2.85.3 (lut1p): 3. Fortführung der Handelsvertragsverhandlungen mit Rußland.

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 1.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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3. Fortführung der Handelsvertragsverhandlungen mit Rußland.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete, drei Fragen müßten durch das Kabinett entschieden werden:

a) Der Reichswirtschaftsminister habe Bedenken dagegen geäußert, daß mit Rußland gelegentlich der Handelsvertragsverhandlungen auch über Agrarzölle verhandelt werde12. Er könne sich den Bedenken nicht anschließen; Bindungen[284] würden zur Zeit nicht eingegangen, es sei lediglich beabsichtigt zu erklären, daß Verhandlungen nach Inkrafttreten des neuen deutschen Zolltarifs deutscherseits nicht abgelehnt würden.

12

Wie das AA in einer Kabinettsvorlage vom 11. 5. ausführte, hatte das RWiMin. in erster Linie mit der Befürchtung argumentiert, „daß die Bereitwilligkeit zu Verhandlungen über Getreide-Vertragszölle der Russischen Regierung die Möglichkeit geben könnte, mit einem Scheine von Berechtigung die bevorstehende innerpolitische Auseinandersetzung über die Getreidezölle zu beeinflussen.“ Dem sei, so das AA, entgegenzuhalten, daß die Sowj. Reg., sollte sie diese Absicht haben, sie auch dann verwirklichen würde, wenn Dtld. Verhandlungen über ein Zolltarifabkommen ablehne. „In sachlicher Beziehung bedeutet ein etwaiges Zolltarifabkommen mit Rußland für uns weder eine Gefahr noch ein materiell nennenswertes Zugeständnis. da […] im Falle der Vereinbarung von Vertragssätzen mit einem anderen Lande Rußland die niedrigeren Sätze auf Grund seines Meistbegünstigungsrechtes aus dem Rapallovertrag doch alsbald mitgenießen würde.“ (R 43 I /1112 , Bl. 12-14).

Der Reichswirtschaftsminister erwiderte, daß mit dem in Rußland bestehenden Staatshandelsmonopol das Verfahren von Zalltarifzugeständnissen und Zolltarifbindungen nicht vereinbar sei. Rußland könne keine Zugeständnisse machen, die praktisch für Deutschland von Bedeutung seien. Außerdem sei zu befürchten, daß die Russen mit der Forderung nach Getreidezollfreiheit für einen längeren Zeitraum hervortreten würden, und zwar im wesentlichen aus politischen Gründen. Dem dürfe die Reichsregierung sich nicht aussetzen. Er bitte daher, der Delegation keine Ermächtigung zu Verhandlungen über Agrarzölle zu geben.

Ministerialdirektor Hoffmann und Ministerialdirektor Ernst sprachen sich im Sinne des Reichsministers des Auswärtigen aus.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß eigentlich Bindungen nicht eingegangen würden und die Zusagen sehr gering seien. Er glaube, daß man diese nicht ablehnen könne.

Das Kabinett stimmte daraufhin dem Antrage des Reichsministers des Auswärtigen zu.

Der Reichsminister des Auswärtigen

b) Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft habe sich gegen die Gewährung eines Einfuhrkontingents von wöchentlich 1000 Schweinen an die Russen gewendet. Er bitte, der Delegation die Weisung zu geben, dieses Kontingent den Russen anzubieten.

Ministerialdirektor Hoffmann sprach sich gegen die Gewährung des Kontingents aus, betonte aber, daß auf alle Fälle, wenn überhaupt ein Kontingent in Betracht gezogen würde, das vorgesehene Kontingent zu hoch sei.

Der Reichsminister des Innern hielt das Kontingent ebenfalls für zu hoch. Ein Veterinärabkommen mit Rußland werde nicht in Frage kommen. Es sei daher nur möglich, die Mittel anzuwenden, die bereits jetzt angewandt werden könnten und angewendet werden. Er sei entschlossen, diese Mittel anzuwenden. Als Höhe des Kontingents komme höchstens ein Drittel des früheren Kontingents13 in Betracht.

13

Gemeint ist wohl das wöchentliche Einfuhrkontingent von 2500 lebenden Schweinen der Vorkriegszeit, das Rußland im Zusatzvertrag zum „Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen Deutschland und Rußland [10.2.94]“ vom 28.7.04 (RGBl., S. 35 ) zuerkannt worden war.

Der Reichskanzler fragte, ob es nicht notwendig sei, mit Rücksicht auf den Rückgang des Schweineverbrauchs in Deutschland auch das frühere Gesamtkontingent zunächst zu reduzieren und von diesem reduzierten Kontingent einen Bruchteil Rußland zu gewähren.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es für unbedenklich, das Kontingent zu gewähren. Es werde sicherlich nicht ausgenutzt werden. Je größer das Kontingent für Rußland sei, desto kleiner werde das für Polen sein müssen, und dies sei vorteilhaft für Deutschland; denn Polen werde das Kontingent sicherlich[285] ausnutzen. Von Rußland werde außerdem großer Wert darauf gelegt, und es könne gegen diese Konzession, die Deutschland nicht schade, sehr viel eingehandelt werden.

Ministerialdirektor Hoffmann erklärte, daß er grundsätzlich bei seinem Standpunkt verharren müsse.

Der Reichsminister des Innern empfahl, das Kontingent auf 800 Schweine herabzusetzen.

Das Kabinett stimmte diesem Vorschlag zu.

Ministerialdirektor Ritter wies darauf hin, daß in Frage komme, außer der Einfuhr von lebenden Schweinen auch bezüglich der Einfuhr von lebendem und geschlachtetem Geflügel, von getrockneten Häuten, Därmen, Schweineborsten, Schweineschmalz, Schweinespeck und Wallachen Rußland noch Konzessionen zu machen. Diese Konzessionen seien dem Kabinett im einzelnen zur Entscheidung nicht vorgelegt worden, da erst eine grundsätzliche Entscheidung des Kabinetts zu der Einfuhr von lebenden Schweinen abgewartet werden sollte. Die Nichterwähnung der genannten anderen Waren in dem Kabinettsbeschluß soll jedoch nicht bedeuten, daß Konzessionen auf diesen anderen Gebieten ausgeschlossen seien. Diese Angelegenheit soll zwischen den Ressorts weiterberaten werden.

Nachdem Ministerialdirektor Hoffmann dem zugestimmt hatte, stellte der Reichskanzler Übereinstimmung darüber fest.

Der Reichsminister des Auswärtigen

c) Die Ressorts seien sich darüber einig gewesen, daß bei einem befriedigenden Ergebnis der Verhandlungen der russischen Forderung auf Gewährung der Exterritorialität für das gesamte Haus der Handelsvertretung in der Lindenstraße nachgekommen werden könnte. Dies widerspreche jedoch dem früher vom Kabinett eingenommenen Standpunkt, daß über die bisherigen Konzessionen14 auf diesem Gebiete nicht hinausgegangen werden solle. Er sei der Meinung, daß man dieser Forderung der Russen entsprechen sollte, da einerseits dagegen sehr viel eingehandelt werden könnte, andererseits ohne diese Konzession ein Abschluß mit Rußland kaum zu erwarten sei.

14

Die vertragliche Regelung der Exterritorialität der sowj. Handelsvertretung in Berlin war durch dt.-sowj. Abkommen vom 6.5.21 (RGBl., S. 929 ) sowie durch dt.-sowj. Protokoll vom 29.7.24 erfolgt. In letzterem wurde vereinbart, „daß von der Gesamtheit der gegenwärtig zur Handelsvertretung gerechneten Räumlichkeiten […] ein zusammenhängender Komplex von Räumlichkeiten der eigentlichen Handelsvertretung, der von dem übrigen Teil des Gebäudes vollständig getrennt wird und einen eigenen Straßeneingang besitzt, als unverletzlich abgesondert wird. Als eigentliche Handelsvertretung gilt die Gesamtheit der exterritorialen Mitarbeiter und der von ihnen geleiteten Abteilungen mit den zugehörigen Räumlichkeiten.“ (Abschrift in R 43 I /134 , Bl. 161 f.; eine Zusammenfassung in Schultheß 1924, S. 55/6).

Der Reichsminister des Innern erklärte, daß er unter keinen Umständen auf diesem Gebiete nachgeben könne; er müsse sich gegen diese beantragte Erweiterung aussprechen.

Ministerialdirektor Ritter wies darauf hin, daß es sich nicht um das Prinzip handle, sondern lediglich um eine Vergrößerung der bisher gewährten Konzession.

[286] Der Reichswehrminister sprach sich gegen die Erweiterung aus. Desgleichen der Reichswirtschaftsminister.

Ministerialdirektor Ernst wies darauf hin, daß nicht die Handelsvertretung als solche künftig exterritorial sein solle; im Gegenteil solle gerade bei Gewährung des gewünschten Zugeständnisses klargestellt werden, daß auch die Handelsvertretung dem deutschen Besteuerungsrecht unterliege und infolgedessen auch der Kontrolle darüber. Er glaube, daß dieser Vorteil größer sei als der Nachteil, der mit der Erweiterung der Exterritorialität des Hauses unter den Linden verbunden sei.

Der Reichsminister des Innern wies darauf hin, daß mit der Erweiterung die Möglichkeit einer personellen Vermehrung gegeben sei. Daraus könnten aber hochpolitische Folgen entstehen.

Der Reichskanzler fragte, in welcher Weise die Erweiterung der Konzession praktisch vor sich gehen würde und stellte nach Mitteilung des Ministerialdirektors Ritter fest, daß es sich eigentlich um die Einräumung eines neuen Hauses an die Handelsvertretung handle. Unter diesen Umständen bekomme die ganze Frage ein neues Gesicht, und er glaube, daß man den Wünschen Rußlands nicht entsprechen könne.

Der Reichsjustizminister betonte, daß ihn gerade das große Interesse, das Rußland an der Erweiterung habe, stutzig mache. Er sei entschieden gegen die Erweiterung der Exterritorialität.

Ministerialdirektor Ritter wies darauf hin, daß außer dem Haus der Handelsvertretung auch die Botschaft exterritorial sei und sich da schon die Möglichkeit für Putschvorbereitungen ergebe, wenn diese überhaupt beabsichtigt seien.

Der Reichswehrminister erwiderte, daß das eine große Verletzung des Völkerrechts wäre. Die Exterritorialität des Hauses der Handelsvertretung sei nicht in dem Maße völkerrechtlich verbrieft wie die der Botschaft.

Das Kabinett beschloß daraufhin gegen die Stimme des Reichsministers der Finanzen, vertreten durch Ministerialdirektor Ernst, dem Antrage des Auswärtigen Amts, den auch der Reichsminister des Auswärtigen nicht mehr unterstützte, nicht zu entsprechen und die Erweiterung der Exterritorialität des Hauses in der Lindenstraße abzulehnen.

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