2.230.1 (wir1p): Abkommen mit Frankreich

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Abkommen mit Frankreich

Staatssekretär Müller trägt den Inhalt des Abkommens und den Gang der Verhandlungen, die zu ihm geführt haben, in großen Zügen vor1.

1

Siehe Chefbesprechung vom 15.3.22 (Dok. Nr. 223).

Abg. Dr. Stresemann: Nach dem mündlichen Vortrag könne man über das Abkommen nicht abschließend urteilen, aber bereits jetzt sehe er große Gefahren in ihm. Im Auswärtigen Ausschuß sei bei Besprechung des Bemelmans-Abkommens gesagt worden, das Wiesbadener Abkommen mit Frankreich bleibe hierdurch unberührt. Nunmehr solle es doch auf das Bemelmans-Abkommen umgestellt werden. Besonders groß scheine ihm die Gefahr, daß die auf Separation des Rheinlandes gerichteten Bestrebungen Frankreichs durch das neue Abkommen gefördert werden könnten. Die im Abkommen enthaltene Sicherungsklausel hiergegen halte er für viel zu schwach2. Jedenfalls müsse das Abkommen im Auswärtigen Ausschuß des Reichstages eingehend besprochen werden. Er bitte daher, den Führern der Parteien den Text vorher zuzustellen.

2

§ 4 des Abkommens vom 15.3.22 lautet: „Die Deutsche und die Französische Regierung sind dahin einig, daß es mit dem Gebiete der Vereinbarung vom 27.2.22 [Cuntze-Bemelmans-Abkommen, das vorher als Grundlage anerkannt worden ist] nicht vereinbar sein würde, wenn ein übermäßiger Teil der Bestellungen auf gewisse Firmen oder gewisse Landesteile entfallen würde. Es besteht Einverständnis darüber, daß die Deutsche Regierung dabei nicht auf einer gleichmäßigen Verteilung besteht.“ (RT-Drucks. Nr. 4468 , S. 29, Bd. 374).

Der Reichskanzler sagt zu, daß das Abkommen im Auswärtigen Ausschuß besprochen werden solle. Die heutige Besprechung habe nur den Zweck einer vorläufigen Information und sei streng vertraulichen Charakters.

Abg. Andre befürchtet, daß die einzelnen Länder bei der Vergebung von Aufträgen nicht gleichmäßig berücksichtigt werden würden. Daher müßten seines Erachtens auch die Regierungen der Länder oder wenigstens der Auswärtige Ausschuß des Reichstags sich zu dem Abkommen äußern.

Der Reichskanzler sagt zu, daß das Abkommen dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags vorgelegt werden würde. Den Führern der Reichstagsfraktionen würde je 1 Abdruck rechtzeitig vor der Sitzung des Ausschusses zugehen.

[621] Abg. Braun ist gegenüber den Ausführungen der Abgeordneten Dr. Stresemann und Andre der Ansicht, daß sich in diesen Fragen kaum noch mehr erreichen lassen werde, als was schon im Abkommen enthalten sei. Die Herren von der Deutschen Volks-Partei müßte er fragen, ob sie die Gefahr der Forderung separatistischer Bestrebungen wirklich so ernst ansähen?

Abg. Dr. Stresemann bejaht dies. Er habe bei seinen Ausführungen vorwiegend an Einfuhrhäuser gedacht.

Abg. Quaatz tritt der Auffassung des Abg. Dr. Stresemann bei. Die Anhänger Dortens könnten sich als Agenten für die Lieferungen auftun und so den Dorten’schen Bestrebungen neue finanzielle Mittel zuführen3.

3

In einem Schreiben des PrIM vom 21.3.22 an den RK heißt es zum rheinischen Separatismus: „Der zusammenfassende Eindruck ist der, daß eine augenblickliche Separatistengefahr nur für kleine Teile des besetzten Gebietes zu bestehen scheint, daß jedoch von den maßgebenden Regierungsstellen diese Separatistengefahr bei dem zähen Eifer und der fast hemmungslosen Machtstellung der Franzosen dauernd als immanent angesehen werden muß. In dieser Lage der französischen Besatzungsbehörden die lang erkämpfte Möglichkeit der freien Auftragserteilung zu geben, ist ein Wagnis, das sich vielleicht aus rein diplomatischen Erwägungen heraus verstehen läßt, das jedoch vom Standpunkt meines Ressorts aus unter Berücksichtigung der innerpolitischen Gefahren noch in letzter Stunde den stärksten Widerspruch herausfordert. Das anliegende Material [R 43 I /27 ] zeigt durch in den letzten Wochen von uns gewonnenen Vertrauensmann Dortens den ständigen Kampf, den dieser mit vielen Methoden seit dem Beginn der Besetzung um die rheinische Industrie geführt hat. Durch Gründung der Section économique, von französischen Handelskammern und französischen Auftragsstellen schuf man in Verbindung mit einer gut arbeitenden Wirtschaftsspionage den französischen Handelsapparat, um von hier aus durch das Medium von angeblich deutschen Büros an die rheinische Industrie heranzukommen. Die hervorragendste Rolle spielte das berüchtigte bureau mixte, über dessen Geschichte, Hintermänner und Bestrebungen die Anlagen weitere Aufklärung geben. Da dieses bureau mixte bei dem bisherigen Stande der Dinge sich nicht im französisch gewünschten Sinne entwickeln konnte, setzte die zweite Phase der französischen Wirtschaftspolitik im Rheinland durch die Einführung der wirtschaftlichen Sanktionen ein. Nachdem auch diese Phase glücklich z. T. überwunden ist, will man nunmehr zu der für uns gefährlichsten Methode gelangen: den unmittelbaren Industriebeziehungen von Frankreich zu der rheinischen Industrie […] Ich möchte zugleich noch hervorheben, daß bei den Wiederaufbaulieferungen eine Bevorzugung der rheinischen Industrie mit Rücksicht auf ihre bisherige Bedrückung angezeigt ist, daß aber diese Bevorzugung nicht durch französische Stellen, sondern durch deutsche Stellen geschehen muß, um sich im deutschen Sinne auszuwirken.“ (R 43 I /27 , Bl. 40 f.).

Staatssekretär Müller verweist darauf, daß, wenn diese Gefahr ernsthaft würde, wir das Abkommen kündigen könnten. Was die Frage der Verteilung auf die Länder anlange, so müsse er zugeben, daß eine gleichmäßige Verteilung bei dem freien Lieferungsverkehr nicht gewährleistet werden könne. Vielleicht aber würde es möglich sein, hier durch die Tarifpolitik der Eisenbahn zu helfen, die den Lieferanten, die durch große Entfernungen erhöhte Frachtkosten hätten, gegebenenfalls entgegenkommen müsse.

Der Reichskanzler bittet die Parteiführer, die Angelegenheit mit den Interessenten in ihren Fraktionen durchzusprechen. Das Wiederaufbauministerium würde auf Wunsch hierzu Vertreter entsenden.

Abg. Dr. Stresemann teilt mit, daß das Abkommen am Mittwoch den 22. März 1922 um 10 Uhr vormittags im Auswärtigen Ausschuß des Reichstages besprochen werden würde.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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