2.107 (lut1p): Nr. 107 Der Reichskanzler an den Reichspräsidenten. 17. Juni 1925

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Nr. 107
Der Reichskanzler an den Reichspräsidenten. 17. Juni 1925

R 43 I /2456 , Bl. 169 f. Abschrift

[Aufwertungsfrage]

Hochgeehrter Herr Reichspräsident!

Auf die Wünsche, die Sie, Herrn Reichspräsident, im Schreiben vom 9. Juni 19251 in der Richtung äußern, ob nicht nach dem Gesichtspunkt der sozialen Aufwertung der Anleihen in den Aufwertungsgesetzen eine Verbesserung für den notleidenden Mittelstand erreicht werden könne, ob diese insbesondere nicht nach der Richtung ergänzt werden könnten, daß die zur Zeit vorgesehene Höchstgrenze für die Rente bedürftiger Altbesitzer von Kriegs- und Staatsanleihen erhöht wird2, und daß den Altbesitzern alle diejenigen bedürftigen früheren Kriegsanleihe-Besitzer gleichgestellt werden, die unter dem Zwange der[351] Not selbst gezeichnete Kriegsanleihe verkauft haben, habe ich die Ehre, unter Zusammenfassung meines mündlichen Vortrages3 folgendes zu berichten:

1

Das an den RK gerichtete Schreiben in R 43 I /2456 , Bl. 164.

2

Der dem RT seit 25. 4. vorliegende „Entwurf eines Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen“ (RT-Drucks. Nr. 805, Bd. 400 ) bestimmt, daß bedürftigen Anleihealtbesitzern eine Vorzugsrente von jährlich höchstens 600 RM zu gewähren ist. Dieser Höchstsatz ist in der Endfassung des Anleiheaufwertungsgesetzes vom 16.7.25 (RGBl. I, S. 137 ) auf 800 RM erhöht.

3

Eine Aufzeichnung hierzu nicht bei den Akten. Dort lediglich ein von Meissner abschrl. an Kempner übermitteltes Schreiben des Büros des RPräs. an den RJM vom 3. 6., in dem mitgeteilt wird, daß der Vortrag Luthers und Frenkens beim RPräs. über den Stand der Aufwertungsfrage verabredungsgemäß am 4. 6. stattfinden werde (R 43 I /2456 , Bl. 157).

Schon als Reichsminister der Finanzen bin ich bemüht gewesen, den sozialen Gesichtspunkt bei der Aufwertung stark zu betonen und habe dieses Bestreben auch als Reichskanzler in den Vordergrund gestellt. Der Herr Reichsminister der Finanzen hat aber überzeugend dargelegt, daß mehr als dasjenige, was das jetzt mit den Regierungsparteien vereinbarte Kompromiß4 in dieser Beziehung bietet, ebensowenig mit der Finanzlage des Reiches wie der Länder und Gemeindeverbände, wie mit der gegenwärtigen und voraussichtlich auch zukünftigen Wirtschaftslage vereinbart werden kann. Anregungen der Art, wie Sie, Herr Reichspräsident, sie geben, sind auch im Reichsrat hervorgetreten, insbesondere hat sich die Preußische Regierung stark der sogenannten „Nichtmehrbesitzer“ der Kriegsanleihen angenommen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß ähnliche Wünsche im Reichstage von gewisser Seite geäußert werden. Eine Einbeziehung der Nichtmehrbesitzer in den Umkreis der aufwertungsberechtigten Kriegsanleihe-Altbesitzer würde das ganze Problem aufrollen, das sich um die Aufwertung beiderseits erfüllter Verträge dreht, bei denen die eine Leistung der Inflation zum Opfer gefallen ist. Dadurch würde eine außerordentlich schwere Erschütterung des gesamten Rechtslebens ausgelöst werden. Der Gleichstellung steht vor allen Dingen und ausschlaggebend der Gedanke entgegen, daß nur da aufgewertet werden kann, wo noch wenigstens der Rest des ursprünglichen Rechts vorhanden ist, daß aber eine Aufwertung da nicht mehr möglich ist, wo gar nichts mehr vorhanden ist. Die Höchstgrenze für die Rente ist nach sorgfältigster Prüfung der finanziellen Möglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Verbände ermittelt worden. Die Prüfung hat ergeben, daß die zum Gegenstand des Kompromisses mit den Regierungsparteien gemachte Regelung das Äußerste dessen ist, was mit Sicherheit den öffentlichen Finanzen zugemutet werden kann. Dabei hat die Reichsregierung selbstverständlich auch die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Londoner Abkommen im Auge halten müssen5.

4

S. dazu Dok. Nr. 86.

5

S. das „Gesetz über die Londoner Konferenz“ (Londoner Schlußprotokoll und seine Anlagen) vom 30.8.24 (RGBl. II, S. 289 ).

Es hat unendlicher Mühen bedurft, das Kompromiß mit den Regierungsparteien zustandezubringen. Auch jetzt noch treten immer wieder aus Kreisen des Reichstags Anregungen auf, die in dieser und jener Weise eine Abweichung vom Kompromiß anregen6. Es besteht die allerernsteste Gefahr, daß, wenn von[352] seiten der Regierung auch nur in einem Punkte ein Abgehen von dem im Kompromiß festgelegten Standpunkt angeregt wird, dann die zahlreichen Wünsche auf Erweiterung der Zugeständisse auf anderen Gebieten neue Nahrung finden werden. Dadurch würde dann nicht nur das Kompromiß gefährdet, sondern auch mit völliger Sicherheit verhindert werden, daß die Aufwertungsgesetze in der nötigen Frist, das heißt etwa am 30. Juni d. J., verabschiedet werden7. Der Gesichtspunkt, der stärker als alle Erwägungen ist, ist nach meiner Überzeugung aber der, daß jetzt endlich eine gesetzliche Regelung zustande kommen muß, damit die Beruhigung in dieser Frage voranschreitet und dadurch der Wirtschaft bessere Kreditgrundlage geboten wird.

6

Lt. Vermerk Wachsmanns vom 17. 6. waren Vertreter der Koalitionsparteien in einer Parteiführerbesprechung am 15. 6., an der unter Vorsitz des RK auch die RM Neuhaus und Frenken teilnahmen, für die Aufwertung der Bankguthaben und langfristiger darlehensartiger Guthaben bei den Banken eingetreten. „Nach Darlegungen des Reichswirtschaftsministers, der nachwies, daß eine Aufwertung der Kontokorrenteinlagen und der sparkassenähnlichen Guthaben bei den Banken namentlich die Provinzbanken finanziell vernichten würde, sagten die Vertreter der Regierungsparteien zu, ihren Standpunkt in dieser Frage ändern zu wollen.“ (R 43 I /2456 , Bl. 177 f.).

7

Die Verabschiedung der beiden Aufwertungsgesetze erfolgt erst am 15. und 16.7.25. S. Anm. 1 zu Dok. Nr. 125.

Ich werde bemüht sein und bin auch der Zustimmung des gesamten Reichskabinetts darin sicher, der Besserstellung der zweifellos sehr mißlichen Lage mancher Angehöriger des Mittelstandes dadurch Rechnung zu tragen, daß in der sozialen Fürsorge die Kommunalverbände alles mit ihrer Leistungsfähigkeit Vereinbare zur Linderung der auch von mir durchaus anerkannten Notlage des Rentnerstandes tun.

Mit der erneuten Versicherung größter Hochachtung habe ich die Ehre zu zeichnen als Ihr, Herr Reichspräsident,

ergebenster

gez. Dr. Luther

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