1.112.1 (ma12p): [Regierungsumbildung.]

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Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

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[Regierungsumbildung.]

Reichskanzler Nachdem die Erweiterung des Kabinetts nach beiden Seiten gescheitert sei, seien jetzt folgende theoretische Möglichkeiten gegeben:

1.

das jetzige Kabinett bleibe bestehen und trete so vor den Reichstag;

2.

eine Vertagung der Umbildung bis etwa Februar – März;

3.

Ergänzung des Kabinetts durch Berufung von Persönlichkeiten verschiedener Richtungen;

4.

Erweiterung des Kabinetts nur nach rechts.

Eine Beschlußfassung der Regierungsparteien hierüber sei nötig. Komme ein Ergebnis nicht zustande, so bleibe seines Erachtens nur die Auflösung übrig.

Abg. Fehrenbach: Er wolle nur für sich persönlich sprechen, denn seine Partei habe noch keine Stellung genommen. Mit dem vom Kanzler und Zentrum ernst gemeinten Versuch einer Verbreiterung nach beiden Seiten sei seines Erachtens auch eine einseitige Erweiterung nach rechts gescheitert. Dies erkläre er pro hic et nunc.

[1103] Das Gegebene sei, daß die jetzige Reichsregierung im Amte verbleibe. Über einzelne Vakanzen ließe sich sprechen. Er bäte die Deutsche Volkspartei dringend, sich dieser Auffassung anzuschließen.

Eine Auflösung des Reichstages müsse vermieden werden, sie würde auch keine wesentlichen Verschiebungen bringen. Im übrigen werde seine Fraktion nunmehr Stellung nehmen.

Abg. Scholz: Er teile die Ansicht Fehrenbachs über die Auflösung, aber die von ihm zu ihrer Vermeidung vorgeschlagenen Mittel seien falsch. Das einzige Mittel zur Vermeidung der Auflösung sei eine Erweiterung nach rechts. Die Auflösung müsse vor allem deshalb vermieden werden, weil in den Zwischenmonaten keine verhandlungsfähige Regierung zur Führung der Außenpolitik da sein würde. Nach den Neuwahlen würde die Erweiterung nach rechts doch unvermeidbar sein.

Bei den Mai-Verhandlungen mit den Deutschnationalen hätten die Demokraten die Notwendigkeit der Kontinuität in personeller Richtung wegen der Außenpolitik betont. Damals hätten sich die Deutschnationalen insofern in einer anderen Lage befunden als jetzt, als der von ihnen etwas wild geführte Wahlkampf erst kurze Zeit vorüber war. Inzwischen hätte die Abstimmung über die Sachverständigengesetze stattgefunden und hätten sie erklärt, daß sie den Richtlinien der Außenpolitik zustimmten, ja sie akzeptierten jetzt sogar die Person von Marx und Stresemann. Ein sachlicher Grund, sie von der Regierung auszuschließen, sei also jetzt nicht mehr vorhanden.

Wenn das jetzige Kabinett vor den Reichstag treten würde, so würde sein sehr baldiger Sturz die sichere Folge sein. Dies habe der Reichskanzler neulich selbst erklärt. Abzuwenden wäre dies nur dadurch, daß Sozialdemokraten und Deutschnationale bindend erklärten, sie würden mehrere Monate Frieden halten. Aber selbst dann sei ihm das Schicksal des jetzigen Kabinetts zweifelhaft.

Wie denke man sich die Zuziehung von „Persönlichkeiten“, solle das jetzige Kabinett demissionieren? Zu beachten sei auch, daß die sogenannten „Persönlichkeiten“ doch alle politisch abgestempelt würden.

Der Abg. Hergt habe noch gestern erklärt, daß es bei den außenpolitischen Richtlinien verbleibe. Gelinge die Zuziehung der Deutschnationalen nicht, so sehe seine Partei nur die Möglichkeit der Auflösung.

Der Reichskanzler bestätigte die Erklärung des Abg. Hergt, daß die außenpolitischen Richtlinien auch jetzt gelten sollten. Nur über die Frage des Völkerbundes und der Kriegsschuld müsse noch gesprochen werden.

Abg. Koch: Eine Auflösung des Reichstags jetzt sei unerwünscht. Jede Krise müsse jetzt vermieden werden, denn durch sie würden die Anleihe und die Räumungsfristen gefährdet. Seine Fraktion sei der Ansicht, daß die jetzige Regierung im Amt bleiben solle. Er glaube nicht, daß sie gestürzt würde.

Reichskanzler Bei einer Ergänzung des Kabinetts handle es sich nicht um eine Demission, es würden da nur die zwei bis drei freien Sitze besetzt werden.

[1104] Abg. Stegerwald: Die politische Lage sei zur Zeit anders als im Mai, sie sei in einigen Punkten günstiger, in anderen ungünstiger. Die besetzten Gebiete dächten über eine Erweiterung nach rechts wegen der Räumungsfristen skeptisch.

Abg. Fehrenbach: Die Deutschnationalen hätten in Oberschlesien den Wahlkampf1 gegen das Zentrum wild geführt. Dies erschwere ein Zusammengehen mit ihnen ungeheuer. Den Abg. Scholz mache er darauf aufmerksam, daß die Deutsche Volkspartei in Preußen die Erweiterung nach rechts nicht gern sehen würde.

1

S. Dok. Nr. 317, Anm. 9.

Stresemann: Wenn die Deutschnationalen jetzt in scharfe Opposition gingen, so würden der Durchführung des Londoner Paktes erhebliche Schwierigkeiten entstehen. Er möchte die Deutschnationalen teilweise gerade aus außenpolitischen Gründen in das Kabinett haben. Verhandle man mit ihnen über den Eintritt, so müßten sie natürlich auch erklären, daß sie gegen die wilde Agitation ihrer Partei vorgehen würden.

Neuwahlen müßten jetzt vermieden werden. Er sehe also nur die Möglichkeit einer Erweiterung nach rechts oder eine Vertagung der Umbildung mit Einverständnis der Deutschnationalen. Sonst sei die Auflösung unvermeidbar.

Abg. Erkelenz: Er teile die außenpolitischen Befürchtungen Stresemanns für den Fall, daß die Deutschnationalen nicht in die Regierung kämen, nicht.

Seine Fraktion könne nicht erklären, daß sie einer Einbeziehung der Deutschnationalen im Frühjahr zustimmen würde.

Reichskanzler Im Interesse der Wahrheit müsse er feststellen, daß sich die gestrigen Verhandlungen mit den Sozialdemokraten2 nicht so abgespielt hätten, wie es heute in einem Teil der Presse dargestellt würde. In Wirklichkeit hätten die Sozialdemokraten betont, daß sie zum Eintritt in das ganz große Kabinett bereit seien, aber die Deutschnationalen seien mit ihren Forderungen über die Richtlinien hinausgegangen. Dies habe er, der Kanzler, bestätigt und den Deutschnationalen auch erklärt. Er bitte jetzt die Fraktionen darüber zu beschließen, wie sie sich zu einer Erweiterung nach rechts stellten und abends Mitteilung zu machen.

2

Vgl. Dok. Nr. 322.

Abg. Scholz: Er halte es für zweckmäßig, wenn die Fraktionen vor ihrer Beschlußfassung über die Stellung der Deutschnationalen orientiert würden, die der Kanzler vorher zweckmäßig nochmals sprechen müßte.

Reichskanzler Er würde die Deutschnationalen nochmals hören und das Ergebnis den Fraktionen mitteilen. Vorher bitte er die Fraktionen, keinen bindenden Beschluß zu fassen.

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