2.63.5 (sch1p): 5. [Sowjetische Funksprüche]

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Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

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5. [Sowjetische Funksprüche]

Reichsminister Erzberger bemängelte, daß die Funksprüche Tschitscherins vom 15. Februar und 19. April d. J.7 dem Kabinett nicht vorgelegt worden seien. Er tritt zusammen mit Reichsminister Bell erneut für Anbahnung eines[255] Waffenstillstandes mit der Sowjetregierung ein. Baron Langwerth hält den Widerspruch des Auswärtigen Amts gegen die Anbahnung amtlicher Beziehungen zur Sowjetregierung aufrecht8.

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Der erste Funkspruch des sowjetischen Volkskommissars des Äußeren Tschitscherin vom 15.2.1919 war nur an das AA gerichtet. Er bezog sich auf die Verhaftung Karl Radeks in Berlin und einen dt. Funkspruch vom 14.2.1919 aus Nauen, nach dem bei Radek Dokumente gefunden worden seien, die auf die Vorbereitung eines kommunistischen Aufstands in Deutschland bei gleichzeitigem Angriff der Roten Armee auf Ostpreußen hätten schießen lassen. In dem sowjetischen Telegramm vom 15.2.1919 wurde die Existenz solcher Dokumente bestritten, da sowjetische Angriffspläne gegen Deutschland nicht bestünden. Der amtliche Charakter des Nauener Funkspruchs veranlasse die sowjetische Reg. zu einem „Protest gegen die verleumderischen Gerüchte“, die von der RReg. in die Welt gesetzt würden. Alle sowjetischen Aussagen über eine eventuelle militärische Intervention in Deutschland bezögen sich nur auf den Fall eines Angriffs „der Entente-Imperialisten gegen Deutschland, der sich in einen Kampf gegen das proletarische Deutschland verwandeln kann, in welchem Falle eine revolutionäre dt. Reg. auf die Hilfe des Sowjetrußlands zählen könnte.“ Im übrigen protestiere das sowjetische Volkskommissariat des Äußeren gegen die Anwesenheit dt. Truppen in Lettland und Litauen, deren Aktionen sich auch gegen Sowjetrußland richteten (R 43 I /130 , S. 89-92). Der zweite Funkspruch Tschitscherins vom 19.4.1919 ging neben dem AA an Bela Kun, Budapest, und an alle dt. Arbeiter- und Soldatenräte. Darin wurde die Versicherung, die Sowjetregierung plane keinen Angriff auf Dtl., wiederholt und gegen die antisowjetische Propaganda in Dtl. protestiert. Darüber hinaus wurde die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen angeregt, die jedoch erst dann wieder möglich sein werde, wenn die dt. Truppen in Lettland und Estland zurückgezogen worden seien. Während die RReg. sich mit der Sowjetregierung in einem unerklärten Kriegszustand befinde, wachse die Stimmung in der dt. Bevölkerung, die die „Herstellung von Frieden und Freundschaft“ mit den Sowjetrepubliken Litauen und Estland und mit der russ. Sowjetregierung forderte. Daher wende sich das sowjetruss. Volkskommissariat des Äußeren an „die breiten arbeitenden Massen Deutschlands“ und spreche die feste Zuversicht aus, „daß die Stunde nicht mehr fern ist, wo nach dem Willen der arbeitenden Massen Deutschlands […] diese immer dringenderen Forderungen in die Tat umgesetzt werden.“ (R 43 I /130 , S. 93-100).

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In einem Telegramm vom 2.5.1919 teilte UStS Langwerth dem RAM mit: „In heutiger Kabinettssitzung kamen mit Rücksicht auf heute abend stattfindende erste Sitzung Friedensausschusses der NatVers erneut Ostfragen zur Sprache. Bei dieser Gelegenheit wurde Nichtmitteilung Funkspruchs der russ. Sowjetreg. vom 19. April an Kabinett bemängelt und von verschiedenen Seiten dem Wunsch Ausdruck gegeben, mit Sowjetreg. so rasch wie möglich wenigstens zu einer Waffenruhe zu kommen. Die dagegen bestehenden Bedenken von verschiedenen anderen Seiten [habe ich] hervorgehoben. Ich betonte, daß jedenfalls während Versailler Verhandlungen unmöglich in dieser Sache von uns etwas geschehen dürfe. Jede entgegenkommende Antwort unsererseits an die Sowjetreg. würde von unseren Feinden, insbesondere Frankreich, so hingestellt werden, als wollten wir durch versteckte Drohungen auf Gang der Friedensverhandlungen einwirken, was eine geradezu verhängnisvolle Wirkung haben müsse. Auf Vorschlag des MinPräs. beschloß Kabinett zunächst, Ew. Exzellenz telegrafische Äußerung zur Sache zu erbitten. In Friedensausschuß NatVers wird versucht werden, Erörterung der Angelegenheit vorerst abzubiegen. Langwerth.“ (PA, Dt. Friedensdelegation Versailles, Pol 14). Die Antwort des RAM und ihre Behandlung im RKab. in Dok. Nr. 59, P. 2. In einem handschr. Nachtrag zu einem Schreiben an den RAM vom 3.5.1919 erklärte UStS Toepffer: „Die Stimmung im Kabinett ist in der Folge der Agitation des Herrn Erzberger schlecht gegen das AA. Ich habe begründete Furcht, daß er zunehmenden Anhang hat und jede Gelegenheit zu Angriffen benutzen wird!“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau , Az. 19). Auch einem Schreiben Langwerths an den RAM vom 3.5.1919 ist zu entnehmen, daß der Vorstoß Erzbergers im AA, aber auch von Nadolny als persönlicher Angriff gegen den RAM aufgefaßt wurde; als auf der Seite Erzbergers stehend werden mit Einschränkungen Preuß, Noske und Gothein genannt; weiterhin heißt es: „Das Schlimmste scheint mit zu sein, daß demgegenüber Scheidemann jedenfalls nicht energisch ist, und Ebert sich anscheinend zurückhält. […]“ (PA, Nachl. Brockdorff-Rantzau, Az. 19).

Die bezeichneten Funksprüche sollen an die Kabinettsmitglieder nachträglich verteilt werden.

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