2.229.2 (mu21p): 2. Agrarzölle (deutsch-schwedischer Handelsvertrag).

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2. Agrarzölle (deutsch-schwedischer Handelsvertrag).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies erneut auf die Vorteile hin, die nach seiner Auffassung die von ihm vorgeschlagene Ausgleichsgebühr gegenüber Zollerhöhungen und Monopolplänen haben würden1. Er hielt die Gefahr, daß die Ausgleichsgebühr von einem internationalen Schiedsgericht als den geltenden deutschen Handelsverträgen widersprechend erklärt würde, für gering.

1

Im Entwurf einer Verordnung zur Änderung von Zolldispositionen hatte der REM bereits am 30. 5. ausgeführt: „Das REMin hat seinerseits den bekannten Gedanken einer Preisausgleichsabgabe erörtert, die je nach der Preislage des inländischen Brotgetreides in Kraft gesetzt und bei Überschreitung eines bestimmten Preises in zwei Raten oder auf einmal wieder in Wegfall kommen soll. Der darin liegende, auch von den Anhängern des Monopols verfochtene Gedanke, daß man einen Weg suchen müsse, der zwar den Produzenten aus der jetzigen Notlage heraushilft, ohne aber den Konsumenten dann noch zu belasten, wenn der Produzent ohnehin wieder angemessene Preise bekommt, ist zwar in seiner Richtigkeit nicht bestritten worden. Trotzdem haben sich gegen ihn vor allen Dingen die Monopolanhänger gewendet, daneben aber alle diejenigen, die glauben, auf dem Wege einer einfachen Zollerhöhung zum Ziele kommen zu können. Die Aussichten der Verwirklichung dieses Gedankens sind dadurch außerordentlich gering geworden“ (R 43 I /2541 , Bl. 467-482, hier: Bl. 480).

Über die Verhandlungen des Ausschusses, der zur Prüfung der Getreidefrage eingesetzt ist, berichtete er folgendes: Der Plan der Einführung von variablen Zöllen, die wöchentlich entsprechend der Marktlage wechseln sollten, sei als praktisch nicht durchführbar verworfen worden. Der Entwurf von Bestimmungen für ein Getreidemonopol, über den zur Zeit verhandelt werde, sehe die Belastung des Umsatzes, der einmal bei einer Vertrauensfirma der Reichsgetreideverwaltung stattfinden müsse, mit einer Monopolabgabe vor, deren Höhe nach dem Unterschiede zwischen den Gestehungskosten und Richtpreisen zu bemessen wäre. Das Monopol werde formell die Einfuhr und die gesamte innere Erzeugung umfassen, tatsächlich aber so gehalten sein, daß es im wesentlichen als Einfuhrmonopol wirken würde. Sendungen bis zu 15 Tonnen würden deswegen nicht erfaßt. Gerade diese spielten in großen Teilen[747] Deutschlands bei weitem die Hauptrolle. Handelspolitische Schwierigkeiten, die aus einem Einfuhrmonopol zu erwarten wären, sollten so vermieden werden.

Es gewinne bis jetzt nicht den Anschein, als wenn der Ausschuß neue, erfolgsichere Wege weisen würde.

Die Mehrbelastung des Getreides, die angestrebt werde, dürfe nicht in die Staatskasse fließen; sie müsse zur Finanzierung der Weizenernte und zur Senkung der Weizenpreise im Inneren verwendet werden. – Der deutsch-schwedische Handelsvertrag hindere durchgreifende Maßnahmen für die Erhöhung der Getreidepreise. Da Schweden in den bisherigen Verhandlungen abgelehnt habe, auf die Bindungen der Getreidezölle zu verzichten, so müsse der Vertrag sobald wie möglich gekündigt werden2. Der Widerstand Schwedens sei nicht aus sachlichen Erwägungen begründet. Die Getreideeinfuhr Schwedens nach Deutschland sei ganz gering. Er beruhe auf politischen Schwierigkeiten, die die Regierung durch die Bauernpartei befürchten müsse.

2

Während der Agrarausschuß des RT auf eine Kündigung des Vertrages gedrängt hatte (Kabinettsvorlage des REM vom 14. 6.; R 43 I /2541 , gefunden in R 43 I /1114 , Bl. 72 f.), war vom schwedischen Außenminister Trygger erklärt worden, auf die Getreidezollbindung könne nur verzichtet werden, wenn das Reich der schwedischen Landwirtschaft besonders günstige Kompensationen biete (Telegramm Prinz Erbachs Nr. 33 vom 13. 6.; R 43 I /1114 , Bl. 76).

Auf den Einwand des Reichskanzlers und des Reichsministers der Finanzen, daß die Kündigung der Landwirtschaft für die neue Ernte keine Verbesserung der Preise bringen könne, weil der Vertrag erst nach einem halben Jahre außer Kraft treten würde, erklärte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß die Aussicht auf Zollerhöhungen in Verbindung mit Einführung eines Vermahlungszwanges sowie Maßnahmen zur Finanzierung des Aufkaufs inländischen Getreides der Landwirtschaft bereits für die neue Ernte Entlastung bringen würde. Wenn die Ratifizierung eines neuen Vertrages nicht rechtzeitig sichergestellt werden könnte, so wäre für die Zwischenzeit der schwedischen Regierung die Meistbegünstigung zuzusichern. Er bat, die Kündigung des Vertrages zu beschließen und Staatssekretär Dr. Heukamp mit der sofortigen Aufnahme von Verhandlungen mit der schwedischen Regierung zu betrauen.

Der Reichswirtschaftsminister hielt die Gründe, die gegen die Ausgleichsgebühr geltend gemacht werden, für stichhaltig. Er glaube zwar nicht, daß ein brauchbarer Plan für ein Getreidemonopol aufgestellt werden könnte, hielt aber in diesem Falle die Kündigung für unnötig. Bevor über sie Beschluß gefaßt würde, möchte das Ergebnis der Beratungen des Ausschusses abgewartet werden.

Im übrigen sei die Kündigung höchst unerwünscht3. Die Schweden hätten die Bindungen der Getreidezölle auf deutschen Wunsch in ihren Vertrag aufgenommen, obwohl sie zunächst Bedenken geltend gemacht hätten. Die Zwischenregelung der Zölle im Jahre 1927 sei unter den Schwedensätzen geblieben. Dies hätte Schweden in eine handelspolitisch unbequeme Lage gebracht. Das deutsche Verlangen, nunmehr auf die Bindungen der Zölle zu verzichten, sei[748] ein Vorgang, der in der Handelspolitik einzig dastehe und der dem deutschen Ansehen international schaden könne4.

3

Demgegenüber hatte aber die RT-Fraktion der DVP beschlossen, sich für eine Kündigung des Schweden-Vertrags einzusetzen, wenn eine freundliche Regelung nicht gelinge (Anlage zur Kabinettsvorlage des REM vom 14. 6.; R 43 I /2541 , gefunden in R 43 I /1114 , Bl. 72-75, hier: Bl. 75).

4

Bei den Verhandlungen des StS Heukamp in Stockholm erklärte der schwedische Außenminister, daß ihm die Lage der deutschen Landwirtschaft bekannt sei. Er wundere sich, daß Deutschland die Nachtragsverhandlungen zum Schweden-Vertrag im Dezember 1928 nicht zu einer Änderung der Zollbedingungen benutzt habe, da damals die Lage günstiger gewesen sei (Vermerk in der Rkei vom 21. 6.; R 43 I /1114 , Bl. 89 f.).

Der Schweden-Vertrag habe sich für Deutschland zunehmend günstig ausgewirkt. Der Ausfuhrüberschuß zugunsten Deutschlands sei in den letzten Jahren wesentlich gestiegen. Dabei handele es sich bei weitem überwiegend um Fertigwarenausfuhr5. Der Widerstand der Schweden gegen die deutschen Wünsche beruhe auf Vereinbarungen mit den anderen nordischen Staaten und den Randstaaten. Es bestehe die Gefahr, daß Deutschland sich demnächst einer geschlossenen nordischen Front gegenübersehe und daß die gesamte Ausfuhr in diese Länder gefährdet werde6.

5

Der schwedische Export nach Deutschland hatte 1924 120 643 000 RM und 1927 369 895 000 RM betragen; der deutsche Export nach Schweden war von 385 524 000 RM im Jahr 1924 auf 409 336 000 RM im Jahr 1927 gestiegen. In der letzten Summe hatten die Fertigwaren einen Wert von 306 919 000 RM ausgemacht (RT-Drucks. Nr. 821, Bd. 434 ).

6

Bei den Verhandlungen in Stockholm zeigte sich, daß die schwedische Regierung mit den anderen nordischen Ländern Vereinbarungen treffen wollte. „Eine Konferenz dieser Länder steht bevor. Auf Verabredung zwischen den Nordstaaten deutet auch eine Bemerkung hin, die der Abteilungsleiter für Handelspolitik in einer Unterredung mit StS Heukamp machte, […] Heukamp sagte ihm, Schweden könne wohl Deutschland dadurch entgegenkommen, daß es die vom REM geplante Ausgleichsgebühr nicht als Zoll ansehe. Ihm selbst würde dadurch kein Schaden entstehen, da seine Interessen an der Getreideausfuhr sehr gering seien. Der Abteilungsleiter erwiderte darauf, er könne die anderen Staaten nicht auf diese Weise um die Vergünstigungen bringen, die ihnen auf Grund der Meistbegünstigung zukämen“ (Vermerk in der Rkei vom 21. 6.; R 43 I /1114 , Bl. 89 f.).

Er halte es für erforderlich, vor endgültiger Entscheidung über die Kündigung des Vertrages, den Schweden die schwierige Lage der deutschen Landwirtschaft eingehend auseinanderzusetzen. Erst nach diesen Verhandlungen solle dann über die Kündigung und ihre Modalitäten endgültig entschieden werden. In diesem Sinne wolle er sich jetzt bereits grundsätzlich mit der Kündigung einverstanden erklären.

Auch der Reichsminister der Finanzen hielt die vom Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vorgeschlagene Ausgleichsgebühr für einen Gleitzoll, der zu weittragenden internationalen Schwierigkeiten führen würde. Die Einführung des vom Ausschuß erörterten Vollmonopols für Getreide würde die Kündigung überflüssig machen. Ein vertragsloser Zustand mit Schweden sei auch vorübergehend nicht erträglich. Die Zusicherung der Meistbegünstigung würde nicht ausreichen, um die Lücke zu schließen. Die Kündigung könne erst dann in Frage gezogen werden, wenn es möglich sei, in der Zwischenzeit einen neuen Vertrag abzuschließen und zu ratifizieren. Deswegen und wegen der Gefahr, die der Ausfuhr aus einem Zusammenschluß der nordischen Staaten gegen Deutschland erwachsen würde, sprach er sich gegen den Beschluß aus, den Handelsvertrag sofort zu kündigen.

Über die Gelder, die aus einer Erhöhung von Zöllen aufkämen, müsse vorsichtig verfügt werden, da internationale Bindungen der Zollerträge vorlägen.

[749] [Namens des AA spricht sich MinDir. Köpke für eine Kündigung des Handelsvertrags mit Schweden aus, ebenso der RVM und der RJM.]

Ministerialdirektor Ernst sah den entscheidenden Maßstab für die Beurteilung der Ausgleichsgebühr in dem staatlichen Zwange zu ihrer Erhebung. Dadurch charakterisiere sie sich als Zoll, auch wenn das Aufkommen nicht in die Kasse des Reichs flösse.

Gegen ein Vollmonopol im Sinne der im Ausschuß erörterten Vorschläge beständen keine handelspolitischen Bedenken, wenn Sendungen bis zu 15 t vom Monopol nicht erfaßt würden. Das gelte auch für die Einfuhr. Praktisch würde die Bestimmung der Einfuhr aber nur in ganz geringem Umfange zugute kommen.

Das Kabinett beschloß mit Stimmenmehrheit, daß der deutsch-schwedische Handelsvertrag vom 14. Mai 1926 (Gesetz vom 10. Juni 1926, RGBl. II Seite 383), gekündigt werden solle, wenn es nicht gelingt, durch Verhandlungen mit der schwedischen Regierung die Bindung der Getreidezölle zu beseitigen. Die Verhandlungen sollen alsbald von Staatssekretär Dr. Heukamp in Stockholm geführt werden. Nach ihrem Abschluß wird das Kabinett gegebenenfalls über die Modalitäten der Kündigung beschließen.

Durch die Presse soll nur bekannt gegeben werden, daß die Verhandlungen mit der schwedischen Regierung über die Getreidezollfragen aufgenommen werden. Daß die Kündigung des Vertrages für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen grundsätzlich beschlossen worden ist, soll nicht veröffentlicht werden7.

7

Von WTB wurde am 26. 6. die Kündigung des Handelsvertrags bekanntgegeben. Der Schritt sei mit der Lage der deutschen Landwirtschaft begründet worden; gleichzeitig habe man dem Wunsch nach neuen Verhandlungen Ausdruck gegeben (R 43 I /114 , gefunden in R 43 I /1114 , Bl. 70).

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