2.7.1 (ma11p): 1. Ermächtigungsgesetz.

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1. Ermächtigungsgesetz1.

1

In einer Vollsitzung am Vormittag des 4. 12. hatte der RR den Entwurf des Ermächtigungsgesetzes mit 45 gegen 9 Stimmen angenommen (s. den Bericht in DAZ Nr. 562 v. 4. 12.). Noch am 4. 12. legt der RK dem RT den GesEntw. in der vom RR gebilligten Fassung vor (RT-Drucks. Nr. 6367, Bd. 380 ). § 1 Abs. 2 hat darin folgenden Wortlaut: „Die erlassenen Verordnungen sind dem Reichstag und dem Reichsrat unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Sie sind aufzuheben, wenn der Reichstag oder der Reichsrat dies verlangt. Im Reichstage sind für das Aufhebungsverlangen zwei Lesungen erforderlich, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens drei Tagen liegen muß.“ (Zu vgl. der Regierungsentwurf – Dok. Nr. 2 am Schluß).

Der Reichskanzler berichtete über seine Verhandlungen mit den Parteiführern2. Es sei dabei von seiten der sozialdemokratischen Führer mitgeteilt worden, daß ein Antrag in ihrer Fraktion zur Erörterung gestellt werden solle,[35] wonach die unter dem Ermächtigungsgesetz zu erlassenden Verordnungen der Regierung an die Zustimmung eines ständigen Ausschusses des Reichstags gebunden seien. Er, der Reichskanzler, habe sogleich darauf hingewiesen, daß eine solche Bedingung für die Reichsregierung nicht annehmbar sei; allenfalls könne nur in Frage kommen, einen derartigen Ausschuß „anzuhören“. Er habe den Eindruck, daß auch eine solche Beschränkung der Befugnisse des Ausschusses gegebenenfalls von der sozialdemokratischen Partei angenommen werden würde; es handle sich also darum, daß das Kabinett darüber schlüssig werde.

2

Hierüber keine Aufzeichnungen in den Akten der Rkei ermittelt.

Zu erwähnen sei noch aus den Verhandlungen mit den Parteiführern, daß allgemein zum Ausdruck gebracht worden sei, daß Wahlen im besetzten Gebiet im gegenwärtigen Zeitpunkt schwerlich durchgeführt werden könnten, da die Besatzungsbehörden die Separatisten in jeder Weise bevorzugen und sonst die Wahlvorbereitungen sabotieren würden.

Die sozialdemokratische Partei habe ferner die Frage aufgeworfen, ob unter dem militärischen Ausnahmezustand die Möglichkeit einer Reichstagswahl überhaupt gegeben sei; dies beträfe insbesondere die vom Inhaber der vollziehenden Gewalt verbotenen Parteien3 und die Frage der öffentlichen Versammlungen.

3

Durch VO des Inhabers der vollziehenden Gewalt, General v. Seeckt, vom 20.11.23 waren alle Organisationen und Einrichtungen der KPD, der NSDAP und der Deutschvölkischen Freiheitspartei aufgelöst und verboten worden.

Zu erwähnen sei schließlich, daß, wie er, der Reichskanzler, gehört habe, die Erörterung des sozialdemokratischen Vorschlags nach Einsetzung einer Reichstagskommission von der deutschnationalen Partei als Wiederaufleben der großen Koalition bezeichnet worden sei.

Des weiteren habe der Reichstagspräsident darauf hingewiesen, daß vor einer etwaigen Auflösung noch verschiedene Maßnahmen von seiten des Reichstags erforderlich seien, so daß die Auflösung unmöglich am folgenden Tage unmittelbar erfolgen könne.

Der Reichsarbeitsminister erinnerte daran, daß auch während des letzten Ermächtigungsgesetzes4 Ausschüsse des Reichstags für Steuerfragen und für die Regelung des Arbeitszeitgesetzes mit gutem Erfolg, allerdings nur mit beratender Stimme, in Tätigkeit gewesen seien. Er halte daher die Einsetzung eines Ausschusses in dem vom Reichskanzler vorgeschlagenen Sinne durchaus für annehmbar. Wesentlich sei nur, daß die Verhandlungen des Ausschusses geheim seien, und daß eine Abstimmung nicht stattfinden dürfe.

4

Ermächtigungsgesetz vom 13.10.23 (RGBl. I, S. 943 ); es war mit dem Ausscheiden der sozialdemokratischen Minister aus dem Kabinett Stresemann am 2.11.23 außer Kraft getreten.

Er schlage daher vor, hinter dem 2. Satz des § 1 des Entwurfs zum Ermächtigungsgesetz folgenden Satz einzuschieben:

„Vor Erlaß der Verordnungen ist ein Ausschuß des Reichsrats und ein Ausschuß des Reichstags von 15 Mitgliedern in vertraulicher Beratung zu hören.“

[36] Gleichzeitig sei zu vereinbaren, daß Abstimmungen nicht stattfinden dürften. Er glaube, daß die Parteien auf diesen Vorschlag bereitwillig eingehen würden, da sie dadurch der Verantwortung für die unter dem Ermächtigungsgesetz zu treffenden Maßnahmen entzogen und bei der Neuwahl entsprechend entlastet sein würden.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß er in der Annahme des sozialdemokratischen Vorschlags mehr oder weniger eine Aufgabe des bisherigen Standpunktes der Reichsregierung, unter dem Ermächtigungsgesetz frei von parlamentarischer Einmischung und Verzögerung zu regieren, erblicken müsse. Andererseits wolle er jedoch nicht verkennen, daß gewisse Gesichtspunkte, so insbesondere die Frage der Auffassung des Auslandes, die Schwierigkeit des Wahlgeschäftes in einer so kritischen Zeit und die ständige Fühlung mit der Volksvertretung für die Annahme eines derartigen Kompromisses sprächen. Anregen wolle er jedoch, ob nicht anstelle eines parlamentarischen Ausschusses ein Gremium der Parteivertreter treten könne, das von den einzelnen Ressorts je nach Bedarf zu gutachtlicher Anhörung herangezogen werden könne. Er verspreche sich hiervon eine erhebliche Entlastung der Ressorts und eine Beschleunigung des Geschäftsganges.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß ein ähnlicher Vorschlag vom Abgeordneten Becker-Arnsberg bei den Parteibesprechungen in die Erörterung geworfen, aber nicht weiter verfolgt worden sei. Er selber trage gewisse Bedenken, ein derartiges Novum in die Gesetzgebung einzuführen; die Formulierung in dem Ermächtigungsgesetz würde zum mindesten erhebliche Schwierigkeiten bereiten.

Der Reichsverkehrsminister sowie der Reichswehrminister und der Vizekanzler stimmten grundsätzlich dem Vorschlage des Reichsarbeitsministers bei, brachten jedoch zum Ausdruck, daß die Reichsregierung nicht im Wege einer Einzelabmachung mit der sozialdemokratischen Partei den Vorschlag unterbreiten solle. Vielmehr sei der sozialdemokratischen Partei gegenüber zum Ausdruck zu bringen, daß

„wenn die Parteien des Reichstags auf Grund eines Antrags der Mittelparteien sich bereitfänden, dem Ermächtigungsgesetze mit einem entsprechenden Zusatz über Anhörung eines Reichstagsausschusses zuzustimmen, die Reichsregierung ihre Zustimmung zu einem solchen Zusatz nicht versagen werde.“

Der Vizekanzler führte noch aus, daß es seiner Meinung nach die parlamentarische Behandlung des Gesetzes erleichtern würde, wenn dem von rechter Seite her gemachten Vorschlage entsprechend die Auflösung des Reichstages für das Frühjahr nach erfolgter Neuwahl in Aussicht gestellt würde.

Im übrigen weise er darauf hin, daß bei seinen Besprechungen im besetzten Gebiet am Vortage von allen Parteien zum Ausdruck gebracht worden sei, daß eine Auflösung des Reichstags unbedingt zu vermeiden sei, da die Durchführung der Neuwahlen im besetzten Gebiet kaum möglich sein würde.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Kabinett dem Vorschlage des Reichsarbeitsministers zustimme und erbat die Mitwirkung des Vizekanzlers und des[37] Reichsarbeitsministers bei Übermittelung der Stellungnahme der Reichsregierung an die Führer der sozialdemokratischen Fraktion5.

5

Zur 2. Beratung des Ermächtigungsgesetzes im RT bringen Zentrum, DVP, DDP und BVP am 5. 12. den Antrag ein, dem § 1 Abs. 1 folgenden Satz anzufügen: „Vor Erlaß der Verordnungen ist ein Ausschuß des Reichsrats und ein Ausschuß des Reichstags von 15 Mitgliedern in vertraulicher Beratung zu hören.“ (RT-Drucks. Nr. 6375, Bd. 380 ). Dieser Antrag wird vom RT angenommen (s. die 1. und 2. Beratung des Ermächtigungsgesetzes in der Sitzung des RT v. 5. 12., RT-Bd. 361, S. 12299  ff.).

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