2.239.1 (mu21p): 1. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen1.

1

Eine parallele Aufzeichnung über diesen Tagesordnungspunkt von Eisenlohr befindet sich in R 43 I /1108 , Bl. 201-206.

Die Vertreter des Auswärtigen Amtes erklärten, daß erforderlich sei, daß Reichsminister a. D. Hermes zu der Frage Stellung nehme, ob er bereit sei, die Verhandlungen in Warschau ununterbrochen bis zum Abschluß fortzusetzen2. Das Kabinett werde zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob es bei der Ablehnung der Erhöhung der Schweinezölle bleiben solle, die das Kabinett bisher in dreimaliger Beschlußfassung festgelegt habe. Reichsminister a. D. Hermes habe in privaten Unterredungen erklärt, daß er die Erhöhung der Schweinezölle im Herbst für erforderlich halte.

2

Nach der Ministerbesprechung am 1. 6. hatte „eine diplomatische Aktion Polens über die Art der Verhandlungsführung eingesetzt“ (Aufzeichnung Eisenlohrs über diese Ministerbesprechung; R 43 I /1108 , Bl. 201-206, hier: Bl. 201). In einer deutschen Note war am 1. 7. festgestellt worden, es bestehe darüber Übereinstimmung, „daß der Wiederaufnahme der Verhandlungen nichts mehr im Wege steht und daß beide Teile aus den früheren Verhandlungen keine Einwendungen gegen das neue Vorbringen erheben können. Beide Teile sollen ihr letztes Angebot beschleunigt klarlegen.“ Deutschland sei mit Warschau als Verhandlungsort einverstanden (Vermerk Feßlers vom 1. 7.; R 43 I /1108 , Bl. 195).

Reichsminister a. D. Dr. Hermes führte aus, er sei politisch in den nächsten zwei Wochen in Deutschland in Anspruch genommen, insbesondere auch zur Aufklärung über die Bedeutung der Maßnahmen der Reichsregierung für die Landwirtschaft. Zwei bis drei Monate in Warschau ununterbrochen zu verhandeln, sei ihm wegen der anderweitigen Pflichten nicht möglich. Er schlug vor, die Verhandlungen Anfang August in Warschau zu beginnen und vier bis fünf Wochen durchzuführen. Dann könne das Kabinett erneut prüfen, ob den Polen vorgeschlagen werden solle, die Verhandlungen vorübergehend nach Berlin zu verlegen.

Wegen der Frage der Schweinezölle wolle er mit seiner Meinung zunächst zurückhalten.

[789] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat dafür ein, daß die Verhandlungen mit Polen nicht überstürzt würden. Es werde in der Urlaubszeit kaum möglich sein, entscheidende Beschlüsse herbeizuführen.

Da im Reichstag entgegen der Stellung der Reichsregierung eine Mehrheit für die Ablehnung einer Bindung der Fleischzölle vorhanden sei, sei ein Hinauszögern der endgültigen Entscheidung des Kabinetts erwünscht. Zudem könnten die Verhandlungen mit den Polen dadurch erleichtert werden, daß sich bei der Durchführung der neuesten Reichstagsbeschlüsse vielleicht eine Möglichkeit für eine Verständigung ergeben könne3. Dies gelte insbesondere wegen der Einschränkung der Seegrenzschlachthöfe.

3

In der Agrardebatte des RT war die Einfuhrerleichterung für Fleisch mit 242 gegen 162 Stimmen bei 4 Enthaltungen abgelehnt worden. Zum Verlauf dieser Plenumssitzung siehe RT-Bd. 425, S. 2933  ff.

Ministerialdirektor Dr. Posse wies darauf hin, daß die Industrie mit steigendem Nachdruck einen Vertrag mit Polen so bald wie möglich wünsche. Sie fürchte eine Erschwerung der gesamten handelspolitischen Lage. Nach Mitteilung von Reichsminister a. D. von Raumer, der von Verhandlungen mit den polnischen Industriellen soeben zurückgekehrt sei, würden die deutschen amtlichen Unterhändler dort bereits erwartet.

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß es auch in der Urlaubszeit möglich sein müsse, zu entscheidenden Beschlüssen zu kommen. Er nahm hierbei auf die Reparationsverhandlungen Bezug, mit denen sich das Kabinett ohnehin schon in den nächsten Tagen würde befassen müssen.

Es bestehe die Gefahr einer Krisis der gesamten Handelspolitik. Die Ausfuhr nach Polen würde mehr und mehr bedroht. Mindestens der gegenwärtige Stand müsse für die Industrie gesichert werden. Hierzu sei auf alle Fälle die Bindung der Schweinezölle nötig.

Der Reichsjustizminister hielt einen Wechsel in der Persönlichkeit des deutschen Unterhändlers für unerwünscht. Er wies darauf hin, daß die Mehrheit des Reichstags für die Erhöhung der Schweinezölle eingetreten sei.

Ministerialdirektor Dr. Ritter erklärte, den Polen sei versprochen worden, die Verhandlungen auch während der Sommermonate weiterzuführen. Wenn sie erst im August begännen, so sei das schon eine Verzögerung, die dem widerspreche. Weiter könnten die Verhandlungen nicht ohne Schaden hinausgezogen werden. Sie müßten dann gleich in das entscheidende Stadium treten. Dazu sei Klarheit über die Schweinezölle erforderlich. Ohne deren Bindung sei es besser, die Verhandlungen nicht zu beginnen.

Auch der Reichsarbeitsminister hielt es für unmöglich, Verhandlungen mit Polen abzulehnen. Die Schweinezollfrage würde im Reichstag anders beurteilt werden, wenn sie im Zusammenhang mit dem polnischen Handelsvertrag zur Entscheidung des Reichstags gebracht würde.

Der Reichspostminister sprach sich wegen Zeit und Ort der Verhandlungen für den Vorschlag Hermes’ aus.

Im Anschluß hieran stimmte das Reichskabinett zunächst über die Frage nach Zeit und Ort der Verhandlung ab. Es beschloß mit Stimmenmehrheit, die[790] Verhandlungen Anfang August in Warschau beginnen und mindestens vier bis fünf Wochen dort kontinuierlich fortführen zu lassen; über eine etwaige Fortführung der Verhandlungen in Berlin soll später entschieden werden.

Der Reichspostminister schlug sodann weiter vor, in der Schweinefrage die endgültige Entscheidung einer späteren Ministerbesprechung zu überlassen, zumal der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft neue Vorschläge für Vereinbarungen auf landwirtschaftlichem Gebiete zur Erleichterung des Vertragsschlusses in Aussicht gestellt habe.

Dem trat der Reichsminister der Finanzen entgegen. Es habe keinen Zweck, ohne klare Entscheidung in der Schweinezollfrage die Verhandlungen aufzunehmen. Das Kabinett müsse an seinen mehrfachen Beschlüssen in der Frage der Schweinezölle festhalten.

Hierzu erklärte Reichsminister a. D. Hermes, wenn er an diese Instruktion (Bindung der Schweinezölle) starr gebunden werde, so sei er nicht in der Lage, die Verhandlungen fortzuführen.

Auf eine Zwischenfrage des Reichsministers der Finanzen brachte Minister Hermes zum Ausdruck, daß er zum Rücktritt gezwungen sein würde, wenn er auf dieser Basis die Verhandlungen fortführen müsse4.

4

Nach der Parallelaufzeichnung Eisenlohrs sagte Hermes, „daß er sich nicht verpflichten könne, die Instruktionen der RReg. über die Bindung des Zolls für lebende Schweine auszuführen. Er sei überzeugt, daß sich im Herbst eine Mehrheit für die Zollerhöhung [im RT] finden werde, es sei ihm deshalb unmöglich, sich jetzt auf die Bindung einzulassen. Vielmehr empfehle es sich, diese Frage zu vertagen, wenn er auch zugeben müsse, daß sie von Polen wenige Tage nach Beginn der Verhandlungen aufgeworfen werde. Sollte aber von ihm verlangt werden, daß er die Instruktionen der RReg. in dieser Hinsicht durchführe, so müsse er erklären, daß er sein Amt als Delegationsführer nicht beibehalten könne“ (R 43 I /1108 , Bl. 201-206, hier: Bl. 205). Aus dieser Antwort von Hermes schloß Rauscher, Hermes habe „zum ersten Mal offen zugegeben, daß seine Tätigkeit als Bauernführer eben in unversöhnlichem Widerspruch steht zu dem Mandat eines Bevollmächtigten zu den deutsch-polnischen Verhandlungen“ (Rauscher an Müller, 3. 7.; R 43 I /1108 , Bl. 217 f.).

Der Reichsminister des Innern hielt bei der politischen Bedeutung der Angelegenheit eine Vertagung und Teilnahme des Reichskanzlers an weiteren Kabinettsberatungen zur Sache für erforderlich, während der Reichsminister der Finanzen es nicht für möglich hielt, die Entscheidung bis zur Rückkehr des Reichskanzlers aus dem Erholungsurlaub hinauszuschieben. Die Meinung des Reichskanzlers sei bekannt; im übrigen sei die Möglichkeit gegeben, die Entscheidung des Reichskanzlers in Mergentheim einzuholen.

Der Reichsminister der Justiz hielt die Einholung der Stellungnahme des Reichskanzlers namentlich wegen der innerpolitischen Rückwirkung, die ein Wechsel des Delegationsführers zur Folge haben würde, für unbedingt erforderlich.

Der Reichspostminister schlug vor, daß das Kabinett nicht sofort eine endgültige Lage schaffen möchte, sondern die Beratung vertage, um weitere Verhandlungen, z. B. auch wegen der Kontingentierung der Schweine-Einfuhr, zu ermöglichen.

Nach eingehenden Verhandlungen beschloß das Kabinett,

1. die Stellungnahme des Reichskanzlers zur Frage der Bindung der[791] Schweinezölle und eines etwaigen Rücktritts des deutschen Verhandlungsleiters unverzüglich einzuholen5, und

5

Ein entsprechendes Schreiben sandte MinDir. v. Hagenow am 3. 7. an den RK (R 43 I /1108 , Bl. 207-209). Die Antwort des RK siehe in Dok. Nr. 241.

2. nach Eingang dieser Stellungnahme die Beratung über die deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen am Montag, den 8. Juli, fortzusetzen6.

6

Siehe Dok. Nr. 251, P. 2.

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