2.229 (cun1p): Nr. 229 Denkschrift zur wirtschaftlichen Lage. [27. Juli 1923]

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Text

RTF

[682] Nr. 229
Denkschrift zur wirtschaftlichen Lage. [27. Juli 1923]1

1

Die Denkschrift ist undatiert und ohne Verfasserangabe. Doch findet sich neben der Überschrift der handschriftliche Vermerk „Henrich – Albert“; zudem schreibt StS Hamm in seinem „Memorandum über den Stand der wichtigsten Regierungsmaßnahmen bei Übergang der Geschäfte vom Kabinett Cuno auf das Kabinett Stresemann“ (Dok. Nr. 250): „In die Erwägungen des RK über die wirtschaftliche Lage führt am besten das Programm ein, das aus der Zusammenarbeit von Herrn RM Albert mit Wirtschaftsführern, insbesondere Herrn Henrich entstanden ist und in klarer Schärfe die Notwendigkeit der Anleihe und der Devisenbeschaffung einerseits, die Notwendigkeit der Befreiung unserer Wirtschaft von Fesseln der Ausfuhrkontrolle usw. hervorhebt. Dieses Programm ist grundsätzlich vom RK Cuno gebilligt; eine in manchem vermittelnde Fassung gibt ungefähr das wieder, was in vielfachen Besprechungen mit der Wirtschaft vom RK vertreten wurde.“ (R 43 I /1493 , Bl. 287-293, hier: Bl. 287). Danach dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß es sich bei dieser Denkschrift um das von Albert und Henrich vorgelegte und vom RK grundsätzlich gebilligte Programm handelt. Die „in manchem vermittelnde Fassung“ dürfte dagegen identisch sein mit Dok. Nr. 234. Aus diesen Zusammenhängen und dem Inhalt der Denkschrift ergeben sich auch Hinweise auf die Datierung. Sie dürfte etwa auf den 27. 7. fallen.

R 43 I /1134 , Bl. 124-132

Denkschrift über die Möglichkeit einer Rettung Deutschlands vor dem Währungszerfall, einer Lebensmittelkatastrophe und dem politischen Chaos.

1. Die Situation.

Nach den mißlungenen Versuchen2, den Währungszerfall aufzuhalten, fehlt auf dem ausländischen Devisenmarkt das letzte Vertrauen dazu, daß Deutschland aus eigener Kraft noch in der Lage ist, das Chaos abzuwenden. Die sich überstürzende Markentwertung, wie sie gerade in der letzten Woche erfolgt ist3. hat im Inlande bewirkt, daß auch beim letzten Ladeninhaber und bei dem abgelegensten Landwirt die Mark die Bedeutung als Wertmesser und Entgelt verloren hat. Die Flucht aus der Mark, die allenthalben stattfindet, treibt die Bevölkerung dazu, sinnlos alles, was noch gegen Mark zu beschaffen ist, aufzukaufen; auf der anderen Seite aber alle warenbesitzenden Kreise dazu, die Waren zurückzuhalten. Die Preise steigen ins Unerträgliche, dabei hört der Warenzirkulationsprozeß auf, die normale Versorgung wird unterbrochen. Die Wirkung zeigt sich bereits in diesen Tagen. Der Verkauf gegen Papiermark hört auf. Bei allen Kreisen, die sich nicht durch Vorräte helfen können, herrscht eine verzweifelte Stimmung. In die Wirtschaft ist die größte Unsicherheit hineingetragen. Es mag gelingen, mit scharfem Einsetzen von Polizei vorübergehend größere Revolten zu verhindern. Auf längere Zeit ist dieses nicht möglich, wenn der Austausch zwischen Land und Stadt aufhört und in den Städten die nötigen Lebensmittel fehlen. Es ist weniger zu befürchten, daß eine große politische Gegenbewegung der schlechtversorgten städtischen Bevölkerung eintritt, als daß der Kampf Aller gegen Alle um das tägliche Brot in den Städten[683] beginnt und daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den eigenen Gebieten die einzelnen Teile des Reiches selbständig vorgehen, das Reich damit auseinanderfällt. Der Staat, der nicht mehr in der Lage ist, den völligen Währungszerfall aufzuhalten und sich in dieser Beziehung bankrott erklärt, der nicht in der Lage ist, seinem von ihm herausgegebenen Gelde irgendwelche Kaufkraft zu geben, muß restlos alle Autorität und letzten Endes seine Existenzberechtigung verlieren.

2

Der ursprüngliche Text „Nach den mißlungenen letzten Versuchen der Reichsbank“ ist handschriftlich entsprechend korrigiert worden.

3

Vom 20. 7. bis zum 27. 7. stieg der amtliche Dollarkurs der Mark von 284 000 auf 762 000, am 30. 7. wird der Dollar amtlich auf 1 100 000 M gesetzt, um anschließend leicht zurückzupendeln.

Außenpolitisch muß diese Situation die französische Politik unterstützen und alle Versuche, Deutschland in der Reparationsfrage Erleichterung zu bringen, lahmlegen. Nur eine ganz große Aktion kann noch helfen, eine Aktion, die für einige Monate den weiteren Verfall der Währung aufhält, die das Vertrauen wieder herstellt und damit den Warenzirkulationsprozeß wieder belebt.

2. Das vorläufige Programm des Kabinetts.

Nach den Vorschlägen der Regierung4 soll zunächst dadurch eingegriffen werden, daß ein im Finanzministerium ausgearbeitetes Steuerprogramm schnell durchgeführt und in kleinen Raten Goldanleihen aufgelegt werden5. Dieses Programm wird nicht die erforderliche Wirkung ausüben, beruht auf falschen Prinzipien und wird daher zum Fehlschlag führen müssen. Tritt dieser Fehlschlag ein, so ist es zu spät, um noch Maßnahmen durchzuführen, die heute vielleicht noch eine Rettung bringen können.

4

„Regierung“ aufgrund handschriftlicher Verbesserung von Albert (?), ursprünglich „Minister Hermes und Becker“.

5

Das Steuerprogramm wird von Hermes am 27. 7. erläutert (Dok. Nr. 227), zur geplanten Goldanleihe in Höhe von 20 – 25 Mio GM vgl. Anm. 4 zu Dok. Nr. 225.

Das Steuerprogramm des Reichsfinanzministeriums.

Das ganze Steuersystem ist dringend reformbedürftig. Eine solche Reform ist aber nicht von heute auf morgen möglich. Dadurch, daß man mißlungene Steuern, deren praktische Durchführung gescheitert ist, weiter zur Grundlage nimmt, Fehler vervielfacht, kann nicht die nötige innenpolitische Wirkung erzielt werden. Für die zur Zeit geltenden Steuern sind die Veranlagungsgrundlagen falsch. Gerade die steuerkräftigsten Unternehmungen sind in der Lage gewesen, aufgrund der geltenden Steuern durch geschickte Aufmachung der Bilanzen sich von einer angemessenen Steuerleistung zu befreien. Vervielfacht man die heutigen Steuern, so werden die steuerkräftigen Personen verhältnismäßig wenig betroffen, dagegen werden zahllose Ausnahmen geschaffen werden müssen für alle diejenigen, die nach den neuen Bestimmungen zu unerträglichen Steuerlasten herangezogen werden, d. h., das System wird sofort wieder durchlöchert. Bei der mangelnden Autorität des Staates wird mit jedem Zuschlag die Steuerflucht weiter zunehmen. Vor allem aber wird durch Indexzuschläge das Interesse jedes Steuerzahlers an der weiteren Entwertung der Mark gesteigert, das Steuersystem wird weiter dazu beitragen, die inflationistische Tendenz zu verstärken. Rein technisch gesehen, lassen sich die unbedingt erforderlichen Beträge auf dem Wege der Steuer in Papiermark gar nicht in[684] kurzer Zeit ohne eine neue, ungeheuerliche Vermehrung der Markkredite, d. h. neue Inflation aufbringen. Wird aber selbst angenommen, daß die Steuern verhältnismäßig schnell aufgebracht werden, daß die inflationistische Wirkung eine möglichst geringe sein wird, so wird in jedem Falle die Wirkung auf die Währung erst in einigen Monaten eintreten, d. h. die Operation wird gelingen, nachdem der Patient gestorben ist.

Die von sachverständiger Seite vorgeschlagene Auflegung von Goldanleihen in kleinen Serien wird rein bankmäßig möglicherweise einen Erfolg bringen. Helfen kann sie nicht, denn eine derartige tropfenweise Aufbringung der Mittel schafft keinen Preisabbau, schafft innerpolitisch nicht die Ruhe und das Vertrauen, das erforderlich ist. Es würde sich um Mittelchen handeln, die wirkungslos bleiben würden.

Die rigorosesten Steuern finden heute, auch bei noch so geschickter Regie, bei den notleidenden Kreisen keinen Glauben, nachdem bei allen Notopfern usw. bisher die kapitalkräftigen Kreise infolge der zunehmenden Entwertung von wirklichen Opfern verschont geblieben sind.

3. Der Weg zur Rettung.

Aus diesem Grunde muß ein anderes Programm von der Regierung aufgestellt werden, und zwar unverzüglich. Als solches Programm wird vorgeschlagen: Die Aufbringung einer inneren Anleihe in Höhe von 500 Millionen Goldmark, vierteljährlich verzinslich zu 6% p. a., rückzahlbar nach 30 Jahren6. So ausgegebene Dollarschatzanweisungen würden abzugeben sein gegen

6

StS Hamm schlägt stattdessen eine Verzinsung von 5% und eine Laufzeit von 12 Jahren vor (Dok. Nr. 234); mit 6%iger Verzinsung und 12jähriger Laufzeit wird die Anleihe aufgelegt. Zu den Anleihebedingungen insgesamt s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 243.

a)

Papiermark zum jeweiligen Kurse,

b)

fungible Rohstoffe, wie Kupfer, Baumwolle, Roggen, nach einem bestimmten Tarif,

c)

Devisen und bestimmte Valutapapiere.

Die Dollarschatzanweisungen müßten frei von Erbschaftssteuern und Vermögenssteuern sein. Diejenigen, die Dollarschatzanweisungen gegen Devisen und die genannten Waren zeichnen, müßten in gewissem Umfange Amnestie für Steuer- und Devisengesetzverstöße erhalten. Die Verzinsung der Anleihe müßte sichergestellt werden durch eine besondere Steuer, die von den Erwerbs- und Wirtschaftsgesellschaften anstelle der Körperschaftssteuer in Gold aufgebracht wird (zur Verzinsung sind jährlich 30 Millionen Goldmark erforderlich. 1912 betrug das Unternehmungskapital in den deutschen Aktiengesellschaften ca. 20 Milliarden Goldmark. Eine Körperschaftssteuer, die 30 Millionen Goldmark jährlich bringt, ist durchaus tragbar).

Wie lassen sich die 500 Millionen Goldmark aufbringen? Ohne Vertrauen zur Regierung wird keine Devise herauszubringen sein. Hat die Wirtschaft Vertrauen, so wird die Aufbringung von 500 Millionen Goldmark gegen Papier, Waren, Devisen bestimmt durchzuführen sein. Der Reichskanzler müßte die Führer der verschiedenen Wirtschaftskreise zusammenrufen, ein klar umrissenes[685] Programm für die Regierung vorlegen und dann zur Rettung des Landes verlangen, daß die einzelnen Gruppen unter sich die erforderlichen Beträge aufbringen. Rechnet man 250 Millionen Goldmark in Devisen und den genannten Waren, so würde etwa dieser Betrag nach folgendem Schlüssel aufgebracht werden können:

je 50 Millionen Goldmark von Banken, Landwirtschaft und Handel,

100 Millionen Goldmark von der Industrie.

Haben die verschiedenen Wirtschaftskreise das Vertrauen, daß diese Gelder nicht in ein Faß ohne Boden hineingegeben werden, daß sie vielmehr in vernünftiger Weise verbraucht werden und daß dieser Fonds Deutschland über die nächsten Monate hinweghelfen wird, so werden die verschiedenen Kreise diese Beträge dem Reiche zur Verfügung stellen, genauso, wie sie in der Abwehr an der Ruhr und am Rhein zu größten Opfern bereit gewesen sind.

Die Reichsbank genießt nicht mehr das Vertrauen. Aus diesem Grunde müßte ein besonderes Organ geschaffen werden, dem die Verwaltung des Fonds und damit die Währungspolitik anvertraut würde7.

7

Dieser Absatz ist vom RK am Rande dick angestrichen worden. In einer undatierten Aufzeichnung zur Devisenpolitik geht Hamm noch weiter: „Das Reichsbankgesetz ist einer Nachprüfung zu unterziehen insbesondere darauf, ob nicht die jetzige Souveränität der Rbk, die dem Rbk-Direktorium erlauben würde, dem Reich die Diskontierung der Schatzanweisungen zu versagen und anderes, in eine Autonomie umgewandelt werden kann, möglichst ohne damit außenpolitische Schwierigkeiten hervorzurufen.“ (R 43 I /1134 , Bl. 136-140, hier: Bl. 140). Im August werden diese Pläne zur Änderung des Autonomiegesetzes weiter diskutiert. Vor dem RT fordern die Abg. Müller und Stresemann am 9. 8. eine Änderung des Autonomiegesetzes, doch zu einer gesetzlichen Neufassung kommt es nicht mehr unter Cuno (s. Dok. Nr. 250, P. VII).

Für eine gewisse Zeit müßte durch ein einheitliches Einfuhrverbot für alle Waren mit Ausnahme von Lebensmitteln und Kohlen nachgeholfen werden. Die Stelle, in deren Verwaltung die Anleihezeichner zu nehmen wären, würde gegen Devisen, die zunächst einmal eingebrachten Waren, wie Kupfer, Baumwolle usw. abgeben können und so auch für diese Waren einen Austausch herbeiführen können, um sie der Wirtschaft zuzuführen.

Bringen die verschiedenen Wirtschaftskreise 250 Millionen Goldmark in Devisen und Waren auf, so werden die weiteren 250 Millionen Goldmark gegen Papiermark von der Wirtschaft und dem Publikum, das anstelle der sinnlosen Warenhamsterei eine wertbeständige Anlagemöglichkeit erhält, gezeichnet werden.

Die Wirkung einer solchen Anleihe würde sein, daß zunächst einmal wieder ein Devisenvorrat geschaffen wird, der, unterstützt einmal durch das Gold der Reichsbank, auf der anderen Seite durch das zeitweise Einfuhrverbot und eine systematische und rücksichtslose Kreditrestriktion, ausreichen würde, um den notwendigsten Bedarf an Devisen für die Sicherung der Lebensmittelzufuhr und der Kohlenversorgung zu decken. Darüber hinaus würde durch die Ausgabe von Dollarschatzanweisungen gegen Papiermark zunächst die Kaufwut eingeschränkt und damit ein Moment, das zur sinnlosesten Preistreiberei führt, beseitigt. Im Zusammenhang mit der neuen Devisenpolitik und Krediteinschränkung würde dann weiter das Absaugen der Papiermark den Warenzirkulationsprozeß dadurch beleben, daß die verschiedenen Kreise gezwungen werden, ihre[686] Läger zu verkleinern, um sich Geld zu verschaffen. Das Papiergeld würde wieder Geltung bekommen und das Tempo des Umlaufes, das die inflationistische Wirkung verstärkt, würde wieder verlangsamt werden. Wenn auch zunächst noch die Notenpresse weiter arbeiten müßte, um die Zahlungsmittelknappheit und die daraus sich ergebenden Schwierigkeiten zu beseitigen, so würde doch durch eine derartig große innere Anleihe in absehbarer Zeit die Inflation abgestoppt werden können. Es würde die Zeit geschaffen werden können, ein wirklich brauchbares und wirkungsvolles Steuerprogramm durchzuführen, das Erträgnisse bringt, die für später Vorsorge schaffen. Es würde die Zeit gewonnen werden können, um eine neue Währung vorzubereiten.

Unmittelbar im Zusammenhang mit der Anleihepolitik muß ein fest umrissenes Wirtschaftsprogramm mit aller Energie durchgeführt werden. Das Programm muß bei den Besprechungen mit den Parteiführern und Wirtschaftsführern feststehen. Dieses Wirtschaftsprogramm muß enthalten:

a) Steuern, die im wesentlichen auf dem Einkommen basieren, dürfen über 25% bis 35%8 im Höchstsatze nicht hinausgehen, müssen dafür aber effektiv zum Goldkurse jeweils gezahlt werden. Die Steuerzahler haben dann an einer zunehmenden Inflation kein Interesse und werden von sich aus bestrebt sein, möglichst schnell zu zahlen.

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So aufgrund handschriftlicher Korrektur, ursprünglich: „über 25%“.

b) Eisenbahn und Post müssen auf Goldtarife gestellt werden9, die jeweils über den Dollarkurs umgerechnet werden, wie dies in anderen Ländern bereits wiederholt durchgeführt ist.

9

Das ursprünglich eingefügte „unverzüglich“ ist gestrichen worden.

c) Der Devisenhandel ist wieder frei zu geben. (Die Außenhandelsstellen sind aufzulösen, Ausfuhrabgaben haben zu unterbleiben.)

d) Es muß ernst gemacht werden mit einer energischen Vereinfachung der Verwaltung. Die Bürokratie hat überall das Vertrauen verloren. Die Bevölkerung empfindet die zu starke Belastung des Staates durch die zahllosen behördlichen Stellen als unerträglich10.

10

Ursprünglich folgte „Die Demobilmachungsvorschriften sind aufzuheben“. Dieser Satz ist gestrichen worden.

e) Die noch bestehende Zwangswirtschaft ist schnellstens abzubauen.

Ein solches Programm verstößt zweifellos gegen zahlreiche parteipolitische Grundsätze. Auf diese kann aber in der gegenwärtigen Not keine Rücksicht genommen werden. Den breiten Schichten der Bevölkerung, einschließlich der Arbeiter, liegt heute mehr daran, aus der Not herauszukommen, als an der Durchsetzung von Parteigrundsätzen. Ein entschlossenes Programm, das Erfolg hat, wird von allen Seiten als Erlösung betrachtet werden.

Die hier entwickelten Programmpunkte bilden mit der Anleihe ein einheitliches Ganzes. Es ist nicht möglich, einen Teil durchzuführen, ohne das ganze Programm zu entwerten.

4. Der Modus Procedendi.

Der Reichspräsident und der Reichskanzler müssen mit den Wirtschaftsführern verhandeln und von diesen die Zusage verlangen, die erforderlichen[687] Anleihebeträge aufzubringen. Durch sachverständige Berater ist der Weg zu weisen, wie die Beträge im einzelnen aufgebracht werden. Mit dem Programm und der Zusage müssen dann der Reichspräsident und der Reichskanzler vor die Führer der Parteien treten; diese müssen entweder dem Reichskanzler die Vollmacht geben, das Programm durchzuführen, oder eine Regierung, die ein besseres Programm hat, bilden. Erhält der Reichskanzler die Zustimmung, so muß ein Vollzugsausschuß aus einer Anzahl entschlossener Männer unter dem Vorsitz des Reichskanzlers gebildet werden, der die Durchführung des Programms übernimmt. Die einzelnen Ressorts müssen sich diesem Vollzugsausschuß als ausführende Organe zur Verfügung stellen11. Zwecks schneller Durchführung müssen erfahrene Sachverständige den einzelnen Ministerien beigegeben werden, die bei der Ausführung der Bestimmungen über die ressortmäßigen Schwierigkeiten hinweghelfen sollen.

11

So aufgrund handschriftlicher Verbesserungen, ursprünglich: „Die einzelnen Ressorts müssen diesem Vollzugsausschuß als ausführende Organe unterstellt werden.“

Die Regierung12 müßte vom Reichstag die Vollmacht bekommen, im Rahmen des Programms alle Maßnahmen durchzuführen, um den Währungszerfall abzuwenden und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Die energische Durchführung eines derartigen Wirtschaftsprogramms kann vielleicht heute noch den Zusammenbruch des Reiches abwenden und die schlimmste Katastrophe verhindern, aber nur, wenn unverzüglich gehandelt wird.

12

Handschriftlich verbessert, ursprünglich: „Der Vollzugsausschuß“.

Ergänzung zur Denkschrift über die Möglichkeit einer Rettung Deutschlands vor dem Währungszerfall, einer Lebensmittelkatastrophe und dem politischen Chaos13.

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Die Ergänzung ist der Denkschrift unmittelbar angefügt; für eine spätere Datierung gibt es keinen Hinweis.

Bei einer Anleihe von 500 Millionen Mark Gold, aufzubringen zur Hälfte in Devisen und Waren, zur Hälfte in Papiermark, würde eine zeitweise Stilllegung der Notenpresse nach kurzer Zeit dadurch eintreten, daß

1. die Devisenlage verbessert wird. Die Übertreibungen der letzten Woche können wieder ausgeglichen werden. Es würde wenigstens in gewissem Umfange das Niveau gesenkt werden, insbesondere im Zuammenhang mit einer Beschneidung der Einfuhr. Diejenigen Kreise, die sich jetzt noch immer zur wertbeständigen Sicherung Devisen beschaffen, würden anstelle der Devisen die Goldanleihe zum Teil zeichnen und damit weiter die Devisenlage verbessern. Hört das ständige Steigen der Devisen auf, tritt im Gegenteil eine Rückbewegung ein, so werden zahlreiche Devisenhamsterer, die heute nichts abgeben, Devisen verkaufen, insbesondere, wenn gleichzeitig der Devisenhandel freigegeben wird. Die durch die Devisensteigerung zum größten Teil hervorgerufene Preissteigerung würde nachlassen, es würde eine Preisstabilisierung und Preissenkung bereits infolge der Devisenbesserung eintreten und damit die Not nach Papierscheinen nachlassen.

2. würde das Reich aus den Papiermarkzeichnungen von 250 Millionen Mark Gold bei einem Kurse von 200 000 Papiermark 50 Billionen Papiermark[688] hereinbekommen14, d. h. das Reich würde damit die jetzt noch nachfolgende neue Noteninflation wieder absaugen können. Selbst wenn der in Papiermark aufzubringende Teil der Anleihe nicht in vollem Umfange aufgebracht würde, würde danach Papiergeld hereinkommen, um die Bedürfnisse des Reiches, der Länder und Kommunen für die nächste Zeit zu decken, insbesondere, da eine weitere Preissteigerung aufhören würde, der Geldbedarf also nicht progressiv zunimmt. Eine große Anleihe, die gleichzeitig die Devisensituation verbessert, würde bei der heutigen Abneigung gegen die Papiermark in sehr kurzer Zeit dazu führen, daß unendliche Mengen von Papiermark in eine Goldmarkanleihe umgewandelt werden.

3. dadurch, daß Ruhe in die Bevölkerung eintreten würde, der Papiergeldumlauf wieder ein normalerer würde, daß der bargeldlose Verkehr und der Wechselverkehr wieder in dem notwendigen Umfange einteilen würde. [!] Während heute jeder Gehaltsempfänger die Kasse bestürmt, um sofort sein ganzes Geld in Scheinen zu bekommen, um es irgendwie in Waren anzulegen, würde nach dieser großen Aktion dieser Gehaltsempfänger nur in dem normalen Ausmaß sein Geld abheben und entweder den Rest wertbeständig in Goldanleihe anlegen oder aber auf seiner Bank stehen lassen.

Mit anderen Worten, es würden weniger Papiermarkbeträge benötigt für den Devisenkauf, es würde kein neues Papiergeld benötigt für die Staatsbedürfnisse, es wird weniger Papiergeld von dem Publikum stürmisch verlangt, das sich heute gegen die wilden Preissteigerungen schützen will. Endlich würde selbstverständlich weniger Papiergeld benötigt, wenn ein Preisabbau gelingt, und dieser Preisabbau ist wieder die Folge der übrigen Erscheinungen. Er tritt ein, sobald wieder Ware gegen Papier abgegeben wird, die Zurückhaltung aufhört und auf der anderen Seite die Kaufwut.

14

Das entspricht einem Dollarkurs von 840 000 M, wie er am 27. 7. an den ausländischen Börsen in etwa bestand.

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