2.6 (mu11p): Nr. 6 Das Hessische Staatsministerium an den Reichskanzler. Darmstadt, 31. März 1920

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Nr. 6
Das Hessische Staatsministerium an den Reichskanzler. Darmstadt, 31. März 1920

R 43 I /2720 , Bl. 50

[Betrifft: Maßnahmen gegen die am Kapp-Putsch beteiligten Personen.]

In den weitesten Kreisen des hessischen Volkes, die politisch den Koalitionsparteien zuzurechnen sind, wird mit steigendem Mißfallen die milde Behandlung der an dem Kapp-Putsch mittelbar oder unmittelbar beteiligten Personen aufs Schärfste verurteilt. Insbesondere hat die Tatsache, daß eine Reihe der kompromittierten Militärs in Schutzhaft in ihrer Wohnung belassen oder[12] gar wieder aus der Haft entlassen wurde, daß ferner, wie in Hessen, kriminell schuldige Zivilisten aus formaljuristischen Gründen (weil weder Fluchtverdacht, noch Kollusionsgefahr vorliege) baldigst enthaftet wurden, die größte Erregung hervorgerufen1.

1

Bedenken gegen das zögernde Vorgehen gegen die am Kapp-Putsch Beteiligten wurde auch vom oldenb. MinPräs. Tantzen geäußert wegen der Enthaftung am Putsch beteiligter Offiziere der Marinestation und wegen der Beschuldigungen gegen Deckoffiziere, die in Abwehr des Putsches ihre Offiziere, die Kapp nahestanden, verhaftet hatten. Tantzen erklärte: „RReg. und RWeM, welche nicht im stande sind, Schuldige am Kapp-Putsch streng, aber gerecht zu bestrafen, und das Versprechen Ebert-Noskes Demokratierung [!] von Reichswehr und Marine sofort mit Taten durchzuführen, verlieren Vertrauen“ (5.4.20; R 43 I /2710 , Bl. 77). Aus gleichen Gründen äußerte auch der sozialdemokratische Bezirksverband seine Enttäuschung „über die mehr als ritterliche Behandlung der am Kappschen Verfassungsbruch direkt und indirekt beteiligt gewesenen Personen“. Weiter wurde dort erklärt: „Ist die Regierung zu schwach sich gegenüber der Militärreaktion durchzusetzen, so halten wir es für richtiger, daß die soz. Mitglieder der Regierung ihre Ämter niederlegen und damit vor den Wahlen zum Ausdruck bringen, daß sie entschlossen sind, dem Volkswillen als der höchsten gesetzgebenden Gewalt zum Siege zu verhelfen“ (6.4.20; R 43 I /2720 , Bl. 119-126, hier: Bl. 119 u. 121). Auch im Ausland wurde das milde Vorgehen gegen die Putschisten mit Bedenken beobachtet. LegR v. Schubert berichtete aus London: „Sir E. Crowe sagte mir, daß es in den Ententeländern einen sehr schlechten Eindruck mache, daß die in den Kapp-Putsch verwickelte Marinebrigade und die Baltikumtruppen immer noch nicht aufgelöst seien und daß auch offenbar nichts Ernsthaftes zur Bestrafung der bei dem Kapp-Putsch beteiligten Personen geschehe. Tatsächlich wird diese angebliche Tatsache in einem großen Teil hiesiger Presse in der gehässigsten Weise gegen uns ausgeschlachtet. – Wäre sehr dankbar für umgehende Instruktion, was ich Sir E. Crowe in dieser Beziehung sagen könnte. Ist die Auflösung genannter Truppenteile erfolgt oder beabsichtigt, so empfehle ich, ebenso wie bezüglich der Verfolgung der Kappleute weitgehendste Verbreitung in der deutschen Presse“ (5.4.20; R 43 I /2728 , Bl. 235).

Das Hessische Gesamtministerium erachtet es als seine Pflicht, die Aufmerksamkeit der Reichsregierung auf diese Sachlage im Lande hinzulenken in der Überzeugung, daß jede Weichheit gegenüber den Rechtsputschisten eine ungeheure Erbitterung gerade in der Arbeiterschaft bewirkt hat und noch weiterhin in zunehmendem Maße erzeugen wird, aus der Erinnerung an die den Linksputschisten gegenüber bisher mit Erfolg eingehaltene scharfe Behandlung.

Neben dieser gärenden Stimmung im Volke, der eine Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, geht das immer steigende Drängen gegenüber der Landesregierung zu selbständigem Eingreifen auf einem Gebiete, das, wie nicht bestritten werden kann, zum Aufgabenkreise des Reichs gehört2. Das Hessische Gesamtministerium sieht sich aber im Interesse der Aufrechterhaltung des inneren Friedens im Lande außerstande, sich jenem Drängen aus den Kreisen der Parteien der Regierungskoalition länger entgegenstemmen zu können, wenn nicht baldigst ein stärkeres Maß von Energie in der Behandlung der hier aufgeworfenen Fragen seitens des Reiches festzustellen sein wird. Alsdann könnte der Volksstaat Hessen genötigt sein, in vorgängigem Benehmen mit den anderen süddeutschen Ländern in der angedeuteten Richtung selbständig vorzugehen, soweit dies nach der Reichsverfassung irgend zulässig ist3.

2

Am Rand von der Hand Kempners: „Was heißt das?“

3

In einem Antwortentwurf, der wegen der Besetzung des Maingaues durch die Franzosen nicht abgesandt wurde, hieß es, gerichtliche Voruntersuchungen seien eingeleitet, Haftbefehle und Steckbriefe gegen die Hochverräter erlassen. Nach den Gesetzen habe die RReg. keinen Einfluß auf die Gerichtsbeschlüsse, welche Personen in Haft zu nehmen seien. Das Material werde den zuständigen Instanzen „mit größter Beschleunigung“ übergeben: „Hierbei muß bemerkt werden, daß in zahlreichen Fällen der RReg. kein sachliches Material, sondern nur allgemein gehaltene Vorwürfe unterbreitet werden, häufig sogar ohne Nennung bestimmter Personen. Daß hiermit der Sache nicht gedient wird, liegt auf der Hand“ (R 43 I /2720 , Bl. 51 f.).

[13] Eine Abschrift dieses Schreibens lassen wir den Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden zugehen.

Hessisches Staatsministerium

Ulrich

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