Punkt am 2.1.23: „Die in der Kabinettssitzung gebilligten Grundsätze für die Haltung der Beamten im besetzten Gebiet im Falle staatsrechtlicher Änderungen und die Zusage einer Sicherstellung für den Fall ihrer Bestrafung und Ausweisung sind den Ländern und den Reichsressorts zwecks Verständigung der leitenden Beamten mündlich mitgeteilt worden. Ich habe den OPräs. der Rheinprovinz bereits mündlich verständigt.“ (R 43 I /186 , Bl. 3 f.).

Im folgenden werden die einzelnen in der Anlage aufgeführten Punkte eingehend besprochen8.

8

Die Anlage gibt unter dem Titel „Besetztes Gebiet“ folgende Punkte an:

„1)Entschädigungsleistung für Einquartierungen und Beanspruchung von Möbeln usw. (RSchMin.).

2)Wirtschaftliches (RWiMin., RVMin.): a) Schiffahrt, b) Zollfragen, c) Versorgung mit Lebensmitteln u. Kohle.

3)Wohlfahrtspflege (RArbMin.): a) Kleinrentnerhilfe, b) Arbeitslosenfürsorge, c) Unterstützung von Wohlfahrtseinrichtungen.

4)Kulturpolitisches (RIMin.): a) Unterstützung der Presse, Gegenwehr gegen französische Presse, b) Unterstützung von Volksbildungsunternehmungen (Theater, Orchester, Gesangvereine).

5)Politisches (RIMin., RAMin.): a) Zentralstelle in Berlin, die Einrichtungen der Länder, b) Propaganda, insbesondere Abwehr der Propaganda der Frankenlöhnung im besetzten und unbesetzten Gebiet und im Ausland unter Verwertung 1) der Wirtschaftsschäden der Besatzung (Gesamt- und Einzelziffern). 2) der Übergriffe und Verbrechen unter Vermeidung von Übertreibungen, c) Beamtentum: Weisung an die Beamten; Sicherung der Beamten für den Fall der Bestrafung und Ausweisung.“ (R 43 I /185 , Bl. 460-463).

Der Reichskanzler bemerkt allgemein hierzu, daß der Zweck der Aussprache nicht der sei, alle Einzelheiten zu erschöpfen, sondern auf größtmögliche Beschleunigung der Erledigung der in den einzelnen Punkten gegebenen Anregungen hinzuwirken.

Zu Punkt 1) Entschädigungsleistungen: Der Herr Reichsschatzminister <erkennt Mängel des Gesetzes an, dessen Änderung dem Widerspruch der Entente begegnet sei und begegnen werde9, wie des Verfahrens und> schlägt vor, für einzelne Fälle besondere Fonds bei dem Staatssekretär für die besetzten Gebiete zur Verfügung zu stellen.

9

Dieser Teil des Satzes < > ist handschriftlich ergänzt. Am 16.12.22 hatte der RSchM die Ausführungsbestimmungen zum Besatzungspersonenschädengesetz vom 17.7.22 (RGBl. I, S. 624  ff.) vorgelegt (R 43 I /185 , Bl. 400), die am 12.1.23 trotz der Widerstände der Entente vom Kabinett verabschiedet (Dok. Nr. 41, P. 4) und am 14.3.23 verkündet werden (RGBl. I, S. 189 ).

Der Herr Reichskanzler weist darauf hin, daß gerade die Frage der Entschädigungsleistungen Gegenstand besonderer Klagen der Bevölkerung sei. Insbesondere würden die durch Einquartierung entstehenden Kosten meist zu spät und meist nicht hinreichend ersetzt10. Er schlage zunächst einmal vor, einen Runderlaß an die Länder zu versenden, in dem darauf hinzuweisen sei, daß es von großer Wichtigkeit sei, in dem besetzten Gebiet die Entschädigungen so schnell wie möglich zu zahlen.

10

Am 23.12.22 teilt der RSchM dem RK mit, daß er mit StS Brugger die Fragen der Quartiervergütung, der Beschleunigung des Feststellungsverfahrens und die Schaffung besonderer Ausgleichsfonds näher beraten habe. Er erläutert die Beschlüsse im einzelnen (R 43 I /185 , Bl. 439).

Zu Punkt 2a) Wirtschaftliches. Schiffahrt: Es wird Bezug genommen auf[83] die Vorlage des Herrn Schmitz – Rk. 10435 –, die in der Anlage beigefügt ist11. Die darin enthaltenen Vorschläge sollen von den beteiligten Ministerien weiter behandelt werden.

11

Das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Vereins zur Wahrung der Rheinschiffahrtsinteressen und Mitglied des RWiR, Schmitz, hatte am 13. 12. dem RVM einige Gesichtspunkte für die deutsche Rheinlandpolitik vorgetragen. Aufgrund einer Empfehlung des RVM hatte Schmitz daraufhin am 14. 12. seine Gedanken schriftlich an den RK gegeben und war in der Rkei empfangen worden. Seine Vorschläge beziehen sich in erster Linie auf verkehrspolitische Fragen, darüber hinaus schlägt er einen Erlaß des RK an sämtliche Ressorts vor, der dazu auffordert, „die auf die Rheinlande bezüglichen Fragen der Wirtschaftspraxis mit besonderer Aufmerksamkeit und Schnelligkeit einer positiven Erledigung zuzuführen.“ (R 43 I /185 , Bl. 371, 372-375).

Zu Punkt 3) bemerkt der Herr Reichskanzler daß er über diese Fragen mit dem Herrn Reichsarbeitsminister persönlich Rücksprache nehmen wolle12.

12

Lt. Schreiben StS Bruggers an den RK vom 2.1.23 ergibt sich für das besetzte Gebiet die Notwendigkeit, 1 Mrd. M für Kleinrentnerhilfe bereitzustellen. Im Einverständnis mit dem RArbMin. soll der entsprechende Antrag dem RFMin. unverzüglich zugeleitet werden (R 43 I /186 , Bl. 3 f.).

Zu Punkt 4a) (Presse) erklärt der Herr Reichsminister des Innern daß eine besondere Aktion bereits im Gange sei, daß die hierzu zur Verfügung gestellten Mittel nahezu verbraucht seien und daß eine neue Stützungsaktion eingeleitet werden müsse13.

13

StS Brugger teilt dazu am 2.1.23 dem RK mit: „Die Sonderaktion zur Unterstützung der rheinischen Presse ist durchgeführt. Ich werde noch darüber berichten, ob sich eine weitere Unterstützung der Presse des besetzten Gebiets als notwendig erweist.“ (R 43 I /186 , Bl. 3 f.).

Zu Punkt 4b) erklärt der Herr Reichsminister des Innern daß 45 Millionen für diese Zwecke bereits verbraucht worden seien und daß weitere 100 Millionen nachgefordert würden. <Der Herr Reichsernährungsminister betont die Notwendigkeit, besonders Gesangvereine zu unterstützen. Staatssekretär Brugger erklärt, daß dies geschehe und weiter geschehen solle; von Staats wegen werden im wesentlichen die Verantwortlichen gestützt14.>

14

Handschriftlich ergänzt.

Zu Punkt 5a) bemerkt der Herr Staatssekretär für die besetzten Gebiete, daß eine besondere Stelle für wirtschaftspolitische Angelegenheiten beim Staatssekretariat eingerichtet würde.

Zu Punkt 5b) bemerkt der Herr Staatssekretär für die besetzten Gebiete, daß in letzter Zeit die Verbreitung von Flugblättern durch Smeets und dessen Anhänger besonders in Erscheinung getreten sei; in Düsseldorf seien solche Flugblätter aus Flugzeugen herabgeworfen worden. Er beantrage die Einleitung einer großzügigen Gegenaktion, für die zunächst einmal mindestens 30 Millionen Mark zur Verfügung gestellt werden müßten.

Der Herr Reichsminister des Innern schlägt unter Billigung des Herrn Reichskanzlers und des Kabinetts vor, daß in jedem einzelnen Falle einer Smeets-Propaganda von der Staatsanwaltschaft scharf vorgegangen werden müsse auf die Gefahr hin, daß die französische Behörde dann eingreift und Smeets in Schutz nehme.

Zu Punkt 5b 2) erklärt der Herr Staatssekretär für die besetzten Gebiete, daß er eine Denkschrift an den Reichstag eingereicht habe15. In der Denkschrift[84] seien alle schweren Fälle behandelt worden. <Die Denkschrift werde in mehrere Sprachen übersetzt und im Buchhandel und durch deutsche Stellen im Ausland verbreitet werden. Auf entsprechende Anregung wird gutgeheißen, die Denkschrift auch amtlich den Vertretungen der Besatzungsmächte mitzuteilen16.>

15

Es handelt sich hier um die Denkschrift „Die Ausschreitungen der Besatzungstruppen im besetzten rheinischen Gebiet“, die am 16.12.22 vom RIM an den RT geleitet und hier am 13.1.23 verteilt wird (RT-Drucks. Nr. 5448, Bd. 376 ). Auch in R 43 I /185 , Bl. 379-398.

16

Handschriftlich, ursprünglich: „Er wolle die Denkschrift übersetzen lassen und den verschiedenen Botschaften der ausländischen größeren Staaten übermitteln.“

Der Reichskanzler erklärt mit Zustimmung des Kabinetts, alle das Rheinland betreffenden Fragen mit Herrn Staatssekretär Brugger weiterhin eingehend verfolgen zu wollen.

Das Kabinett stimmt zu17.

17

Am 22.12.22 weist der RK in einem Rundschreiben an die RM noch einmal darauf hin, daß im Kabinett der einheitliche Wille bekundet worden sei, „daß von der Gesamtregierung und allen Regierungsbehörden die Angelegenheiten der besetzten Gebiete am Rhein entsprechend den besonderen Schutz- und Hilfsvorschlägen des Reichs gegenüber der in Treue ausharrenden, schwer leidenden Bevölkerung des besetzten Gebiets und gemäß der hohen politischen Bedeutung dieser Fragen mit besonderer Aufmerksamkeit und Schnelligkeit behandelt und möglichst rasch, ohne Umschweife und Zeitversäumnis, soweit irgend möglich einem befriedigenden Ergebnis zugeführt werden. In Verfolg der Besprechung im Reichskabinett vom 19. 12. d. Js. ersuche ich daher die sämtlichen Herren Minister ergebenst, sich persönlich dieser Fragen anzunehmen und durch Verfügungen an die Abteilungen und Referate der Ministerien sowie an die nachgeordneten Stellen für einheitliche Beachtung dieses Willens der RReg. Sorge zu tragen. Um wiederholten Klagen abzuhelfen, daß es an der notwendigen Einheitlichkeit in der Behandlung der rheinischen Angelegenheiten fehle, ersuche ich ergebenst, den Herrn RIM bzw. den Herrn StS für die besetzten rheinischen Gebiete über alle Rheinlandfragen der einzelnen Ressorts dauernd auf dem laufenden zu halten und ihn zu allen Verhandlungen und Besprechungen hinzuzuziehen. Bei der hohen Bedeutung dieser Fragen für die allgemeine Politik bitte ich, mich fortlaufend zu unterrichten, in eiligen Fällen ggf. durch telefonische Mitteilung an den Chef der Rkei oder den Referenten der Rkei.“ (R 43 I /185 , Bl. 422). Zur Ausführung der Kabinettsbeschlüsse fährt StS Brugger lt. Vermerk v. Bornstedts dreimal nach Köln (R 43 I /185 , Bl. 456) und berichtet sodann dem RK am 2. 1. vom Ergebnis seiner Besprechungen (R 43 I /186 ; s. Anm. 7, 12, 13).

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