2.36 (mu11p): Nr. 36 Der Arbeitgeberverband für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe des Vereins deutscher Eisen- und Stahl-Industrieller an die Reichsregierung. Düsseldorf, 13. April 1920

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 2). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett Müller IHermann Müller Bild 146-1979-122-28APlakat der SPD zur Reichstagswahl 1920Plak 002-020-002Wahlplakat der DNVP Plak 002-029-006Wahlplakat der DDP Plak 002-027-005

Extras:

 

Text

RTF

[84] Nr. 36
Der Arbeitgeberverband für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe des Vereins deutscher Eisen- und Stahl-Industrieller an die Reichsregierung. Düsseldorf, 13. April 1920

R 43 I /2119 , Bl. 87-94

[Betrifft: Lohnzahlung für die Tage des Generalstreiks.]

Der unterzeichnete Verband, der die gesamte Eisen- und Stahlindustrie des rheinisch-westfälischen Industriebezirks umfaßt, erlaubt sich, bei der Reichsregierung dahin vorstellig zu werden, daß von Reichswegen eine Anordnung oder ein Gesetz erlassen wird, daß die aus Anlaß des Generalstreiks im März 1920 von den Arbeitgebern in der Zwangslage vorgelegten oder erpreßten Lohnsummen für die Streiktage durch das Reich ersetzt werden1.

1

Vgl. hierzu und zum folgenden Dok. Nr. 42, P. 22; 81, P. 4 und 92, P. 7.

Wir erlauben uns, dazu folgende Begründung zu geben:

Am 15. März trat die Arbeitnehmerschaft im Industriebezirk in den Generalstreik. Der Streik wurde nach ausdrücklicher Erklärung der Arbeitnehmerschaft in den ersten Tagen zum Schutz der Verfassung und der verfassungsmäßigen Regierung geführt. Diese Ansicht entspricht auch der Auffassung der Gesamtheit der Bevölkerung im hiesigen Bezirk. Nach den Auslassungen einzelner Mitglieder der Reichsregierung mußte sogar der Eindruck entstehen, daß die Reichsregierung den Generalstreik ausdrücklich propagiere.

Demgegenüber haben wir im Verein mit den mit uns in der Arbeitsgemeinschaft verbundenen Gewerkschaften der Arbeitnehmer Wert darauf gelegt, daß das wirtschaftliche Leben frei von politischen Kämpfen bleiben muß, gleichgültig, welcher Art diese politischen Kämpfe sind und aus welchem Anlaß sie entstehen. Um dieser grundsätzlichen Überzeugung Ausdruck zu geben und Mißbrauch und Mißdeutung zu verhindern, hat die „Arbeitsgemeinschaft für die rheinisch-westfälische Eisen- und Stahlindustrie“ die nachstehende Erklärung vereinbart und durch Flugblätter und Tageszeitungen verbreiten lassen:

„Die Arbeitsgemeinschaften für die rheinisch-westfälische Eisen- und Stahlindustrie traten heute in Düsseldorf zusammen, um angesichts der betrübenden politischen Vorgänge die Wirtschaftslage zu besprechen. Sie gelangten unter Verurteilung jedes gewaltsamen Umsturzes unserer Verfassung einmütig zu der Auffassung, daß eine Störung der Arbeit in der rheinisch-westfälischen Eisen- und Stahlindustrie eine Unterbrechung des Warenaustausches mit dem Auslande bedeutet. Eine solche Unterbrechung muß unvermeidlich zu einer Katastrophe nicht nur für unser Gebiet, sondern für ganz Deutschland führen, da wir zur Beschaffung der notwendigen Subsistenzmittel angesichts des gesunkenen Wertes unseres Geldes fast ausschließlich auf den unmittelbaren Austausch von Waren angewiesen sind.

[85] Die unterzeichneten Verbände richten deshalb an die gesamte Arbeitnehmerschaft von Rheinland und Westfalen die dringende Aufforderung, Ruhe und Besonnenheit zu wahren. Sie sind zugleich entschlossen, unabhängig von der weiteren politischen Entwicklung, an der bisherigen Gemeinsamkeitsarbeit unbedingt festzuhalten.

Düsseldorf, den 18. März 1920

Arbeitgeberverband für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller.

Nordwestliche Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller.

Arbeitsgemeinschaft freier Angestellten-Verbände.

Gesamtverband deutscher Angestellten-Gewerkschaften.

Gewerkschaftsbund deutscher Angestellten.

Christlicher Metallarbeiter-Verband.

Gewerkverein deutscher Metallarbeiter H.D.“

Erfahrungsgemäß nimmt nun einmal ausgebrochener Generalstreik immer üble Formen an, sobald die Masse der Arbeitnehmer auf die Straße geht. Es trifft dies auch dann zu, wenn sich die Masse zunächst als die Vorkämpfer der Regierung betrachtet. Radikale Elemente und der Mob versuchen dann, die Masse auch der an sich ruhigen Arbeiter aufzupeitschen, um für sich Vorteile zu erjagen und im Trüben zu fischen. So kam es naturgemäß auch bei dem März-Generalstreik sehr bald zu Auswüchsen, die durch die, wie regierungsseitig festgestellt wurde, von langer Hand sorgfältig vorbereitete Mitwirkung der radikalen Elemente, Spartakiden u.s.f. immer gefahrdrohender wurden. Schließlich wurde der Industriebezirk der Tummelplatz der staats- und verfassungsfeindlichen Elemente in so eindeutiger Weise, daß Gesetz und Verfassung und die aus ihnen garantierten Rechte völlig ausgeschaltet wurden. Der Terror herrschte in schlimmster Form. Rote Garden, politische Aufrührer und Gesindel, verstärkt durch gemeine Verbrecher aus den gewaltsam geöffneten Zuchthäusern und Gefängnissen beherrschten das Gebiet und erklärten sich gestützt auf ihre Waffen zu Inhabern der öffentlichen Gewalt.

Überall im Bezirk bildeten sich „Vollzugsräte“, zu deren ersten „Staatshandlungen“ durchweg die „Verordnung“ gehörte, daß die Streiktage von den Arbeitgebern zu bezahlen seien. Derartige Verordnungen und Verfügungen liegen aus fast allen Orten des Industriebezirks vor. Die Mitglieder unseres Verbandes und unsere Ortsverbände im Bezirk waren manchen anderen Arbeitgebern gegenüber in einer umso schlimmeren Lage, als die Eisen- und Stahlindustrie sich in den Städten konzentriert und die von den „Verordnungen“ der Vollzugsgeräte aufgewiegelten Massen sich in sich selbst immer wieder ermutigten und zu Taten anfeuerten. Der Druck auf die Arbeitgeber durch die auf den Straßen sich bewegenden Massen wurde immer dringender und gefährlicher. In den Betrieben setzte der Terror dadurch ein, daß Arbeitswillige und Beamte gewaltsam aus den Betrieben geholt und die Leiter der Werke mit Gewalt zu Zugeständnissen gepreßt wurden. Die Erregung und Neigung zu Gewaltakten sprang mehr und mehr auf die noch ruhigen Belegschaften über.

[86] Durch diese völlig anarchischen Zustände sahen sich die Arbeitgeber bei dem Fehlen jeglichen behördlichen und staatlichen Schutzes gezwungen, der Zwangsgewalt und den Erpressungen nachzugeben und die Löhne für die Streiktage auszulegen.

Durchweg ist die Auszahlung in der Form erfolgt, daß grundsätzlich die Regierung dafür haftbar gemacht worden ist und die Summen nur von den Werken vorgelegt worden sind. Die Gründe für die Haftbarmachung der Regierung sind folgende:

1.)

Der Generalstreik ist im Sinne der verfassungsmäßigen Regierung und für sie erfolgt.

2.)

Nach Ansicht der Arbeitnehmer haben diese daher einen Anspruch auf die Anerkennung der Regierung, und zwar dahin, daß die Regierung den ausgefallenen Verdienst zahlt.

3.)

Nach der damals allgemein und auch heute noch herrschenden Auffassung der Arbeitnehmer hat die Regierung zum Generalstreik aufgerufen. Die Regierung hat wenigstens anfangs nichts getan, um dieser zweifellos auch ihr bekannten Auffassung zu widersprechen oder Aufklärung zu schaffen.

4.)

Die Auszahlung der Löhne konnte nur deshalb erzwungen werden, weil die behördliche und staatliche Macht und deren Schutz gänzlich versagte oder gar nicht mehr vorhanden war. Die Regierung ist aber zum Schutze der Staatsbürger und deren Rechte verpflichtet und haftbar für Schäden, die durch mangelnden Schutz entstehen.

5.)

Es kann unmöglich angängig sein, daß die Kosten für derartige, die Allgemeinheit gleichmäßig berührende Kämpfe von einzelnen Staatsbürgern getragen werden, die zufällig in dem Aufruhrgebiet wohnen und dort Werke haben, während die übrige Bevölkerung des Reichs und die übrigen Landesteile völlig unbelastet bleiben.

6.)

Die Industrie des Westens ist von den politischen Kämpfen, die zum großen Teil in den Betrieben ausgefochten werden und die Arbeitslust und Arbeitsleistung sehr ungünstig beeinflussen, ohnehin schon genug getroffen und belastet, als daß sie weiterhin Ausgaben von Millionen ohne jede Gegenleistung übernehmen kann.

Dieser Überzeugung haben sich selbst die Vollzugsräte nicht verschließen können, obwohl man ihnen im allgemeinen keine besondere Vorliebe oder gar eine Begünstigung der Privatindustrie nachsagen kann. Auch der Vertreter des Reichskommissars in Düsseldorf, Herr Zivilkommissar Thielemann, vertritt den Standpunkt, daß die Kosten des Generalstreiks vom Reich, d. h. von der Allgemeinheit, getragen werden müssen. Wir fügen als Beispiel eine Vereinbarung unseres Düsseldorfer Ortsverbandes nachstehend an:

Düsseldorf, den 25. März 1920

Die Unterzeichneten treffen folgendes Abkommen:

1.)

Der Ausfall an Arbeitslöhnen, der aus den letzten politischen Ereignissen den Arbeitnehmern entstanden ist, muß vom Reich ersetzt werden.

2.)

Da die Verhandlungen mit der Regierung über die Bezahlung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen werden, erklärt sich die Arbeitgebervereinigung[87] für Düsseldorf und Umgegend in der gegenwärtigen Zwangslage bereit, die aus dem genannten Anlaß bis einschließlich 25. März versäumten Arbeitsstunden mit 75% der tariflichen Stundenlöhne vorzulegen.

3.)

Die Unterzeichneten erklären sich besonders mit Rücksicht auf die schwierige Lage mancher Unternehmungen bereit, auf die Regierung einzuwirken, den Arbeitgebern die vorgelegten Gelder sowie den Arbeitnehmern den restlichen Arbeitslohn zu erstatten.

Der Reichskommissar als Verhandlungsleiter

gez. Thielemann i. V.

Arbeitgebervereinigung für Düsseldorf & Umgegend E. V.

gez. Krieger,

gez. Knackstedt.

Der Vollzugsrat

gez. Stahl,

gez. Berten.

Mit Rücksicht auf das vorstehend Angeführte beantragt der unterzeichnete Verband den Erlaß einer Verordnung, daß den Arbeitgebern die vorgelegten erzwungenen und erpreßten Auslagen an Löhnen vom Reich zurückerstattet werden. In diesem Falle, aber auch nur dann, können die Arbeitgeber auf den Ersatz der sonstigen Schäden (infolge des Ausfalles an Produktion, nachheriger Minderleistung und Durchdrückung höherer Löhne, da jede Bewegung sofort zu einer Lohnbewegung wird) verzichten, ohne die schwierige finanzielle Lage der Werke unerträglich zu verschärfen.

Wir glauben umso mehr mit einer Rückerstattung durch das Reich rechnen zu müssen, als Herr Reichsminister Giesberts die Bezahlung der Streiktage bei der Post und bei der Eisenbahn, also eine Bezahlung durch die Allgemeinheit, bereits als gegeben hingestellt hat. Auch der Gewerkschaftsführer Legien hat in der Nationalversammlung eine Übernahme der Kosten aus Reichsmitteln als angemessen erklärt2.

2

Eine Beantwortung des Schreibens scheint, wie die Wiedervorlagevermerke schließen lassen, für die Zeit nach der Genehmigung der „VO über die Bezahlung der Arbeitstage während des Generalstreiks“ vorgesehen gewesen zu sein. Nachdem die VO aber vom RR abgelehnt und zurückgezogen wurde, ist sie wahrscheinlich unterblieben.

Arbeitgeberverband für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe

des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller;

Poensgen

Dr. E. Hoff [?]

Extras (Fußzeile):