1.21.1 (ma12p): Antwort auf die Note des Botschafterrats über die Militärkontrolle.

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Antwort auf die Note des Botschafterrats über die Militärkontrolle2.

2

Note der all. Botschafterkonferenz vom 28.5.24; vgl. dazu Dok. Nr. 226 und Dok. Nr. 229.

Reichswehrminister Dr. Geßler: Der Vertrag von Versailles gehe von der Fiktion aus, daß nach unserer Abrüstung die der anderen Staaten kommen solle3. Sobald unsere Abrüstung, wie im Vertrag vorgesehen, erreicht sei, sei die Tätigkeit der Militärkontrollkommission beendet, und es greife dann nach dem Vertrag das Aufsichtsrecht des Völkerbundes ein. Tatsächlich sei die Lage so, daß andere Völker nicht abgerüstet hätten; beispielsweise gebe England allein für die Luftflotte soviel aus wie wir für das ganze Heer4.

3

S. die Präambel zu Teil V des Versailler Vertrags.

4

Danach gestrichen „und die ganze Marine“. – In einem Schreiben des RWeM an den StSRkei betr. Sachverständigen-Gutachten vom 18. 6. heißt es u. a.: „Der engl. Lufthaushalt 1924/25 weist im ordentlichen Haushalt und im Hilfsfonds zusammen 19 392 400 Pfd. Sterling = rd. 387 848 000 GM nach. England wendet also für dieses, Deutschland verbotene Kampfmittel rd. 42 Mio GM mehr auf, als Deutschland für die ganze Verteidigung zu Lande zur Verfügung steht. Dabei beträgt der Personalstand der engl. Luftmacht 35 000 Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften gegenüber 100 000 des dt. Heeres.“ (R 43 I /42 , Bl. 195).

Der General Nollet habe alles in die Länge gezogen, um die Kontrolle möglichst lange fortzusetzen. Als die Abrüstung erledigt war, hieß es, die bekannten 5 Punkte5 müßten nun mit dem Garantiekomitee weiter erörtert werden. Im ganzen sei die Lage so gewesen, daß man sich immer mehr auf weiteres Bleiben eingerichtet hätte. Wie der Gegner vorgegangen sei, ergebe folgendes Beispiel: Wir hätten an sich das Recht, die Munitionsfabriken im einzelnen zu bestimmen, der Gegner nur das Recht, ihre Zahl zu beschränken6.[739] Praktisch sei es durch ein Ultimatum dahin gekommen, daß die Gegner auch die einzelnen Fabriken bestimmt hätten, die Munition herstellen dürften7. Daher sei vielfach ein Umbau von Fabriken nötig geworden.

5

S. dazu Dok. Nr. 158, Anm. 7.

6

Geßler bezieht sich hier offenbar auf Art. 168 des VV.

7

Vgl. die all. Note vom 29.1.21 mit den Beschlüssen der Pariser Konferenz, Militärische Bestimmungen, 2 e (RT-Bd. 366 , Drucks. Nr. 1640 , S. 13; Schultheß 1921, S. 235).

Er und die Reichswehr seien überzeugt, daß Frankreich uns dauernd in dieser Zwickmühle halten wolle. Natürlich sei es nicht ausgeschlossen, daß in den Kasernen einige überplanmäßige Waffen vorhanden seien, die von den Verbänden herrührten. Das Absuchen der Kasernen sei besonders infolge der Spitzelwirtschaft für uns eine furchtbare Last. Zu der in der Note8 und dem letzten Brief9 MacDonalds-Herriots10 geforderten Generalinspektion seien wir überdies nach dem Vertrage nicht verpflichtet.

8

S. oben Anm. 2.

9

In der Vorlage irrtümlich „Bericht“.

10

Am 22. 6. hatten MacDonald und Herriot aus Chequers eine persönliche Note an den RK gerichtet. Darin äußern sie ihre Besorgnis über eine eventuelle Ablehnung der Note der Botschafterkonferenz vom 28. 5. durch die dt. Reg. Zugleich verweisen sie „auf die beunruhigenden Berichte über die unausgesetzte und zunehmende Aktivität der nationalistischen Organisationen, die mehr oder weniger offen militärische Vorbereitungen treffen, um in Europa neue bewaffnete Konflikte hervorzurufen.“ Jeder neue Verstoß gegen die loyale Durchführung der Entwaffnungsbestimmungen des VV würde die internationale Lage gerade in dem Augenblick schwer belasten, „in dem die Aussicht auf schnelle Inkraftsetzung des Dawes-Berichts in allen beteiligten Ländern die Hoffnung auf eine endgültige Regelung der Reparationsfrage, die einer allgemeinen und wirklichen Befriedung die Wege ebnen soll, aufkeimen läßt“. Die dt. Reg. wird daher gebeten, „mit Nachdruck und gutem Willen an der Verwirklichung der rechtmäßigen Forderungen der Militärkontrollkommission mitzuarbeiten“. Frankreich und Großbritannien wollten der dt. Reg. keineswegs Schwierigkeiten bereiten; sie nähmen vielmehr die Zurückziehung der IMKK für einen möglichst nahen Zeitpunkt in Aussicht und wünschten lebhaft, „den Mechanismus der Kontrollkommission durch das im Art. 213 des Vertrags dem Völkerbundsrat übertragene Untersuchungsrecht ersetzt zu sehen“, sobald eine Bereinigung der durch die all. Regg. bezeichneten Punkte erfolgt sei. Die dt. Reg. möge auf die letzte Note der Botschafterkonferenz die Antwort erteilen, „die der Situation und der im Vertrag feierlich festgelegten Verpflichtungen entspricht“ (nach der durch WTB am 24. 6. veröffentlichten Übersetzung der Note, R 43 I /417 , Bl. 33; DAZ Nr. 294 vom 25. 6.; Zusammenfassung in Schultheß 1924, S. 412).

Reichskanzler MacDonald und Herriot seien in der Militärkontrolle und in der Sicherheitsfrage eher schärfer als weiter rechtsstehende ausländische Politiker. Die Militärfrage sei nur ein Teil der gesamten Sicherheitsfrage. So habe Lord D’Abernon ihm gegenüber kürzlich wieder von internationaler Gendarmerie und Völkerbund im Zusammenhang mit dem Rheinland gesprochen, was er scharf zurückgewiesen habe.

Er habe gestern Lord D’Abernon und dem französischen Geschäftsträger11 gesagt, wir seien in einer prekären Lage. Kein Mensch wolle Krieg führen, aber natürlich sei es möglich, daß an manchen Stellen noch Gewehre zu finden seien, die von den Rechts- und Linksverbänden herrührten.

11

Der brit. Botschafter Lord D’Abernon und der frz. Geschäftsträger Comte de Saint-Quentin hatten am 24. 6. dem RK die Note MacDonalds und Herriots vom 22. 6. überbracht.

Reichsminister Dr. Stresemann: Wichtig sei die Frage, ob MacDonald und Herriot sich halten werden. Herriot sei nach den Mitteilungen von Herrn von Hoesch ein ideologisch denkender Radikaler. Mit seinem Sturz sei im Oktober zu rechnen, darum müßten wir bis dahin alles, was wir könnten, herausholen. Er wisse aus zahlreichen Gesprächen, daß in Frankreich die Furcht herrsche,[740] Deutschland würde einen Revanchekrieg führen, in dem es sich nicht um Grenzen, sondern um das nackte Leben des gesamten Volkes handeln würde. Aus diesem Grunde würde die Sicherheitsfrage stark in den Vordergrund gestellt.

Er sei früher der Ansicht gewesen, die Frage der Verbindungnahme der Kontrollorgane mit der Truppe könnte dilatorisch behandelt werden und habe deshalb in der Antwortnote von der Kaserneninspektion überhaupt nicht sprechen wollen. Nachdem nunmehr der Brief von MacDonald und Herriot gekommen sei, halte er es nicht mehr für gangbar, die Kaserneninspektion abzulehnen. Vielleicht sei es möglich, darüber hinwegzugehen, sie gar nicht zu erwähnen. Er müsse bemerken, daß dieser Brief ein sehr ungewöhnlicher Schritt sei. Jetzt sei nur ein Ja oder Nein möglich. Der indirekte Versuch, die Dinge dilatorisch zu behandeln, würde nunmehr sicher als böser Wille angesehen werden. Heute sei der Graf Saint-Quentin bei ihm gewesen und habe von dem Gerücht gesprochen, daß die Inspektion der Kasernen abgelehnt würde. Er habe ihn beschworen, dies nicht zu tun, die Wirkung in Frankreich würde vernichtend sein.

Die Note über die Militärkontrolle stände jetzt, wie die Dinge sich entwickelt hätten, auch im Mittelpunkt der gesamten Fragen des Sachverständigengutachtens. Vielleicht sei es erreichbar, den Konnex mit der Truppe an das Ende der gesamten Inspektionsaktion zu stellen.

Reichskanzler Er sei der Überzeugung, daß ein Nein in der Kontrollfrage das ganze Gutachten zerschlagen würde.

Graf v. Kanitz: Das Problem sei äußerst schwer, könne aber aus dem Gesamtproblem nicht herausgerissen werden. Neben den Prestigefragen gebe es hierbei übrigens auch rein materielle Fragen. Vielleicht sei es möglich, ein Ja auszusprechen und aus den materiellen Schwierigkeiten einen Ausweg zu finden.

Reichskanzler Seines Erachtens müßten wir restlos aufrichtig sein und uns nichts nachweisen lassen.

General v. Seeckt: Die Generalinspektion widerspräche dem Vertrag. Mit einem Ja gäben wir dem Gegner Carte blanche über Art und Dauer der Kontrolle. Der Brief an den Kanzler habe gewiß die Schwierigkeiten für die Regierung verstärkt. Er wolle auch glauben, daß der Wunsch auf Abkürzung und Schluß bei den jetzt in Frankreich und England Regierenden ehrlich sei. Er müsse weiter darauf hinweisen, daß auch die 5 Punkte solche enthielten, deren Erfüllung tatsächlich unmöglich sei. Es sei z. B. unmöglich, dem Verlangen zu entsprechen, die Zahl der bei Abschluß des Waffenstillstandes vorhandenen Handfeuerwaffen anzugeben, denn wir kennten diese Zahl nicht. Millionen von Waffen seien in Rußland und Frankreich liegengeblieben, es sei unmöglich, diese Zahlen festzustellen. Wie aufrichtig er, General v. Seeckt, in dieser Beziehung vorgegangen sei, folge daraus, daß er diese Zahlen für Geschütze in Spa gegeben habe12. Solcher Schwierigkeiten seien noch mehrere vorhanden.

12

Seeckt bezieht sich auf seine Angaben über den Verbleib des dt. Kriegsmaterials in der Sitzung vom 7.7.20 auf der Konferenz von Spa (5.–16.7.20); vgl. dazu Documents on British Foreign Policy 1919–1939, 1. Reihe, Bd. 8, S. 455 ff., 464 ff.

[741] Die Forderung der Gegner erfolge ohne Gegenleistung, z. B. Ruhrräumung. Dieser seien wir aber nach seiner Überzeugung trotz der Regierung Herriot in keiner Weise nähergekommen.

Er sei für ein gewisses Entgegenkommen, aber man dürfe nicht alle Positionen aufgeben und müsse auch die Wirkung nach innen berücksichtigen. Hinter einer Annahme der Forderung stehe ein weiteres Nachgeben in allen Fragen der sogenannten Sicherheit. Es handle sich hier nicht um Prestige-, sondern um Lebensfragen. Zusammenfassend empfehle er folgende Antwort: Das Verlangen verstoße gegen den Vertrag von Versailles und sei auch sachlich unnötig. Trotzdem seien wir nochmals bereit, einen Beweis dafür zu geben, daß wir nicht zum Krieg rüsteten. Wir seien daher damit einverstanden, daß die Fabriken geprüft und die erforderlichen schriftlichen Nachweisungen gegeben würden. Wir seien aber nicht in der Lage, nochmals eine Berührung der Kontrollorgane mit der Truppe, ihren Stäben und sonstigen Einrichtungen zuzugestehen.

Dieses Vorgehen würde seines Erachtens bei England, Italien und auch Japan Verständnis finden.

ReichsarbeitsministerBrauns: Vielleicht könne man das Ziel des Generals v. Seeckt so erreichen, daß wir grundsätzlich annähmen, aber über die Modalitäten der Untersuchung verhandelten. Bei diesen Verhandlungen könnten dann die Seecktschen Forderungen gestellt werden.

Reichswehrminister Dr. Geßler: Wir dürften uns unter keinen Umständen dem Vorwurf eines Doppelspiels aussetzen. Vielleicht könne man sagen, wir gingen bei der Annahme der gegnerischen Forderungen von der Voraussetzung aus, daß über die Modalitäten der Ausführung eine Vereinbarung erfolge.

Reichsminister Dr. Stresemann: Die Anregung des Ministers Brauns halte er für sehr beachtlich. Dies sei leichter tragbar, als wenn wir in der Note die Inspektion der Kasernen ablehnten. Man könne dann den Modus procedendi aus der Note überhaupt herauslassen.

Sehr unbequem sei ferner für uns die Überzeugung der Gegner, daß wir mit einem Krümpersystem arbeiteten.

Wenn wir in der Militärfrage nicht einig würden, so käme in Frankreich ein Sturm gegen ein Herausgehen aus der Ruhr.

Reichskanzler Er sei jetzt für Annahme mit der Voraussetzung, daß eine Einigung über die Modalitäten erfolge.

General v. Seeckt: Zum Vorschlag Brauns müsse er fragen, ob die Regierung, wenn diese Verhandlungen in der Kasernenfrage ungünstig liefen, zu einem Nein entschlossen sei. Er warne nochmals vor dem Moment, in dem fremde Offiziere in die Kasernen kämen, er sähe hier die schwersten Folgen voraus.

Reichswehrminister Dr. Geßler: Er halte es für völlig unmöglich, daß nochmals alle 132 Garnisonen revidiert würden.

Reichsarbeitsminister Dr. Brauns: Wir seien schon oft in der Lage gewesen, daß wir im Moment Luft gewinnen und die Entwicklung abwarten mußten. Auf die präzise Frage des Generals v. Seeckt müsse er antworten, man könne politisch solche Fragen nicht stellen und schwerwiegende Beschlüsse vorwegnehmen.

[742] Reichskanzler Ihm erscheine es wichtig, Zeit zu gewinnen. Er sei für den Vorschlag Brauns.

General v. Seeckt: Er sehe voraus, daß wir die Antwort bekommen würden, die Einzelheiten der Inspektion bestimme die Militärkontrollkommission. Dann ständen wir einem Diktat gegenüber.

Graf v. Kanitz erwiderte dem General v. Seeckt, daß wir ja heute ein späteres Nein nicht ablehnten, die Regierung lege sich heute nicht etwa auf die Annahme eines späteren Diktates fest.

Reichsminister Dr. Stresemann: Die englische Regierung habe sich sehr stark auf das Dawesgutachten festgelegt. Er betone in Unterhaltungen mit Ausländern stets, daß sie das Gutachten nicht mit zu starken Forderungen belasten sollten.

Wenn wir die von General v. Seeckt vorausgesehene Antwort bekämen, so brauchten wir diese ja nicht anzunehmen. Er glaube aber, daß eine andere Antwort kommen würde.

Die Minister Hamm und Luther sprechen sich für den Vorschlag Brauns aus.

Reichswehrminister Dr. Geßler: Er empfehle, in der Note stark zu betonen, wie schwer die Lage für uns sei, und darauf hinzuweisen, daß seit dem Waffenstillstand Wehrlosigkeit mit Rechtlosigkeit identisch geworden sei.

Der Reichskanzler stellte als Beschluß des Kabinetts fest, daß die Minister Stresemann und Geßler einen Entwurf im Sinne des Vorschlags Brauns vorbereiten sollen; über die letzte Fassung sollte eine Einigung zwischen Reichskanzler, Minister Geßler und Minister Stresemann erzielt werden13.

13

Die dt. Antwortnote, die am 30. 6. durch Hoesch in Paris übergeben wird, setzt sich ausführlich mit der Behauptung auseinander, Deutschland könne die Gefahr bewaffneter Konflikte in Europa heraufbeschwören; tatsächlich habe Deutschland in beispielloser Weise abgerüstet. Dennoch sei die RReg. bereit, die geforderte Generalinspektion unter der Voraussetzung zuzulassen, daß sie den Abschluß der all. Militärkontrolle darstellt und daß über die Modalitäten der Durchführung eine Verständigung erzielt wird. Die RReg. bittet, als Schlußtermin den 30. 9. zu bestimmen (Text der Note in R 43 I /417 , Bl. 35-38; DAZ Nr. 303 vom 30. 6.; Zusammenfassung in Schultheß 1924, S. 413 ff.; s. auch die Erklärungen Stresemanns zu der Note am 30. 6. vor der ausländischen Presse, in: Stresemann, Vermächtnis I, S. 441 ff.).

In ihrer Note vom 9. 7. nimmt die Botschafterkonferenz mit Befriedigung davon Kenntnis, daß die dt. Reg. einer Generalinspektion des dt. Rüstungsstandes zugestimmt habe. Außer der Generalinspektion müsse aber auch die Kontrolle der bekannten fünf Punkte durch die IMKK stattfinden. Die Kontrolloperationen würden am 20. 7. beginnen, ihre Beendigung hänge weitgehend vom guten Willen der dt. Reg. ab. Hinsichtlich der Modalitäten würden die Anregungen der dt. Reg. wohlwollend geprüft werden (Auszug in R 43 I /417 , Bl. 52, 57-59; DAZ Nr. 311 vom 11. 7.; Schultheß 1924, S. 418)

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