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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 2Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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RTF

[Sachsen.]2

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Zur Entwicklung in Sachsen s. Vermächtnis I, S. 187; ferner Vermerk des Kanzlers über eine Unterredung mit den sozialdemokratischen Reichsministern (Dok. Nr. 192).

Kanzler: Berichtet über Bayern und Sachsen. Heinze ernannt3.

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S. dazu Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1204 e/f.; Schultheß 1923, S. 207.

[871] Müller: Nürnberg! Erbitterte Klage, daß gegen Bayern nichts, dagegen Bayern schärfste Maßnahmen.

Republikaner fühlen sich verlassen.

Kommandeure verbieten nur mehr unsere Parteizeitungen. Kann Partei nicht tragen4.

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Landtagsfraktion und Landesausschuß der bayer. Sozialdemokraten hatten in einem Schreiben vom 24.10.23 dem RK ihre unerschütterliche Treue und Opferbereitschaft zum Reich bekundet, gleichzeitig die Bayer.StReg. beschuldigt, durch ihr Verhalten in der Affäre Lossow den Bestand des Reichs und seine Einheit zu gefährden. „Das planmäßige Handeln tritt täglicher klarer zu Tage. Bayern handelt: Der Verfassungsgrundsatz, daß Reichsrecht vor Landesrecht geht, wird in Bayern mißachtet, die Republikschutzgesetze wurden praktisch beseitigt, die von Reichsbehörden wegen strafbaren Tuns Verfolgten genießen den Schutz der bayerischen Behörden, die Verpflichtung der Reichswehr auf Bayern ist ein glatter Bruch der Verfassung, der wegen militärischen Ungehorsams entlassene General von Lossow darf die außerhalb Bayerns stehendenden Reichstruppen ungestraft gegen die legale Reichsgewalt aufreizen, unter Mißachtung eindeutiger Garantien der Reichsverfassung wird den Arbeitern das Streikrecht genommen“ (R 43 I /2218 , Bl. 225–226). Ein Schreiben des StSRkei, der der LT-Fraktion für ihre Reichstreue den Dank des Kanzlers aussprechen sollte, wurde von Kempner am 9.11.23 als „überholt“ bezeichnet (R 43 I /2218 , Bl. 227).

Sachsen: Ich öffentlich gesagt, Koalition Dresden Unglück für das Reich. Wegen Flugblatt komm. Minister verhaften, hätte ich getan5. Dies leichter, als was jetzt geschehen ist.

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Zu dem angesprochenen Flugblatt s. Schultheß 1923, S. 206; O. Wenzel, Die Kommunistische Partei Deutschlands, S. 237.

Art des Vorgehens erschwert, Heinze ernannt. Wie wirkt das auf Verhandlungen? Glaube nicht, daß jetzt mit Verhandlungen etwas erreichbar6.

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Vor seiner Fraktion führte Müller am 31.10.23 hierzu aus: „Fall Sachsen: Übergriffe sind sicher vorgekommen. Vertreibungen von Fabrikanten aus Villen, gezwungen rote Fahne voranzutragen etc. Wilde Aktionsausschüsse. Wir auf München hingewiesen, wo alteingesessene Juden in Massen ausgewiesen wurden. Soz. [?] kom. Regg. in Sachsen und Thüringen war m. E. ein Unglück für die ganze deutsche Politik. Eine Partei, die kom. Peitsche entfesselt, kann keine Politik treiben. Wenn man die pol. Errungenschaften der Revol. erhalten will, muß sie die auf diesem Boden stehenden Kräfte zusammenfassen. Trotzdem Eingreifen der Reichswehr aufs schärfste abzulehnen. Fehlt an tatsächlichen Voraussetzungen der Reichsexekution. Sächs. Regg. hatte von Anfang an Krebs im Leib. Man hätte sie sich totlaufen lassen sollen. Dann wäre die Stellung der Partei eine viel günstigere. Sächs. Hundertschaften ohnmächtig gegen Reichswehr. Sächs. Regg. stand vor Auflösung. Zeigner wollte zweimal sich der kommunist. Minister entledigen und selbst niederlegen. Ehe es dazu kam, wurde Heinze ernannt – angeblich, weil Stresemann keine Zeit mehr hatte“ (Arch.soz.Dem.: NL Keil  II/24). Bei Giebel lauten die Notizen aus der Fraktionssitzung zu diesem Punkt: „Sachsen: Gerüchte im allgemein falsch! In Vogtl. + Erzgeb. Akt.-Aussch. hätten sich amtl. Funktionen angemaßt. Flugschr.: Aufforderung zu weiteren Hundertschaften, Bewaffnung. – Brandler seit Mittwoch 24. X. verschwunden. Kommissar Dr. Heinze: Gegen Person + Maßnahme in Parteiführerkonferenz Stellung genommen. Dresdner Parteikonferenz am 28. 10.: Zeigner bereit, Komm. auszuschiffen + selbst abzutreten“ (Arch.soz.Dem.: NL Giebel, Kass. II, Mappe III, Bl. 257 ff.).

Nun auch an Kahr und Knilling schreiben, dort auch Kommissar ernennen. Das vielleicht dann tragbar. Evtl. Mittwoch [31. 10.] Fraktion. Kaum Mehrheit dann f. Koalition! Werden uns rausnehmen wollen7.

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S. dazu Dok. Nr. 212, P. 2.

Wels: Ich in Pfalz. Inpflichtnahme hat sehr geschadet. Bauernschaft für autonome Pfalz8.

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Über die Autonomiebestrebung seines Parteifreundes Hoffmann (s. zuletzt Dok. Nr. 181) führte Müller vor der SPD-Fraktion des RT am 31.10.23 aus: „Wir haben von den Plänen der Parteigenossen erst durch den Kanzler gehört. Juristisch Hochverrat an Bayern. Modalitäten des Art. 18 Verf. sind zu beachten. Wels ging nach Heidelberg und renkte die Sache ein. Wir legen Wert darauf, daß nicht nur von Bayern, sondern auch vom Reich Verfahren eingeleitet wird. Unsere Auffassung geht dahin, daß der Fall anders liegt als Fall Dastorf [?]. Intellektueller Urheber ist Kahr. Mit Franzosen hat auch Heim verhandelt.“ Die Abg. Pfülff führte im Verlauf der Fraktionssitzung weiter aus: „Ein Wort zur Pfalz. Oft beraten, was Pfalz und Franken tun, wenn Konterrevolution in Bayern kommt. Loslösung schien vielen selbstverständlich. Daher pfälz. Vorgehen keine Überraschung. Materiell nicht zu verurteilen, taktisch freilich höchst ungeschickt und unklug“ (Arch.soz.Dem.: NL Keil  II/24).

[872] Scholz:9 Pfalz: Gewisse [?] Separatisten gegen Bayern dort schon vor dem Krieg. Zur Gesamtlage: Verhältnis des Reichs zu Sachsen konform zu dem zu Bayern? Kann völlige Gleichheit nicht anerkennen. Nicht zu bestreiten, daß in Bayern jeder unbehelligt Gewerbe nachging, Person und Eigentum gewährleistet, dies in Sachsen nicht! Viel Material10!

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Scholz hatte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder Kontaktgespräche mit dem DNVP-Vorsitzenden Hergt geführt (Sitzung des DVP-Fraktionsvorstands, 27.10.23; R 43 II /66 , Bl. 9).

10

In Sachsen war am 8.10.23 eine VO erlassen worden, die eine Beschneidung der Werkstillegungen und der Entlassung von Arbeitern vorgesehen und zur Überprüfung der Betriebe die Arbeitsnachweise und Gewerbeaufsichtsämter eingesetzt hatte (R 43 I /2309 , Bl. 140–144). Gegen diese VO war wiederholt Einspruch erhoben worden (R 43 I /2309 , Bl. 139, 204); außerdem hatte es gelegentliche Ausschreitungen gegenüber einzelnen Industriellen gegeben, die gezwungen worden waren, erhöhte Löhne auszuzahlen (R 43 I /2309 , Bl. 145 bis 147, 169).

Heinze kann seine Frau nicht auf die Straße schicken! Erhebliche Unterschiede! – Divergierendes Vorgehen also in Verfassung begründet. – Stimme Kanzler zu, entscheidend Reichswehr! – In Sachsen offene Auflehnung von Ministern gegen Befehlsgewalt des Reichs (General Müller).

An Kanzler: In Bayern soll Judenhetze sein und Ausweisungen! Das wäre mir neu, dies feststellen11!

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Bereits am 25.10.23 hatte der RKom. Überwachung öffentl. Ordnung dem StSRkei eine „von gut orientierter Seite übermittelte Nachricht“ zugesandt: „Gestern wurden aus München 60 prominente jüdische Familien mit einer Frist von 5 Tagen ausgewiesen. Eine Anzahl Juden wurde gefangen gesetzt. Weitere Ausweisungsbefehle stehen bevor. Fraglos ist beabsichtigt, gegen die Juden in München energisch vorzugehen. Von wem die Ausweisungsbefehle unterzeichnet sind, wird noch mitgeteilt“ (R 43 I /2193 , Bl. 71).

Kanzler: Werde es feststellen! Das ginge nicht12!

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Noch am 29.10.23 übersandte das AA dem RK zur Kenntnisnahme die Abschrift einer Aufzeichnung über die „Ausweisungspraxis gegenüber den Ostjuden in München“. Danach sei die Zahl der bisher ausgewiesenen Juden auf Grund der Hetze des „Völkischen Beobachters“ von 40 auf 300 Familien erhöht worden, die entweder staatenlos oder polnischer, russischer oder österreichischer Staatsangehörigkeit seien. „Da seit Jahren alle Ostjuden, gegen die man wirklich Vorwürfe erheben konnte, sofort ausgewiesen sind, ist es der Polizei schwer, gegen die jetzt auszuweisenden Familien Ernstes vorzubringen. Als Motiv der Ausweisung wird meist geschrieben, daß der Betroffene arm nach München gekommen und sich durch besondere geistige Veranlagung zum Schaden des bayerischen Volkes Vermögen erworben hat. Appell gegen die Ausweisung ist beim Generalstaatskommissar möglich und auch bei einem Landwehroffizier sowie bei einem Besitzer des Eisernen Kreuzes I. Klasse die Rücknahme der Ausweisung durchgesetzt worden.“ Nach bayerischer Ansicht erlaube der Ausnahmezustand auch die Ausweisung von Reichsdeutschen aus Bayern und die Ausweisung von Bayern aus München mit Zuweisung eines Zwangsaufenthalts. Die „Münchener Post“ habe mitgeteilt, daß durch die Ausweisungen 2–300 Arbeiter „plötzlich brotlos“ geworden seien. „Der ‚Völkische Beobachter‘ geht jetzt so weit, in strikter Form die Konfiskation des Gesamtvermögens der Ausgewiesenen zu fordern, da ja die Ausweisungen auf Grund des schnellen Vermögenserwerbes erfolgen. – Es darf dazu bemerkt werden, daß die meisten dieser Familien bereits 20 bis 30 Jahre in München leben“ (R 43 I /2193 , Bl. 75). S. a. den Augenzeugenbericht vom 31.10.23 (Dok. Nr. 211).

Marx: Nur in meinem Namen: Reichswehr unbedingt erhalten!

[873] Starke Regierung da sein! Liegt in Sachsen und Bayern verschieden! Verfassungsverletzung in Sachsen! Aber zu energisch wohl gegen Sachsen. Nun hat man mit dem Beschreiten des Ultimatum viel abgebrochen, um zu Verständigung zu kommen. Hätte vermeiden können.

Fischer: Über „Mißverständnis“ weitere Aufklärung erwünscht. Juden aus Bayern ausgewiesen, weil sie angeblich des Wuchers schuldig seien.

Bei Bayern streng rechtlich schwieriger als bei Sachsen. Einigkeit im Ziel, Wiederherstellung Reichsautorität!

Fraktion findet Weg gegen Bayern zu milde! Besser: Bayern nicht auch Ultimatum stellen, wenn man Macht hat.

Riskieren, daß wir Bayern als Bundesstaat ansehen, der sich außerhalb des Reichs gestellt hat. Evtl. auch wirtschaftliche Mittel gegen Bayern. Aber politische Fragestellung wird vielleicht Lösung geben13.

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Zur Haltung der DDP teilte der Fraktionsvorsitzende Petersen dem RK am 30.10.23 mit: „Soeben hat der Vorstand der D.D.Fraktion getagt. Er hat mich beauftragt, Ihnen nochmals zu sagen, wie unbedingt und ernst die Forderung unserer Fraktion ist, daß gegen Bayern mit aller Bestimmtheit und Schärfe die Forderung gestellt wird, der Verfassung des Reiches Rechnung zu tragen und für den Fall der Weigerung alsbald die Folgerungen zu ziehen. – Ferner darf ich Bemerkung aussprechen, daß, falls die Reichsregierung eine grundsätzlich andere Politik gegenüber Frankreich einschlagen will, vorher mit dem interfraktionellen Ausschuß Fühlung genommen wird“ (Pol. Arch.: NL Stresemann  87).

Im wesentlichen meine persönliche Meinung14!

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Zur Haltung von Zentrum und DDP führte Hermann Müller vor seiner Fraktion am 31.10.23 aus: „Im Zentrum will Rechtsrichtung u. [?] Brauns in Rücksicht auf Bayern reine Rechtsregierung. Möglich, daß sie jetzt die Mehrheit bekommt. Demokraten die letzte Zeit treu an unserer Seite gestanden“ (Arch.soz.Dem.: NL Keil  II/24). Vgl. H. Stehkämper, Der Nachlaß des Reichskanzlers Wilhelm Marx I, S. 295.

Kanzler: Reich ist ja früher gegen Bayern vorgegangen, als gegen Sachsen. Bayern ist ja gefragt, ob auf Boden der Verfassung. Ebenso wegen Befehlshoheit!

Kahr steht nicht mehr fest15. Darum müssen wir Stein des Anstoßes wegräumen!

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Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 184.

Ich darf es nicht zu einem Rechtsputsch kommen lassen!

Bayern kommt erst dann in Ordnung, wenn sächsische Entspannung! Bereinigung Sachsens ist Voraussetzung des Sieges über Bayern.

Wels: In manchem einig! –

Einberufung der „Jungmannschaft“ in Bayern.

Geßler: Bemühung Kahr an Spitze der Reichsregierung! Auch in Württemberg und Franken faschistische Anstrebungen! Gehen wir nicht gegen Sachsen, dann zwischen 2 Feuern16!

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Vgl. hierzu die Ausführungen O. Spenglers (Dok. Nr. 158).

Scharfer Schritt gegen Kommunisten könnte noch helfen!

Wels: Gegen Vormarsch gegen Berlin müßte man alle reichstreuen Elemente sammeln!

Heute in Sachsen angesehen als Reichswehr gegen Arbeiterschaft. Wie soll bis Dienstag neue Regierung in Sachsen sein?

Heinze als Kommissar wirkt schon17!

17

S. Dok. Nr. 195 u. 209.

[874] Bayern jetzt Politik wie in Jahrhunderten gegen das Reich!

Kanzler: Zeigner unmöglich! Rein sozialistisches Kabinett zum Anfang wäre denkbar!

Dittmann: Komme aus Dresden! Zeigner hätte kommunistische Minister entlassen und wäre Dienstag zurückgetreten, wenn nicht Ultimatum Reichsregierung gekommen wäre!

Zeigner gestern entschieden vertreten, Kommunisten raus! Wollte auch selbst weg. Dann von Parteien anders gezwungen18!

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Als seine Einschätzung und Beobachtung in der sächs. Frage führte Dittmann vor seiner Fraktion am 31.10.23 aus: „Was mir den Austritt schwer macht, sind die Folgen in den Ländern, namentlich in Sachsen u. Thüringen, wo in 5 Jahren für Demokratie geschehen ist [!]. Alle die guten Parteigenossen auf wichtigen Posten werden vor ein Nichts gestellt. Heinze hat sofort begonnen. Ich habe stets die Meinung gehabt, daß wir jede Position bis zum letzten zu halten versuchen muß [!]. Darum – besonders wegen Sachsen – Bedenken, jetzt auszuscheiden. Zeigner hat schon am Freitag [26. 10.] erklärt, ich schmeiße die beiden (komm.) Kerle raus! Zeigner hatte namens der Regg. zur Besonnenheit und Ordnung gemahnt; trotzdem fordern Kommunisten offiziell durch Flugblatt auf: Pfeife auf den General, nun erst recht Gründung von Hundertschaften und Aktionsausschüssen! Zeigner hat auch persönlich die Ausschiffung der Kommunisten befürwortet; er empfahl, aus eigenem Entschluß – nicht wegen des Ultimatums – die Ausschiffung zu beschließen u. sich zum Rücktritt am Dienst [30. 10.] bereit erklärt. Partei hat Ausschiffung beschlossen, Rücktritt Z.s abgelehnt. Das Kabinett war gespalten. Z. hat, weil sich einer (Graupe) mit den Kommunisten solidarisierte, keinen Entschluß gefaßt, sondern den Dingen ihren Lauf gelassen. Zwei Tage später hat er das bedauert. Bricht nun im Reich die Koalition zusammen, dann natürlich auch in Sachsen“ (Arch.soz.Dem.: NL Keil  II/24).

Über Heinze entsetzt! Er ist verfehlt! Tritt er an unsere Partei wegen Regierungsbildung heran, dann wird sie ablehnen19!

19

Vgl. dazu Stresemanns Aufzeichnung vom 29.10.23, in: Vermächtnis I, S. 189 ff.

Kanzler: Sind Kommunisten in sächsischer Regierung, dann geht hiesige Reichswehr zu Bayern über.

Wer dort Kommissar ist, ist ziemlich gleichgültig20!

20

Zur Haltung der Reichswehr s. Anhang Nr. 1 und 4.

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