1.18.2 (mu22p): 2. Arbeitslosenversicherung.

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2. Arbeitslosenversicherung.

Der Reichsarbeitsminister trug den Sachverhalt vor1. Er wies u. a. auf die interfraktionellen Besprechungen am 16. August hin und kam zu dem Ergebnis,[882] daß wesentliche Meinungsverschiedenheiten unter den Regierungsparteien nicht mehr beständen.

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Im neu vorgelegten GesEntw. war eine Staffelung des Unterstützungssatzes für Arbeitslose vorgesehen. In der Begründung wurde jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß die von der Sachverständigenkommission hieraus erwartete Einsparung von 80 Mio RM nicht gelingen werde. Eine weitere Einsparung von 11,5 Mio RM hatte die Kommission aus einer Verlängerung der Anwartschaft der Saisonarbeiter auf 2 Wochen und ihre Unterstützung bei berufsüblicher Arbeitslosigkeit nach den Sätzen der Krisenunterstützung erwartet. Vom RArbM waren die entsprechenden Paragraphen 104 und 107 a (Art. I, Nr. 26 und 28) offen gelassen worden im neuen GesEntw. Weiterhin war vom RArbM eine Beitragsleistung zur Reichsanstalt in Höhe von 3,5% (im alten GesEntw. 3,75%) bis zum 31.3.31 vorgesehen (Vorlage vom 17. 8.; R 43 I /2035 , Bl. 232-249, hier: Bl. 232-249). Zu der neuen Kabinettsvorlage schrieb MinR Wienstein in seinem Referentenvortrag: „Der vom RArbM nunmehr vorgelegte stark lückenhafte Entwurf ist naturgemäß unbefriedigend. Nach dem Verlauf der Parteiführer-Besprechung vom 16. 8. wird das RKab. jedoch nicht umhin können, der jetzigen Fassung des Entwurfs zuzustimmen. Vom allgemein politischen Standpunkt aus darf jedoch folgendes bemerkt werden: Der federführende RArbM wird mit aller Kraft versuchen müssen, nunmehr eine wirkliche Einigung unter den Regierungsparteien herbeizuführen. Nachdem auch das Zentrum wie schon vorher die DVP mit Nachdruck in den interfraktionellen Besprechungen am 16. 8. durch seinen Vertreter darauf hingewiesen hat, daß es ein Versanden des Entwurfs im Sozialpolitischen Ausschuß des RT nicht dulden werde, wird beschleunigt eine Lösung gesucht werden müssen. Die Demokraten dürften dieselbe Stellung wie das Zentrum und die DVP einnehmen. Es wird also erforderlich sein, daß neben den Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses Besprechungen der Regierungsparteien unter Führung der RReg. mit dem Ziele baldiger und völliger Einigung einhergehen“ (19. 8.; R 43 I /2035 , Bl. 250, hier: Bl. 250).

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß die jetzt vorgelegte lückenhafte Vorlage vielleicht staatsrechtlich bedenklich erscheinen könne. Er neige jedoch zu der Auffassung, daß es staatsrechtlich doch zulässig sei, eine derartige Vorlage den gesetzgebenden Körperschaften zu unterbreiten. Das Ziel der Vorlage müsse darin bestehen, die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge von Darlehen des Reichs unabhängig zu machen und finanziell auf eigene Füße zu stellen. Dieses Ziel müsse auch in der Begründung der Vorlage klar zum Ausdruck gebracht werden. Es müsse gesagt werden, daß die Reichsregierung dieses Ziel mit den Bestimmungen voll erreichen wolle, deren Ergänzung sie sich vorbehalte2.

2

Auf eine Gesamtbegründung des GesEntw. hatte der RArbM verzichtet. Sie sollte nach seiner Ansicht zwischen den Ressorts vereinbart werden (Anschreiben zum GesEntw., 17. 8.; R 43 I /2035 , Bl. 231, hier: Bl. 231). – In der Frage der Darlehen für die Reichsanstalt war es zu einer Kontroverse zwischen dem RArbMin. und StS Popitz gekommen. Im Gegensatz zu Popitz war der RArbM der Ansicht, das Reich sei nach § 163 des AVAVG (RGBl. 1927 I, S. 206 ) zu Darlehen verpflichtet. „Ich werde meinerseits darauf bestehen müssen, daß ein Betrag für die Darlehen in dem Haushalt 1930 vorgesehen wird. Wenn es nötig ist, daß ich diesen Betrag schon jetzt ziffernmäßig bemesse, so würde ich dafür mit Rücksicht auf die schwebende Reform statt der 150 Mio im gegenwärtigen Haushaltsjahr 100 Mio RM vorschlagen. Dabei muß ich wie im vorigen Jahr auch diesmal darauf dringen, daß die Mittel in den ordentlichen Haushalt aufgenommen werden, weil sie einer gesetzlichen Verpflichtung entsprechen“ (17. 8.; R 43 I /2035 , Bl. 340 f., hier: Bl. 340 f.).

Der Reichsminister der Justiz betonte gleichfalls, daß es sich hier um ein ungewöhnliches Procedere handle. Er könne dem Entwurf nur dann zustimmen, wenn die Begründung in dem Sinne ergänzt werde, wie Staatssekretär Popitz es soeben dargelegt habe. Er werde seine Zustimmung zum Entwurf ferner nur unter dem Vorbehalt abgeben, daß die Lücken des Entwurfs vom Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags in zufriedenstellender Weise ergänzt würden.

Was nun die zu erzielenden Ersparnisse anlange, so könne der vorgesehene Satz von 18 Millionen Mark durch Veränderung in der Krankenversicherung[883] der Arbeitslosen (Nr. 35 des Entwurfs) nach seiner Ansicht um 12 Millionen Mark, d. h. auf 30 Millionen Mark erhöht werden3. Es müsse ferner eine Sonderregelung für Saisonarbeiter Platz greifen (Art. 1 Nr. 26 und 28 des Entwurfs). Hierdurch sei eine weitere Ersparnis von 21 Millionen Mark zu erzielen.

3

Nr. 35 in Art. I des GesEntw. enthielt die Neufassung des § 119 des AVAVG, wonach für die Krankenversicherung 12% des wöchentlichen Einheitslohnes zu zahlen waren.

Der Reichsarbeitsminister bat, von einer Formulierung der Begründung zunächst abzusehen, bis die finanziellen Fragen geklärt seien. Er führte im übrigen aus, daß er sich in der Frage einer Veränderung der zu erzielenden Ersparnisse in der Krankenversicherung der Arbeitslosen überstimmen lassen werde. Es werde sich demnach für das Etatsjahr 1930 folgendes Bild ergeben:

An Ersparnissen seien anzusetzen:

25 Millionen

Mark durch Veränderung der Wartezeit,

16 Millionen

Mark durch Anrechnung von Wartezeit, Ruhegehalt und – in begrenztem Umfange – Sozialrenten,

30 Millionen

Mark durch Veränderung in der Krankenversicherung der Arbeitslosen,

21 Millionen

Mark durch Senkung der Sätze bei berufsüblicher Arbeitslosigkeit (Art. 1 Nr. 26 und 28 des Entwurfs) Vorschlag des Reichsministers der Justiz

also insgesamt

92 Millionen

Mark errechenbare Einsparungen.

Dazu kämen noch 140 Millionen Mark Steigerung der Einnahme durch Erhöhung der Beiträge um 0,5%, so daß sich der Fehlbetrag von 279 Millionen Mark im Jahr dadurch um 92 + 140 = 232 Millionen Mark verringere. Es bleibe also ein Defizit von 279 – 232 = 47 Millionen Mark für das Etatsjahr 19304.

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In der Begründung zu Art. II seines GesEntw. hatte der RArbM noch das Defizit mit 80 Mio RM angegeben, und zwar nach Berechnungen der Sachverständigenkommission. Zur Deckung dieser 80 Mio sei die Unterstützungsregelung für die Saisonarbeiter von Bedeutung (R 43 I /2035 , Bl. 232-249, hier: Bl. 232-249).

Für den Winter 1929/30 lägen besondere Verhältnisse vor, denen Rechnung getragen werden müsse.

Der Reichsverkehrsminister betonte gleichfalls, daß der hier vorgeschlagene Weg ungewöhnlich sei. Es werde jedoch nichts anderes übrig bleiben, als diesen Weg zu beschreiten.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg führte aus, er habe mehrfach mit dem Reichswirtschaftsminister über die hier erörterten Fragen gesprochen. Dem Reichswirtschaftsminister erscheine nun der vorgesehene Weg als außerordentlich bedenklich. Der Reichswirtschaftsminister sei der Auffassung, daß in erster Linie die noch vorhandenen Lücken des Gesetzentwurfs durch einen Kabinettsbeschluß ausgefüllt werden müßten. Der Minister werde sich jedoch vermutlich[884] damit abfinden, daß die Lücken blieben, wenn in der Begründung zum Entwurf das zu erreichende Ziel klar aufgestellt werde, so wie es Staatssekretär Dr. Popitz bereits ausgeführt habe.

Im einzelnen erscheine dem Reichswirtschaftsminister eine Ersparnis auch von 30 Millionen Mark durch Veränderung in der Krankenversicherung der Arbeitslosen als zu niedrig. Der Reichswirtschaftsminister wolle sich ferner nicht ohne weiteres mit einer Beitragserhöhung von 0,5% für 1½ Jahre abfinden, sondern sei der Auffassung, daß die Erhöhung allenfalls 0,25% für ein Jahr betragen dürfe.

Der Reichsminister des Innern führte als persönliche grundsätzliche Auffassung aus, man solle in der Sozialpolitik nie weiter gehen, als die Finanzen des Reichs es vertrügen. Eine plötzliche Reduktion der Leistungen müsse auf die Arbeiterschaft vernichtend wirken.

Welche wirtschaftlichen Folgen ein Scheitern der Haager Konferenz haben müsse, wolle er nicht darlegen. Bis jetzt seien in Deutschland alle Krisen gut überstanden worden, aber nicht nur wegen der Zuverlässigkeit der Reichswehr und der Polizei, sondern vor allem auch wegen der Aufrechterhaltung einer Fühlungnahme mit der einsichtigen organisierten Arbeiterschaft.

Das Reichskabinett werde sich wohl in dem zu erreichenden Ziel einig sein, die Einnahmen und Ausgaben der Versicherungsanstalt in Einklang zu bringen. Es entstehe jedoch die Frage, ob man einen so großen Schritt nach rückwärts gehen müsse. Man solle der Sozialdemokratie nichts zumuten, was sie nicht tragen könne. Andernfalls müßten die sozialdemokratischen Minister aus dem Kabinett ausscheiden. Er dürfe wohl annehmen, daß eine derartige Konsequenz aus allgemeinen politischen Gründen den übrigen Ministern des Reichskabinetts höchst unerwünscht sein müsse.

Der Reichsarbeitsminister wies darauf hin, daß in der Öffentlichkeit vielfach schärfste Kritik an Mißständen in der Handhabung der Gewährung von Arbeitslosenunterstützungen geübt worden sei und noch geübt werde. Wenn diese Mißstände wirklich so groß seien, dann müsse das Defizit für das Jahr 1930 sich noch weiter verringern. Durch Beseitigung der Mißstände müßten dann mindestens noch 50 Millionen Mark eingespart werden können, so daß für das Etatsjahr 1930 kein Defizit mehr vorhanden sei.

Staatssekretär Schmid führte aus, daß der Reichsminister für die besetzten Gebiete denselben Standpunkt vertrete wie der Reichsminister der Justiz und der Reichsverkehrsminister. Er werde also die Stimme des Reichsministers für die besetzten Gebiete auch in diesem Sinne abgeben.

Er habe nun von dem Reichsminister für die besetzten Gebiete die Ermächtigung erhalten, auch den Standpunkt der Deutschen Volkspartei im Reichskabinett zu vertreten. Dieser Standpunkt gehe dahin, daß durch eine Vorlage, die zwei ganz wesentliche Lücken aufweise, die Autorität der Reichsregierung aufs schwerste erschüttert werden müsse. Reichsminister a. D. Dr. Scholz habe erklärt, das Reichskabinett sei nicht unbedingt an alle Vereinbarungen gebunden, die in den Parteibesprechungen am 16. August erzielt worden seien. Es sei vielmehr Aufgabe des Reichskabinetts, die Lücken des Entwurfs von sich[885] aus auszufüllen. Die Deutsche Volkspartei habe unbedingt den Wunsch, eine Krisis zu vermeiden. Besonders aus außenpolitischen Gründen müsse eine Krisis im gegenwärtigen Moment nur unerwünscht sein. Wenn nun der Entwurf des Kabinetts im wesentlichen nur durch eine Beitragserhöhung eine Sanierung der Arbeitslosenversicherungsanstalt zu erreichen suche, werde die Verstimmung bei der Volkspartei groß sein. Das Reichskabinett müsse daher nach einem Kompromiß suchen, weil andernfalls Konsequenzen von seiten der Deutschen Volkspartei zu befürchten seien.

Staatssekretär Dr. Weismann ging auf die innenpolitischen Bedenken ein, die der Reichsminister des Innern gegen einen zu scharfen Abbau der Sozialleistungen geäußert hatte. Er betonte gleichfalls, daß die Preußische Regierung und auch die Reichsregierung bisher stets auf die Mithilfe der besonnenen Arbeiterschaft habe rechnen können. Er wolle in diesem Zusammenhang nur den mitteldeutschen Aufstand erwähnen5. Die innenpolitische Lage sei zur Zeit gespannt. Er rechne nicht mit einem Scheitern der Haager Konferenz, sondern im Gegenteil mit einem Erfolg dieser Verhandlungen. Die Agitation gegen den Young-Plan sei jedoch außerordentlich stark und peitsche die innenpolitischen Leidenschaften auf.

5

Zu den Unruhen in Mitteldeutschland im März und April 1921 siehe „das Kabinett Fehrenbach“ und Schultheß 1921, S. 104 ff., 110 f.

Die Preußische Staatsregierung habe stets Wert auf eine Reform der Arbeitslosenversicherung, d. h. auf eine Beseitigung der Mißbräuche gelegt. Das sei insbesondere auch der Standpunkt des Preußischen Ministerpräsidenten. Eine Abschaffung der Mißstände müsse nach Ansicht des Preußischen Ministerpräsidenten viele Millionen Mark sparen.

Staatssekretär Dr. Popitz führte aus, daß eine nicht ausreichende Reform der Arbeitslosenversicherung Zahlungsschwierigkeiten und schließlich Zahlungseinstellung des Reichs zur Folge haben müsse. Ein Reich, das die Zahlungen eingestellt habe, werde auch nicht in der Lage sein, etwaige Aufstände im Innern zu bewältigen.

Zu einigen in der Debatte vorgebrachten Punkten nahm er folgenden Standpunkt ein:

Die Beschränkung der Beitragserhöhung auf ein Jahr sei nicht ausreichend.

Eine Ausfüllung der Nummern 26 und 28 im Artikel 1 des Entwurfs im Sinne des von dem Reichsminister der Justiz unterbreiteten Vorschlages6 könne dahin gedeutet werden, daß damit die geplanten Einschränkungen der Ausgaben sämtlich im Gesetzentwurf enthalten seien. Bleibe diese Lücke, so sei deutlich erkennbar, daß der Ausschuß des Reichstags über die Deckung des Defizits Beschluß fassen müsse. Es sei deswegen vorzuziehen, wenn die Lücke bei den Nummern 26 und 28 gelassen werde.

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Danach gestrichen: „müsse er begrüßen“.

Er müsse nach wie vor auf eine Fassung der Begründung Wert legen, wie er sie zu Anfang dargelegt habe.

Der Reichsverkehrsminister betonte, daß der vorliegende Entwurf ein politisches Gesetz ersten Ranges sei. Auf eine Regelung des Entwurfs, die der Eigenart der Saisonarbeiter entspreche, müsse er größtes Gewicht legen.

[886] Ministerialdirektor Dr. Beyer-Fehling7 legte folgenden Standpunkt des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft zu den noch offenen Punkten dar:

7

Der Text lautete zunächst: „MinDir. Dr. Beyer-Fehling legte folgenden Standpunkt des REM dar: a) Die Ersparnisse durch eine Veränderung in der Krankenversicherung der Arbeitslosen sollten von 18 auf 30 Mio Mark erhöht werden; b) die Leistungen aus der Arbeitslosen-Versicherungsanstalt sollten nach Maßgabe der Dauer der Anwartschaft verkürzt werden; c) […]“. Die Änderung erfolgte auf Wunsch Beyer-Fehlings vom 22. 8. (R 43 I /2035 , Bl. 366, hier: Bl. 366).

a) Die Ersparnisse durch eine andere Bemessung der Beiträge für die Krankenversicherung der Arbeitslosen sollten von 18 auf 30 Millionen Mark erhöht werden;

b) die Höhe der Arbeitslosenunterstützung solle allgemein und nicht nur für die Saisonarbeiter nach der Dauer der Anwartschaft abgestuft werden;

c) die Beiträge sollten nur um 0,25% und nur für ein Jahr erhöht werden.

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß:

a) Der von Staatssekretär Dr. Trendelenburg im Auftrage des Reichswirtschaftsministers gestellte Antrag, die Beiträge nur um 0,25% zu erhöhen, wird abgelehnt;

b) desgleichen wird der Antrag des Reichswirtschaftsministers abgelehnt, die Beitragserhöhung zunächst nur bis zum 1. Oktober 1930 vorzusehen.

Für diese beiden Anträge stimmten: Staatssekretär Dr. Trendelenburg im Auftrage des Reichswirtschaftsministers, Ministerialdirektor Dr. Köpke im Auftrage des Reichsministers des Auswärtigen und Ministerialdirektor Dr. Beyer-Fehling im Auftrage des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft.

c) Der von Staatssekretär Dr. Trendelenburg im Auftrage des Reichswirtschaftsministers gestellte Antrag, in Nr. 35 und 39 des Entwurfs anstatt 12% 8% einzusetzen8, wird gleichfalls abgelehnt gegen die von Staatssekretär Dr. Trendelenburg abgegebene Stimme des Reichswirtschaftsministers, ferner gegen die Stimme des Reichswehrministers und die Stimme des Reichsministers des Auswärtigen, die Ministerialdirektor Dr. Köpke in seinem Auftrage abgab.

8

Zu Nr. 35 siehe o. Anm. 3. Nr. 39 betraf die Krankenversicherung bei Arbeitslosigkeit von unständig Beschäftigten.

d) In den Nummern 35 und 39 des Entwurfs soll jedoch an Stelle des Satzes von 12% ein Satz von 10% treten.

e) Artikel 1 Nr. 26 und 28 des Entwurfs erhalten folgende Fassung:

26. § 104 erhält folgende Fassung:

„§ 1049.

9

Der Text des Paragraphen entspricht wörtlich der Fassung im GesEntw. Wissells vom 7.8.29 (R 43 I /2035 , Bl. 76-91, hier: Bl. 76-91).

Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung bestimmt sich nach dem Arbeitsentgelt und während einer berufsüblichen Arbeitslosigkeit auch nach der Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung.“

[887] 28. Hinter § 107 werden folgende Paragraphen 107 a und 107 b eingefügt10:

10

§ 107 a Abs. 1 und § 107 b entsprechen dem Wortlaut des GesEntw. vom 7. 8. (R 43 I /2035 , Bl. 76-91, hier: Bl. 76-91).

„§ 107 a

(1) Während einer berufsüblichen Arbeitslosigkeit erhalten Arbeitslose der Lohnklassen VII–XI die volle Arbeitslosenunterstützung (Regelsatz) nur, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor der ersten Arbeitslosmeldung, die dem Erwerbe der Anwartschaft auf die Unterstützung folgte, mehr als 52 Wochen oder, wenn das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen war, mehr als zwölf Monate in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden haben, ohne daß ihnen zwischen Beginn und Ende der Beschäftigungszeit Arbeitslosenunterstützung gewährt worden ist. Andernfalls erhalten sie nur einen Teilsatz der Unterstützung.

(2) Als Teilsatz der Unterstützung erhalten

1. Arbeitslose der Lohnklassen VII–X die Sätze der Lohnklasse VI,

2. Arbeitslose der Lohnklasse XI die Sätze der Lohnklasse VII.

(3) Hat der Arbeitslose den Regelsatz der Unterstützung bezogen, ohne seinen Anspruch zu erschöpfen, und wird er nach einer Beschäftigung auf Grund der ihm nur der Teilsatz der Unterstützung zustände, erneut arbeitslos, so behält er den Anspruch auf den Regelsatz für die Zeit, für die er ihn hätte beziehen können, wenn er arbeitslos geblieben wäre.

(4) Zeiten, die nach diesem Gesetz einer versicherungspflichtigen Beschäftigung für den Erwerb einer Anwartschaft auf Arbeitslosenunterstützung gleichstehen, stehen ihr auch für die Bemessung nach Regel- oder Teilsatz gleich.

§ 107 b

(1) Hat ein Arbeitsloser mehr als die Hälfte der Beschäftigungszeit, die nach § 105 Abs. 2 für die Zugehörigkeit zu einer Lohnklasse maßgebend ist, in einem anderen Orte verbracht als dem Ort, in dem die Unterstützung zu gewähren ist, so darf die Unterstützung nicht höher sein, als sie nach den Lohnverhältnissen des Unterstützungsorts wäre.

(2) Für Festsetzungen, die nach Abs. 1 zu treffen sind, haben die Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter Richtlinien aufzustellen. Dabei sind in erster Linie die Lohnverhältnisse zu berücksichtigen, die für die einzelnen Berufe am Unterstützungsorte bestehen; soweit Berufe am Unterstützungsorte nicht vertreten sind, ist an die Lohnverhältnisse der näheren, erforderlichenfalls der weiteren Umgebung des Unterstützungsorts anzuknüpfen; ist auch das nicht möglich, so ist nach pflichtmäßigem Ermessen zu verfahren.“

Bei der Schlußabstimmung stimmte das Kabinett in seiner Mehrheit dem Entwurf des Reichsarbeitsministers mit den angeführten Abänderungen zu. Gegen den Entwurf stimmten: Staatssekretär Dr. Trendelenburg im Auftrage des Reichswirtschaftsministers, Ministerialdirektor Dr. Köpke im Auftrage des Reichsministers des Auswärtigen und Ministerialdirektor Dr. Beyer-Fehling im Auftrage des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft.

[888] Der von Ministerialdirektor Dr. Beyer-Fehling im Auftrage des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft gestellte Antrag, die Wartezeit für Saisonarbeiter auf drei Wochen festzusetzen, wurde gegen seine Stimme abgelehnt.

Staatssekretär Dr. Popitz behielt sich ausdrücklich vor, namens des Reichsministers der Finanzen Veto gegen den Entwurf einzulegen, falls nicht die Begründung zu dem Entwurf in dem von ihm dargelegten Sinne geändert werde, daß das Ziel des Entwurfs sei, die Reichsanstalt finanziell auf eigene Füße zu stellen. Falls diese Änderung nicht eintrete, müsse er sich vorbehalten, nochmals um Kabinettsberatung zu bitten.

Über die Fassung der Begründung und die sonst nach dem Verlauf der Kabinettssitzung erforderlich werdenden Änderungen werden in unmittelbarem Anschluß an die Ministerbesprechung die Vertreter des Reichsarbeitsministers, des Reichsministers der Finanzen und des Reichswirtschaftsministers beraten.

Zum Schluß stimmte das Reichskabinett folgender Verlautbarung zu:

Das Reichskabinett stimmte in seiner heutigen Sitzung einem vom Reichsarbeitsminister vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu. Der Entwurf wird sofort dem Reichsrat und zur informatorischen Kenntnis dem Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstages als Grundlage weiterer Beratungen zugehen11.

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Den im Haag weilenden RM berichtete StS Pünder über das Ergebnis der Ministerbesprechung: „MinR Feßler hat den Eindruck gewonnen, daß abgesehen von der Deutschen Volkspartei die hinter der Regierung stehenden Fraktionen von dem Kabinettsbeschluß im großen und ganzen befriedigt sind“ (19. 8.; R 43 I /2035 , Bl. 383, hier: Bl. 383). RK Müller schrieb an Severing: „Ich weiß, daß ein sicheres Urteil nur möglich ist, wenn man bei den Details einer zu entscheidenden Frage dabei ist. Deswegen will ich keine Kritik üben, aber entzückt bin ich sicher nicht davon, daß es nicht möglich war im Kabinett, eine Novelle zur Erwerbslosen-Versicherung zu verabschieden, die Deckung brachte. – Es macht nach außen hin einen sehr schlechten Eindruck, daß in diesem Fall wieder das Parlament die Aufgabe bekommt, das Gesetz so auszugestalten, wie es sein soll, während das eigentlich Sache der Regierung ist, wenn sie in Anspruch nehmen will, führend zu sein. Ich weiß, daß dieser Notausweg nur gewählt wurde, weil die im Kabinett vertretenen Parteien sich nicht einigten und weil mit den Gewerkschaften in einigen Punkten schwer zu verhandeln war“ (27.8.29; SPD: Nachlaß Müller  O VIII).

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