2.126.1 (ma31p): 1. Arbeitsschutzgesetz.

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1. Arbeitsschutzgesetz.

Der Reichsarbeitsminister weist auf die Notwendigkeit einer möglichst schnellen Behandlung und Verabschiedung des Arbeitsschutzgesetzes1 in Anbetracht der gesamten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart hin. Durch schnelle Erledigung dieses Gesetzentwurfs werde man einem Notgesetz zuvorkommen können. Trotzdem mache er schon jetzt [darauf] aufmerksam, daß gewisse Mißstände, die sich im gegenwärtigen Wirtschaftsleben breitmachten, eventuell doch noch durch ein besonderes Gesetz geregelt werden müßten. Er glaube, daß es wohl kaum zu erreichen sein wird, daß man von jeglichen Maßnahmen absehe. Auf jeden Fall sei es von grundlegender Bedeutung, daß das Arbeitsschutzgesetz bald den gesetzgebenden Körperschaften zugehe.

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Siehe Dok. Nr. 125, Anm. 7.

Der Reichswirtschaftsminister erklärt, daß er gewisse Abänderungsvorschläge zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes zu machen habe; auch er[366] sei für eine möglichst schnelle Verabschiedung des Gesetzentwurfs. Er bitte daher, schon jetzt in die Spezialbehandlung wichtiger Gesetzesbestimmungen einzutreten.

Es wird beschlossen, sofort die Einzelberatung des Entwurfs im Kabinett zu beginnen.

Anträge des Reichswirtschaftsministers2 zu § 6 (Maschinenschutz).

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Die folgenden Änderungsanträge zum Entwurf eines Arbeitsschutzgesetzes sind in einem Schreiben des RWiM an den RK vom 20.11.26 enthalten (R 43 I /2019 , Bl. 395–430; zwei Blätter dieses Schreibens fehlen).

Der Reichswirtschaftsminister hält die Bestimmungen des § 6 Absatz 3 des Entwurfs3 für bedenklich. Derartige Eingriffe von zentraler Stelle aus könnten die Wirtschaft schädigen. Er beantrage Streichung dieser Bestimmungen.

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§ 6 Abs. 3 lautete: „Für bestimmte Arten von Maschinen und Betriebseinrichtungen, an denen Arbeitnehmer beschäftigt zu werden pflegen, kann der Reichsarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister vorschreiben, daß sie nur in Verkehr gebracht oder in Gebrauch genommen werden dürfen, wenn sie den von ihm festgesetzten Anforderungen zum Schutze des Lebens und der Gesundheit entsprechen. Der Geltungsbereich dieser Bestimmungen kann auf den Verkehr im Inland beschränkt werden. Vor Erlaß der Bestimmungen ist der Unternehmervereinigung des erzeugenden Gewerbezweigs Gelegenheit zur Äußerung zu geben.“

Der Reichsarbeitsminister weist darauf hin, daß es sich lediglich um Kann-Vorschriften handele und daß man nur gewisse Grundsätze über Maschinenschutz vorschreiben solle.

Das Kabinett beschließt, die Bestimmungen des § 6 über den Maschinenschutz aufrechtzuerhalten.

Anträge des Reichswirtschaftsministers zu § 11 des Entwurfs.

Der Reichswirtschaftsminister trägt vor, § 11 des Arbeitsschutzgesetzes begrenze die Wochenarbeitszeit auf 56 Stunden4. Mit einer solchen Arbeitszeit lasse sich ein 2-Schichtenbetrieb nicht aufrechterhalten, da neben der regelmäßigen 56stündigen Wochenarbeitszeit Mehrarbeit gemäß § 14 des Entwurfs nicht zulässig sei. Es müßten also die jetzt noch 2-schichtig arbeitenden Betriebe5 nach Inkrafttreten des Entwurfs zum 3-Schichtensystem übergehen. Das halte er aber insbesondere im Braunkohlenbergbau aus wirtschaftlichen Gründen für nicht durchführbar. Da sich ein 2-Schichtensystem nur auf einer reinen Wochenarbeitszeit von 60 bis 66 Stunden aufrechterhalten lasse, beantrage er,

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§ 11 lautet: „1) Bei Arbeiten, die ihrer Art nach einen ununterbrochenen Fortgang erfordern, beträgt die Wochenarbeitszeit einschließlich der Sonntagsarbeit 56 Stunden. Um einen Schichtwechsel zu ermöglichen, darf die auf einen Zeitraum von höchstens drei Wochen entfallende Gesamtarbeitszeit ungleichmäßig verteilt werden; die sich daraus ergebende Arbeits- und Schichtzeit darf jedoch 16 Stunden keinesfalls überschreiten. […] 2) Eine Verlängerung der 56stündigen Wochenarbeitszeit ist nur bei Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten nach § 12 Abs. 1 Nr. 4, bei Arbeitsbereitschaft nach § 13 und in außergewöhnlichen Fällen nach § 15 zulässig. […]“

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Wie aus dem Schreiben des RWiM an den RK (Anm. 2) hervorgeht, war das Zweischichtensystem noch im mitteldt. Braunkohlenbergbau, in den Nebenbetrieben des Steinkohlenbergbaus, in der Eisenindustrie, in Teilen der chemischen und der Papierindustrie und in den Zuckerfabriken vertreten.

[367] 1) durch Zitierung des § 146 im Abs. 2 des § 11 Mehrarbeit zuzulassen,

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§ 14 (Mehrarbeit) siehe weiter unten.

2) den § 58 des Entwurfs wie folgt zu verändern: Statt wie bisher soll der Abs. 27 nunmehr lauten: „Soweit das Inkrafttreten der allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit (§§ 9–16) in einem Teile des Reichsgebiets die wirtschaftliche Lage eines Gewerbes oder einen beträchtlichen Teil des Gewerbes schwer gefährden würde, kann der Reichsarbeitsminister oder die oberste Landesbehörde mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers das Inkrafttreten der Vorschriften bis zur Dauer von 3 Jahren höchstens hinausschieben.“

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§ 58 Abs. 2 lautet im Entwurf: „Soweit das Inkrafttreten der allgemeinen Vorschriften über die Arbeitszeit (§§ 9 bis 16) in einem Teile des Reichsgebiets die wirtschaftliche Lage eines Gewerbes schwer gefährden würde, kann die oberste Landesbehörde mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers das Inkrafttreten dieser Vorschriften bis zur Dauer eines Jahres hinausschieben.“

Der Reichsarbeitsminister weist zu Antrag 1) darauf hin, daß § 11 nur bei wirklich kontinuierlicher Arbeit einschließlich des Sonntags Anwendung finde und daß § 13 die Aufrechterhaltung des Zweischichtensystems wenigstens für einen Teil der Belegschaft ermögliche.

Nach eingehender Aussprache wird beschlossen, zu Antrag 1) im § 11 Abs. 2 das Wort „nur“ zu streichen. Von einer Zitierung des § 14 Abs. 2 im § 11 wird abgesehen. Zu Antrag 2) wird den Anträgen des Reichswirtschaftsministers auf Abänderung des § 58 zugestimmt.

Anträge des Reichswirtschaftsministers zum § 14 des Entwurfs (Mehrarbeit).

Der Reichswirtschaftsminister trägt vor, nach der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 könne durch Tarifvertrag der 10stündige Arbeitstag vereinbart werden. Denn es8 könnten jährlich rund 600 Mehrarbeitsstunden tarifvertraglich vereinbart werden. Demgegenüber bestimme § 14 des Arbeitsschutzgesetzes9, daß durch Tarifvertrag nur 250 Mehrarbeitsstunden im Kalenderjahr vereinbart werden dürften, die nur mit Genehmigung des Reichsarbeitsministers aus Gründen des Gemeinwohls für bestimmte Zeit und für einzelne Gewerbezweige auf 360 Stunden jährlich erhöht werden könnten. Für alle diese Mehrarbeitsstunden sei ein Lohnzuschlag von 25% vorgeschrieben.

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Statt „Denn es“ muß es sinngemäß „Demnach“ heißen.

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Die wichtigsten Bestimmungen des § 14 (Mehrarbeit) des Entwurfs eines Arbeitsschutzgesetzes: „1) Besteht innerhalb eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung ein dringender Bedarf nach Mehrarbeit, so ist diese bis zu 2 Stunden täglich und bis zu 12 Stunden wöchentlich, jedoch höchstens bis zu 60 Stunden während eines Kalenderjahres zulässig. […] 2) Durch Tarifvertrag kann Mehrarbeit über die nach Abs. 1 zulässige Grenze bis zu insgesamt 250 Stunden im Kalenderjahr vereinbart werden; dabei dürfen jedoch die Höchstgrenzen des Abs. 1 für den Tag und die Woche nicht überschritten werden. […] 4) Der Reichsarbeitsminister kann auf bestimmte Zeit zulassen, daß für einzelne Gewerbezweige, in denen dies aus Gründen des Gemeinwohls erforderlich ist, die zulässige Mehrarbeit durch Tarifvertrag über die in Abs. 2 vorgesehene Höchstgrenze hinaus bis zu insgesamt 360 Stunden ausgedehnt wird. […] 6) Die nach den Absätzen 1 bis 5 von Arbeitern geleistete Mehrarbeit ist über den Lohn für die regelmäßige Arbeitszeit hinaus mit einem Zuschlag von mindestens 25 vom Hundert zu bezahlen. […]“

Er halte diese Einengung der Mehrarbeitsmöglichkeiten für die deutschen Verhältnisse für untragbar. Man dürfe den Gesundungsprozeß der deutschen[368] Wirtschaft nicht durch starke Eingriffe in die Arbeitszeit erschweren. Er beantrage daher,

a) im § 14 Abs. 2 statt der 250 Stunden 360 Stunden jährlich zur tarifvertraglichen Vereinbarung für Mehrarbeit zuzulassen, da eine Zahl von 360 Überstunden notwendig sei, um den Neunstundentag da, wo die Produktionsverhältnisse es erforderten, aufrechterhalten zu können;

b) im § 14 Abs. 4 die Begrenzung auf 360 Stunden durch Streichung der Worte „bis zu insgesamt 360 Stunden“ fallen zu lassen,

c) im § 14 Abs. 6 den für die Mehrarbeit festgesetzten Lohnzuschlag zu streichen und die Bestimmungen des Entwurfs, in denen auf § 14 Abs. 6 Bezug genommen wird, entsprechend zu ändern.

Trotz eingehender Aussprache konnte eine Einigung über die Anträge zu a) und b) zwischen dem Herrn Reichswirtschaftsminister und dem Herrn Reichsarbeitsminister nicht erzielt werden. Das Kabinett sah daher von einer Beschlußfassung über diese Punkte ab. Die Anträge zu a) und b) sollen in dieser10 Chefbesprechung zwischen den genannten zuständigen Ressortministern erneut durchberaten werden11.

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Statt „dieser“ muß es wohl „einer“ heißen.

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Zum Ergebnis der Besprechung zwischen dem RArbM und dem RWiM siehe Dok. Nr. 127.

Zu Antrag c) wird nach längerer Aussprache beschlossen, den Absatz 6 des § 14 wie folgt zu ändern: Statt der Worte „mit einem Zuschlag von mindesten 25 v.H. zu bezahlen“ sollen die Worte treten „mit einem angemessenen Zuschlag zu bezahlen. Als angemessen gilt mangels einer abweichenden Vereinbarung ein solcher von 25%.“

[…]

Anträge des Reichswirtschaftsministers zu § 26 des Entwurfs (Strafbarkeit des Duldens freiwilliger Mehrarbeit).

Der Reichswirtschaftsminister führt aus: Es bedeutet eine nicht unwesentliche Veränderung des gegenwärtigen Rechtszustandes, daß gemäß § 26 des Entwurfs künftig auch diejenigen Arbeitgeber strafbar sein sollen, die freiwillige Mehrarbeit seitens der Arbeitnehmer annehmen oder auch nur dulden. Nach § 11 Abs. 3 der jetzt gültigen Arbeitszeitverordnung12 sei der Arbeitgeber bei Duldung oder Annahme freiwilliger Mehrarbeit, soweit es sich um männliche Arbeitnehmer über 16 Jahre handele, nicht strafbar, wenn die Mehrarbeit durch besondere Umstände veranlaßt und keine dauernde sei, noch eine Gesundheitsgefährdung mit sich bringe. Im Interesse der deutschen Gesamtproduktion und im Interesse des Fortkommens der einzelnen Arbeitnehmer liege es aber, den bisherigen Rechtszustand aufrechtzuerhalten. Er beantrage daher, auch für das Arbeitsschutzgesetz die Straffreiheit des Duldens freiwilliger Mehrarbeit vorzusehen.

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Arbeitszeit-VO vom 21.12.23 (RGBl. I, S. 1249 ).

Nach kurzer Aussprache beschließt das Kabinett, den Antrag des Reichswirtschaftsministers abzulehnen und den § 26 des Entwurfs in der vorliegenden Fassung aufrechtzuerhalten.

[369] Anträge des Reichswirtschaftsministers zu § 57 des Entwurfs.

Der Reichswirtschaftsminister erklärt, die Bestimmung des § 5713 ziele darauf hin, daß eine Suspendierung der eingegangenen Bindungen der Arbeitszeit nicht nur im Falle eines Krieges oder ähnlicher Ereignisse in Frage käme, sondern auch bei wirtschaftlichen Lagen, die die Lebensmöglichkeit der Bevölkerung bedrohen. Er beantrage daher, im § 57 als Absatz 2 den Satz einzufügen: „Die Voraussetzungen für eine Außerkraftsetzung gemäß Abs. 1 liegen auch dann vor, wenn die nationale Wirtschaft durch andere Ereignisse so stark betroffen wird, daß die Lebensmöglichkeiten der Bevölkerung bedroht sind“.

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§ 57 lautet: „Die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes und der auf ihm beruhenden Verordnungen können im Falle eines Krieges oder anderer Ereignisse, welche die Landessicherheit gefährden, durch Verordnung der Reichsregierung für das Reichsgebiet oder Teile davon vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.“

Nach kurzer Aussprache beschließt das Kabinett, dem Antrage des Reichswirtschaftsministers stattzugeben.

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