1.149.4 (str2p): 4. Rheinlandfrage.

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[1095]4. Rheinlandfrage.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Für die Regelung der politischen Verhältnisse des Rhein- und Ruhrgebiets zum Reiche seien verschiedene Wege ins Auge gefaßt worden2.

2

S. Dok. Nr. 259, P. 3.

Im ersten Weg: Erteilung einer gewissen Absolution für das, was geschehen, durch einen Aufruf. (Ein entsprechender Aufruf wird verlesen.)3

3

In dem Material der Rkei (R 43 I) konnten keine Unterlagen für einen Aufruf ermittelt werden; wahrscheinlich handelt es sich aber um den Aufruf, der in Anm. 10 zu Dok. Nr. 245 abgedruckt ist.

Zweiter Weg: Erteilung einer Ermächtigung zu selbständiger Verwaltung im Verordnungswege auf Grund des Artikels 48, Übertragung von politischen Befugnissen auf den Fünfzehnerausschuß. (Der Staatssekretär verliest eine entsprechende Verordnung.)4

4

Ein derartiger VOEntw. konnte in R 43 I nicht ermittelt werden.

Dritter Weg: Ausbau der bestehenden Selbstverwaltungsorgane im besetzten Gebiet und Übertragung von politischen u. wirtschaftlichen Befugnissen auf diese5.

5

Der im Protokoll folgende Satz gestrichen: „Der Staatssekretär verliest eine entsprechende Verordnung.“ – Dem „dritten Weg“ entspricht der Vorschlag in Dok. Nr. 260.

Der Reichsminister des Innern Er verstehe wohl die Gründe, die für die erste Lösung sprächen. Er bitte jedoch, folgendes nochmals zu bedenken: Das besetzte Gebiet habe nicht den Wunsch, lediglich zu hören, daß das, was es tun müsse, geduldet werde, sondern es wünsche Erteilung einer gewissen Ermächtigung, die nach außen hin wirke. Er hege die Befürchtung, daß im Falle der Verweigerung einer solchen Ermächtigung die Dinge einen höchst unerwünschten Verlauf nehmen könnten. Die Bevölkerung werde sich nicht mit der Losung abfinden, „tut, was ihr wollt“. Er müsse daher nochmals für eine Ermächtigung etwa in der folgenden Form eintreten: Man wähle den Weg einer Verordnung und übertrage die vollziehende Gewalt im besetzten Gebiet an einen Ausschuß, der nach Maßgabe der Wichtigkeit des Gebiets und der Bevölkerung zusammengesetzt werde. Diesem Ausschuß könne man auch gewisse legislatorische Befugnisse übertragen. Zur Bildung dieses Ausschusses könne man die verschiedenen Ländergebietsteile im besetzten Gebiet zu einem Zweckverband zusammenfassen. Der Ausschuß könne dann aus den provinzialen Vertretungen der verschiedenen Gebiete gewählt werden6.

6

S. hierzu Dok. Nr. 260 sowie die mündliche Erläuterung für die rhein. Abgeordneten (Dok. Nr. 266a).

Der Staatssekretär des Preußischen Staatsministeriums erklärt, daß die Länder auf dem Standpunkt ständen, der erste Weg sei der gangbarste. Der zweite Weg, durch Verordnung auf Grund des Artikels 48 politische Befugnisse zu übertragen, könne nicht beschritten werden7. Gegen einen Ausbau der Selbstverwaltung im besetzten Gebiet bestünden in Preußen keine Bedenken.

7

Vgl. hierzu die Äußerungen des PrMinPräs. in Dok. Nr. 247.

[1096] Der Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten erklärt, daß der Reichspräsident grundsätzliche Bedenken gegen eine Regelung im Wege der Verordnung auf Grund des Artikels 48 hege8.

8

Vgl. die Erklärung StS Meissners in Dok. Nr. 242, P. 3.

Der Reichspostminister hält die Möglichkeit eines Ausbaus der Selbstverwaltung, wie sie von dem Reichsminister des Innern geschildert worden sei, für zweckmäßig.

Der Reichsarbeitsminister Der erste Weg enthalte keineswegs die Losung, „tut, was ihr wollt“9. Eine Begrenzung sei ausgedrückt durch die Feststellung, daß wir keinerlei staats- oder völkerrechtliche Veränderungen wünschten. Er sei übrigens der Überzeugung, daß die Rheinländer nicht mehr wollten, wie daß die Reichsregierung dulde, was sie unter dem Zwange der Verhältnisse tun müßten. Er schlage vor, den ersten Weg zu gehen und in den Aufruf den Gedanken einer erweiterten Selbstverwaltung einzugliedern oder, falls man das nicht wünsche, über diese Regelung in mündliche Verhandlungen mit den Vertretern des besetzten Gebiets einzutreten. Gewisse Bedenken habe er dagegen, die vollziehende Gewalt einem solchen Ausschuß im besetzten Gebiet zu übertragen. Dies bedeute wieder ein positives Hinüberführen des besetzten Gebietes in einen anderen Rechtszustand durch das Reich. Er müsse also nach wie vor die erste Lösung für die zweckmäßigste halten; er habe aber nichts dagegen einzuwenden, wenn mündlich durch protokollarische Festlegung ein Ausbau der Selbstverwaltung im Sinne der Ausführungen des Reichsministers des Innern angestrebt werde.

9

Der folgende Satz lautete zunächst: „Er enthalte zweifellos eine Begrenzung, die durch die Feststellung ausgedrückt sei, daß wir keinerlei staats- oder völkerrechtliche Veränderungen wünschen.“

Der Reichsminister der Finanzen Vieles spreche für den Vorschlag des Reichsarbeitsministers. Andererseits müßte man sich aber die Auswirkung dieses Vorschlags vergegenwärtigen. Was solle das besetzte Gebiet mit einer solchen Vollmacht machen. Eine rechtliche Grundlage müsse unbedingt einbezogen werden. Er trete daher für den Vorschlag des Reichsministers des Innern ein.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei Ein wesentlicher Unterschied in den Auswirkungen bestehe bei beiden Wegen nicht. Ob man den Weg der freien Wahl oder den Weg der Ermächtigung wähle, immer würde im wesentlichen mitbestimmend die Macht der Verhältnisse sein. Daher müsse bestimmend auf die Entschließung wirken, daß keine Tätigkeit des Reiches ausgeübt werde, die die Geschichte prädestiniere. Der Gesichtspunkt, daß wir vor der Zukunft unsere Rechte wahren und anmelden müßten, müsse im Vordergrund stehen. Aus diesem Grunde sei der Weg der freien Wahl der bessere wie der der Ermächtigung. Gegen eine mündliche Vereinbarung über den Ausbau der Selbstverwaltung und eine Festlegung in einem Protokoll habe er nichts einzuwenden.

Der Reichspostminister Er halte den Versuch für glücklich, den Vorschlag Brauns (1. Weg) durch eine Protokollierung mit dem Vorschlage über einen Ausbau der Selbstverwaltung zu vereinigen.

[1097] Der Reichskanzler Der Weg 2, Verordnung aus Artikel 48, müsse aus der Debatte aussscheiden.

Der Reichsminister des Innern bemerkt, er habe für Dienstag [20. 11.] rheinische provinziale Vertreter geladen. Er wolle ihnen mündlich mitteilen, daß eine Möglichkeit des Ausbaus der provinziellen Selbstverwaltung gegeben sei. Er wolle die Rheinländer befragen, was sie ihrerseits von diesem Vorschlage hielten. Das Reich müsse aber handeln. Denn bereits begännen einzelne Länder im Wege der Verhandlungen diese Frage selbst zu regeln. Dies könne aber zu einer sehr unglücklichen Lösung führen.

Der Reichskanzler erklärt, daß er die allgemeine Zustimmung des Kabinetts zu diesem Vorschlage, Weg 1, und mündliche Verhandlung feststelle. Er bitte den Reichsminister des Innern und den Staatssekretär in der Reichskanzlei, alsbald zum Zwecke einer schriftlichen Formulierung dieses Vorschlages zusammenzutreten10.

10

Aus der Erörterung vom RIM und StSRkei scheint dann eine Veränderung des Aufruftextes erwachsen zu sein; er lautet nunmehr unter Berücksichtigung hs. Korrekturen von Jarres: „Nachdem alle Versuche der Reichsregierung, mit den Besatzungsmächten zu einer Verständigung über eine Wiederaufnahme der Wirtschaft im besetzten Gebiet gescheitert sind, und nachdem das Reich in die tatsächliche Unmöglichkeit versetzt worden ist, auch nur die dringenden Ausgaben auf die Dauer zu leisten, bleibt kein anderer Weg übrig, als daß die Bevölkerung des besetzten Gebiets selbst aus eigener Kraft diejenigen Maßnahmen zu treffen versucht, die zur Erhaltung ihres Lebens unbedingt erforderlich sind. Dabei muß die Bevölkerung des besetzten Gebietes sich immer gegenwärtig halten, daß der heutige Zustand kein Rechtszustand, sondern nur ein vorübergehender tatsächlicher Zustand der Okkupation ist. Die Reichsregierung geht unter allen Umständen von der Voraussetzung aus, daß durch alle während der Okkupationszeit getroffenen Maßnahmen eine Änderung der bestehenden steuerrechtlichen Verhältnisse zu Reich und Ländern nicht herbeigeführt werden darf“ (BA: NL Jarres  6).

Ein Vertreter des Auswärtigen Amts: Der Erklärung komme eine große außenpolitische Bedeutung bei. Daher sei wichtig, folgendes zu klären: In der Tatsache, daß wir grundsätzlich an der staats- und völkerrechtlichen Zugehörigkeit des Rhein-Ruhrgebietes festhielten, aber die notwendige Staatsaufgaben, nämlich die Leistung der Zahlungen, nicht mehr ausführen könnten, liege ein Widerspruch. Diesen könne Frankreich für seine Zwecke ausnutzen. Es frage sich daher, ob der Zweckverband, den man durch Ausbau der Selbstverwaltung dort schaffen wolle, auch in der Lage sei, sich das nötige Geld für seinen Bestand zu beschaffen11.

11

Vgl. die Vorbehalte des AA in Anm. 14 zu Dok. Nr. 245.

Der Reichsminister der Finanzen Die Fragestellung des Vertreters des Auswärtigen Amts verschiebe den außenpolitischen Gesichtspunkt. Man müsse sich immer auf den Standpunkt stellen, Frankreich habe die Wirtschaft in den besetzten Gebieten stillgelegt und müsse hierfür nunmehr die Verantwortung und alle Folgen tragen.

Der Reichsarbeitsminister An der Frage der Steuererhebung könne man in der Proklamation nicht vorbeigehen. Über diese Frage könnten auch in dem Protokoll Vereinbarungen getroffen werden.

Der Reichsminister des Innern Zweifellos sei, daß die Selbstverwaltungskörperschaften im besetzten Gebiet sich Einnahmen beschaffen müßten. Das[1098] Reich müsse also auf die Einnahmen des besetzten Gebiets verzichten. Trotzdem müsse es aber noch gewisse Zuschüsse an das besetzte Gebiet zahlen, damit zum mindesten die Beamtengehälter weitergezahlt werden könnten.

Der Reichsminister der Finanzen Es sei unmöglich, weiterhin Beamtengehälter zu zahlen, wenn keine Einnahmen mehr aus dem besetzten Gebiet flössen12.

12

S. a. Dok. Nr. 264.

Der Reichsminister des Innern Für eine gewisse Übergangszeit müßten unter allen Umständen die Beamtengehälter im besetzten Gebiet weiterhin durch das Reich gezahlt werden. Man müsse eine Übergangslösung finden.

Der Reichsminister der Finanzen müsse sich mit dem Gedanken abfinden, daß Einnahmen aus Einkommen- und Umsatzsteuer aus dem besetzten Gebiet nicht mehr zu erzielen seien. Er bitte den Reichsminister der Finanzen, bei der Abschnürung der Zahlungen an das besetzte Gebiet den Bogen nicht zu überspannen.

Der Staatssekretär im Reichsministerium der Justiz macht Ausführungen über die rechtliche Stellung des neu zu gründenden Zweckverbandes. Man müsse das besetzte Gebiet als Okkupationsgebiet im völkerrechtlichen Sinne betrachten.

Es folgen Bemerkungen über Fragen der Erhebung der Steuern sowie über Zahlungen an das bes. Gebiet seitens des Reichsministers für die besetzten Gebiete und des Reichsministers der Finanzen13.

13

In einem Schreiben an alle RM und den StSRkei teilte der RFM am 16.11.23 mit, wenn die Sondersumme von 100 Mill. Rentenmark erschöpft sei, müßten „die unmittelbaren Leistungen an die Besatzung“ eingestellt werden und ebenso „die Aufwendungen für die Erwerbslosigkeit angesichts der Tatsache, daß diese Erwerbslosigkeit in ganz überwiegendem Maße künstlich hervorgerufen“ sei. Verblieben dem Reich und den Ländern die öffentlichen Einnahmen aus dem besetzten Gebiet und würden diese nicht von der Besatzung beschlagnahmt oder vom besetzten Gebiet „als Gebiet einer occupatio sui generis“ beansprucht, dann würden weitergezahlt die Gehälter etc. der Reichsbediensteten und die Zahlungen aus dem Reichsfinanzausgleich, die Sozialleistungen für Sozialversicherte, Kriegsbeschädigte usw., ein Beitrag zur Volkshilfe [s. Dok. Nr. 241], Entschädigungen aus dem Okkupations- und aus dem Besatzungs-Personen-Schädengesetz. Dauernd sollten geleistet werden Zahlungen an Ausgewiesene und Gefangene und zur Aufrechterhaltung der nationalen Beziehungen zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet (R 43 I /189 , Bl. 376–377).

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