1.4 (mu11p): Der Aufstand im Ruhrgebiet und die französische Intervention im Maingau

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Das Kabinett Müller IHermann Müller Bild 146-1979-122-28APlakat der SPD zur Reichstagswahl 1920Plak 002-020-002Wahlplakat der DNVP Plak 002-029-006Wahlplakat der DDP Plak 002-027-005

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Der Aufstand im Ruhrgebiet und die französische Intervention im Maingau

Politische Unzufriedenheit und Unsicherheit war eine der Folgen des Kapp-Putsches. Die Abwehr des Staatsstreichversuchs wurde mancherorts mit Bolschewismus gleichgesetzt129, und gerade die Kämpfe im Ruhrgebiet, die aus dem Umschlagen der Putschabwehr in eine linksradikale Aufstandsbewegung entstanden waren, mochten dieser Vorstellung Rechnung tragen. In einer politischen Analyse schrieb Ernst Troeltsch am 6. April: „Im Ruhrgebiet entstand, indem die Wilden und Plünderer die Oberhand gewannen, ein furchtbarer Zustand des Terrors, und solange es dort nicht gelang, Ordnung zu schaffen, erhoben sich im übrigen Deutschland ähnliche Versuche. Der Klassenkampf ist mit dem Kapp-Putsch und dem Auftauchen der roten Ruhrarmee zum Bürgerkrieg geworden130.“

129

Vgl. hierzu neben Severing und Spethmann auch die kommunistisch orientierte Arbeit von E. Brauer, Der Ruhraufstand von 1920, und aus der Schule Max Webers die Untersuchung von G. Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes vom März–April 1920.

130

Spektatorbriefe, S. 132.

Die Niederschlagung des Ruhraufstands läßt sich in zwei Phasen teilen: Zunächst das Einrücken der Reichswehr, der Freikorps und der Sicherheitspolizei bis Anfang Mai; dann die Konsolidierung der Verhältnisse durch Entwaffnung[XXXVII] und Gerichtsverfahren gegen Aufständische bis Anfang Juni 1920. Während beider Phasen herrschten im Kabinett unterschiedliche Ansichten über das Vorgehen und übte die Öffentlichkeit Kritik an den Aktionen der Regierung.

Ende März hatten die an der Ruhr eingesetzten Einheiten der Reichswehr und die Freikorps eine Ausgangsbasis für ihre Offensive gegen die Aufständischen erreicht, die es den verantwortungsbewußten Führern der Roten Armee geraten erscheinen ließ, Verhandlungen zu führen131, damit Blutvergießen und Kampfhandlungen ein Ende fänden. Das Bielefelder Abkommen, das noch unter der Kanzlerschaft Bauers abgeschlossen wurde132, ist Ausdruck der beiderseitigen Kompromißbereitschaft. Wichtiger als die sozialpolitischen Vereinbarungen, die den gewerkschaftlichen Forderungen nach dem Ende des Kapp-Putsches entsprachen, waren unter den gegebenen Verhältnissen die Bestimmungen, daß die Aufständischen die Waffen niederzulegen hätten und daß die Gefangenen zu befreien seien, andernfalls würden die Regierungstruppen in das Ruhrgebiet einmarschieren. General von Watter, der die militärische Exekution zu leiten hatte, verband mit den Bestimmungen des Bielefelder Abkommens ein Ultimatum, in dem er Sanktionen für den Fall ankündigte, daß die Waffenablieferung innerhalb der gesetzten Frist unzureichend erscheine.

131

Vgl. hierzu auch Dok. Nr. 9.

132

Vgl. C. Severing, Im Wetter- und Watterwinkel, S. 170 ff., insbesondere S. 178 ff.

 

Weil die Angehörigen der Roten Armee der Meinung waren, daß ihre Vertreter in Bielefeld ihr Mandat zu weit ausgelegt hätten133, und weil die Hoffnung auf einen vollständigen Sieg der Revolution noch nicht vollständig erloschen war, setzten sie an der Ruhr den Widerstand gegen die Regierungstruppen fort. Da sich Berichte und Meldungen mehrten, daß es an der Ruhr zu Ausschreitungen gekommen sei und die Truppen der Roten Armee den Kampf wiederaufgenommen hätten, stellte Hermann Müller in seiner Regierungserklärung fest, daß das Kabinett sich gegen die Aufstandsbewegung wenden werde: „Die Anarchisten von links müssen mit demselben Maß gemessen werden wie die Anarchisten von rechts.“ Und weiter sagte der Kanzler: „Die Regierung wird sich auch dieser Bewegung gegenüber durchzusetzen wissen. Die Vorbereitungen dazu sind getroffen. Ich hoffe, daß sich in letzter Stunde die Einsicht durchsetzen wird, daß unser schwergeprüftes Volk nicht vor dem Untergang bewahrt bleiben wird, wenn sich nicht alle Volksgenossen schnell zurückfinden auf den geordneten Boden der Demokratie134.“ Müller verhehlte den Abgeordneten der Nationalversammlung nicht, daß die französische Regierung dem Vorgehen gegen die Aufstandsbewegung Schwierigkeiten bereite. In ihrer Entscheidung hatte die Reichsregierung keine freie Wahl. Sie agierte nicht, sondern reagierte aus politischen und wirtschaftlichen Beweggründen135. Die Hilferufe aus dem Ruhrgebiet und die politischen Strömungen in Süddeutschland, die in jedem Zögern der Regierung eine Unterstützung des Bolschewismus oder des Rätegedankens erblickten, veranlaßten das Kabinett, trotz[XXXVIII] französischer Interventionsdrohungen Truppen ins Ruhrgebiet einmarschieren zu lassen.

133

Vgl. dazu auch Dok. Nr. 10.

134

NatVers. Bd. 332, S. 4937 .

135

NatVers. Bd. 332, S. 4934 .

Bereits am 18. März hatte die Reichsregierung in Paris angefragt, ob die französische Regierung den Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierte Zone dulden werde, damit dort die linksradikale Aufstandsbewegung niedergeschlagen werden könne. Eine Verständigung war nicht zustande gekommen, da Ministerpräsident Millerand verlangt hatte, zum Ausgleich müßten französische Truppen in den Maingau einrücken. Diese Forderung war von deutscher Seite zurückgewiesen worden136. Aus einem Mißverständnis gewann das Kabinett Müller die Meinung, Frankreich habe schließlich die Notwendigkeit des deutschen Vorrückens eingesehen und wolle nur dann den Maingau besetzen, wenn sich die deutschen Regierungstruppen über eine vorgeschriebene Frist im Ruhrgebiet aufhalten würden. Nachdem die Regierung Maßnahmen zur Okkupation des Industriegebiets ergriffen hatte, mußte sie erkennen, daß eine Äußerung des französischen Botschafters Paléologue falsch interpretiert worden war und die Warnung des deutschen Geschäftsträgers in Paris Mayer vor überstürzten Entschlüssen zutraf. Das französische Kabinett beharrte darauf, daß eine Besetzung des Ruhrgebiets durch deutsche Truppen unzulässig sei.

136

Dok. Nr. 2, P. 1, s. a. die Regierungserklärung a.a.O.

Die deutschen politischen Auseinandersetzungen nach dem Kapp-Putsch mögen dazu beigetragen haben, daß von französischer Seite im Einmarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet eine Gefahr gesehen wurde. Marschall Foch fürchtete, die deutsche Regierung wolle die Alliierten überlisten und zwar derart, daß sich die Reichswehr mit den bewaffneten Arbeitern verbrüdere und damit plötzlich am Rhein den Alliierten ein deutsches Heer von 100 000 Mann gegenüberstehe137. Nur die Sorge in Frankreich vor einer deutschen Räteregierung kann zu derartigen Fehlschlüssen geführt haben; denn selbst eine oberflächliche Kenntnis der deutschen Verhältnisse hätte die offene Feindschaft zwischen Reichswehr und Arbeiterschaft als unüberwindbares Hindernis für eine solche Vereinigung gezeigt. Kanzler Müller zögerte nicht, den Gesandten Göppert aufzufordern, er solle den Obersten Rat der Alliierten darauf aufmerksam machen, welche Folgen es haben werde, wenn die Reichswehr nicht marschiere: Der Kommunismus könne nicht bekämpft werden, die Stellung der Regierung sei erschüttert, der Umsturz stehe bevor138.

137

DBFP 1st ser. vol. IX, p. 242.

138

Dok. Nr. 5.

Im Gegensatz zum Kanzler hatte der als Reichskommissar eingesetzte neue preußische Innenminister Severing von Anfang an bezweifelt, daß die Linksradikalen an der Ruhr ihren Kampf einstellen würden. Auf dieser Linie lag es auch, daß Minister Bauer und General von Seeckt forderten, das Kabinett solle auf seinen ultimativen Forderungen bestehen und dürfe General von Watter keine Vorschriften machen. Akzeptiert wurde jedoch der Vorschlag Severings und Davids, daß Vertrauensleute, nämlich Bürgermeister und Kommunalbeamte, mit schwarz-rot-goldnen Armbinden, den Truppen entgegengehen und[XXXIX] sie in die Ortschaften führen sollten139. Obwohl der nochmalige Versuch, die Aufständischen durch eine in Münster ausgehandelte Fristverlängerung zum Niederlegen der Waffen zu bewegen, ohne Erfolg blieb, wollte Müller von sich aus nicht den Reichswehrtruppen den Vormarschbefehl geben, da er befürchtete, die zu erwartende Besetzung des Maingaues durch Frankreich werde die süddeutschen Länder von der Reichsregierung trennen. Aber die Minister Bauer, Blunck, Geßler, Giesberts und Hermes sprachen sich für das Vorrücken der Reichswehr in die demilitarisierte Zone aus, um die deutsche Wirtschaft vor einem Zusammenbruch zu bewahren und etwaigen bürgerlichen Separationsbestrebungen vorzubeugen140. Von den Ministerialbeamten warnten Unterstaatssekretär von Haniel und Pressechef Rauscher vor der Verletzung des Friedensvertrags, da sie eine Abtrennung Süddeutschlands zur Folge haben könne. Gesandter Riezler, der Beobachter des Reichspräsidenten bei dieser Kabinettssitzung, meinte allerdings, daß solch ernste Folgen nicht unbedingt zu erwarten seien. Es komme darauf an, die französischen Politiker von der Militärpartei des Landes zu isolieren. Betrachte aber Frankreich den Friedensvertrag als aufgehoben, dann sei in einigen Monaten ein neuer Vertrag zu erwarten, dessen Bedingungen für Deutschland günstiger als die derzeitigen seien141. Innenminister Koch vermutete, daß Frankreich trotz des deutschen Angebots, im Fall von Fristüberschreitungen Sanktionen anzuerkennen und Kontrollen durch alliierte Offiziere zuzulassen, zur Intervention schreiten werde, die Unruhen auslösen könnten142.

139

Dok. Nr. 2, P. 1.

140

Dok. Nr. 35; 8, P. 4; 11.

141

Dok. Nr. 8, P. 4.

142

Dok. Nr. 10.

Um den militärischen Einsatz zu verschleiern, erklärte der Reichskanzler in einem Interview für eine amerikanische Presseagentur, es handele sich im Ruhrgebiet eigentlich um eine Polizeiaktion. Wegen der Größe des Territoriums sei es notwendig geworden, auch Truppen heranzuziehen, da Deutschland nicht wie die Vereinigten Staaten über eine Staatsmiliz verfüge. Durch die französische Ablehnung des deutschen Einmarsches sei dem Widerstand der Kommunisten neuer Auftrieb gegeben worden. Es bestehe die Gefahr, daß das Ruhrgebiet für Deutschland und Europa zu einem „Gefahrenwinkel der übelsten Sorte“ werde: „Das Geschwür am Rhein muß ausgebeizt werden, und zwar so schnell wie möglich143.“

143

Dok. Nr. 12, vgl. auch Dok. Nr. 10.

Trotz der Ausführungen des Kanzlers sahen die Alliierten in der Besetzung der entmilitarisierten Zone mehr als eine Polizeiaktion; sie erblickten darin eine Verletzung des Versailler Vertrags. Während aber Großbritannien und Italien Verständnis für die Notlage der Reichsregierung aufbrachten144, reagierte die französische Regierung mit Sanktionsmaßnahmen und löste dadurch einen offenen Konflikt zwischen London und Paris aus145.

144

Dok. Nr. 8, P. 4.

145

Dok. Nr. 30, P. 10.

[XL] Auf den Einmarsch deutscher Truppen ins Ruhrgebiet, dem Vorstöße einzelner Freikorps vorangegangen waren, antwortete das französische Kabinett Millerand mit der Okkupation des Maingaus durch französische Militäreinheiten. Sie internierten in Frankfurt die Sicherheitspolizei und verboten den Behörden den Kontakt mit den vorgesetzten Reichs- und preußischen Dienststellen. Im Zusammenhang mit Ausgangssperren, Presseverboten und Postzensur erregten diese Maßnahmen die Frankfurter, die schon über den Einsatz von Kolonialtruppen empört waren, so daß es rechtsradikalen Elementen leicht fiel, blutige Zusammenstöße zwischen Zivilisten und Besatzungstruppen zu provozieren. Bei den Vertretern bürgerlicher Parteien bildete außerdem das gute Einvernehmen, in dem die Franzosen mit Angehörigen der Linksparteien zu stehen schienen, einen Stein des Anstoßes. Hinzu kam die Befürchtung, daß sich die Franzosen auf längere Zeit im Maingau festsetzen wollten. Daher beschloß die hessische Regierung, für die Dauer der Intervention aus dem besetzten Darmstadt nach Gießen überzusiedeln146.

146

Dok. Nr. 25; 51; 63; s. auch den „Fall Braß“, d. h. den angeblichen Verrat der Truppenstärke der Reichswehr im Ruhrgebiet an die Franzosen durch den USPD-Abg. Braß, NatVers. Bd. 333, S. 5131  ff., 5147 ff.

Die Reichsregierung erblickte in dem französischen Vorgehen eine ernste Gefährdung ihrer Außen- und Innenpolitik: Die Wiedergutmachungsleistungen würden gestört und die Aufständischen an der Ruhr gestärkt; die rechtsradikalen Parteien erhielten neue Wähler, so daß bei den Reichstagswahlen das Ergebnis des französischen Schrittes sichtbar werde147. Gegenüber den Alliierten ließ die Reichsregierung keinen Zweifel daran, daß sie nur dann nach Spa kommen werde, wenn vor Konferenzbeginn die französischen Truppen abgezogen worden seien148. Da die militärische Exekution im Ruhrgebiet Anfang Mai beendet war und die Franzosen in der Folge der Konferenz von San Remo den Konflikt mit Großbritannien aus der Welt schaffen wollten, verließen ihre Truppen am 17. Mai 1920 den Maingau.

147

Dok. Nr. 15; 100.

148

Dok. Nr. 91, P. 1.

Der Vormarsch der Regierungstruppen im nördlichen Ruhrgebiet ging rasch voran, da die „Rote Armee“ über keine allgemein anerkannte Führung verfügte. Zudem hatte Anfang April der Zentralrat von Nordrhein-Westfalen aufgerufen, die Waffen niederzulegen, um ein Blutbad durch die Reichswehr zu vermeiden. Zu neuen Kämpfen dürfe es nur kommen, wenn die Reichsregierung ihre Versprechen nicht einhalte. Die Verfügungsgewalt über ihre Waffen sollten sich die Angehörigen der Roten Armee dadurch sichern, daß sie in die Sicherheitswehren einträten149. In der ersten überlieferten Besprechung des Kabinetts Müller I war die Forderung aufgestellt worden, daß sich die Reichswehr im Ruhrgebiet nicht provozierend benehmen dürfe150; aber bald erhoben die Linksparteien Vorwürfe, weil die Truppe unterschiedslos die Arbeiter verfolge und weil die Rückzugsstraßen vertragswidrig beschossen worden seien und ehemalige Mitglieder der Roten Armee in die englische Besatzungszone[XLI] fliehen müßten, um der Verhaftung und der Aburteilung durch Stand- und außerordentliche Kriegsgerichte zu entgehen151; auch antisemitische Handlungen der Reichswehr wurden bekannt152.

149

Dok. Nr. 9.

150

Dok. Nr. 2, P. 1.

151

Dies ist wohl auch der Anlaß für die Drohung des linksrheinischen Aktionsausschusses sich vom Reich zu trennen; Dok. Nr. 16.

152

Dok. Nr. 11; 16; 21, Anm. 2; 23.

Die bürgerlichen Parteien und die Arbeitgeber empfingen die Regierungstruppen mit offenen Armen und drängten darauf, daß nach der Befriedung des nördlichen Ruhrgebiets auch gegen Hagen und Remscheid vorgegangen werde. Deputationen aus dem Industriegebiet bestürmten den Reichspräsidenten und den Reichskanzler, die Reichswehr bei ihnen zu lassen, da nach ihrem Abzug mit dem Ausbruch erneuter Unruhen gerechnet werden müsse, weil die Kräfte der kommunalen und der Sicherheitspolizei nicht ausreichend seien, um einen „Racheputsch“ abzuwehren, und die Waffenablieferung völlig unzureichend sei. Dann wurde der Vorwurf erhoben, es sei zu neuen Greueltaten der Aufständischen gekommen, weil die Regierung nicht auf die Einhaltung des Ultimatums Generals von Watter bestanden habe. Die Deputationen und der Münsteraner Oberpräsident Würmeling forderten außerdem, daß zum Schutz der Truppe die im April aufgehobenen Standgerichte wieder eingesetzt würden153.

153

Dok. Nr. 23; 27; 29; 37; 39.

Ernsthafte Sorgen bereitete der Reichsregierung der Mangel an Lebensmitteln, unter dem das Ruhrgebiet litt. Zeitweilig hatten die Aufständischen mit der Parole werben können, daß nach einem kommunistischen Sieg Lebensmittelzüge aus Rußland eintreffen würden154. Nun wurde das Reichsernährungsministerium aufgefordert, sich für eine ausreichende Versorgung einzusetzen. Hermes war hierzu bereit, aber er lehnte die Selbstbeschaffung durch die Kommunen ab, um Wucher auf dem Lebensmittelmarkt vorzubeugen155.

154

Russen sollen angeblich unter der Führung der Aufstandsbewegung gewesen sein, so daß auch die Forderung von den Deputationen erhoben wurde, alle am Aufstand beteiligten Ausländer, von denen viele durch den Reichsarbeitsnachweis ins Ruhrgebiet gekommen waren, auszuweisen, Dok. Nr. 5; 23.

155

Dok. Nr. 32.

Bereits Mitte April war die bewaffnete Auseinandersetzung im Ruhrgebiet im wesentlichen abgeschlossen, wenn auch die Reichswehr und die Sicherheitspolizei in den südlichen Teil des Ruhrgebiets noch nicht vorgerückt waren. Das Zögern der Regierung, den weiteren Vormarsch anzuordnen, kann mit der französischen Intervention im Zusammenhang stehen, doch wird auch ein Bericht einer Parlamentarierkommission von Bedeutung gewesen sein, in dem die Abgeordneten berichteten, daß das Leben in den Großstädten des Ruhrgebiets normal verlaufe und daß gearbeitet werde156. Außerdem betonten die Abgeordneten, daß im Gegensatz zu den Kommunalbehörden die Masse der Bevölkerung das Einrücken von Reichswehreinheiten ablehne. Allerdings mußten die Parlamentarier auch berichten, daß die Waffenablieferung nur schleppend vorangehe. Sie warnten aber vor Haussuchungen durch die von Arbeitern[XLII] gebildeten Sicherheitswehren, damit diese keine Übergriffe verübten157. Trotz der Warnung der Abgeordnetenkommission beschloß das Reichskabinett Anfang Mai, daß Reichswehr in Düsseldorf Garnison beziehen solle, was auch ohne Widerstand geschah158. Gleichzeitig begann die verstärkte Sicherheitspolizei in das südliche Ruhrgebiet vorzurücken. Obwohl der Reichswehrminister Bedenken getragen hatte, die Polizei werde nicht in der Lage sein, ernsthaften Widerstand zu brechen, zeigte es sich, daß auch in diesem Landesteil die Radikalen zu nachhaltigem Widerstand nicht mehr bereit waren159. Aber die Furcht vor neuen Aufständen blieb das beherrschende Element der politischen Atmosphäre im Ruhrgebiet. Proteste wurden laut, als General von Watter verärgert seinen Abschied nahm, da er nicht mehr allein die vollziehende Gewalt besaß160. Jeder Truppenabzug aus der entmilitarisierten Zone wurde von den Gegnern der Aufstandsbewegung im Industriegebiet als unmittelbare Bedrohung von Leib und Leben angesehen160a.

156

Ähnliche Berichte liegen auch von englischen Beobachtern vor, DBFP, 1st ser. vol. IX, p. 117 sq.

157

Dok. Nr. 43; 49.

158

Dok. Nr. 72.

159

Dok. Nr. 77, P. 3; 95.

160

Dok. Nr. 76; 100.

160a

Dok. Nr. 99; 116.

Unterdessen hatten die Gerichtsverfahren gegen die Aufständischen begonnen. 2400 Gefangene warteten, oft unter erniedrigenden Umständen, in Lagern auf die Überprüfung ihrer Personalien und ihren Prozeß. Da sich die Kriegsgerichte über die Amnestieerlasse des Kabinetts hinwegsetzten und dessen Anordnungen zu umgehen versuchten, kam es zu Zusammenstößen zwischen Gerichten und Zivilbehörden. Erst die nachdrückliche Belehrung durch eine speziell gebildete Ressortkommission scheint Abhilfe geschaffen und die Beachtung der Kabinettsanweisungen gesichert zu haben161. Auf Drängen des Innenministers Koch blieb bis Anfang Juni der Ausnahmezustand an der Ruhr bestehen, aber schon vorher war wieder Ruhe eingekehrt und die Wahlvorbereitungen fanden ungestört statt161a. Auch weiterhin blieb das Amt eines Reichskommissars für das Ruhrgebiet bestehen, erhielt aber nun rein wirtschafts- und gesellschaftspolitische Funktionen162.

161

Dok. Nr. 45; 60, P. 10; 75, P. 1; 87; 98; 103; 114; 116.

161a

Dok. Nr. 116; 125, P. 2; 131, P. 2; 135, P. 2.

162

Dok. Nr. 135, P. 1.

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