2.146.3 (mu21p): 3. Maßnahmen zur Behebung der Notlage in der Landwirtschaft.

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3. Maßnahmen zur Behebung der Notlage in der Landwirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trug die wesentlichen Punkte seiner Kabinettsvorlage vor3. Er gab einen Überblick über die Marktlage für Getreide4, Vieh und Fleisch und begründete die Notwendigkeit, die Viehzölle an die Fleischzölle anzugleichen5. Die Belastung der Verbraucher sei gering; er schätze sie bei Rindvieh auf etwa 8,7 Millionen, also etwa 5,42 Pf. für das Pfund, bei Schweinen auf ungefähr ¾ Millionen, das wären 5,35 Pf. für das Pfund. Ob überhaupt eine Preiserhöhung eintreten würde, sei noch ungewiß, da die Dänen gezwungen wären, gegebenenfalls auch unter Übernahme der Zollerhöhung das Rindvieh nach Deutschland auszuführen6. Immerhin hoffe er, daß eine gewisse Preiserhöhung, vielleicht 4 bis 5 Pf. für das Pfund, eintreten und daß dadurch auf die Stimmung der Landwirtschaft eine beruhigende Wirkung ausgeübt werde.

3

Tatsächlich handelte es sich um drei Kabinettsvorlagen: 1. Um die „Denkschrift über Maßnahmen zur Behebung der Notstände in der Landwirtschaft“ vom 30.1.29, 2. um einen Bericht über die Frage der Seegrenzschlachthäuser vom 21. 2., 3. um den „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Getreidespreises“ vom 22. 2. (R 43 I /2541 , Bl. 34-47, 223-231, 238-253). Dem RK waren diese drei Vorlagen bereits früher zugegangen am 22. 1., 15. und 18. 2. (R 43 I /2541 , Bl. 8-17, 213-222, 187-205).

4

Im laufenden Getreidewirtschaftsjahr sei eine erhebliche Verschlechterung eingetreten, hatte der REM zum Getreidepreis erklärt; „denn der Reichsdurchschnittspreis hat für die Tonne Weizen betragen: im August 1928 234,8 RM, im September 1928 218,6 RM, im Oktober 1928 221,1 RM, im Novembe“ 1928 219,3 RM, im Dezember 1928 214,4 RM“. Die Verhältnisse im Januar 1929 seien nicht besser gewesen. „Nicht viel günstiger sind die Roggenpreise, die im laufenden Jahr folgende Entwicklung genommen haben: August 1928 232,– RM, September 1928 218,3 RM, Oktober 1928 221,– RM, November 1928 215,9 RM, Dezember 1928 212,2 RM“ (Anschreiben an den RK zur Denkschrift, 22. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 239-253, hier: Bl. 244).

5

„Die Zölle für lebendes Vieh stehen in keinem Verhältnis zu den Fleischzöllen. Infolgedessen ist die Einfuhr von lebendem Schlachtvieh zum Nachteile der viehhaltenden deutschen Landwirtschaft außerordentlich begünstigt. Bei den Rindern sind durchschnittlich 166⅔  kg Lebendgewicht gleich 100 kg Schlachtgewicht. Der Rindfleischzoll von 37,50 RM entspricht danach einem Zoll für lebende Rinder in Höhe von 22,50 RM (zur Zeit 16 RM). Da bei den Schweinen durchschnittlich 133⅓ kg Lebendgewicht erforderlich sind, um 100 kg Schlachtgewicht zu erhalten, entspricht ein Schweinefleischzoll von 32 RM je dz einem Schweinezoll von 24 RM (zur Zeit 16 RM). Die jetzigen, zu niedrigen Lebendviehzölle machen daher die Fleischzölle zum Teil wirkungslos“ (Denkschrift des REM vom 30. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 35-47, hier: Bl. 42f).

6

1928 waren zwei Drittel der Viehausfuhr Dänemarks (rund 170 000 Schlachtkühe) nach Deutschland exportiert worden (Denkschrift vom 30. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 35-47, hier: Bl. 41).

Die Erhöhung des Speckzolles halte er nicht für besonders bedeutsam. Er sei gegebenenfalls bereit, auf sie zu verzichten. Die Belastung der Verbraucher durch die Erhöhung des Schmalzzolles schätze er auf insgesamt etwa 3 Millionen, also 2 Pf. für das Pfund. Eine Preisregelung durch Ausnutzung der billigen[469] Sommerpreise auf dem inländischen Fettmarkt und Verkauf des verarbeiteten Fettes im Winter beim Steigen der Fettpreise würde Aufwendungen in Höhe von 100 Millionen erforderlich machen7.

7

Der Speckzoll sollte von 14 auf 20 RM je dz und der Schmalzzoll von 6 auf 10 RM je dz steigen, damit der Rückgang der Schweinehaltung – seit 1.12.27 12% – aufgehalten werde. „Eine etwaige Verteuerung der Preise für Speck und Schmalz wird durch Verbilligung des Fleisches, das bisher die Mindererlöse für Speck und Schmalz mittragen mußte, ausgeglichen werden“ (Denkschrift vom 30. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 35-47, hier: Bl. 46f).

An der Unterbindung der Einfuhr von Innereien halte er fest; bei den Lebern jedoch sei er bereit, Zugeständnisse zu machen, obwohl die Einfuhr für die Volksgesundheit bedenklich sei, da die guten Lebern im Auslande verarbeitet und die minderwertigen ausgeführt würden.

Der Wegfall der Begünstigung der Einfuhr bei der Umsatzsteuer würde die Inlandsfirmen kaum schädigen, da sie jetzt bereits in der Regel nicht als Importeure auftreten8.

8

Zu den entsprechenden Bestimmungen der Umsatzsteuer s. die Durchführungsbestimmungen im RGBl. 1926 I, S. 325  – dort § 8 – und S. 339 – Freiliste 1 b –.

Die von ihm vorgeschlagene Regelung für die Seegrenzschlachthäuser sei die erste Voraussetzung für eine Einflußnahme auf den Viehmarkt. Auf Grund des Notprogramms hätten Maßnahmen zur Regulierung der Preise nur bei den Schweinen Erfolg haben können, weil im übrigen der Preisdruck durch die Einfuhr über die Seegrenzschlachthäuser zu stark gewesen sei9.

9

In dieser Beziehung hatte der REM zu der Differenz der Zölle für Lebendvieh und Fleisch festgestellt: „Dieser unerträgliche Zustand beruht auf einem groben Fehler, den die Rechtsregierung im Jahre 1925 gemacht hat in der Hoffnung, auf seuchenpolizeilichem Wege die Lebendvieheinfuhr verhindern zu können, in welchem Falle dann die im Verhältnis zu den Fleischzöllen niedrigen Lebendviehzölle gegenstandslos geworden wären. Der Ausbau der Seegrenzschlachthäuser hat aber diese Absicht durchkreuzt, und so sind es hauptsächlich die massenhaft eingeführten abgemolkenen dänischen Kühe, die den Viehpreis in Deutschland ruinös beeinflussen, ohne daß das Fleisch oder die Wurst billiger geworden wären“ (Anschreiben an den RK zum Bericht über die Seegrenzschlachthäuser, 15. 2.; R 43 I /2541 , Bl. 8-17). Zur Regulierung hatte der REM gefordert, „1. daß die Zahl der Seegrenzschlachthäuser fest begrenzt wird, 2. eine Verteilung der Schlachttiere auf die einzelnen Seegrenzschlachthäuser stattfindet, 3. Mindestgebühren für Untersuchung und für Schlachtung des in den Seegrenzschlachthäusern eingebrachten Auslandsviehs festgesetzt werden, 4. die Arbeitszeiten vereinheitlicht werden, 5. die Verteilung des Fleisches auf Verbraucherbezirke geregelt wird“ (Denkschrift vom 30. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 214-222, hier: Bl. 221).

Auch aus innerpolitischen Gründen sei es notwendig, daß bald wirksame Maßnahmen für die Landwirtschaft getroffen würden. Von den zahlreichen Anträgen, die im Reichstag in dieser Richtung gestellt worden seien und die den Gegenstand von Verhandlungen in den Ausschüssen des Reichstages bilden, seien vier von besonderer Wichtigkeit:

a) Der Antrag des Zentrums, den Zuckerpreis, bei dessen Überschreitung ermäßigte Zollsätze eintreten sollen, von 21,– auf 23,– RM zu erhöhen10.

10

Siehe RT-Drucks. Nr. 846, Bd. 434 .

Wenn die bürgerlichen Parteien ein Gesetz dieses Inhalts durch Initiativantrag einbrächten, so sei die weitere Entwicklung nicht zu übersehen. Für die Regierung sei ein solches Gesetz nicht erträglich.

b) Der Antrag, Gefrierfleisch nicht mehr in Vierteln, sondern nur in Hälften hereinzulassen.

[470] Dies würde praktisch die Aufhebung der Gefrierfleischeinfuhr bedeuten11.

11

Der angeführte Antrag wurde nicht ermittelt. – Zur Einfuhr des Gefrierfleischs hatte der REM erklärt: „Die Beseitigung des zollfreien Gefrierfleischkontingents von 50.000 t erscheint aus innenpolitischen Gründen zur Zeit nicht möglich“ (Denkschrift vom 30. 1.; R 43 I /2541 , Bl. 35-47, hier: Bl. 47).

c) Der Antrag, die Getreideschutzzölle aufzuheben.

Die Getreidewirtschaft würde dadurch in eine unmögliche Lage kommen, die Futtermittelpreise würden steigen, für Auslandsgetreide würden die Zölle verschieden sein, je nachdem es aus meistbegünstigten Ländern komme oder nicht12.

12

Von der SPD war der Antrag gestellt worden, ein Reichsmonopol für Getreideaus- und -einfuhr zu gründen. Die Monopolverwaltung sollte das Recht haben, ausländisches Getreide zollfrei einzuführen (RT-Drucks. Nr. 593, Bd. 434 ). Demgegenüber hatte jedoch der REM die Ansicht geäußert: „Die Finanzierung des Getreidemonopols würde […] zumal bei der gegenwärtigen bedrängten Finanzlage des Reichs fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten“ (GesEntw. zur Regelung des Getreidepreises vom 22. 2.; R 43 I /2541 , Bl. 239-253, hier: Bl. 247). Andererseits hatte Dietrich auch die Erhöhung des Weizenzolls abgelehnt und das begründet: „Der gegenwärtige Weizenzoll von 5,– RM beruht auf dem Gesetz über Zolländerungen vom 25.7.27 (RGBl. I, S. 180 ). Nach Artikel 3 dieses Gesetzes könnte an sich die RReg. mit Zustimmung des RR und eines RT-Ausschusses diesen Zollsatz außer Kraft setzen mit der Wirkung, daß dann als autonomer Zollsatz der Satz von 7,50 RM des Zollgesetzes von 1902 in Kraft treten würde. Für die meistbegünstigten Länder würde dann aber der in dem deutsch-schwedischen Handelsvertrag vereinbarte Zollsatz von 6,50 RM treten. Gegen diese verschiedenen Sätze bestehen handelspolitische Bedenken, da zu erwarten ist, daß die nicht meistbegünstigten Länder, zu denen neben Australien vor allem das Haupteinfuhrland für Weizen, Kanada, gehört, mit Gegenmaßnahmen antworten würden.“ Keine Hilfe für die Landwirtschaft würde es bedeuten, wenn der autonome Zollsatz auf den Satz des Handelsvertrages mit Schweden erhöht werde, weil das Weltangebot an Weizen zu stark sei (22. 2.; R 43 I /5241 , gefunden in R 43 I /2541 , Bl. 238-253, hier: Bl. 245f).

d) Die Angleichung der Rindvieh- und Schweine-Zölle an die Fleischzölle13.

13

Siehe die Anträge in den RT-Drucks. Nr. 535 , 546, 570, 573, Bd. 432; RT-Drucks. Nr. 755 ; 780, 1 und 2; 791, 1; Bd. 434.

Wenn er auch selbst von seinen Vorschlägen keine durchgreifende Besserung der Lage der Landwirtschaft erhoffe, so müßten sie doch möglichst bald zur Herbeiführung einer Beruhigung der Interessenten in die Tat umgesetzt werden.

Ministerialdirektor Ritter trug die Stellungnahme des Handelspolitischen Ausschusses der Reichsregierung zu den handelspolitischen Vorschlägen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vor14. Er wies auf die grundsätzlichen Bedenken von Zollerhöhungen und die Gefahr hin, daß dadurch auch die Länder mit niedrigen Zollschranken zu gleichen Maßnahmen verleitet würden.

14

Die Sitzung des HPA hatte am 2. 3. stattgefunden (Niederschrift des AA; R 43 I /2541 , Bl. 290-292).

Ob die Erhöhung der Rindviehzölle eine Preiserhöhung bringen würde, sei zweifelhaft. Es bestehe die Gefahr, daß durch die Angleichung die Einfuhr von Fleisch entsprechend steigen würde. Dadurch würden die Abfallprodukte und die mit der Schlachtung verbundenen Arbeitsmöglichkeiten der deutschen Volkswirtschaft verloren gehen. Da Schweden ein verhältnismäßig geringes Interesse an der Rindviehausfuhr habe, seien die Aussichten, die Zollerhöhung in Verhandlungen durchzusetzen, nicht ganz ungünstig15.

15

Gleiche Ansichten hatte der REM in der Denkschrift vom 30. 1. geäußert (R 43 I /2541 , Bl. 35-47, hier: Bl. 43).

Gegen die Erhöhung der Schweinezölle spreche der Umstand, daß es gelungen[471] sei, die Preise auf einen erträglichen Stand heraufzubringen. Die Handelsvertragsverhandlungen mit Polen würden durch die Zollerhöhung wesentlich erschwert. Schließlich müsse der Zoll in einem Vertrag mit Polen wieder herabgesetzt werden.

Die Unterbindung der Einfuhr von Innereien würde bei Dänemark erhebliche Opfer auf anderen Gebieten notwendig machen. Die Einfuhr habe in den letzten Jahren fortgesetzt nachgelassen und werde voraussichtlich auch ohnedem weiter zurückgehen16.

16

Der RWiM (9. 2.) und der RFM (10. 2.) hatten bereits vor der Sitzung des HPA die Zollerhöhung aus handelspolitischen Erwägungen abgelehnt (R 43 I /2541 , Bl. 61-63).

Es sei unmöglich, das Fleisch aus den Schlachtungen in den Seegrenzschlachthäusern anders zu behandeln als die Schlachtprodukte des Inlands. In den Handelsverträgen sei gleichmäßige Behandlung der Auslandsware grundsätzlich ausdrücklich zugesagt17.

17

Im HPA waren die Vorschläge über Verteilung der Schlachttiere und über die Fleischverteilung abgelehnt worden, „weil derartige Maßnahmen mit dem Grundsatz der Handelsfreiheit nicht vereinbar sind und nach den bestehenden Verträgen nur dann auf ausländische Erzeugnisse angewendet werden können, wenn eine gleiche Regelung für die inländischen Erzeugnisse vorgeschrieben wäre“ (Niederschrift des AA; R 43 I /2541 , Bl. 290-292, hier: Bl. 292).

Der Reichsminister der Finanzen nahm auf seine schriftliche Stellungnahme zu den Vorschlägen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Bezug18. Zurückhaltung bei Erhöhung der Zölle für Agrarprodukte sei nicht mit Rücksicht auf die anderen Ländern, sondern auf die deutsche Wirtschaft und die deutsche Ausfuhr geboten. Die Ausfuhr gehe im Werte von etwa 4 Milliarden in Länder, die niedrige Zölle hätten, wie Schweden, Dänemark, Holland, Norwegen und England. Würden diese Länder durch das deutsche Beispiel zu Zollerhöhungen veranlaßt, so würde der Schaden wesentlich höher sein als der Nutzen dieser Maßnahmen, den der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft als nicht unbedingt sicher bezeichnet habe19.

18

Schreiben des RFM an den StSRkei vom 20. 2. (R 43 I /2541 , Bl. 255-263).

19

Ähnlich hatte sich der RWiM bereits am 9. 2. geäußert. Er hatte Schwierigkeiten mit Skandinavien und England befürchtet (R 43 I /2541 , Bl. 61-70).

Die Erhöhung der autonomen Zölle sei innerpolitisch bedenklich. Vorher müsse gegebenenfalls durch Verhandlungen mit den beteiligten Ländern festgestellt werden, ob Vereinbarungen über die Höhe der Vertragszölle erreichbar seien.

Ministerialdirektor Ernst wies darauf hin, daß das Verhältnis der autonomen Viehzölle zu den Fleischzöllen vor dem Kriege noch ungünstiger gewesen sei als jetzt20.

20

Siehe dazu das Zolltarifgesetz von 1902 (RGBl. S. 325  ff.).

Ministerialdirektor Zarden erläuterte die geltenden Bestimmungen über die Umsatzsteuerbefreiung für Agrarprodukte. Die Freilisten seien stark umstritten, Änderungen würden die Streitfragen und Wünsche neu beleben.

Auf Anregung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft wurde beschlossen, seine Vorschläge für Maßnahmen zur Behebung der Notlage in der Landwirtschaft zum Gegenstand von Verhandlungen in einer Besprechung der beteiligten Reichsminister zu machen21.

21

Siehe Dok. Nr. 150, P. 2.

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