2.138 (cun1p): Nr. 138 Aus dem Bericht des Reichsbankpräsidenten vor dem Zentralausschuß der Reichsbank. 23. April 1923

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[424] Nr. 138
Aus dem Bericht des Reichsbankpräsidenten vor dem Zentralausschuß der Reichsbank. 23. April 1923

R 43 I /640 , Bl. 175-181 Durchschrift1

1

Mit Schreiben vom 23. 4. sendet RbkPräs. Havenstein wie allmonatlich dem RK das Protokoll über die Sitzung des Zentralausschusses der Rbk im Durchschlag. Es enthält neben der Anwesenheitsliste (Mitglieder des Rbk-Direktoriums und 17 führende Privatbankiers) auf 13 Seiten die Rede Havensteins. Der hier abgedruckte Auszug der Rede umfaßt rd. 4 Seiten.

[…]2 Unser Volk und Land steht in schwerem Kampf, dessen Ausgang vielleicht für lange Zeit über seine Zukunft entscheidet. Wir sind waffenlos, aber nicht wehrlos, und diese letzten drei Monate haben den Beweis geliefert, daß auch von einem waffenlosen Volk das Recht gegen die Gewalt mit Erfolg verteidigt werden kann, wenn Regierung und Wirtschaft und alle Schichten des Volkes geschlossen und entschlossen zusammenstehen und nur das eine Ziel sehen, durch ihre Abwehrhaltung sich das Recht zu erkämpfen und zu wahren, wieder in Freiheit zu arbeiten und zu schaffen auf freiem Boden. Der Kampf kann noch lange dauern, und wir müssen uns darauf einrichten, ihn noch lange und mit Erfolg zu führen. Und wie es heute die selbstverständliche Pflicht jedes Deutschen ist, sich deshalb mit in Reih und Glied zu stellen, und wie dieser Gesichtspunkt unsere ganze innere Politik beherrscht und sich in einer Reihe positiver Maßnahmen auswirkt, die dafür in Aussicht genommen sind, so muß er auch richtunggebend sein für die Politik der Reichsbank. Ihre seit bald drei Monaten geführte Stützungsaktion ist ein sehr wesentlicher Teil dieses Abwehrkampfes, und es ist notwendig, daß unser Volk und vor allem alle Kreise der deutschen Wirtschaft auch das voll erfassen und danach handeln. Und hier meine Herren, ein ernstes Wort. Das große Mittel, das Reich und Reichsbank hierfür in Anwendung gebracht haben, und dessen Zweck allen beteiligten Wirtschaftskreisen sehr ernst und klar zur Kenntnis gebracht war, die Auflegung der Goldschatzanweisungsanleihe3, hat den Erwartungen, die daran geknüpft werden durften, nicht entsprochen. Wenn wir auch nie einen Zweifel daran gehabt und gelassen haben, daß die in der ausländischen, namentlich der französischen und belgischen Presse vielfach verbreiteten Behauptungen von einem viele Goldmilliarden betragenden Devisenbesitz der deutschen Wirtschaft nichts weiter waren, als ein und zwar meist ein bewußtes Gebilde der Phantasie, so durfte doch füglich erwartet werden, daß der größere Teil der aufgebrachten Anleihe gezeichnet werden würde4. Das ist nicht geschehen, und das hat die Wirkung gehabt, daß unsere Gegner die Widerstandskraft und den Widerstandswillen der deutschen Wirtschaft glaubten schwächer einschätzen zu dürfen, als sie sind, daß aber auch – und das war das Schlimmere –[425] im eigenen Lande wieder die Sonderinteressen sich zum Schaden des Ganzen in stärkerem Maße betätigten, die Ansprüche an den Devisenmarkt und an die Reichsbank sich von Woche zu Woche und schließlich in einem Umfange steigerten, der weit über den normalen Bedarf unserer Wirtschaft hinausging, und auch die Tagesspekulation sich wieder unbekümmert um das Wohl des Ganzen in stärkerem Maße hervorwagte und durch Vorverkäufe an dem einen und Eindeckung an der Börse am anderen Tage die Stützungsaktion erschwerte. Wir haben aber auch mit tiefem Bedauern und mit ernster Sorge wahrnehmen müssen, daß nicht nur jene Tagesspekulation ihren eigenen Acker pflügte, sondern daß in dieser Zeit des schwersten Ringens Deutschlands auch ernste Kreise unserer Wirtschaft das Recht zu haben glaubten, sich nicht nur für den zwingenden Bedarf einer nahen Zukunft, sondern auch weiterhin auf Vorrat oder für Devisen, die sie abgestoßen hatten, mit großen Beträgen einzudecken und selbst vor Konzertaufträgen nicht zurückscheuten. Das alles geht heute nicht an, denn das heißt, wenn auch nicht absichtlich, aber doch tatsächlich der großen gemeinsamen Kampffront und der Aktion, die Reich und Reichsbank im Interesse unserer Politik und Wirtschaft führen, in den Rücken fallen. Dieser Kampf fordert gebieterisch, daß alle Sonderinteressen rückhaltlos zurückgestellt werden, und er fordert ebenso, daß nur der unmittelbar und für nahe Zukunft notwendige Devisenbedarf gedeckt wird, die hierfür nicht notwendigen Devisen aber herausgegeben und in den Dienst des Abwehrkampfes gestellt werden, und das ist für ihre Besitzer umso leichter, als die Goldschatzanweisungen auch weiterhin gegen Devisen erworben werden können. Das Reichsbankdirektorium würde es lebhaft bedauern, wenn es einer dem Interesse des Ganzen zuwiderlaufenden Betätigung der Sonderinteressen und des Eigennutzes mit den ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln entgegentreten müßte; ich betone aber, daß es das tun würde, und zwar mit schärfsten Restriktionen ohne Ansehen der Person oder Firma5. [… 6]

2

Im ersten Teil seines Berichts gibt Havenstein eine Darstellung der Entwicklung des Reichsbankstatus seit der letzten Zentralausschußsitzung am 28.3.23.

3

Gemeint ist die Ausgabe von Dollarschatzanweisungen durch Gesetz vom 2.3.23 (RGBl. I, S. 155 ).

4

Tatsächlich wurde nur rd. ein Viertel der Anleihe gezeichnet. S. dazu auch Anm. 2 zu Dok. Nr. 128.

5
 

Den letzten Absatz ab Anm. 4 druckt der ‚Vorwärts‘ in Nr. 189 vom 24. 4. ab und bemerkt dazu einleitend: „Seit dem vergangenen Mittwoch [18. 4.] haben sich die bis dahin heimlichen Wühlereien der Spekulation gegen den Stand der Mark zu einem neuen offenen Vorstoß gegen die deutsche Währung verdichtet. Die Verbraucher bekommen die Erhöhung des Dollarkurses in erhöhten Warenpreisen bereits zu spüren. Schon in unserer Sonntagsausgabe wiesen wir darauf hin, daß hier eine planmäßige Aktion der Schwerindustrie vorliegt, die seit langem eine neue Dollarhausse wünscht. Unsere Mitteilung, daß auch Herr Stinnes an einem einzigen Tage für mehrere Millionen Goldmark Devisen gekauft hat, wurde von der Rechtspresse ihren in Valuta schiebenden Lesern vorenthalten. Die Mitteilungen über das verbrecherische Treiben der Spekulation, der Banken und einzelner Industrieller werden aber vollinhaltlich bestätigt von einem Mann, der es schließlich auch wissen muß, obwohl er 4 Jahre lang nicht daran glauben wollte und in dieser Zeit die Valutaspekulation nicht zu verhindern wußte. Dieser Mann ist der RbkPräs. Havenstein.“ Weitere scharfe Presseangriffe gegen Stinnes erfolgen in den folgenden Nummern des ‚Vorwärts‘ sowie in Zeitungen wie der ‚BZ‘, der ‚Vossischen Zeitung‘, der ‚Frankfurter Zeitung‘ (Ausschnitte in R 43 I /2445 , Bl. 112-115, 117, hier: Bl. 115); sie veranlassen StS Hamm am 27. 4. zu dem Vermerk: „Die Vorwürfe gegen Stinnes müssen genau verfolgt werden im Zusammenhang mit den Beschuldigungen, die RbkPräs. Havenstein erhoben hat. Es wird hier vom Dolchstoß der Wirtschaft gesprochen werden und jetzt schon gesprochen. Näheres Material ist bisher dem Herrn RK und dem Herrn RWiM nicht bekannt. Eine Untersuchung von Devisenkäufen des Stinnes-Konzerns würde nach Mitteilung von Trendelenburg sehr lange Zeit dauern und im Ergebnis unsicher sein. Exzellenz Becker wird heute mit Herrn Havenstein darüber sprechen. Ich bitte die Sache im Auge zu behalten.“ (R 43 I /2445 , Bl. 111). Lt. Vermerk Kempners vom 1. 5. ermächtigt Havenstein am 28. 4. einen Vertreter der ‚DAZ‘ zu veröffentlichen, „daß die Äußerungen Havensteins im Zentralausschuß der Rbk nicht bestimmte Einzelfälle und mithin auch nicht die von gewissen Zeitungen Herrn Stinnes in bezug auf unberechtigte Devisenkäufe gemachten Vorwürfe im Auge gehabt hätten.“ Stattdessen bringt die DAZ am 29. 4. die Notiz, Havenstein habe sie zu der Erklärung ermächtigt, „er habe mit seiner Äußerung nicht bestimmte Einzelfälle im Auge gehabt und keinesfalls gegen Herrn Stinnes den Vorwurf ungerechtfertigter Devisenkäufe erheben wollen.“ Kempner vermerkt weiter: „Nach Ansicht von Havenstein ging dies über die erteilte Ermächtigung hinaus und er verlangte Berichtigung. Hierauf ließ ihm Stinnes am 30. 4. sagen, er lehne jede Berichtigung ab und würde, wenn etwa Havenstein berichtige ‚den Kampf gegen ihn und die Reichsbank auf der ganzen Linie aufnehmen‘.“ (R 43 I /2445 , Bl. 118). Am 2. 5. vermerkt Kempner: „Exz. Havenstein teilt mit, daß sich die Angelegenheit mit Stinnes gut erledigt habe. Stinnes hat Anweisung gegeben, daß die DAZ die von Havenstein gewünschte Berichtigung bringt [in den folgenden Nummern der Berliner DAZ nicht ermittelt]. Es hat sich herausgestellt, daß die ganze Quertreiberei nicht von Stinnes, sondern von Humann ausging, insbesondere die ‚Kriegserklärung‘ an die Reichsbank. Stinnes hat zu letzterem erklärt, er würde so etwas niemals tun und hätte auch niemals daran gedacht, da er ein solches Verhalten für verhängnisvoll ansehen würde.“ (R 43 I /2445 , Bl. 119). Zur weiteren Verfolgung der Vorwürfe gegen Stinnes s. Dok. Nr. 149, Anm. 4.

6

Anschließend begründet Havenstein die Diskonterhöhung von 12 auf 18%, die vom Zentralausschuß einstimmig angenommen wird.

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