2.63.4 (ma31p): 5. Fall Hörsing.

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5. Fall Hörsing12.

12

In seiner Eigenschaft als Reichsbannervorsitzender und Mitglied des PrLT hatte Hörsing im „Berliner Tageblatt“ vom 14.7.26 einen Artikel veröffentlicht, in dem er darauf hinwies, daß in Deutschland mindestens 840 000 ausländische Arbeiter beschäftigt würden („1. Behördlich zugelassene landwirtschaftliche Vollarbeiter mit Legitimation: 130 000; 2. In den Ländern ohne Legitimationsverfahren: 60 000; 3. In Preußen allein von den Agrariern versteckte Ausländer: 148 000; 4. Kinder über 10 Jahre, die die Arbeit der Vollarbeiter leisten: 390 000“; dazu 112 000 behördlich zugelassene ausländische Industriearbeiter). Wahrscheinlich betrage die Zahl der ausländischen Arbeiter sogar 1 Million und mehr. Da rd. 1 Million deutsche Landarbeiter und solche, die Landarbeit leisten könnten und wollten, arbeitslos seien, sei die Beschäftigung ausländischer Landarbeiter „ein Skandal ohnegleichen“. Das „System der ausländischen Wanderarbeiter“ sei heute „der große wirtschaftliche Krebsschaden, der die deutschen Arbeiter hungern und verkommen läßt, nur weil die Ausländer etwas billiger arbeiten, willige, fast sklavenartige Werkzeuge in den Händen der Agrarier sind. […] Hoffentlich macht Preußen im Herbst dieses Jahres Schluß mit diesem landesfeindlichen Zustand und drückt auf die anderen Länder oder, falls nötig, auch auf die Reichsregierung, damit im ganzen Reiche in erster Linie die deutschen Arbeiter […] Beschäftigung und Brot finden.“ (R 43 I /2031 , Bl. 196–197). In einer vom RArbMin. veranlaßten WTB-Notiz vom 16. 7. wurden die von Hörsing mitgeteilten Angaben als unrichtig bezeichnet; tatsächlich betrage die Zahl der ausländischen Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie nicht mehr als 278 000 (R 43 I /2031 , Bl. 199). Am 19. 7. übersandte das RArbMin. der Rkei den Entwurf eines Schreibens des RArbM an den PrIM, in dem es heißt: Auf Grund des Artikels von Hörsing habe „die Öffentlichkeit sich nunmehr mit den Fragen der ausländischen Arbeiter in Deutschland beschäftigt, und zwar vielfach auch im Rahmen parteipolitischer Auseinandersetzungen und deshalb mit unsachlicher Schärfe. Ich bedaure das ganz besonders, da eben die Verhandlungen mit Polen über die Regelung der Wanderarbeiterfrage unter Beteiligung Ihres Ministeriums von neuem begonnen haben und die Schwierigkeiten, die einer befriedigenden Regelung dieser Frage entgegenstehen, nur bei durchaus sachlicher Behandlung überwunden werden können. Nachteilige Rückwirkungen müssen derartige Vorkommnisse aber auch auf die Lage der deutschen Arbeitnehmer im Ausland hervorrufen. Meine Bemühungen, den ausländischen Arbeitsmarkt für die deutschen Arbeitnehmer zu erhalten und neu zu gewinnen, werden dadurch ernsthaft in Frage gestellt.“ (R 43 I /2031 , Bl. 203–206). In einem für den RK bestimmten Aktenvermerk vom 19. 7. führte MinDir. Pünder dazu u. a. aus: „Ich bin auch der Meinung, daß der Artikel des Herrn Hörsing Übertreibungen enthält und in gewisser Hinsicht von demagogischen Gesichtspunkten ausgeht. Auf der anderen Seite dürfte es aber nicht schaden, daß infolge dieses viel beachteten Artikels die Angelegenheit der nach Hunderttausenden zählenden Wanderarbeiter in Deutschland stärker ins Rollen gekommen ist. Das, was sachlich gegen den Artikel des Herrn Hörsing zu sagen ist, ist bereits durch das Reichsarbeitsministerium in der anliegenden WTB-Notiz geschehen. Darüber hinaus jetzt noch einen Brief an den preußischen Innenminister zu schreiben, wäre meines Erachtens politisch ganz falsch. […] Gerade bei dem gegenwärtig so gespannten Verhältnis zwischen Reich und Preußen würde ein solcher Brief sehr ungünstig wirken und würde insbesondere auch eine mehr oder minder stillschweigende Erledigung des Falles Schmid [vgl. Dok. Nr. 24], auf die doch die Reichsregierung Wert legen müßte, unmöglich machen.“ (R 43 I /2031 , Bl. 207).

Ministerialdirektor Dr. Pünder trug vor, daß das Reichsarbeitsministerium beabsichtige, wegen der Veröffentlichung des Herrn Hörsing über die Erwerbslosenzahlen[144] ein Schreiben an den Preußischen Minister des Innern zu richten, um gegen den Inhalt und die Form der Veröffentlichung zu protestieren. Er schlug vor, von einem Schreiben abzusehen.

Staatssekretär Geib erklärte, er lege kein ausschlaggebendes Gewicht auf den vom Reichsarbeitsministerium ausgearbeiteten Entwurf eines Schreibens an den Preußischen Minister des Innern, glaube aber doch, daß etwas in der Angelegenheit geschehen müsse. Er halte eine mündliche Rücksprache mit dem Preußischen Minister des Innern für angezeigt.

Das Kabinett hielt den letzten Weg für den richtigeren. Das Reichsarbeitsministerium wird von einem Schreiben an den Preußischen Minister des Innern absehen13.

13

Mit der Frage der ausländischen landwirtschaftlichen Wanderarbeiter beschäftigte sich das Kabinett in der Sitzung vom 12. 8. (Dok. Nr. 67 unter P. 4).

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