2.172.1 (ma11p): 1. Sachverständigen-Gutachten.

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[547]1. Sachverständigen-Gutachten.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über die Grundlinien des in vertraulicher Form vorliegenden Berichts des Sachverständigen-Ausschusses1. Der Inhalt des ersten Teiles desselben entspreche im allgemeinen der bisher angenommenen Tendenz, weise jedoch nicht unerhebliche Verschlechterungen auf; so z. B. hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Eisenbahn2 sowie derjenigen Stelle der Goldbank, welche über die Möglichkeit des Transfers zu entscheiden habe3. Gegenüber diesen Verschlechterungen sei jedoch hervorzuheben, daß die politischen Voraussetzungen für die Durchführung des Gutachtens, nämlich die Wiederherstellung der Verwaltungsfreiheit im besetzten Gebiet, stark unterstrichen seien4.

1

Am 9. 4. überreichen die beiden Sachverständigenkomitees (Dawes-Komitee und McKenna-Komitee) in Paris der Repko die von ihnen fertiggestellten Gutachten. Text: „Die Berichte der von der Reparationskommission eingesetzten beiden Sachverständigenkomitees vom 9.4.1924“, dreisprachige amtliche Ausgabe, Berlin 1924; auch RT-Drucks. Nr. 5, Bd. 382  (weiterhin als „Sachverständigen-Gutachten“ zitiert).

2

Zum Verwaltungsrat der RB-Gesellschaft s. Sachverständigen-Gutachten S. 29, 127.

3

Zum Transferkomitee ebd., S. 37, 137 ff.

4

Vgl. S. 4 des Sachverständigen-Gutachtens („Deutschlands Wirtschaftseinheit“).

Eine verantwortliche Stellungnahme zu dem umfangreichen Material des Gutachtens sei ohne eine genaue kritische Prüfung des maßgebenden Textes nicht möglich; überdies sei das Gutachten der Deutschen Regierung überhaupt noch nicht formell zur Kenntnis gebracht. Trotzdem werde es sich jedoch nicht vermeiden lassen, daß eine gewisse Stellungnahme der Reichsregierung der Presse gegenüber erfolge.

Der Reichsminister des Auswärtigen bestätigte die Notwendigkeit einer Stellungnahme und wies darauf hin, daß schon in dem Verhalten der Reichsregierung zur Frage der Micum-Verträge eine gewisse Präjudizierung ihrer Haltung gegenüber dem Gutachten liege5. Im übrigen sei zu erwarten, daß die führenden wirtschaftlichen Verbände (Reichslandbund, Reichsverband der deutschen Industrie) sich demnächst mit dem Gutachten befassen würden; da dürfe die Reichsregierung nicht zurückbleiben. Ferner seien Anfragen der Vertreter der fremden Mächte über die Haltung der Deutschen Regierung zum Gutachten zu erwarten; und endlich müsse darauf Bedacht genommen werden, daß die französische Regierung mit allen Mitteln versuchen werde, die Reichsregierung in ihrer Stellungnahme zum Gutachten nach der einen oder anderen Richtung hin festzulegen.

5

Vgl. hierzu P. 2 dieses Protokolls.

Der Reichswirtschaftsminister trat dem Vorredner bei und machte darauf aufmerksam, daß auch der Auswärtige Ausschuß des Reichstags sowie der Reichswirtschaftsrat die Absicht bekundet hätten, sich mit dem Gutachten zu befassen. Er halte es für richtig, in der Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, daß das Gutachten eine der hauptsächlichsten deutschen Forderungen, nämlich die Bestimmung einer Gesamtsumme für die deutschen Reparationsleistungen, nicht erfüllt habe.

Der Reichsverkehrsminister warnte davor, eine Bereitschaft zur Annahme des Gutachtens zu erkennen zu geben. Schon die vorgesehenen 200 Millionen[548] Goldmark, welche im ersten Jahre aus der Reichsbahn herauszuwirtschaften seien, stellten eine fast unmögliche Aufgabe dar. Frankreich erwarte und wünsche eine Ablehnung des Gutachtens durch Deutschland; demgegenüber dürfe die Reichsregierung sich nicht festlegen lassen.

Staatssekretär Hagedorn teilte im Auftrage des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft dessen Auffassung dahin mit, daß das Gutachten trotz schwerer Bedenken immerhin die mögliche Grundlage weiterer Verhandlungen darstelle.

Der Reichsminister des Auswärtigen schlug vor, der Presse gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß eine abschließende Stellungnahme der Reichsregierung zu dem Gutachten nicht möglich sei. Im übrigen sei die Stellungnahme der Reparationskommission und der alliierten Regierungen noch völlig ungewiß. Die Presse möge sich daher weder nach der einen noch nach der anderen Richtung hin festlegen. Das Gutachten weise zwar eine recht bedenkliche Überschätzung der deutschen Leistungsfähigkeit auf, enthalte aber demgegenüber sehr erhebliche politische Vorteile, deren Verwirklichung von größter Bedeutung sein könne.

Der Reichskanzler stellte die Zustimmung des Kabinetts zu dieser Orientierung der Presse fest und bat den Reichsminister des Auswärtigen, die entsprechenden Mitteilungen an die Pressekonferenz zu veranlassen.

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